Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Frage“ wurde von Hugo von Hofmannsthal geschrieben und im Jahr 1890 veröffentlicht, sodass es sich der frühen Moderne zuordnen lässt.
Die erste Strophe des insgesamt vierstrophigen Gedichts handelt von dem Problem des lyrischen Sprechers. Dieser leidet unter der Beziehung zu seiner Partnerin, was in der zweiten Strophe weiter vertieft wird. Während in der dritten Strophe eine Zuspitzung des Problems stattfindet, wird der eigentliche Konflikt jedoch erst in der letzten Strophe konkret benannt: dieser besteht aus der Unfähigkeit seiner Partnerin, bedeutsame Worte mit Wahrheitsgehalt auszusprechen um so ihre wahren Gefühle zu äußern.
Hugo von Hofmannsthal vermittelt mithilfe des Gedichts eine Kritik an der fehlenden Aussagekraft von Worten und dem schwindenden Wertgehalt von Sprache. Dabei appelliert er an ein lyrisches Du die gemeinsame Beziehung mehr zu gewichten und sich mehr auf diese und auf bedeutsame Sprache einzulassen.
Um diese Deutungshypothese zu überprüfen werden im Folgenden der formale Aufbau, Wortfelder, die bildliche Gestaltung und die sprachlich-stilistische Gestaltung untersucht.
Das Gedicht ist in Sonettform geschrieben, d. h. es besteht aus zwei Quartetten und zwei Terzetten. Das Reimschema ist ein umarmender Reim, welcher zum Teil strophenübergreifend ist. In den Terzetten ist das Reimschema ein Schweifreim, was typisch für Sonette1 ist. Dieser klare Aufbau wirkt sehr harmonisch, während der Inhalt dazu einen Kontrast darstellt, das heißt die Harmonie welche durch die Form verdeutlicht wird, steht dem Inhalt, der Enttäuschung des lyrischen Sprechers gegenüber. Das Metrum2 ist ein 5-hebiger Jambus mit klingender Kadenz3, was erneut die zuvor genannte harmonische Wirkung zum Ausdruck bringt.
Zum Aspekt der Wortfelder lässt sich sagen, dass drei von hoher Bedeutung sind. Die Worte „bleichen“ (V. 2), „Qual und Lüge“ (V. 3), „Sumpf“ (V. 7), „öden und leeren“ (V. 7), „bleichen, irren“ (V. 8), „tiefen“ (V. 9), „heimlich“ (V. 10), „dunkeln“ (V. 13) und „seellos“ (V. 14) gehören zum Wortfeld der Vergänglichkeit und des Trübsinns. Durch dieses kritisiert der lyrische Sprecher die Einstellung seiner Partnerin gegenüber der gemeinsamen Beziehung und seine eigenen Emotionen, welche für diese nicht von Bedeutung zu sein scheinen. Dem gegenüber steht das Wortfeld der Hitze und Leidenschaft, welchem die Wörter „Leben“ (V. 5), „heißen“ (V. 6), „Lichter“ (V. 8), „Wünschen“ (V. 12) und „Rosen“ (V. 13) angehören. Durch diesen Kontrast wird der Zwiespalt des lyrischen Sprechers dargestellt: einerseits begehrt er seine Partnerin und gibt die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft nicht auf- andererseits wird jedoch auch die Enttäuschung und die Vorwurfshaltung des lyrischen Sprechers verdeutlicht. Es findet also eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Zwiespalt zwischen dem Wunschzustand und der Realität statt. Dieser Wunschzustand wird noch einmal visualisiert durch das Wortfeld des Körpers, zu dem die Wörter „Lippen“ (V. 1), „heißen Arm“ (V. 6), „Aug’“ (V. 9), „feuchter Blick“ und „Lächeln“ (V. 3) angehören. Die Leidenschaft, welche mittlerweile zur Vergangenheit gehört wird durch dieses Wortfeld zum Ausdruck gebracht, was erneut die Deutungshypothese bestätigt.
Ein weiterer geeigneter Aspekt zur Überprüfung der Deutungshypothese ist die bildliche Gestaltung. Auffällig ist die Metapher4 „aus diesem Sumpf von öden, leeren Tagen“ (V. 7), welche das sinnlose, vergängliche Leben, das das lyrische Du führt, verdeutlicht. Durch diese Metapher stellt der lyrische Sprecher das sinnlose Leben der Partnerin dem „Hauch von Leben“ (V. 6) gegenüber, welches die beiden gemeinsam erleben würden. Ein weiteres bildliches Stilmittel ist der Vergleich „sind, wie dein Plaudern“ (V. 14). Hiermit drückt der lyrische Sprecher aus, dass seine Partnerin redet, ohne wirklich etwas zu sagen. Durch die negative Konnotation5 des Wortes „Plaudern“ (V. 14) wird der Bedeutungsmangel iher Worte verdeutlicht, was die Deutungshypothese erneut bestätigt. Auch hier wird die fehlende Aussagekraft von Worten und deren teils geringer Wertgehalt kritisiert. Ein weiterer Vers der mit bildlichen Stilmitteln gefüllt ist, ist V. 13 „Wie stille Rosen in der Flut“: Dabei sind die Rosen einerseits ein Symbol für die Liebe, jedoch sterben die Rosen nach einer begrenzten Zeit ab, so wie auch die Beziehung der zwei Personen auf ein Ende zuläuft. Zugleich können die Rosen jedoch auch eine Metapher für die unausgesprochenen Worte sein, die in der Flut, also der Vielzahl der Worte untergehen und so an Bedeutung verlieren.
