Erörterung zu der These: „Wer sich verständigen will, muss abschalten.“
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
In ihrem Artikel „Ich maile, also bin ich“ setzt sich die Autorin Miriam Meckel mit einem wichtigen Problem und seinem Ursprung in der heutigen Gesellschaft auseinander. Dieses ist, ihrer Meinung nach, „die permanente kommunikative Vernetzung und Erreichbarkeit“ (Z. 2). Der Artikel wurde in der Zeitschrift „Zeit Wissen“ 01/2008 veröffentlicht. Mit der Wortneuschöpfung „Homo connectus“ (Z. 1), mit der sich, laut Meckel, die meisten Menschen bezeichnen lassen, führt sie zum eigentlichen Thema des Artikels hin. Die Überforderung, die durch ständige Erreichbarkeit entsteht, belegt sie mit den Fakten einer Umfrage, die ergab, dass häufig Ausreden genutzt werden, um die Flucht aus der Erreichbarkeit zu begründen.
Als Problem der heutigen Gesellschaft benennt Meckel unser Verhältnis zu „technischen Kommunikationsmöglichkeiten“ (Z. 10f). Um zu belegen, dass unser Verhältnis zur technischen Kommunikation sich geändert hat, zieht Meckel einen Vergleich zu früher. So wären, laut Meckel, frühere Mittagspausen, bei denen man ungestört war, längst nicht mehr gültig. Um dem ständigen Informationsstrom zu entkommen, schlägt Meckel eine Lösung vor: „das Abschalten“, das sie für „überlebensnotwendig“ (Z. 20) hält. Durch rhetorische Fragen, wie „Warum tyrannisieren wir uns selbst?“ (Z. 25f), leitet sie zum zentralen Problem und Ursprung unserer ständigen Vernetzung hin: der Suche nach Aufmerksamkeit. Dafür ändert Meckel den philosophischen Grundsatz „Ich denke, also bin ich“ zu „Ich maile, also bin ich“, was den Stellenwert der technischen Kommunikation in unserer heutigen Gesellschaft anzeigt. Um dies zu stützen, beruft sich Meckel auf einen irischen Theologen und Aufklärungsphilosophen und benutzt somit ein Autoritätsargument. Die darauffolgende These, „Aufmerksamkeit ist die neue Währung unsere Zeit“, wird durch den Medienphilosophen Georg Franck, einer weiteren Autorität, begründet, der einen Entwurf zu diesem Thema schrieb. Um unseren Drang nach Aufmerksamkeit zu erklären, wird die Anerkennung und der Einfluss angeführt, der Meckel zufolge daraus entsteht.
Im Folgenden kommt Meckel zu dem Schluss, dass Kommunikation nicht gleich Kommunikation sei. So differenziert sie zwischen persönlicher und technischer Kommunikation und benennt dabei das Ergebnis der Kommunikation als Unterscheidungsgrund. Die Aufmerksamkeit, die bei der technischen Variante durch den Prozess entstünde, solle nicht das Richtige sein. Vielmehr sollte Aufmerksamkeit „das Ergebnis […] einer Verständigung zwischen zwei Menschen“ (Z. 48) sein. Bei der technischen Kommunikation werde das Gesagte nur wahrgenommen, bei der persönlichen Kommunikation werde es auch aufgenommen. Zum Schluss ihres Artikels kommt Miriam Meckel noch einmal auf die Lösung des Problems zu sprechen. So ist es, ihrer Meinung nach, wichtig die elektrischen Geräte hin und wieder auszuschalten. Diese Haltung unterlegt sie mit Metaphern1, wie „aus dem Strom der Informationen ausscheren, einen Halt einlegen am Rand des Datenhighways und innehalten“ (Z. 55f). Dies sei nötig, um die erhaltenen Informationen auch verarbeiten zu können. Daraus entstünde eine soziale Verbundenheit (vgl. Z. 58). Laut Meckel ist der heutige Luxus Unerreichbarkeit und körperliche und geistige Präsenz bei einem anderen Menschen (vgl. 61f).
