Rede: Ich bin ein Berliner / Rede vor dem Schöneberger Rathaus am 26.06.1963 (1963)
Autor/in: John F. KennedyEpoche: Nachkriegsliteratur / Trümmerliteratur
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Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation der Rede
Ber der zu analysierenden politischen Rede (Genus deliberativum) handelt es sich um die Rede des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus (Berlin) am 26.6.1963. Historisch lässt sich die Rede zwei Jahre nach dem Beginn des Baus der Berliner Mauer, welche Deutschland teilte einordnen. Seine Rede hält er in West-Berlin, welches im Gegensatz zu Ost-Berlin nicht Schauplatz des Kommunismus ist, sondern Teil der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland (Grundgesetz: 23. Mai 1949). Sein Besuch stellt außerdem den 15. Jahrestag der Berliner Luftbrücke, die Versorgungslinie der Westalliierten war, nachdem Land- und Wasserwege durch die sowjetische Besatzungsmacht gesperrt worden war, dar.
Thematisch handelt sie davon, dass die Amerikaner West-Berlin nicht dem sowjetischen Kommunismus überlassen würden, wobei der Redner die Intention verfolgt, den Bürgern Berlins Hoffnung zu geben, dass sie den aktuellen Zustand der deutschen Teilung und Berliner Mauer überwinden werden. Seine Adressaten sind somit vorderlinig die deutsche Bevölkerung, ferner aber auch das Ausland, um seine antikommunistische Propaganda zu verbreiten und sein Ziele zu offenbaren. Das Publikum besteht aus der Bevölkerung West-Berlins wie Vertretern aus der deutschen Politik. Durch den status quo sind sie mit der ernüchternden Realität wie Teilungen von Familien und dem Ost-West-Spannungsfeld konfrontiert sind. Demnach sind sie als Zielgruppe schwieriger erreichbar, sodass die Rede besonders zielgruppengerecht rhetorisch-inhaltlich umgesetzt sein muss, um sein Publikum emotional zu erreichen. Ein weitere Problematik stellen mögliche Sprachbarrieren der deutschen Bevölkerung dar, da die Rede in Englisch gehalten wurde. Dennoch genoss Kennedy hohes Ansehen innerhalb der deutschen Bevölkerung, was in großer Sympathie seiner Person resultierte.
Die Rede lässt sich in fünf Abschnitte unterteilen. Der erste Abschnitt (Z.1-22) zeigt den Stolz, den Kennedy empfindet, Gast Berlins zu sein. Dabei lobt er den Berliner Bürgermeister Willy Brandt sowie den Bundeskanzler Konrad Adenauer. Einen besonderen Schwerpunkt setzt er auf die symbolische Freiheit Berlins. Im zweiten Abschnitt (Z.22-38) warnt der Redner vor der Verharmlosung des Kommunismus. Der dritte Abschnitt (Z.39-55) setzt sich mit den demokratischen Prinzipien auseinander und der damit einhergehenden amerikanischen Solidarität. Im vierten Abschnitt (Z.56-67) wird die Berliner Mauer als Beweis für das Versagen des kommunistischen Prinzips und ihre nachteiligen Auswirkungen angeführt. Der letzte Abschnitt (Z.68-99) beruft sich Kennedy auf das Prinzip der Freiheit als elementares Menschenrecht, mit dem Ziel globaler Friedenssicherung, die die gleichzeitige Eliminierung des Kommunismus vorsieht.
Seine Rede leitet er mit der Begrüßung “Meine Berliner und Berlinerinnen!” (Z.1) ein. Dabei achtet er ihre Stadt respektvoll, indem er betont stolz zu sein, in die Stadt als Gast gekommen zu sein (vgl. Z.2 ff.). Dabei lobt er den Bürgermeister mit der Hyperbel1, er gelte “in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf und den Widerstandsgeist West-Berlins” (Z.4-6). Erneut wiederholt er stolz zu sein (vgl. Z.6), indem er die Bundesrepublik und ihren Bundeskanzler, welcher er mit sehr aufwertenden Adjektiven wie “hervorragend” (Z.8) beschreibt, lobt. Auch Adenauers Prinzipien der Demokratie, Freiheit und des Fortschritts lobt er (Z.10 f.). Die Lobpreisung von deutschen politischen Eliten und Autoritäten schafft somit enorme Sympathie für den Amerikaner. Zuletzt betont er seine Stolz, in Berlin zu sein, sodass man von einer trikolorischen Anapher2 sprechen kann. Er erwähnt seinen amerikanischen Gesellen General Clay, wobei betont, er sei in Zeiten der schwersten Krisen in Berlin tätig und würde dies auch immer wieder tun (vgl. Z.13-17). Dies spiegelt nicht nur die Solidarität der Vereinigten Staaten wieder, sondern auch die amerikanische Aufopferungsbereitschaft, sodass die Deutschen ein Gefühl der Dankbarkeit entwickeln.
