Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Leben ist durchzogen von Höhen und Tiefen, von Freude und Leide. Auf Zeiten von Glück und Heiterkeit folgen Perioden tiefster Trauer. Nicht immer scheint die Welt es gut mit dem Menschen zu meinen. Jeder Einzelne von uns hat mit unverhofften Ereignissen und harten Schicksalsschlägen zu kämpfen. Und doch gelingt es dem Menschen immer wieder, neue Kraft zu schöpfen, Zuversicht zu bewahren und weiterzumachen. Der Mensch ist ein hoffnungsvolles Geschöpf.
Mit der Thematik der Hoffnung setzt sich auch der Dichter Friedrich Schiller in seinem 1797 erschienenen Gedicht mit dem Titel „Hoffnung“ auseinander. In diesem lyrischen Werk scheint es auf den ersten Blick um die Hoffnung als zentrales und kennzeichnendes Wesensmerkmal des Menschen zu gehen. Schiller beleuchtet dabei die menschliche Natur und untersucht außerdem den Ursprung des Hoffens.
Das Gedicht hat insgesamt eine recht positive Wirkung auf den Leser. Schon die Überschrift „Hoffnung“ ruft optimistische Assoziationen hervor. Der Autor macht bereits mit dem Titel das Thema des Werkes deutlich und lässt erste Rückschlüsse auf den Inhalt des Gedichtes sowie die Intention Schillers zu. Auch wenn das Thema so genau benannt wird, bleibt es jedoch offen, ob sich das Gedicht auf die Hoffnung im Allgemeinen oder als Reaktion auf ein spezifisches Ereignis bezieht. Durch diese Offenheit der Deutung weckt der Titel das Interesse des Lesers, welcher motiviert wird, seine durch die mit der Überschrift verbundene Erwartungshaltung zu überprüfen. Der Begriff „Hoffnung“ oder wortverwandte Ausdrücke tauchen im Gedicht immer wieder auf (vgl. Vers 6,7,12,18) und machen die Hoffnung so nicht nur zum Thema, sondern auch zum Motiv des Stückes.
Das Werk, welches sich zur Gedankenlyrik zuordnen lässt, besitzt einen sehr feierlichen Charakter, der beinahe dem einer Ode oder Hymne gleicht. Diese Wirkung erhält das Gedicht besonders durch die kunstvolle Art der Sprache, die zwar leicht zu verstehen ist, dich aber dennoch durch einen hohen stilistischen Anspruch und eine elegante Wortwahl auszeichnet. Schiller arbeitet beispielsweise mit sehr stilvollen Wörtern wie „golden[]“ (Vers 3), „umflatter[n]“ (Vers 8) oder „Zauberschein“ (Vers 9), die in der Alltagssprache nur selten ihre Anwendung finden und aus diesem Grund den poetisch-gehobenen Charakter des Gedichtes unterstützen. Das Metrum1 lässt sich nicht genau bestimmen, zeichnet sich aber dennoch nicht durch Unregelmäßigkeit aus, da das Metrum innerhalb des Stückes einem festen Schema folgt. Es scheint, als hätte Schiller eigens ein Metrum geschaffen, das Elemente aus Daktylus und Jambus verbindet und so dem feierlichen und trotzdem dynamischen Charakter seines Gedichtes gerecht wird. Das Reimschema folgt hingegen einem festen, bekannten Muster. Jeweils die ersten vier Verse einer Strophe sind als Kreuzreim verfasst, während die letzten beiden Verse einen Paarreim bilden. Durch dieses Reimschema grenzen sich die beiden Endverse jeder Strophe von den vorherigen ab. Es kommt sowohl der Haken- als auch der Zeilenstil2 zur Anwendung. Durch Enjambements3 erhält das Gedicht eine erzählende Wirkung, die auch durch den Wechsel von männlichen und weiblichen Kadenzen4 unterstützt wird.
Das Gedicht gliedert sich in drei regelmäßig aufgebaute Strophen zu je sechs Versen. In den ersten beiden dieser Strophen tritt der lyrische Sprecher nicht direkt in Erscheinung. Er beschreibt seine Auffassungen und Eindrücke zur Thematik lediglich von außen und grenzt sich bewusst vom Leser ab. Erst in der letzten Strophe tritt das lyrische Ich als Teil der Menschheit, also als Teil der Gruppe, auf die sich das Gedicht bezieht, als explizites Ich auf. Das Personalpronomen5 „wir“ in Vers 16 verleiht den vorangegangenen Strophen eine völlig neue Bedeutung. Es vermittelt dem Leser ein Zugehörigkeitsgefühl und begründet die besondere Bedeutung der dritten Strophe, auf die zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer eingegangen werden soll.
