Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In Hilde Domins „Nur eine Rose als Stütze“ aus dem Jahre 1959 wird die Sichtweise menschlicher Existenz verarbeitet.
Das Gedicht ist reimlos und in vier Strophen mit jeweils fünf Versen gegliedert. Die Verse sind unterschiedlich lang, wobei die Zeile acht und 18 nur aus zwei Worten bestehen. Das lyrische Ich verwendet eine einfache Sprache ohne Fremdwörter, damit jeder Zugang zu dem Text finden kann. Allerdings tauchen viele Bilder auf, die es zu entschlüsseln gilt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich um einen typisch modernen Text handelt, da er von den traditionellen Formen (wie z. B. Reim, eindeutige Metaphern1, etc.) abweicht.
Die erste Strophe beginnt damit, dass das lyrische Ich seine Situation beschreibt. Nach eigenen Angaben richtet es sich ein Zimmer „in der Luft“ (V. 1) ein. Dies wird in der zweiten Zeile präzisiert, es befindet sich „unter den Akrobaten und Vögeln“. Von diesem Zimmer wird nur das Bett geschildert, das sich „auf dem Trapez des Gefühls wie ein Nest im Wind auf der äußersten Spitze des Zweiges“ (V. 3 ff.) befindet.
Interessant sind hier die beiden Sprachbilder, die der lyrische Sprecher in dem Gedicht gebraucht, das eine aus der Luft, das andere aus der Zirkuswelt. Sowohl der Vogel als auch der Akrobat befinden sich in der Höhe. Dieses Abheben von der Erde zeigt eine gewisse Unabhängigkeit, wobei der Vogel ein Symbol für Freiheit ist. Jedoch ist mit dem Bild des Akrobaten auch die Gefahr verbunden, zu fallen.
Durch die Metapher „auf dem Trapez des Gefühls“ wird die Unausgeglichenheit des lyrischen Ichs oder des Lebens an sich geschildert, ein ewiges Auf und Ab von Emotionen.
Doch der darauffolgende Vergleich „wie ein Nest im Wind“ zeigt, dass es wohl eher um die Gefühlswelt des Sprechers geht. Der Wind, ein Symbol für äußere Einwirkung bringt sein Nest, das Bett, das ja ein Ort der Ruhe und Regeneration ist, durcheinander und macht damit, was er will. In der letzten Zeile der Strophe wird dieser Vergleich noch einmal dadurch gesteigert, dass sich dieses Nest „auf der äußersten Spitze des Zweigs“ befindet. Aufgrund dieser Lage kann es leicht den Halt verlieren. Diese Gefahr wird durch die s-Konsonantenhäufung verstärkt.
Die erste Strophe zeigt, dass das lyrische Ich aus eigenem Willen in die Luft „zieht“, wobei der erste Satz leicht und fröhlich klingt. Es fühlt sich dort aber unsicher und schutzlos.
In der zweiten Strophe erzählt der Sprecher davon, dass er sich eine Decke „aus der zartesten Wollte“ (V. 6) kauft. Er denkt dabei an die Schafe, von denen der Stoff dafür stammt. Hier wird seine Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Wärme deutlich, was man an dem Superlativ „zartesten“ erkennen kann. Die Alliteration2 „sanftgescheitelte[n] Schafe“ (V. 7) zeigt die positive Empfindung, die die Tiere in dem lyrischen Ich hervorrufen. Es stellt sich vor, wie sie „im Mondlicht wie schimmernde Wolken“ (V. 8 f.) ziehen. Dieser romantische Vergleich zeigt erneut, dass mit den Tieren nur Angenehmes verknüpft wird. Man sollte der letzten Zeile noch Aufmerksamkeit schenken, da die Schafe über „feste Erde“ (V. 10) gehen. Sie sind auf dem sicheren Boden und vielleicht ist es das, worum das lyrische Ich sie beneidet.
In der dritten Strophe schließt der Sprecher die Augen und träumt – in die Decke gehüllt – davon bei den Schafen zu sein. Auch hier wird wieder die Sehnsucht nach Geborgenheit deutlich. Die Alliteration „Vlies verlässlichen“ (V. 12) verdeutlich dies.
Im dritten Vers wird der Wunsch ausgesprochen „den Sand unter den kleinen Hufen“ zu spüren. Das lyrische Ich möchte wieder auf dem Erdboden und in einer Gemeinschaft – symbolisiert durch die Schafherde – sein.