Der letzte zu untersuchende Aspekt ist die sprachlich-stilistische Gestaltung. Das Gedicht besteht aus sieben Sätzen, von denen alle Fragesätze sind. Viele werden bereits zu Beginn der Frage verneint wie z. B. „Merkst du denn nicht..“ (V. 1), „Kannst du nicht lesen..“ (V. 2) oder „Siehst du denn nicht..“ (V. 5). Durch diese besondere Art der Fragestellung wird zum einen die stille Hoffnung des lyrischen Sprechers verdeutlicht, jedoch auch der Vorwurf an die Partnerin. Die Erwartungshaltung des lyrischen Sprechers wird nicht bedient, da die Partnerin seine Gefühle wahrscheinlich nicht erwidert und sich durch die falschen Worte ausdrückt. Eine weitere Auffälligkeit, die den Vorwurfscharakter zum Vorschein bringt ist das Missverhältnis der Pronomina. Während das Pronomen „Du“ insgesamt zehnmal wiederholt wird ist das Pronomen „ich“ nur fünfmal aufzufinden. Dieser Ich-Du-Kontrast zeigt, dass die Partnerin zu wenig auf die Gedanken und Gefühle des lyrischen Sprechers eingeht und sich selbst in den Vordergrund stellt. Diese fehlende Eintönigkeit und die komplizierte Beziehung der zwei Personen wird durch den hypotaktischen Satzbau (vgl. V. 12-14) verdeutlicht. Dazu kommt der Antagonismus „Merkst du denn nicht wie meine Lippen beben“ (V. 1) und „Sind wie dein Plaudern: seellos...Worte, Worte?“ (V. 12). Dieser Antagonismus stellt einen Rahmen des Gedichts dar und bringt die Verschiedenheit zum Ausdruck: während der lyrische Sprecher etwas Wichtiges zu sagen hätte aber sich nicht überwinden kann, diese Worte auszusprechen, plaudert seine Partnerin, wobei das Wort „Plaudern“ (V. 14) negativ konnotiert ist. Sie bringt Worte hervor, die keine wahre Bedeutung haben, weshalb der lyrische Sprecher ihr Gerede als seellos und bedeutungslos wahrnimmt. Die Kritik des Autors an der fehlenden Aussagekraft wird erneut deutlich durch die Repetitito „Worte, Worte?“ (V. 14). Durch diese abschließende Frage stellt der lyrische Sprecher erneut die Gefühle seiner Partnerin und den Wahrheitsgehalt ihrer Worte in Frage. Auffallend ist außerdem der Parallelismus „nach einem Hauch von Leben, nach einem heißen Arm“ (V. 5f.), mit welchem der lyrische Sprecher die Sehnsucht bei seiner Partnerin wecken möchte. Er betont hiermit was diese in Bezug auf die gemeinsame Beziehung vermissen sollte: die Lebendigkeit und die Zweisamkeit. Die Trauer und Enttäuschung des lyrischen Sprechers wird verdeutlicht durch die Inversion6 „Kannst du nicht lesen diese bleichen Züge“ (V. 2). Durch diese Satzumstellung werden die bleichen Gesichtszüge betont, welche zeige dass der lyrische Sprecher stark unter den komplizierten Verhältnissen leidet. Die Qualen und das vorgetäuschte Lächeln des lyrischen Sprechers werden bereits durch die Ellipse7 im folgenden Vers erneut zum Ausdruck gebracht (vgl. V. 3). Der Hauptgrund für diese verworrene Beziehung ist die Unfähigkeit seiner Partnerin die richtigen Worte auszusprechen und sich dem lyrischen Sprecher gegenüber zu öffnen und sich auf ihn einzulassen. Dieser ständig misslingende Versuch eine stärkere Verbindung zu seiner Partnerin aufzubauen wird ersichtlich durch den Zeilensprung von V. 11 zu V. 12. Durch diesen wird der Inhalt „Es birgt zu deiner Seele keine Pforte“ mehr in den Vordergrund gestellt, was zeigt dass der lyrische Sprecher es nicht schafft zu seiner Partnerin durchzudringen.
Nach der Untersuchung der verschiedenen Aspekte lässt sich abschließend sagen, dass die zu Beginn aufgestellte Deutungshypothese bewiesen wurde: sowohl durch den formalen Aufbau, die Wortfelder, die Bildsprache und die sprachlich-stilistische Gestaltung wird die Kritik des Autors an der fehlenden Aussagekraft von Wörtern verdeutlicht. Um dies zu erreichen appelliert er mithilfe von Vorwürfen und starken Emotionen an ein lyrisches Du, die gemeinsame Beziehung wichtiger zu nehmen.