Schiller beginnt zunächst in der ersten Strophe damit, den Menschen dahingehend zu charakterisieren, dass er ständig nach „Verbesserung“ (Vers 6) strebt und die Hoffnung auf eine bessere Version seines jetzigen Lebens nicht aufgeben will. Die Inversion6 in Vers drei und vier stellt das „glückliche goldene Ziel“, welches nicht näher benannt wird und deshalb wohl mit dem Glücklichsein im Allgemeinen beziehungsweise einer vollkommenen Lebenssituation gleichgesetzt werden kann, in den Mittelpunkt. Die Alliteration7 der überaus positiven Adjektive „glücklich[]“ und „golden[]“ (Vers 3) erzeugt zunächst ein Gefühl von Optimismus und Euphorie, welches jedoch sofort durch den Ausdruck „rennen und jagen“ (Vers 4) relativiert wird. Dadurch, dass sich der Autor hier bewusst für eine solche Ausdrucksweise entschieden hat, anstatt auf Verben wie „streben“ oder „hinarbeiten“ zurückzugreifen, entsteht der Eindruck, als würde auf den Menschen für seine naive, hoffnungsvolle Art herabgeblickt werden. Jedoch zeigen die Verse fünf und sechs, wie unerschütterlich die menschliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist. Vers fünf verweist mit der Antithetik von „alt“ und „jung“ (Vers 5) sowie durch das Adverb „wieder“ (Vers 5) auf den unaufhaltsamen Lauf der Zeit. Dass sich der Mensch von diesem jedoch nicht in seiner Hoffnung beirren lässt, zeit der nachfolgende Vers. Durch das Adverb „immer“ (Vers 6) sowie die elliptische Satzstruktur wirkt die Aussage des Verses sehr absolut und verdeutlicht die Unermüdlichkeit des Menschen in seinem Ziel der Verbesserung.
In der zweiten Strophe geht es um den Kreislauf des Lebens und darum, dass die Hoffnung den Menschen während des gesamten Daseins begleitet. Diese Strophe knüpft unmittelbar an das Ende der ersten Strophe an, was durch das Pronomen „ihn“ als Bezeichnung für den in Vers sechs erwähnten Menschen deutlich wird. Das lyrische Ich beschreibt die Hoffnung als etwas dem Menschen angeborenes. („[Sie] führt ihn ins Leben ein“ (Vers 7).) Die Personifikation8 der Hoffnung in Vers 8 verbildlicht ihre permanente Präsenz in der Kindheit sowie im späteren Leben. Außerdem bezieht sich der lyrische Sprecher auf die positiven Effekte, die sich durch ein von Hoffnung erfülltes Leben ergeben. In den folgenden Versen wird beschrieben, dass die Hoffnung den Menschen bis zu seinem Tod begleitet. Es werden Bilder des Menschen in verschiedenen Lebensaltern zu unterschiedlichen Funktionen des Wertes Hoffnung in Beziehung gesetzt. Die Wiederholung des Substantives „Grabe“ (Vers 11/12) sowie die Metapher9 „müde® Lauf“ verdeutlichen die Endlichkeit des menschlichen Lebens. Gegensätzlich dazu steht die in Vers zehn angesprochene Unsterblichkeit der Hoffnung. Die Hoffnung wird nicht „begraben“ (Vers 10), sondern vielmehr durch den Menschen selbst am Leben erhalten: Der Mensch „pflanzt [selbst am Ende seines Lebens noch] Hoffnung auf“ (Vers 12). Das Verb „pflanzen“ (Vers 12) lässt sich bei dieser Umschreibung mit dem Wachsen und Grünen von Pflanzen assoziieren. Da grün Symbol und Farbe der Hoffnung ist, wurde dieser Ausdruck von Schiller hier sehr geschickt gewählt, da er perfekt zum Motiv des Gedichtes passt. Insgesamt scheint die zentrale Aussage der zweiten Strophe zu sein, dass die Hoffnung in der Natur des Menschen liegt. Sie ist ein wichtiges angeborenes Wesensmerkmal.
