Roman: Homo faber (1957)
Autor/in: Max FrischEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
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Zwei gefühlskalte Charaktere
Ein Vergleich der beiden Protagonisten Walter Faber aus „Homo Faber“ von Max Frisch und Claudia aus Christoph Heins Novelle „der Fremde Freund“.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
Der Schweizer, Walter Faber, der auch Homo Faber genannt wird, reist den grössten Teil seines Lebens als erfolgreicher Ingenieur durch die Welt. Sein Handwerk versteht er fabelhaft; selten unterläuft dem rational denkenden Techniker ein Fehler. Doch auf der sozialen Ebene hat er einige Schwierigkeiten und lebt einsam in seiner wissenschaftlichen Welt, in welcher Emotionen keinen Platz finden.
Auch Claudia hat Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Von vielen Freunden und Bekannten wurde sie schon verletzt. So hat sich die Ärztin, welche in einem Ost-Berliner Krankenhaus arbeitet, immer mehr in ihre geschützte kleine Welt, ihr Inneres, zurückgezogen. Hier existiert sie nun, ohne jegliche Gefühlsregung zu zeigen.
Offenbar haben diese beiden Charaktere einige Ähnlichkeiten. Doch was führte den einzelnen zur Gefühlskälte? Was haben die beiden wirklich gemeinsam und in welchen Punkten unterscheiden sie sich in ihrem Umgang mit sich selbst?
Claudia lebt in ihrem selbst errichteten Gefängnis, abgeschottet vom Rest der Welt. Selbst sagt sie: „Offenbar fordert das Zusammenleben von Individuen einige Gitterstäbe in eben diesen Individuen.“ Sie ist der Ansicht, dass das Zusammenleben in Beziehungen nicht funktionieren kann, wenn jeder sich selbst ist und seine Persönlichkeit frei auslebt. Ausserdem fürchtet sie sich vor ihrer eigenen Persönlichkeit und ihren Gefühlen und ihre Erinnerungen sind ihr eine schier unerträgliche Bürde. Deshalb nimmt sie sich zurück aus ihrem Leben, schliesst sich hinter Gitterstäben ein, wirft ihr eigenes Ich in einen tiefen Kerker. Dorthin, wo niemand sie sieht, wo sie sich vor ihrer selbst verstecken kann und sich immer weiter von sich entfernt. Somit entwickelt sie sich nach und nach zur leeren Hülle einer Frau, die gar nicht wirklich lebt.
Was die Berliner Ärztin zu diesem oberflächlichen und scheinbar an allem Geschehen unbeteiligten Leben geführt hat, sind, wie in der Einleitung schon angetönt, gravierende, negative Erfahrungen in Beziehungen. Claudia erlebte im Zusammensein mit ihrem Freund Henry, ihren Eltern und anderen Mitmenschen immer wieder tiefe Verletzung. Wahrscheinlich hat sie sich innerhalb dieser Bindungen geöffnet und ihre Emotionen gezeigt. Sie wurde aber enttäuscht und die Beziehungen funktionierten nicht wie gewünscht. Für das Scheitern jener Bindungen gibt Claudia sich selbst die Schuld. Genauer gesagt dem „radioaktiven Müll ihres Individuums“, wie sie es in einem Auszug der Novelle „der fremde Freund“ bezeichnet. Mit radioaktivem Müll meint sie das, was sie früher ihren Freunden und Verwandten von sich gezeigt hat. Claudia glaubt, dass ihre Gefühlsregungen und ihre Erinnerungen, die sie mit anderen geteilt hat, wie radioaktiver Müll alles zerstört haben, was mit ihnen in Berührung gekommen ist; sogar sie selbst. Nun fürchtet sich Claudia, mit dem Offenlegen ihrer Persönlichkeit Beziehungen zu zerstören und sich selbst hilflos zu machen und somit auch kaputt zu gehen. Sie fühlt sich von ihren Gefühlen bedroht.
