Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Im Grase" wurde vermutlich im Jahre 1844 von Annette von Droste-Hülshoff verfasst. Sie lebte zwischen 1797 und 1848 und gilt bis heute als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Besonders durch ihre einzigartige Lyrik hebt sie die Wechselwirkung von Natur und Mensch hervor und wird so schnell zu einem der prägenden Gesichter der Epoche des Biedermeier, der Zeit zwischen 1814/15 und 1848. Aufgrund der Unsicherheiten durch ständige politische Wechsel kommt es zu einem Rückzug ins Private, wodurch sich auch die Literatur politisch passiv und verstärkt konservativ zeigt. Stellvertretend für dieses Lebensgefühl kann von Droste-Hülshoffs „Im Grase" gesehen werden, welches die Beschreibung einer unbewohnten Landschaft durch ein lyrisches Ich vornimmt, das sich möglicherweise gerade inmitten der Natur (bzw. wie der Titel andeuten lässt) auf einer Wiese befindet. Somit wird durch das Eingehen auf Pflanzen, Tiere und Menschen unweigerlich auch die mitunter schmerzlich wehtuende Vergänglichkeit alles irdischen Lebens thematisiert.
Das hier vorliegende Werk setzt sich aus vier Strophen mit jeweils acht Versen zusammen, wobei letztere aus acht oder neun Silben mit drei oder vier Hebungen bestehen. Überwiegend stehen je zwei Verse über einen Paarreim in Verbindung, mit unregelmäßiger Ausnahme des ersten sowie vorletzten Verses. Das gesamte Gedicht ist ausgeschmückt mit zahlreichen Adjektiven, um die geschilderten Empfindungen für die Leserschaft zu intensivieren. Dabei soll sich bereits in der ersten Strophe die Darstellung der Landschaft nicht nur auf visuelle Aspekte beschränken, sondern auch Gerüche („Von des Krautes Arom umhaucht", V. 2) sowie die Akustik („Süßes Lachen", V. 6; „Liebe Stimme", V. 7) einbeziehen. Es entsteht so insgesamt das Bild einer beinahe himmlischen Atmosphäre, ähnlich einem Traum, den das lyrische Ich erlebt. Seine Gedanken enden jedoch abrupt mit dem schweifenden Blick, wenn die Stimme durch Einbezug in einen Vergleich „wie die Lindenblüth´ auf ein Grab" (V. 8) fällt und das lyrische Ich wieder an die Endlichkeit des Lebens erinnert wird. Darauf wird nun in der zweiten Strophe der Fokus gelegt, wenn die Präsenz des Todes bzw. die Abwesenheit verstorbener Bekannter, Freunde oder Familienmitglieder im Herzen (vgl. V. 9: „[...] im Busen") schmerzt. Auch das Schließen der Augen schafft keine Abhilfe bzw. kann einen Menschen nicht auf Dauer vom Tod ablenken, denn „[d]ie geschloss´ne Wimper bewegt" (V. 12) sich, was auch durch die zuvor beschriebenen "Herzstiche" hervorgerufen werden kann. Relativ schnell und deutlich fällt beim Lesen die Ähnlichkeit im Aufbau zwischen der ersten und zweiten Strophe auf. Dafür sorgen zum einen die sich wiederholenden Adjektive in dem jeweils dritten Vers einer Strophe („tief", V. 3; „leise", V. 11), zum anderen aber auch die beiden Vergleiche am Ende der ersten und zu Beginn der zweiten Strophe („Grab", V. 8; „Todten", V. 9). Dadurch entsteht eine Art Umbruch zur heiteren Stimmung zu Beginn der Handlung, womit möglicherweise unterstrichen werden soll, dass die Liebe auch über den Tod hinaus anhalten und den lustvollen Gefühlen kein Ende setzen kann. Unterstreichen lässt sich dies zudem durch die Metapher1 „schüchternem Klang" (V. 15) als Zeichen einer leisen, jedoch immer noch anhaltenden Liebe im Vergleich zur zuvor beschriebenen toten Liebe (vgl. V. 13). Die Toten liegen begraben unter der Erde, „im Schutt verwühlt" (V. 14), und werden nach einiger Zeit vom Gras bedeckt, woraus eine Wiese zum Liegen und Pausieren entsteht, auf der man entspannen und an die Verstorbenen denken kann.