In der kritischen Sicht der technischen Kommunikation in der heutigen Gesellschaft stimme ich mit Meckel überein. „Wer sich verständigen will, muss abschalten“, aber nicht nur, um nachdenken und verarbeiten zu können. Verständigen heißt verstehen, doch das Verstehen des Inhalts leidet häufig unter Textnachrichten. Hat der Empfänger nur einen Text vor sich, fehlen ihm wichtige Informationen, die ihm helfen das Geschriebene auch richtig zu interpretieren. Wir Menschen unterschätzen häufig, wie aussagekräftig unsere Mimik, die Gestik und der Tonfall sein können. Ohne diese ist Ironie kaum erkennbar und feine Nuancen sind nicht wahrnehmbar. Dabei stellen Emojis kaum einen gleichwertigen Ersatz dar. Eine Textnachricht kann niemals so viel Gefühl vermitteln wie ein persönliches Gespräch. Doch viele Nutzer verkennen dies, sie besprechen wichtige persönliche und emotionale Angelegenheiten über WhatsApp oder SnapChat und nehmen dem Empfänger so die Möglichkeiten, durch körperliche Reaktionen die wahren Gefühle zu zeigen. Doch nicht nur die richtige Reaktion wird genommen, sondern auch die Meinungsäußerung wird verfälscht. Jeder Mensch hat eine kleine Stimme im Kopf, die das Geschriebene liest. Durch unterschiedliche Betonung und Lautstärke dieser Stimme, erhält der Text eine unterschiedliche Bedeutung.
Bedeutung, für unser Selbstwertgefühl ist sie sehr wichtig. Wir können nur etwas bedeuten, wenn wir wahrgenommen werden, wenn wir Aufmerksamkeit erregen. In meinen Augen hat Meckel recht mit dem Ziel, das wir verfolgen, wenn wir Technik nutzen; „Wir wollen Aufmerksamkeit“ (Z. 27). Doch viel zu häufig verkennen wir Aufmerksamkeit mit Bedeutsamkeit. Nur weil jemand 3000 Follower auf Facebook hat, ist er noch lange nicht wichtig für diese. Vielmehr ist er austauschbar und unbedeutend, und wenn diese Erkenntnis dann eintritt, ist es niederschmetternd. Freunde, die es nur auf einem Bildschirm gibt, sind selten wahre Freunde. Doch stellen viele sie über ihre realen Freunde. Menschen lernt man im Beisammensein kennen, nicht durch Kommunikation. Bloßes Reden zeigt nur das Äußere, doch durch gemeinsam verbrachte Zeit kommt das Innere zutage. Und sind Menschen nicht wie Muscheln, außen eine harte Schale und innen eine wunderschöne Perle? In der Wichtigkeit von persönlicher Kommunikation gebe ich Meckel Recht, doch in meinen Augen ist Abschalten, keine universelle Lösung.
Es ist traurig, doch ständige Erreichbarkeit ist wichtig, sie ist unverzichtbar. Denn wer abschaltet und somit nicht up-to-date ist, wird abgehängt. Denn auch persönliche Kommunikation beschränkt sich zusehends mehr auf Inhalte aus dem Internet. So drehen sich die meisten Gespräche um über SnapChat gepostete Bilder; wer dann kein SnapChat hat, kann nicht mitreden und ist außen vor. Ein Beispiel für das „Nicht-mitreden-können“ ist das von Rezo gepostete Video über die CDU. Noch bevor die Tagesschau darüber berichtete, war es Gesprächsthema in der Schule. Diejenigen die keine Videos von YouTubern schauen, waren somit völlig uninformiert und ausgegrenzt.
Termine sind ein anderes Thema, bei dem es wichtig ist, ständig erreichbar zu sein. Denn Termine werden nicht mündlich vereinbart, sondern durch Handys geregelt. Bei Unerreichbarkeit steht man also wieder abseits, während die Freunde sich treffen. Unerreichbarkeit erschafft eine Barriere, die nur durch Erreichbarkeit durchbrochen werden kann.
Aber nicht nur im privaten Leben ist es wichtig immer erreichbar zu sein. In der Schule ist es fast schon seltsam und störend, wenn ein Schüler kein Handy dabeihat. Zwar ist es verboten Handys im Schulhaus zu nutzen, doch sind sie häufig Bestandteil des Unterrichts. So sollen Schüler etwas googeln oder sich herunterladen damit der Unterricht wie geplant funktioniert. Aber nicht nur für den aktiven Unterricht ist es wichtig immer online zu sein. Nein, auch Raumänderungen werden per WhatsApp mitgeteilt. Wer dann nicht online ist, wartet 20min vor einem Raum und beginnt panisch im Schulhaus herumzurennen, weil er den Raum nicht findet und die Änderung nicht am Vertretungsplan steht.
In meinen Augen sind die technische Kommunikation und ständige Erreichbarkeit ein Fluch und ein Segen zugleich. Ein Fluch, weil Alleinsein kaum noch möglich ist und ein Segen, weil es das Leben stark vereinfacht. „Wer sich verständigen will, muss abschalten“, das stimmt. Verständigung geschieht persönlich, während Informationsaustausch unpersönlich sein kann. Doch „abschalten“ ist keine Lösung. Vielmehr müssen wir lernen die Wichtigkeit von Informationen einzuschätzen, und unserer Einschätzung nach Prioritäten zu setzen. Hier muss, wie bei allem anderen auch im Leben, ein gesundes Mittelmaß gefunden werden.