Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Gute Nacht“, von Wilhelm Müller im Jahr 1826 verfasst, handelt von vergangenen Liebesgefühlen. Das männliche lyrische Ich schildert dabei seinen Aufbruch zur Wanderschaft in die kalte Winternacht, um seiner nicht zufriedenstellenden Beziehung mit seiner Geliebten zu entfliehen.
Zunächst wird der Gefühlswandel beschrieben, wobei das lyrische Ich wieder zur Ausgangssituation zurückkommt und über das weitere Fortfahren unsicher ist.
In der zweiten Strophe kristallisiert sich seine Überzeugung heraus als auch eine grobe Zielvorstellung. Daraufhin gewinnt das lyrische Ich an zweifelloser Entschlossenheit.
In der letzten Strophe verlässt es schließlich seine Geliebte heimlich bei Nacht, wobei es sich in Form eines Gute-Nacht-Wunsches kurz als Entschädigung verabschiedet.
Das vorliegende Klagelied ist hierbei aus vier Strophen á acht Verse im doppelten Kreuzreim aufgebaut. Neben einem dreihebigen Jambus kommt auch eine Abfolge männlicher und weiblicher Kadenz1 vor, wodurch zum einen ein regelmäßiger Rhythmus, zum anderen ein flüssiger Lesefluss entsteht.
Außerdem weist das Gedicht zum einfachen Folgen einen parataktischen Satzbau als auch eine einfache jedoch sehr bildliche Wortwahl auf.
„Fremd bin ich eingezogen, / Fremd zieh‘ ich wieder aus“ (V. 1-2) stellt als Anapher2 in Verbindung mit einer Antithese3 den unveränderten Zustand des lyrischen Ichs dar, der in seiner Beziehung nicht aufgehen konnte und keine Nähe zu seinem angeblichen Gegenstück aufbauen konnte. „Der Mai“ (V. 3) symbolisiert als Frühlingsmonat das „Aufblühens“ der Liebe und steht, durch ein Enjambement4 gekennzeichnet, in Verbindung mit dem „Blumenstrauß“ (V. 4), einem symbolischen Liebesbeweis, der zudem zu der Frühlingsstimmung passt.
Die Klimax5 „(das) Mädchen sprach von Liebe, / Die Mutter gar von Eh‘“ (V. 5-6) verdeutlicht die Erwartungen an das lyrische Ich, die er vermutlich nicht teilte und ihn höchstwahrscheinlich überwältigten. Es folgt ein Sprung in die Gegenwart, die eine „trübe (Welt)“ (V. 7) bereithält, was durch die Personifikation6 „der Weg gehüllt in Schnee“ (V. 8) unterstrichen wird. Dies steht im starken Kontrast zu den anfänglichen hoffnungsvollen Frühlingsgefühlen, die das lyrische versucht hat zu hegen. Seine Liebe konnte die Jahreszeit jedoch nicht überstehen und nun ist ihm sein weiterer Weg ungewiss.
In der darauffolgenden Strophe schwindet diese Verunsicherung schrittweise, da das lyrische Ich bestimmt von seiner Reise spricht, die nicht auf sich warten lässt (vgl. V. 9f). Das lyrische Ich sieht sich gezwungen, sich „selbst den Weg (zu) weisen / In dieser Dunkelheit“ (V. 11-12), d. h. selbständig ins Ungewisse loszuziehen. Die Personifikation „Mondenschatten / Als Gefährte“ (V. 13-14) verweist auf seinen kompletten Alleingang in der Nacht und eine gewisse spirituelle Verbundenheit im Kontrast zu seiner ehemaligen menschlichen Liebesbeziehung. Die Metapher7 „auf den weißen Matten / Such‘ ich des Wildes Tritt“ (V. 15-16) untermalt dabei die Abenteuer im Unentdeckten und Fremden, die er sich in der Winterlandschaft erhofft.
In der vorletzten Strophe gewinnt das lyrische Ich immer mehr an Entschlossenheit. Dies wird zum einen an einer rhetorischen Frage „Was soll ich länger weilen, / Dass man mich trieb hinaus?“ (V. 17-18) deutlich, die die Unumgänglichkeit des Vorhabens ausdrückt und eine klare Aufforderung an sich selbst ist, seinem Affekt nachzugehen, da das lyrische Ich sich fast wie „getrieben“ vorkommt. Die Metapher „irre Hunde“ (V. 18) betont dabei die Aufbruchsstimmung.
Die Personifikation „die Liebe liebt das Wandern“ (V. 21) und die Antithese „von einem zum anderen“ (V. 23) visualisiert die Vergänglichkeit von Liebe, welche gottgegeben (vgl. V. 22) und damit ein unumgänglicher und natürlicher Aspekt des menschlichen Lebens ist. Dies dient dem lyrischen Ich zudem als Beweggrund für sein Fernweh, denn damit erhofft er sich wieder Liebe zu erfahren. Nach dieser Behauptung folgt schlussendlich der Ausruf „Fein Liebchen, gute Nacht!“ (V. 24), womit sich das lyrische Ich zum ersten Mal an seine Geliebte wendet und sich mit einer Feierlichkeit und vollkommener Entschlossenheit von ihr verabschiedet. Er spricht sie dabei immer noch liebevoll (und vermutlich etwas ironisch) an, was darauf schließen lässt, dass er keine feindseligen Gefühle gegen sie hegt. Die Grußformel könnte man jedoch wieder ironisch verstehen, da man davon ausgehen kann, dass seine Geliebte im Gegensatz zum ihm keine „gute Nacht“ (V. 24) bzw. ihre letzte ruhige Nacht haben wird, weil sie ihm am Morgen wahrscheinlich mit gebrochenem Herz und Unverständnis nachtrauern würde.
Die komplette letzte Strophe ist auf direkte Weise an die Liebende gerichtet. Das lyrische Ich zielt mit seinem nächtlichen Aufbruch darauf ab, zu vermeiden ihren „Traum (zu) stören“ (V. 25), da er sich um ihre „Ruh‘“ (V. 26) sorgt. Damit legt er zwar seine guten Absichten dar, lässt seine Geliebte jedoch mehrdeutig in ihren unrealen Traumvorstellung zu ihrer Liebesbeziehung weiter schwelgen. Die Sorgfalt seines Vorgehens wird an der Wortwiederholung „sacht, sacht“ (V. 28) präzisiert, mit der er versucht das gemeinsame Haus zu verlassen. Als Abschied lässt der „Flüchtende“ einen nun schriftlichen Gute-Nacht-Wunsch „im Vorübergehen“ (V. 29) zurück, um hervorzuheben, dass er an sie gedacht habe (vgl. V. 30-32).
„Gute Nacht“ ist der titelgebende Kern des Gedichts, welcher mehrdeutig ist, da das lyrische Ich in die unbekannte, nächtliche Landschaft aufbricht und seinem Traum nachgeht, seine Partnerin lässt er jedoch mit ihren Traumvorstellungen von ihrer gemeinsamen Liebesbeziehung nichtsahnend zurück.
Zusammengefasst kann man daher sagen, dass das lyrische Ich seine „verblühte“ Liebe als unveränderlich ansieht und deswegen seinen Fortgang ins Unbekannte für berechtigt und natürlich erachtet. Damit kann man das Gedicht der Romantik als Epoche zuordnen, die zentral von Fernweh und Weltflucht geprägt war, wobei das Individuum mit seiner Gefühlswelt im Fokus stand. Weitere zentrale Motive sind die Vergänglichkeit sowie das Geheimnisvolle, welche im Nacht- und Traummotiv ihr ästhetisches Zentrum findet.