Im folgenden Absatz zitiert der Präsident Ciceros bekanntes Zitat “Ich bin ein Bürger Roms” (Z.19 f.). Dabei zieht er einen bemerkenswerten historischen Vergleich “Ich bin ein Berliner” (Z.21 f.), die eine Analogie darstellen soll, welches Privileg die Berliner genießen, Bürger Berlins zu sein. Anschließend geht er auf die West-Ost-Problematik ein, indem er die Relativierungen des Kommunismus entkräftet. Dabei kommt die starke Polarität der freien Welt und des Kommunismus zum Ausdruck. So fordert er all jene auf nach Berlin zu kommen, die 1. nicht verstehen, worum es in der heutigen Auseinandersetzung dieser zwei Polaritäten geht (vgl. Z.22-26), 2. die behaupten der Kommunismus sei zukunftsfähig (vgl. Z.28 f.), die 3. von der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Kommunisten ausgehen (vgl. Z.29 f.) und die 4. die Überzeugung hätten, der Kommunismus stehe für ökonomischen Fortschritt (vgl. Z36 f.). Bei diesem entkräftenden Appell nutzt er die Epipher “Sie sollen nach Berlin kommen!” (Z.27), um seine These Berlins als Schauplatz der Konfrontation zu demonstrieren. Im folgenden baut er einen Kontrast zwischen der freien Welt und dem Kommunismus auf. Die freie Welt mit Berlin als Vorposten, gleichend einer Utopie der Freiheit für alle Menschen, habe dennoch ihre Makel. Das Leben in der Freiheit ist “nicht leicht” (Z.39). Der erneute Litotes, die Demokratie sei “nicht vollkommen” (Z.40), zeigt zwar die Imperfektion der freien Welt, aber dass sie dennoch im Gegensatz zu dem kommunistischen System die Menschen nicht ihrer Freiheit beraubt, indem sie durch eine Mauer in Gefangenschaft gehalten werden (vgl. Z.41-43). Mit diesem Kontrast betont der Redner diese menschenunwürdige Tatsache, dass Menschen darunter leiden, was Resultat der kommunistischen Machenschaften ist. Dennoch spricht er den Leidenden Mut zu, indem er im Namen der gesamten amerikanischen Bevölkerung seinen Stolz, mit den Deutschen die letzten 18 Jahre der Geschichte geteilt zu haben, ausdrückt (vgl. Z.43-50). Jene Solidarität wird durch die bildliche Beschreibung “Im Namen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die (...) auf der anderen Seite des Atlantiks lebt” (Z.46) unterstrichen, sodass trotz der gewaltigen geographischen Distanz, die sogar durch ein Weltmeer getrennt wird, die Gemeinsamkeiten der beiden Nationen erhalten bleiben. Es wird das Bild eines starken Bandes der Einheit vermittelt. Ferne lobt er die Deutschen mit einer asyndetischen Aufzählung für ihre positive Einstellung und Eigenschaften wie deren “ungebrochene Vitalität, (...) unerschüttliche Hoffnung, (...) Stärke und (...) Entschlossenheit” (Z.52-53). Erneut schafft Kennedy einen starken antithetischen Charakter, indem er die Menschen der freien Welt und die anderen (hier: Kommunisten) gegenüberstellt “Die Mauer ist die abscheulichste und die stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems” (Z.56 ff.). Dabei benutzt er das negativ konnotierte Wort “abscheulich”, um die Abscheu des Publikums gegenüber den Kommunisten zu intensivieren. Die Hyperbel “[d]ie ganze Welt” (Z.58) sehe dieses Eingeständnis des Versagens (vgl. ebd.) zeigt, das zwar West-Berlin abgeschottet ist, dennoch weltweite Solidarität genießt und somit nicht alleine ist. Um noch weitere Sympathie zu gewinnen, zitiert der Redner den regierenden Bürgermeister Willy Brandt mit der Personifikation3 “die Mauer schlägt (...) der Geschichte ins Gesicht” (Z.61 f.). Dieses Zitat führt er parallelistisch mit seiner Aussage “sie schlägt der Menschlichkeit ins Gesicht” (Z.62 