In einem Vergleich mit dem Herzen, welchem verborgen im Körper grosse Bedeutung und Ehrfurcht zukommt, das offengelegt aber meist Übelkeit und Ekel hervorruft, macht sie deutlich, dass sie sich zudem davor ängstigt, andere mit ihrem Charakter anzuekeln oder abzuschrecken. Ihren Charakter zu verstecken, erachtet Claudia deshalb als die beste Möglichkeit, um weiter existieren zu können. Aus diesen Gründen ist sie darum bemüht, ihre Persönlichkeit zu vergessen und zu begraben.
Auch Walter Faber versteckt sein wahres Ich. Im Gegensatz zu Claudia verwandelt er sich nicht nach und nach in eine leere Hülle, sondern setzt sich eine Maske auf. Diejenige eines klischeehaften Technikers, welcher nur glaubt, was er sieht und berechnen kann. Ganz rational geht er durch den Alltag. Er verlässt sich auf Statistiken und bewiesene Fakten. Falls doch einmal etwas statistisch Unwahrscheinliches eintrifft, beruft er sich auf den Zufall. In der Welt sei vieles möglich, einfach mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit, was aber nicht bedeute, dass eine höhere Macht im Spiel sein müsse, um das Ereignis eintreffen zu lassen, meint Faber.
Was seinem Techniker-Selbstbild widerspricht, verbannt Faber gewaltsam aus seinem Dasein. Gefühle, Glaube, Träume und alles andere Irrationale treffen in seiner Maske auf unfruchtbaren Boden. Er muss sich dies alles verbieten, um vor seiner Umwelt und sich selbst nicht unglaubwürdig zu werden. Somit verbannt auch Walter Faber seine Gefühle aus seinem Leben und verkörpert nur das, was ihm sein Selbstbild vorschreibt. Aus Beziehungen zieht er sich weitgehend zurück. Dies tut Walter, da ihn sein Techniker-Image daran hindert, emotionale Tiefe zuzulassen und da er die Menschen nicht als Individuen, sondern als Teil eines Musters ansieht. Seine Angst vor dem Unberechenbaren hat ihn dazu gebracht, die Welt in Muster einzusperren, um sie so kontrollieren zu können. Er ängstigt sich nämlich weniger vor den anderen Menschen und Beziehungen zu ihnen, wie Claudia es tut, als vor den Taten und Ereignissen, auf welche er keinen Einfluss nehmen kann, welche aber dennoch seine Existenz beeinflussen.
Um das Leben zu bezwingen und Schicksalsschläge unwirksam zu machen, hat er sich die Macht der Technik ausgesucht. Walter glaubt, durch technische Berechnungen das ihm so viel Furcht einflössende, unberechenbare Leben berechnen zu können. Mithilfe der Wahrscheinlichkeit stellt er sich über das Schicksal und durch emotionalen Rückzug besiegt er die ebenso unabsehbare menschliche Impulsivität und Spontanität. So spielt er sich die ganze Zeit etwas vor, was ihn nach und nach den Bezug zu sich selbst verlieren lässt.
Mit diesen beiden Charakterisierungen wird ersichtlich, dass sowohl Claudia als auch Faber Ängste haben, vor denen sie fliehen. Faber flieht sich in eine Musterwelt, in der er, statt seine Persönlichkeit auszuleben, eine bestimmte, gefühllose Rolle einnehmen muss, um vor dem gefürchteten Unberechenbaren sicher zu sein. Claudias Flucht besteht aus dem Verdrängen. Sie versucht, sich selbst zu vergessen, um nicht zu verletzen und nicht verletzt zu werden. Im Vergessen verliert auch sie jegliche Emotionen.
Beide entfernen sich durch diese jeweils unterschiedliche Flucht, welche durch verschiedene Ängste ausgelöst wurde, von sich selbst. Sie werden sich so fremd wie einem Unbekannten und geraten in relativ aussichtslose Situationen.
Doch es ist nicht jede Hoffnung verloren. Zumindest Faber lernt durch eine zufällige oder, wie er am Ende doch zugeben muss, eher schicksalhafte Begegnung mit seiner Tochter Sabeth ein Stück von sich selbst kennen und akzeptieren. Somit findet seine Flucht ein Ende und Walter Faber kann das letzte nicht beeinflussbare Phänomen im Leben, den Tod, zulassen.