Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Nathan der Weise - 2. Aufzug, 7. Auftritt: Nathan und der Tempelherr.
Das fünfaktige Drama „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing wurde erstmals im Jahre 1779 veröffentlicht und nach den Lehren der Aufklärung verfasst. Die Aufklärung war eine durch die Emanzipationsbewegung des europäischen Bürgertums im 17. und 18. Jahrhundert geprägte Epoche, in welcher besonders das eigenständige Denken und kritische Hinterfragen eines jeden Individuums gefordert wurde. Dichter fingen an, die Herrschaft des Adels zu kritisieren und nahmen somit die Rolle des Erziehers an, der die einfachen Bürger zum Denken anregen sollte. Einer dieser Erzieher war der Schriftsteller und Dichter Gotthold Ephraim Lessing. Als dieser am 7. Mai 1770 Bibliothekar in Wolfenbüttel wurde und dort gefundene deistische Schriften von Reimarus als die „Fragmente eines Unbenannten“ veröffentlichte, erhielt Lessing ein Publikationsverbot für sämtliche theologische Stellungnahmen von dem Hauptpastor Melchior Goeze. Daraufhin verfasste Lessing sein dramatisches Gedicht „Nathan der Weise“ und wandte sich damit seiner „alten Kanzel“, dem Theater, zu. Sein Erziehungsdrama beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themenschwerpunkten Humanismus und Toleranz, wobei das Hinterfragen verschiedener Glaubensrichtungen und das Streben nach Toleranz gegenüber diesen eine Rolle spielt. „Nathan der Weise“ spielt im Jahre 1187, zur Zeit der Kreuzzüge, und handelt von dem reichen Juden Nathan, der nach einer langen Handelsreise heimkehrt und erfährt, dass seine Adoptivtochter Recha beinahe den Feuertod erlitten hätte, wenn nicht der christliche Tempelherr wäre. Dankbar sucht Nathan den Ritter auf, welcher sein eigenes Leben der Begnadigung durch den Sultan zu verdanken hat, doch trifft auf einen sehr intoleranten Menschen, der den dank eines Juden ablehnt. Nach einem Erziehungsgespräch gelingt es Nathan jedoch, den Tempelherr eines Besseren zu belehren. Sultan Saladin, welcher den Frieden aller drei Religionen wünscht, ruft Nathan zu sich, um seine Klugheit und Weisheit auf die Probe zu stellen indem er fragt, welche Religion denn nun die richtige sei, woraufhin Nathan die Ringparabel aufführt und den Sultan überzeugt. Währenddessen hat sich der Tempelherr in Recha verliebt. Später erfährt er jedoch von der Adoption und der Angehörigkeit zum Christentum und bittet den Patriarch um Hilfe. Dieser will Nathan jedoch mit einer Intrige zu Fall bringen und schickt den frommen Klosterbruder zu ihm. Daraufhin stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister und die Kinder des verstorbenen Sultan Saladin sind. Schlussendlich lässt sich sagen, dass der Erzieher Nathan mit der Erziehung der Charaktere in „Nathan der Weise“ nur teilweise erfolgreich war.
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um einen Textauszug aus dem aufklärerischen Werk „Nathan der Weise“. Der gegebene Dialog zwischen dem Tempelherrn Nathan findet nach dem Erziehungsgespräch statt, was bedeutet, dass der Tempelherr Nathan nun als würdigen Gesprächspartner wahrnimmt und nicht mehr so krampfhaft an seinen Vorurteilen gegenüber Juden festhält, sondern vielmehr selbst zu denken und hinterfragen beginnt. Ebenso ist anzumerken, dass die vorliegende Unterhaltung kurz nachdem Daja das Gespräch zwischen dem Tempelherrn und Nathan unterbricht, um Nathan zu berichten, dass der Saladin in rufen lässt, stattfindet. In dem aufgeführten Dialog geht es um Nathan und den Tempelherren, welche sich über den Sultan Saladin unterhalten und feststellen, dass er durchaus menschlich und moralisch ist und einen guten Kern hat, was durch die Begnadigung des Tempelherrn deutlich wird. Nathan äußert seinen Beschluss, dem Sultan Saladin seinen Dank entgegenzubringen. Ebenso einigen sich beide Gesprächspartner darauf, dass der Tempelherr noch heute ins Haus des Nathans gehen und Bekanntschaft mit seiner Adoptivtochter Recha machen wird. Das Gespräch wird in Z. 1-4 von dem Tempelherrn eingeleitet, welcher sich erkundigt, ob Nathan den Saladin bereits schon kennt. Nathan antwortet daraufhin, dass er ihn „nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen“ (Z. 4-5) hatte. In der nachfolgenden Zeile spricht er den Ruf Saladins an: „der