Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das von Günter Eich verfasste Gedicht „Latrine“ (1948) beschreibt die Situation eines Soldaten, der nach bzw. während des Zweiten Weltkriegs in Kriegsgefangenschaft gerät. Das Gedicht trägt damit starke autobiographische Züge, denn Günter Eich wurde 1945 im amerikanischen Kriegsgefangenlager Remagen (am Rhein) festgehalten. Das Gedicht beschreibt auf tragikomische Art und Weise seine Umgebung und kritisiert den Krieg. Dabei werden vor allem schöngeistige und profane Elemente entgegengestellt.
Das Gedicht setzt sich aus vier Strophen zu je vier Versen zusammen. Das nicht streng eingehaltene und durch unreine Reime gekennzeichnete Reimschema ist a, b, a, b (usw.).
Das Metrum1 wird überwiegend durch einen Daktylus dargestellt.
Die erste Strophe schildert den Ort des Geschehens: ein Plumpsklo (siehe Titel). Das lyrische Ich (vermutlich ein deutscher Soldat während des zweiten Weltkrieges) hockt „über stinkendem Graben“(V.1). Der Erzähler gewährt einen Einblick in das harte Soldatenleben, indem er den Prozess der Absonderung unter unerträglichen Bedingungen beschreibt. Nicht einmal der scheinbar „intime“ Ort (die Latrine) mit dem „Papier voll Blut und Urin“ (V.2) und den „funkelnden Fliegen“ (V.3) ist ertragbar. Die Alliteration2 „funkelnde Fliegen“ ist ironisch zu verstehen, da sie auf die pathetische Nazi-Lyrik abzielt. Trotz der unmenschlichen Zustände versucht das lyrische Ich auf tragikomische Weise der Situation noch etwas Positives abzuringen.
Durch einen Zeilensprung ist die erste mit der zweiten Strophe verbunden. Von seiner Position aus vermag der Sprecher einen Blick auf „bewaldete Ufer / Gärten [und] gestrandetes Boot“ (V.6) zu werfen.
Etwas später erfährt der Leser, dass es sich bei dem beschriebenen Ufer um das der Garonne handelt. Die natürliche Idylle, die in den ersten zwei Versen der zweiten Strophe beschrieben wird, steht im Kontrast zu dem vorher beschriebenen Plumpsklo, dass in den zwei Folgeversen (V7.f.) wieder Erwähnung findet.
Hier „klatscht der versteinte Kot / In den Schlamm der Verwesung“ (V.7f.). Die von Eich verwendete „Fäkalsprache“ wie etwa die Metapher3 „Schlamm der Verwesung“ erregt bei dem Leser Entsetzen. Der versteinte Kot, der auf Nahrungsmangel zurückzuführen ist, kritisiert den Krieg und seine Folgeerscheinungen.
Sowie der Erzähler auf der Latrine verweilt, klingen ihm die Verse von Hölderlin in den Ohren (V.9f.) Hölderlin, dessen Gedichte von den Nationalsozialisten verwendet wurden um eben jenes nationalsozialistisches Gedankengut zu propagieren, findet hier Erwähnung um abermals Kritik an dem „verlogenen“ Nazi-Regime zu üben.
Abermals ruft Eich einen komischen Effekt hervor, als der Sprecher die sich im Urin spiegelnden Wolken beschreibt (V11.f.). Dabei steht die verwendete Farbsymbolik der „schneeigen Reinheit“ (weiß = rein) im Gegensatz zu dem aus Urin bestehenden Spiegel.
Die letzte Strophe beginnt mit einem Zitat aus einem Hölderlingedicht: „Geh aber nun und grüße die schöne Garonne“ (V.14f.). Eich verdeutlicht hier den Gegensatz zwischen der NS-Propaganda und der Realität, die wahrlich nicht „schön“ ist.
Die zuvor beobachteten Wolken „schwimmen“ unter schwankenden Füßen davon (V.15f.).
Das lyrische Ich erkennt bei genauer Betrachtungsweise das auf Lügen und Fantastereien erbaute Fundament der Nationalsozialisten. Die Wolken, ein Symbol der Reinheit ( oder auch der Ideologie) vergehen. Es bleibt die Realität, dargestellt durch den Schlamm der Verwesung.
In seinem Gedicht „Latrine“ beschreibt Eich die katastrophalen und menschenunwürdigen Zustände während und nach dem zweiten Weltkrieg. Des Weiteren bedient er sich zweier Wortfelder (Beschreibung der Absonderung / Beschreibung der natürlichen Idylle) um nicht zuletzt zwischen „Schein“ und „Sein“ zu unterscheiden, und die NS-Propaganda als Lüge zu entlarven. Hölderlin, dessen Verse, und die Garonne selbst, weichen einer Mischung aus Exkrementen und Verwesung. Nicht einmal die „funkelnden Fliegen“ können zur Erheiterung des lyrischen Ichs beitragen.
Trotz aller Ironie und Tragikomik muss das Gedicht dennoch als scharfe Kritik an dem zweiten Weltkrieg und seinen Verursachern ( dem verlogenen Nazi-Regime) verstanden werden.