f.) noch weiter aus. Die schlimmen Konsequenzen, die der Mauerbau mit sich trägt, werden nun von ihm aufgezählt. Sie führt zur Trennung der Menschen, wobei Kennedy dies mit dem Asyndeton4 “Durch die Mauer werden Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester” (Z.63-65) weiter ausführt und die verschiedenen persönlichen Ebenen, die durch die Menscher disruptiv unterbunden werden, beschreibt. Auch die Verwendung des negativ konnotierten Wortes “Gewalt” (Z.66) soll negative Assoziationen mit dem kommunistischen System hervorrufen. Diese ernste Bedrohung wird weiter abgeleitet in eine globale Gefährdung des Friedens (vgl. Z.68 f.). Er appelliert an den Menschenverstand, dass nach 16 (!) Jahren - fast zwei Jahrzehnten - es nur das verdiente Recht sei, frei zu sein und im Frieden vereint mit Familien zu leben (vgl. Z.71-77). Mit seiner Metapher5, die Berlin als “Insel der Freiheit” (Z.78) beschreibt, schottet er zwar Berlin vom Rest der Welt ab, was symbolisch durch die Mauer erfolgt, baut jedoch eine Verbindung zu ihnen auf, weil die Insel der Freiheit dennoch mit dem “Festland verbunden” (Z.79) ist. Mit seinem Appell fordert er die Menschen auf, sich über die heutigen und zukünftigen Gefahren bewusst zu machen (vgl. Z.80 ff.), sodass die ausgehende Bedrohung durch den Kommunismus erneut wiederholt wird. Die parallelistische Klimax6 “über die Freiheit dieser Stadt Berlin, über die Freiheit Ihre Landes hinweg auf den Vormarsch der Freiheit überall in der Welt, über die Mauer hinweg” (Z.84-85) demonstriert er die demokratischen Prinzipien der freien Welt, die für Frieden und Gerechtigkeit stehen. Dies soll als Anreiz dienen die durch die Kommunisten verursachten Schrecken der Zeit zu überwinden. Der sehr absolute Gedanke, dass Freiheit “unteilbar” (Z.87) ist, zeigt, dass Freiheit jedem Menschen zusteht und nur erreicht ist, wenn auch wirklich jeder Mann und jede Frau im Genuss der Freiheit ist. Unterstrichen wird dies durch den Vergleich der Versklavung (vgl. Z.87), die bei Vorenthaltung der Freiheit und somit durch die Macht des Kommunismus vorliegt. Mit der Klimax “Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land wieder vereint sind, wenn Europa geeint ist und Bestandteil eines friedvollen (...) Erdteils” (Z.88-93) betont Kennedy, dass die globale Freiheit von West-Berlin ausgeht, wodurch er die West-Berliner schmeichelt, und dann alle anderen Erdteile beflügeln wird. Seine Rede endet er mit der Quintessenz, dass alle freien Menschen unabhängig von ihrer geographischen Lage, Bürger West-Berlins seien (vgl. Z.96 f.) und dass aus diesem Grund jeder freie Mann mit Stolz verkünden dürfe ein Berliner zu sein (vgl. ebd.). Der Satz “Ich bin ein Berliner!” (Z.99) ist somit Leitsatz der Rede und symbolisiert Berlin als Symbol der Freiheit. Hierbei ist anzumerken, dass Kennedy diesen Satz selbst auf Deutsch sprach, um noch mehr seine solidarische Hingabe zu demonstrieren. Dieser historische Satz hat sich noch Jahrzehnte später in die Gedächtnisse der Menschen eingebrannt und ist Paradebeispiel für internationalen, solidarischen Zusammenhalt in Zeiten der globalen Anspannung.
Es lässt sich festhalten, dass die Rede antikommunistische Propaganda darstellt, bei der Kennedy durch den antithetischen Charakter der Rede die freie Welt und die Kommunisten spaltet. Er baut solidarische Nähe zum Publikum, wertet dieses auf und gibt ihnen Hoffnung. Gleichzeitig wertet er den Kommunismus ab und appelliert an die Menschen, den freiheitlichen Stolz der freien Welt auszutragen und zu teilen.