Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Herta Müller kritisiert in ihrer Kurzgeschichte „Das schwäbische Bad“ die resignierte, verrohte und schuldbehaftete Lebensweise der Banater Schwaben. Außerdem bringt Müller zum Ausdruck, dass Hoffnung auf Veränderung in der jüngeren Generation liegt.
Herta Müllers „Schwäbisches Bad“ (1982) handelt von einer Familie Banater Schwaben, die nacheinander im gleichen Badewasser baden. Herta Müller beschreibt die Veränderungen der Wasserfarbe und Wassertemperatur im Laufe des Badevorgangs. Herta Müller thematisiert mit ihrer Kurzgeschichte ihre Kritik an der resignierten, verrohten und schuldbehafteten Lebensweise der Banater Schwaben. Diese Kritik bringt sie vor allem durch kälter und dunkler werdendes Badewasser und Lügen über die Wassertemperatur zum Ausdruck. Einen möglichen Ausweg aus der verrohten, resignierten und kalten Lebensweise der Banater Schwaben deutet Müller durch die jüngere Generation an. Diese wird durch das Kind Arnie repräsentiert. Im Folgenden wird dieser Interpretationshypothese nachgegangen.
Anhand der sprachlich-syntaktischen Gestaltung der Kurzgeschichte und speziell des Badevorgangs führt Müller den Leser in die Monotonie, Routine und Stagnation der Banater Schwaben ein. Zunächst verwendet Müller den Titel „Das schwäbische Bad“, um die Familie als namenlosen repräsentanten der Banater Schwaben zu etablieren. Durch die anonyme Familie zeigt Müller, dass die Familie auswechselbar ist, da sie keine Identität besitzt. Durch die Auswechselbarkeit wird auch deutlich, dass die Routine der Familie auch verbreitet ist und die Familie somit den Gesellschaftlichen konventionen folgt und somit typische Repräsentanten der Banater Schwaben sind.
Die emotionslosen Parataxen „Das Wasser ist noch heiß. Die Seife schäumt“ (S. 13) erzeugen eine kühle Atmosphäre und lässt den Badevorgang routiniert erscheinen, da alle Familienmitglieder das gleiche tun und somit der gleichen Routine folgen.
Außerdem erzeugt der mit Repetitios1 durchzogene Badevorgang („Die Seife schäumt“ (S. 13 oben, mitte, untern, S. 14) einen routinierten Eindruck. Das Repetitio „Die Seife schäumt“ (S. 13, S. 14) zeigt dem Leser wie monoton und routiniert die Banater Schwaben handeln. Das Repetitio zeigt, dass alle Familienmitglieder sich sich mit der gleichen Routine waschen und baden. Durch die Wiederholung der Routine durch alle erwachsenen Altersgruppen hinweg zeigt Müller, dass sich über die ganzen Generationen nichts verändert hat. Dadurch führt Müller den Leser in die Stagnation der schwäbischen Familie als Repräsentanten für alle Banater Schwaben ein.
Anhand der Lügen der Familienmitglieder über die Temperatur des Badewassers baut Müller die Routine und fehlende Entwicklung bzw. Reflexion der Banater Schwaben weiter aus.
Die Familienmitglieder rufen nach jedem Badevorgang „Das Wasser ist noch heiß“ (S. 14), obschon das Wasser am Ende „eiskalt“ (S. 14) ist. Diese Lügen zeigen, dass die Familie bei dem Badevorgang nicht reflektieren oder nachdenken. Die fehlende Reflexion lassen den Leser erkennen, dass es sich bei dem Badevorgang um einen routinierten Ablauf handelt. Zudem lässt sich anhand der Lügen die Resignation der Banater Schwaben erkennen. Kein Familienmitglied bring diese Lüge zur Erwähnung oder beschwert sich über diese. So wie die schwäbische Familie die ständigen Lügen über die Wassertemperatur akzeptiert, akzeptieren auch die Banater Schwaben die Stagnation ihrer Gesellschaft aufgrund von nationalsozialistischen Denkweisen.