Der Übergang zur dritten und letzten Strophe erfolgt erneut unmittelbar. Das lyrische Ich steigt mit einer Verneinung durch das Pronomen „kein“ (Vers 13) in die abschließenden und meiner Meinung nach wichtigsten Verse des Gedichtes ein. Es wird hierbei die Wirkung der ersten Strophe, dass die Hoffnung ein naiver Wesenszug wäre, eindeutig revidiert. Hinter der Hoffnung verbergen sich keine „Wahn[vorstellungen]“ (Vers 13). Es handelt sich auch nicht um etwas Menschengemachtes, was Schiller in der zweiten Strophe bereits dargestellt und in Vers 14 bestätigt hat. Vielmehr steckt die Hoffnung fest verankert im Wesen des Menschen. Im Gedicht wird das „Herz“ (Vers 15) als Symbol für das Innenleben des Menschen gewählt, in dem der Ursprung der Hoffnung liegt. Vers 15 leitet durch einen Doppelpunkt Vers 16 ein, der sich besonders durch das lyrische Wir, welches zum ersten Mal sowohl den lyrischen Sprecher als auch den Leser selbst mit einbezieht, deutlich vom Rest des Gedichtes differenziert. Hier wird der Grund für das ständige Streben des Menschen nach Verbesserung sowie das hoffnungsvolle Wesen offenbart. Die Erkenntnisse aus den ersten beiden Strophen werden nun gemeinsam mit einem einzigen Satz begründet: „Zu was Besserm sind wir geboren“ (Vers 16). Es geht also um die höhere Berufung des Menschen, den Sinn des Lebens und die Bestimmung. Der Mensch ist begleitet von dem Gefühl, einen höheren Sinn in seinem Leben zu verfolgen. Das wird in dem durch eine Synkope verkürzten und beinahe umgangssprachlich wirkenden Vers 16 verdeutlicht. Um das „Besser[e]“ (Vers 16), also den höheren Sinn des Lebens zu erreichen, strebt der Mensch nach Veränderung. Das Gefühl, für etwas Höheres gemacht zu sein, veranlasst ihn zum ständigen Hoffen. Diese Wahrnehmung ist im Menschen verwurzelt (vgl. Vers 17). Das lyrische Ich verweist im letzten Vers darauf, dass es sich bei diesem Gefühl um keine Täuschung handelt und sich demnach schließen lässt, dass die Hoffnung keine von Naivität geprägte Eigenschaft, sondern eine im tiefsten Inneren des Menschen begründete Anlage ist. Das Partizip „hoffend“ (Vers 18) greift ein letztes Mal auf das kennzeichnende Motiv des Gedichtes zurück und schafft gemeinsam mit dem Titel einen Rahmen für das Werk.
Auch wenn die Wirkungsabsicht des Gesamtwerkes auf den ersten Blick vermeintlich leicht zu erkennen ist, so wird bei der genaueren Untersuchung des Textes und seiner Intention schnell deutlich, dass es sich um ein sehr tiefgründiges Stück handelt, das die Komplexität des Themas „Hoffnung“ untersucht. Der Autor dringt dabei tief in die Psyche und das Denken der Menschen ein und schafft es, durch einen zunächst eher ambivalent wirkenden Ansatz (vgl. Strophe 1/2), am Ende des Gedichtes zu einer logischen Begründung und Konklusion zu gelangen. Wie bereits zu Beginn festgestellt, wird die Hoffnung als ein Wesensmerkmal der menschlichen Natur definiert. Allerdings sollte die Deutungshypothese durch die in der letzten Strophe dargestellten Aspekte, wie beispielsweise dem Gefühl der höheren Bestimmung als Ursprung der Hoffnung, erweitert werden. Es bleibt unklar, ob die letzte Strophe des Gedichtes auf einen Religionsbezug hindeutet. Vers 16 und der Ausdruck der „hoffende[n] Seele“ (Vers 18) lassen dies vermuten, können die Annahme jedoch nicht vollständig bestätigen.
Friedrich Schiller war ein deutscher Dichter, der überwiegend in der Epoche der Klassik gewirkt hat. In ebendiese Epoche kann auch das interpretierte Gedicht „Hoffnung“ eingeordnet werden. Zwar war die Hoffnung auch ein zentrales Motiv in anderen Epochen wie beispielsweise der Romantik, jedoch lassen sich im vorliegenden Gedicht inhaltliche Bezüge zur Klassik herstellen. So stand in dieser Epoche die Läuterung und Verbesserung, also die Idealisierung des Menschen im Mittelpunkt. Dieser Aspekt passt mit dem im Gedicht dargestellten Streben nach dem Besseren zusammen. Außerdem sprechen das regelmäßige Reimschema sowie die klare Untergliederung in Verse und Strophen dafür, dass es sich um ein klassisches Gedicht handelt. Der gehobene, feierliche Charakter, den das lyrische Stück besitzt, deutet zudem auch auf die Klassik hin und grenzt das Gedicht von der Epoche des Sturm und Drang deutlich ab. Nicht zuletzt ist auch das Entstehungsjahr 1797 ein wichtiger Indikator für die Epoche der Klassik, die sich zwischen 1785 und 1830 einordnen lässt.
Obwohl die Veröffentlichung von Schillers Gedicht also nun schon weit mehr als 200 Jahre zurückliegt, kann das Werk auch von Lesern der heutigen Zeit verstanden und nachvollzogen werden. Das von Schiller gewählte Thema ist zeitlos. Die Hoffnung wird im Leben der Menschen immer eine bedeutende Rolle spielen. Das mag wohl vor allem daran liegen, dass die Hoffnung tief in uns verankert ist, uns immer wieder Kraft und Zuversicht spendet. Ohne Hoffnung wäre es wohl kaum möglich, die schweren Zeiten des Lebens zu überstehen und die Herausforderungen des Schicksals zu bewältigen.