Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die Novelle “Michael Kohlhaas” wurde im Jahre 1810 von Heinrich von Kleist veröffentlicht. Entstanden ist die Erzählung während der Lebenszeit von Heinrich von Kleist, die durch die Aufklärung geprägt war. Sie handelt vom Rosshändler Michael Kohlhaas, der aufgrund von Betrug einen Rachefeldzug vollführt, um sein Bedürfnis nach Gerechtigkeit zu stillen. Im vorgegebenen Textauszug wird vor allem die Frage nach der Gerechtigkeit trotz des Ausführens unmenschlicher Taten thematisiert. Der Auszug nimmt in der Erzählung eine besondere Rolle ein, da diese die Hauptaspekte der Aufklärung, die Vernunft und den Verstand, aufgreift. Somit wird eine entscheidende Rolle eingenommen, da Kohlhaas in dieser Szene zur Vernunft kommt.
Michael Kohlhaas und Martin Luther sind die einzigen Figuren im Auszug. Um Luther zu beweisen, dass er selber kein schlechter Mensch sei, besucht Kohlhaas Luther in Wittenberg. Er rechtfertig sein Handeln damit, dass er nach Gerechtigkeit strebe und er nicht wolle, dass seine tote Frau in Vergessenheit gerate. Zusätzlich bietet er Luther die Beendigung seines Rachefeldzuges und das Einleiten gesetzlicher Wege an, erwartet im Gegenzug jedoch Straffreiheit. Luther jedoch wirft Kohlhaas unmenschliches Handeln vor und erwartet von Kohlhaas, Frieden mit seinen Feinden zu schließen. Kohlhaas willigt ein, sieht es jedoch nicht ein Wenzel von Tronka, zu verzeihen.
Einordnen lässt sich die Szene folgendermaßen:
Durch ein Plakat in Wittenberg wird Kohlhaas darauf aufmerksam, welche Sichtweise Luther ihm gegenüber vertritt. Dieser wirft ihm mit einem Schriftzug auf dem Plakat nämlich unmenschliches Handeln vor, womit er sich auf die Niederbrennung von Städten durch Kohlhaas bezieht. Dies führt dann anschließend dazu, dass Kohlhaas Luther vom Gegenteil zu überzeugen versucht. Nach dem Gespräch mit Luther beendet Kohlhaas seinen Rachefeldzug und erhält zudem die abgesprochene Amnestie in Dresden. Durch die innere Wandlung von Kohlhaas in dieser Szene stellt diese Szene einen Wendepunkt in der Geschichte dar und dient gleichzeitig als Schlüsselszene.
Der Erzähler ist die vermittelnde Instanz, der unterschiedliche Formen, Perspektiven, Standorte und Haltungen besitzen kann. Diese werden zunächst untersucht. Anschließend werden die Sprache und zuletzt die Funktion der Szene untersucht.
Die Erzählform in diesem Auszug ist die Erzählform in der dritten Person (Er-/Sie-Erzähler). Dies wird daran deutlich, dass die Handlung in der dritten Person Singular erzählt wird. Die Erzählperspektive ist sowohl die Außenperspektive als auch die Innenperspektive. Erzählt wird sowohl von den einfachen Handlungen, wie bspw. Das Ziehen der Pistole von Kohlhaas (vgl. S. 48, Z. 35), als auch von den emotionalen Zuständen und Empfindungen der Figuren, wie bspw. auf Seite 49 in Zeile 11, in der Luthers Verwirrung und Beruhigung angesprochen werden. Der allwissende Erzähler kennt viele kleine Details über die Charaktere, die den Lesern auch mitgeteilt werden. Zum Beispiel wird davon erzählt, wo Kohlhaas seine Pistole herhat (vgl. S. 48, Z. 22). Diese habe er nämlich aus der Tronkenburg gestohlen. Hierdurch lässt sich auch begründen, dass es sich um einen auktorialen Erzähler handelt. Der Erzähler nimmt allgemein eine neutrale Erzählhaltung ein. Das Handeln der Figuren wird nicht bewertet. So wird bspw. beschrieben, dass Luther ein „Sendeschreiben“ (vgl. S. 53, Z. 19) erließ, dies wird jedoch nicht bewertet. Auch die darauf folgenden Handlungen bleiben unkommentiert (vgl. S. 53, Z. 20 ff). Die Zeitstruktur ist chronologisch: Auf das Eintreten von Kohlhaas erfolgt der Gesprächsbeginn, Anschließend wird der Gesprächsverlauf und zum Schluss das Ende und die darauf folgenden Handlungen beschrieben (vgl. S. 48 – 54). Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass sowohl indirekte als auch direkte Rede auftreten. So nutzt der Erzähler die indirekte Rede beim Gesprächsbeginn von Luther und Kohlhaas (vgl. S. 48, Z. 26 f und S. 52, Z. 9). Aber auch die direkte Rede wird verwendet. Deutlich wird dies bspw. an der Stelle, an der Luther Kohlhaas als „entsetzliche[n] Mann“ (S. 49, Z. 10) beschimpfe.