Außerdem zeigt die fehlende Reflexion der Familienmitglieder als Repräsentanten der Banater Schwaben die fehlende Entwicklung der Bewohner des Banats. So wie die Familienmitglieder die Lüge der Wassertemperatur nicht hinterfragen, hinterfragen auch die Bewohner des Banats ihre verrohte und kalte Lebensweise nicht. Daher bringt die Akzeptanz der ständigen Lügen über die Wassertemperatur die Routine, Resignation und fehlende Entwicklung der Banater Schaben zum Ausdruck.
Anhand der verwendeten Hitzemetaphorik bei der Darstellung des Badevorgangs veranschaulicht Müller die emotionale Kälte der Banater Schwaben. Am Anfang des Badevorgangs ist das „Wasser [...] noch heiß“ (S. 13), im laufe des Badevorgangs wird das Wasser aber kälter bis es am Ende „Eiskalt“ (S. 14) ist. „Eiskalt“ (S. 14) ist eine unnatürlich Temperatur da sie weit unter der Körpertemperatur des Menschen liegt. Müller verwendet die Hyperbel2 „Eiskalt“ (S. 13), um dem Leser deutlich zu machen, dass die Wassertemperatur hitzemetaphorisch für die innere Verrohung der Familie als Repräsentanten der Banater Schwaben steht. Mit kühler werdendem Wasser werden auch die Familienmitglieder verrohter, emotionsloser und kälter. Außerdem leben die emotionsloseren Familienmitglieder aufgrund ihres Alters schon länger im Banant, wodurch Müller einen Grund für die Verrohung aufzeigt. So wie die Wassertemperatur immer weiter sinkt, so werden auch die Familienmitglieder immer emotionsloser und kälter, da sie schon länger im Banat leben.
Anhand der gewählten Farbmetaphorik zur Darstellung des Badevorgangs veranschaulicht Müller die Schuld und fehlende Verarbeitung der SS-Vergangenheit der Banater Schwaben. Im laufe des Badevorgangs verändert sich die Farbe des Randes der Badewanne von „gelb“ (S. 13) zu „schwarz“ (S. 13). Der dunkler werdende Wannenrand zeigt farbmetaphorisch die dunkler und grausamer werdende SS-Vergangenheit der Familienmitglieder. So wie das Wasser in der Badewanne immer mehr von grauen Nudeln belastet wird, so werden die Familienmitglieder die in dem Wasser baden immer mehr von Schuldgefühlen belastet. Der Großvater hat dabei aufgrund seiner Kriegsvergangenheit im 2. Weltkrieg den dunkelsten Rand.
Zudem verwendet Herta Müller die Farbmetaphorik, ^ die Akzeptanz der dunklen Vergangenheit zu verdeutlichen. Als der Großvater untertaucht sieht die Großmutter „den Großvater nicht“ (S. 14). Trotzdem macht sie sich keine Sorgen und „schließt die Badezimmertür [hinter sich]“. So wie die Großmutter akzeptiert, dass der Großvater unter der schwarzen Wasseroberfläche ist, so akzeptieren auch die Banater Schwaben die farbmetaphorisch dunkle Vergangenheit. Herta Müller kritisiert hierbei, dass die Banater Schwaben sich bei der Verarbeitung dieser Erlebnisse nicht gegenseitig helfen, da auch die Großmutter dem Großvater nicht hilft. Daher veranschaulicht Müller anhand der Farbmetaphorik die Schuld und fehlende Verarbeitung der SS- Vergangenheit.
Anhand der Metaphorik der Körperteile hebt Müller die Verrohung der Banater Schwaben hervor. Die Körperteile, die die Familienmitglieder abwaschen, werden im laufe des Badevorgangs weniger verletzlich und als Waffe besser zu gebrauchen. Während sich die Mutter noch ihren „Hals“ (S. 12) abwäscht, reibt der Großvater „graue Nudeln von seinen Ellenbogen“ (S. 14). Müller verwendet die Metaphorik der Körperteile, um die innere Verrohung der Banater Schwaben aufzuzeigen. Durch die Körperteile zeigt Müller bildlich die härte der Familienmitglieder. Die Metaphorik der Körperteile wird daher verwendet, um die innere härte, den Grad der Verrohung herauszufinden. Mit einer größer werdenden Verrohung werden die Familienmitglieder älter und leben daher schon länger im Banat.. Je länger das Familienmitglied im Banat ist, desto härter, desto härter, brutaler und weniger Verletzlich wird es.