allgemeine Ruf sprach viel zu gut“ (Z. 6) Damit meint Nathan, dass im Volk bekannt ist, dass der Sultan Saladin alle zu ihm kommenden Bettler mit Almosen bedient und sie reicher, sich selbst ärmer macht. In Z. 7-8 „von ihm, dass ich nicht lieber glauben wollte, als sehen“ äußert Nathan, dass ihm bewusst ist, dass das Volk von Saladin schwärmt, er ist jedoch nicht hinterfragen möchte, aus Angst, dass es nicht stimmt. Das ist sehr untypisch für den aufgeklärten Erzieher Nathan. In Z. 9 spricht Nathan von der „Sparung eures Lebens“ und meint damit die Begnadigung des Tempelherrn durch Saladin. Er allein von 20 Rittern wurde begnadigt, weil er einem verstorbenen Bruder Saladins in seinem Aussehen glich. Daraufhin unterbricht der Tempelherr Nathan um zu bestärken, dass der Sultan tatsächlich Menschlichkeit gezeigt und human gehandelt hat, indem er dem Tempelherrn sein Leben ließ. Er geht sogar weiter und behauptet, sein Leben sei ein „Geschenk“ (Z. 12) Sultans. Nathan schließt sich ihm daraufhin an und sagt, dass durch diese eine Begnadigung ein „doppelt, dreifach Leben“ (Z. 14) geschenkt wurde. Damit meint er, dass dadurch, dass der Sultan dem Tempelherrn sein Leben ließ, dieser seinem Dienst als Ritter nachgehen und ein junges Mädchen, Nathans Adoptivtochter, aus dem Feuer retten konnte. Dieses Geschehen hat Nathan den Juden, den christlichen Tempelherren sowie auch den Muselmann Sultan Saladin miteinander verbunden „hat alles zwischen uns verändert“ (Z. 15) In der nachfolgenden Zeile 17 bestärkt Nathan dies nochmal „mich seinem Dienst auf ewig fesselnd“ (Z. 17) Nathan ist dem Sultan zu Dank verpflichtet und an ihn gebunden, da durch seine Begnadigung erst die Rettung seiner Tochter stattfinden konnte. In Zeile 18-21 sagt Nathan er könne es kaum erwarten, dem Sultan seinen Dank entgegenzubringen, sich ihm zu unterwerfen und sogar zu sagen, dass diese Dankbarkeit ihm gegenüber durch des Tempelritters Rettung seiner Tochter entstanden ist. In Z. 23 äußert der Tempelherr er habe dem Sultan selbst noch nicht gedankt, so oft er ihm in den Weg getreten ist. Mit „der Eindruck den ich auf ihn machte, kam so schnell, als schnell wiederum verschwunden“ (Z. 25-26) meinte Tempelherr, dass der Sultan alsbald der ihn erblickte, die Ketten lösen ließ und geschwind zerstreut den Saal verließ, da der Tempelherr seinem toten Bruder so glich. In den folgenden Zeilen 27-30 diskutiert der Tempelherr mit sich selbst, ob der Sultan Saladin sich noch an ihn erinnert oder nicht. Einerseits denkt er, dass der Sultan ihn bereits vergessen hat, da er so schnell den Saal verließ, andererseits jedoch hat er über das Tempelherren Schicksal entschieden. Anschließend stellt der Tempelherr fest, dass er nur noch lebt, weil Sultan Saladin ihn leben lassen hat und dass er nun nach Sultans Willen leben sollte und auch will. In Zeile 34 stimmt Nathan der Überlegung des Tempelherrn zu und äußert, dass er nun los möchte um Sultan selbst die Nachricht zu überbringen „umso mehr will ich nicht säumen“ (Z. 35) und dort vielleicht sogar ein Wort über den Tempelherren, über seine große Tat der Rettung seiner Tochter, die erst durch Sultans Menschlichkeit möglich wurde, verlieren. Bevor Nathan hinfort eilt, möchte er jedoch wissen wann denn der Tempelherr bereit ist, bei ihm Gast zu sein und seine Tochter kennenzulernen, ihren Dank anzunehmen (Z. 37-39) „Erlaubt, verzeiht, ich eile wenn, wenn aber sehen wir euch bei uns?“ Nathan spricht sehr höflich und macht einige Pausen, welche durch die Gedankenstriche deutlich werden. „Sobald ich darf“ (Z. 40) antwortet der Tempelherr daraufhin ebenso sehr höflich und respektvoll gegenüber Nathan, konträr zu seinem Verhalten vor dem Erziehungsgespräch. Beide Männer einigen sich darauf, dass der Tempelherr noch heute zu Nathan kommen wird und seine Tochter Recha kennenlernen wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Nathan und der Tempelherr in ihrem Gespräch eingesehen haben, dass der Sultan Saladin erziehbar und durchaus in der Lage ist, nachzudenken und human zu handeln. Außerdem spielt dieses Gespräch auch eine wichtige Rolle in Bezug auf Recha, da der Tempelherr endlich zustimmt, in Nathans Haus zu kommen und somit Recha kennenzulernen und ihren Dank, den diese schon lange sehnlichst zu äußern wünscht, anzunehmen.