Nun sollen die sprachlichen Besonderheiten der Szene hervorgehoben werden:
Der Satzbau ist abwechselnd hypotaktisch und parataktisch. Zudem wird der Lesefluss hierdurch abwechselnd flüssiger und dann wieder gestoppt. Dies hat den Zweck, dass durch die Hypotaxen die Inhalte miteinander „verschachtelt“ werden. Durch die Parataxe werden Nebeninformationen wiedergegeben. Herausstechend ist auch Kohlhaas´ Beschreibung seiner Frau: er bezeichnet ihren Verlust als sehr „teuer“ (S. 51, Z. 29), wodurch er ihren emotional unbezahlbaren Wert herausstellt. Seine Frau nahm in seinem Leben einen sehr hohen Wert ein, wodurch seine Liebe zu ihr deutlich wird. Er sehne sich danach, ihre Liebe wieder zu empfinden. Hierdurch wird eine starke Sehnsucht deutlich. Die vielen Wiederholung des Begriffs „Selbstrache“ (z. B.: S. 50, Z. 27; S. 51, Z. 15) besitzt ebenfalls eine besondere Funktion: Es wird die Gesetzlosigkeit, die hinter dem Rachefeldzug stecke, herausgestellt. Luther bezeichnet Kohlhaas´ Handlungen nach Gerechtigkeit somit als ungerechtfertigt und unvernünftig. Kohlhaas fehle vollkommen die Vernunft.
Die Szene nimmt im Allgemeinen eine besondere Funktion im Drama ein. Durch die vorhandenen Figuren in der Szene wird die Hauptfunktion der Szene deutlich. Kohlhaas versucht Luther zu überzeugen, dass er eine falsche „Meinung“ (S. 49, Z. 6) von ihm besitze. Hierzu rechtfertigt er sein Handeln vor ihm. Deutlich wird hier, dass Kohlhaas großen Wert auf das Urteil von Luther legt. Als ihm dann sogar „eine Träne über die Wangen“ (S. 51, Z. 6) rollt, werden die Beweggründe von Kohlhaas deutlich. Nach dem Tod seiner Frau Lisbeth ist er immer noch emotional an diese gebunden und strebt auf der einen Seite nach Gerechtigkeit für seinen Betrug, auf der anderen Seite sehnt er sich nach Rache für den Tod seiner Frau, da er diesen immer noch nicht verarbeitet hat. Sein großer Gerechtigkeitssinn wird deutlich. Luther jedoch bringt Kohlhaas durch seine Vorwürfe zu Vernunft.
Die Deutungshypothese, dass im Auszug das Hauptmotiv der Aufklärung, der Verstand, aufgegriffen wird trifft zu. Zu ergänzen ist jedoch, dass die Szene weitere Funktionen erfüllt, die im Folgenden näher erläutert werden:
Schlussfolgernd ist zu sagen, dass der Auszug gekennzeichnet ist durch ein neutrales, auktoriales Erzählverhalten in der dritten Person, welches die Empfindungen und Gefühle der Figuren darstellt. Hierbei ist zu erwähnen, dass der Leser somit subjektiv in das Geschehen hineinversetzt wird Auch durch die sprachlichen Verknüpfungen durch den hypotaktischen Satzbau wird eine emotionale Verbindung hergestellt. Zudem greift die Szene das Hauptmotiv der Aufklärung, den Verstand des Menschen, auf. Damit ist dieser Auszug als Schlüsselszene der gesamten Novelle, in Bezug zur Epoche, zu betrachten. Auf der anderen Seite wird auch ein Hauptmotiv der Romantik aufgegriffen: die Sehnsucht. Viele Male in der Szene erzählt Kohlhaas vom Verlust seiner Frau. Hierdurch wird die starke Sehnsucht nach ihrer Liebe deutlich. Zuletzt stellt die Szene den hohen Stellwert der Gerechtigkeit für Kohlhaas dar, da dieser Gerechtigkeit für den an ihm ausgerichteten Betrug erwartet.