Der Sprecher fordert eine Aktivierung der eigenen Sinne, er will fühlen und „das Klicken des Riegels hören, der die Stalltür am Abend schließt“ (V. 4 f.). Die Schafe sind am Ende des Tages in Sicherheit und diese fehlt ihm selbst. Im Gegensatz zu den Tieren, die einen Hirten haben, der sie beschützt, ist er auf sich allein gestellt.
Somit wird in der dritten Strophe die Bedeutung der Schafe geklärt. Sie verkörpern das, wonach sich das lyrische Ich sehnt: Gemeinschaft, Wärme und einer gewissen Festigkeit im Leben.
Die ersten drei Strophen haben eine parallele Satzstruktur: „Ich richte“ (V. 1), „Ich kaufe“ (V. 6), „Ich schließe“ (V. 11). Diese Anaphern3 verdeutlichen die Routine des lyrischen Ichs. In der vierten Strophe heißt es ebenfalls „Ich liege“ (V. 16), jedoch beginnt der Satz diesmal mit einem „aber“, das den Bruch zu dem vorhergehenden Traum von den Schafen verstärkt und die Isolation des lyrischen Ichs betont. Zu beachten ist auch, dass die Verben in den ersten drei Strophen alle eine aktive Tätigkeit des Sprechers beschreiben, in der letzten verrichtet er nichts, sondern liegt in „Vogelfedern“. Die Metapher knüpft wieder an den Bildbereich der Luft an. Statt dass sie von den Federn „beflügelt“ wird, scheinen diese die Person zu beschweren, sie ist nur noch „hoch ins Leere gewiegt“ (V. 16). Wiegen verbindet, an mit einer positiven Vorstellung, diese wird durch „ins Leere“ abgemindert.
In V. 17 wird das Befinden des Sprechers beschrieben; ihm „schwindelt“ und er schläft „nicht ein“. Er fühlt sich in der Höhe nicht befreit, sondern im Gegenteil, unwohl. Diese Unruhe wird dadurch verdeutlicht, dass die bisher langen Sätze hier verkürzt werden und der Lesefluss somit gestoppt wird.
Weiter erfährt der Leser, dass die Hand des lyrischen Ichs nach einem Halt sucht und „nur eine Rose als Stütze“ findet. Die Hand, als Teil des Sprechers, steht hier für den Körper und den Geist, der auf der Suche nach etwas ist, das ihm Halt geben kann.
Da diese letzte Zeile des Gedichts auch als Überschrift gewählt wurde, ist sie besonders zu betrachten. Das lyrische Ich, das in die Luft zog, braucht den Kontakt zur Erde. Hier zeigt das Bild der Rose die Sehnsucht nach etwas, das im Boden verwurzelt ist. An dem „nur“ kann man erkennen, dass die Blume zu schwach ist um zu stützen. Sie kann leicht geknickt werden; zudem trägt die Rose Dornen und sticht, was zeigt, dass das lyrische Ich nicht das gefunden hat, was es suchte.
In Hilde Domins Gedicht „Nur eine Rose als Stütze“, dass man der modernen Literatur zuordnen kann, fehlt jeglicher Glaube an etwas Übermächtiges, es herrscht nur Leere. Das lyrische Ich ist jemand, der Halt sucht und nicht findet.
In dem „Trapez des Gefühls“ (V. 3), welches das lyrische Ich indirekt beklagt, ist der Wunsch nach Ausgeglichenheit zu sehen. Der Sprecher fühlt sich in dem Gedicht von seinen Gefühlen so geschüttelt wie vom Wind und wäre lieber auf der Erde, die für Festigkeit steht.
Domins Text ist von starker Sehnsucht geprägt. Das lyrische Ich sucht nach Wärme, Gemeinschaft und einem festen Ort. Durch die verschieden langen Zeilen wird diese Orientierungslosigkeit betont. Das Gedicht entstand im Jahre 1959, die Menschen haben die Gräuel zweier Weltkriege erlebt, der Kalte Krieg hat gerade erst begonnen.
Vielleicht zieht das lyrische Ich deshalb in die Luft, weg von jeglichem Streit (selbstverständlich können auch andere Motive der Grund sein: Liebeskummer, etc.), aber es merkt, dass es in der Isolation nicht glücklich ist und sehnt sich wieder nach der festen Erde. Somit ist es in einem ständigen Konflikt zwischen Rückzug und Begegnung mit der Gemeinschaft. Dieses zentrale Thema ermöglicht es dem Leser sich mit dem lyrischen Ich zu identifizieren und sein eigenes Verhältnis zur Gesellschaft zu hinterfragen.