Trotz der Verrohung, der emotionalen Kälte und Schuld der erwachsenen Familienmitglieder deutet Müller in ihrer Kurzgeschichte durch das Kind ‚Arni‘ einen möglichen Ausweg aus der bisherigen Lebensweise der Banater Schwaben an. Müller erzeugt einen Kontrast zwischen den anonymen erwachsenen Familienmitgliedern („die Großmutter“ (S. 13)) und „Arni“ (S. 13), der noch eine Identität hat. Durch den Kontrast wird Arni hervorgehoben und als ein Individuum mit einer Identität präsentiert. Im Vergleich zu den anonymen und identitätslosen Erwachsenen ,die sich einer allgemeinen Bevölkerung unterordnen lassen, gibt es bei Arni Hoffnung auf Veränderung. Die Erwachsenen folgen blind der Gesellschaft und sind aufgrund ihrer Anonymität austauschbar, wohingegen Arni als Individuum noch nachdenken und reflektieren kann. Dadurch wird die jüngere Generation als ein möglicher Ausweg aus der routinierten Lebensweise der Banater Schwaben etabliert.
Außerdem „schlägt“ Arni „um sich“ (S. 13) als die Mutter ihn in der Badewanne abwäscht. Arni wehrt sich gegen das Badewasser und damit auch gegen den routinierten Badevorgang, der die routinierte Lebensweise der Banater Schwaben repräsentiert. Somit wird die jüngere Generation als möglicher Ausweg aus der Lebensweise der Banater Schwaben präsentiert.
Zudem wäscht die Mutter Arnis „Rücken“ (S. 13) ab, was in das Muster der geringer werdenden Verletzlichkeit und brutaler werdenden Körperteile passt. Der Rücken zeigt metaphorisch, dass Arni keineswegs brutal ist, sondern sehr verletzlich ist. Der Rücken ist außerhalb des Sichtfeldes eines Menschen und ist somit sehr Verletzlich, da es schwer ist diesen zu verteidigen. Außerdem ist der Rücken für den Angriff ungeeignet, da er vom Menschen nicht überblickt werden kann. So wie der Rücken nicht zum Angriff verwendet werden kann und sehr verletzlich ist, ist auch Arni noch nicht so hart und brutal wie die Erwachsenen und somit noch nicht von Schuld behaftet. Dies macht Arni zu einem Charakter, der Hoffnung auf Besserung der bisherigen Lebensweise der Banater Schwaben verkörpert.
Jedoch verwendet Müller die Metaphorik der Körperteile auch, um die jüngere Generation vor dem Einfluss der älteren Generation zu warnen. Die schuldbehaftete Mutter wäscht dem „kleinen Arni den Rücken mit einem verwaschenen Höschen“ (S. 13). Damit versucht die Mutter Arni in den routinierte Badevorgang zu integrieren. Der „Rücken“ (S. 13) steht metaphorisch für die Verletzlichkeit Arnis. Daher versucht die Mutter Arni in seiner verletzlichsten Lebensphase in die kalte und verrohte Lebensweise der Banater Schwaben zu integrieren. So wie die Mutter versucht den kleinen Arni zu integrieren, warnt Müller die jüngere Generation vor der Indoktrination im jungen und verletzlichen Alter. Müller warnt dabei besonders vor der Ausnutzung der Verletzlichkeit und fordert die jüngere Generation auf sich wie der kleine Arni zu wehren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Müller den Leser anfangs in den monotonen, emotionslosen und routinierten Alltag der schwäbischen Familie als Repräsentanten für die Banater Schwaben einführt. Außerdem zeigt Müller dem Leser die mit dem Alter größer werdende Verrohung, Härte und Schuld durch die Verwendung von Farb- und Temperaturmetaphorik und Metaphorik der Körperteile. Später erkennt der Leser, dass der kleine Arni im Kontrast zu den erwachsenen Familienmitgliedern steht, da er durch seinen Namen eine Identität hat und sich gegen den routinierten Badevorgang wehrt. Dadurch etabliert Müller die jüngere Generation als möglichen Ausweg aus der archaischen3 und stagnierten Lebensweise der Banater Schwaben.