Die dritte Strophe ist vom äußerlichen Aufbau her gekennzeichnet durch drei variierende Vergleiche in den Versen 19, 21 und 23, welche alle dazu beitragen, dass das lyrische Ich in Erinnerungen an seine geliebte Person schwelgt bzw. genauer gesagt an die ehemaligen Küsse der Beiden. So erinnert ihn ein vom Vogel gezwitschertes Lied vermutlich an ihre Stimme (vgl. V. 19f.), bevor sein Blick nochmals den durch einen Käfer reflektierten Sonnenstrahl einfängt, welcher nun einem Blitz ähnelt (vgl. V. 21f.). Anknüpfend daran denkt das lyrische Ich zurück an ihre letzte Berührung, ehe diese in der Vergangenheit zurückbleibt und lediglich die Erinnerung daran noch besteht (vgl. V. 27f.). Somit wird hier, wie in zahlreichen anderen lyrischen Werken vergangener Tage sowie auch heute noch, die Vergänglichkeit der Liebe leidvoll unterstrichen. Sie sind unumgänglich und sollen verstärkt dazu führen, den Moment intensiver zu erleben, bevor die Endlichkeit die Liebe einholt. Für das irdische Leben fordert das lyrische Ich demnach vom „Himmel" (V. 25) (religiös für Gott und allgemein symbolisch für alles Übernatürliche) eine Vollendung der innerhalb der drei variierenden Vergleiche in der dritten Strophe angesprochenen Erscheinungen von einem Vogel (in Form von einer Seele, die mit ihm zieht (vgl. V. 27f.)), einem Strahl (durch einen „schillernden Saum" (V. 30)) und einer Hand (in Form von einem warmen Händedruck (vgl. V. 31)). Sein eigenes Leid wird dementsprechend also auf metaphorische Weise veranschaulicht, um dem Dargestellten mehr Nachdruck zu verleihen. Dass es sich bei dem Dargestellten allgemein eher um eine imaginierte Situation handelt, ist auf die häufige Verwendung von Wenn-Sätzen (vgl. V. 4, 5, 9 u. 22) zurückzuführen. Der Leserschaft wird somit vielmehr der Blick in die Vorstellungen und Träume des lyrischen Ich ermöglicht als dass es reale Erlebnisse zu schildern versucht.
Anschließend lässt sich noch auf die sprachliche Gestaltung eingehen, welche überwiegend durch den eingehaltenen Rhythmus beeinflusst ist. Neben verschiedenen Wortwiederholungen sei hier insbesondere auf die zahlreichen Enjambements2 hingewiesen (vgl. V. 5f., 7f., 15f., 17f., 25f., 26f., 27f., 29f.), welche u. a. für eine hypotaktische Schreibweise sorgen. Trotz der langen und verschachtelten Nebensätze werden häufig Vokale ausgelassen (vgl. „Arom", V. 2; „tief trunkne Flut", V. 3; „Höh", V. 20; usw.), um so den erschaffenen Rhythmus nicht zu unterbrechen. Beginnt dieser noch mit einer fröhlichen Stimmung von der Beschreibung einer heiteren Landschaft, so endet das Werk mit der Bitte des lyrischen Ich, dass jedes Lebewesen während seines endlichen und vergänglichen Aufenthaltes auf der Erde eine Art „Seelenverwandten" finden sollte, um so das Gefühl der Liebe erfahren zu können, welches das Leben zunehmend lebenswerter gestaltet. Wie die Epoche des Biedermeiers unterstreicht von Droste-Hülshoff folglich mit ihrem Werk die Besinnung auf das Wesentliche, auf die Liebe und auf das Leben an sich.