Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der folgende Sachtext befasst sich mit der Analyse und Interpretation des Gedichts „Nachtcafé“ von Gottfried Benn. Entstanden ist das Gedicht 1912 und berichtet von den Begebenheiten, die sich Nachts in einem Lokal abspielen.
Das Gedicht ist in acht Strophen aufgeteilt und erstreckt sich auf 24 Zeilen.
Es finden sich in den einzelnen Strophen Enjambements1, also Zeilensprünge. Der Autor lässt bewusst Freiräume um Wörter gesondert zu betonen. Sehr deutlich wird dies im Übergang zwischen den Zeilen 2 und 3, wo dass Wort „rülpst“ in den Vordergrund rückt.
Die Sätze sind vom Autor an bestimmten Stellen getrennt und erst in Verbindung mit der nachfolgenden Zeile wird der Sinn erkennbar. Wenn z. B. die Zeile 7 für sich alleine betrachte werden würde, so könnte man noch nicht erschließen, dass „Fett im Haar“ ein Mensch ist, der mit einer anderen Person spricht.
Auch sonst werden im ganzen Textverlauf viele Wörter benutzt, die man eher aus der Umgangssprache kennt. So fügt Benn Wörter wie „rülpst“ (Zeile 3), „brüllen“ (Zeile 15) oder „trippelt“ (Zeile 24) in sein Gedicht ein.
Das lyrische Ich ist ein Gast des Lokals und schildert die Vorkommnisse im Café aus seiner Besuchersicht.
Das Gedicht hat insgesamt vier Sinnabschnitte, die im Folgenden erläutert werden.
Die erste Strophe stellt eine Gruppe von Musikern dar, die unterschiedliche Tätigkeiten ausüben. Die Musiker erhalten keinen Namen, sondern heißen, wie ihre Instrumente. Es gibt das „Cello“, die „Flöte“ (beide Zeile 2) und die „Trommel“ (Zeile 4). Die drei Musiker machen eine Pause und „Das Cello“ trinkt rasch“ (Zeile 2), die „Flöte rülpst drei Takte lang“ (Zeile 2f) und „die Trommel“ liest einen Kriminalroman zu Ende“ (Zeile 4).
In den Strophen zwei bis fünf zeigt der Autor zwischenmenschliche Beziehungen auf. Wir finden auch hier wieder verschiedene Personen, die aber wieder mit Negativattributen betitelt werden und nicht somit erst auf den zweiten Blick als Menschen erkennbar werden. So gibt es da „Pickel im Gesicht“ der „Lidrandentzündung“ winkt (Zeile 5f). Sowie „Fett im Haar“ der zu „offenem Mund mit Rachenmandel“ spricht (Zeile 7f). Anschließend folgen noch zwei ähnliche Szenen, die auch zwischenmenschliche Beziehungen zeigen. Alle Menschen in den vier Strophen werden durch ihre Makel repräsentiert.
Die sechste Strophe ist der dritte Sinnabschnitt und beginnt mit der 35.Sonate von Chopin, gespielt in B-Moll. Die ersten kurzen Töne lassen „zwei Augen“ (Zeile 15) aufbrüllen und bringen eine Person dazu „Schluß!“ (Zeile 18) zu rufen. Die nicht spezifischer benannte Person versucht damit die „Zerlatschung“ der Sonate durch das „Pack“ (Zeile 17) zu verhindern.
Der letzte Themenabschnitt umfasst dann die beiden abschließenden Strophen und bringt ein Glanzlicht bzw. einen Höhepunkt in das Nachtleben des Cafés. Eine Frau betritt das Etablissement, diese hat etwas geheimnisvoll und übt eine neue Wirkung auf den Erzähler aus. Sie bekommt keinen Namensersatz. Sie wird aber trotzdem ein bisschen beschrieben. So heißt es sie sei „Kanaanitisch braun“ (Zeile 29), ein „Weib“ (Zeile 19) und vermeintlich „Keusch“ (Zeile 21). In den ersten Zeilen zu ihrer Person wird noch ein Zauber aufrecht erhalten, der jedoch verdrängt wird von einer „Fettleibigkeit“ (Zeile 24) die hinter der Dame her trippelt. Es sieht jetzt wieder so aus, als ob die Frau doch für Geld ihren Körper Freiern anbietet.
Das Gedicht vom Titel her betrachte zeigt Szenen in einem Nachtcafé. Es wird ungeschönt dargestellt, was Menschen nur durch Gäste des Cafés beobachtet machen. Alle Akteure bleiben anonym und werden nur durch ihre Eigenarten vom Erzähler beschrieben. Da das Gedicht in der Epoche des Expressionismus geschrieben wurde, schätze ich das wir uns in Deutschland, im Aufschwung befinden und wohl die Zeit der Industieralisung erleben, in der die ersten Clubs bzw. Nachtcafés entstanden. Es findet eine Form der Darstellung von Werteverfall statt. In die Moral- und Ethikvorstellungen vieler Menschen werden solche Situationen des Lebens wohl eher seltener gesehen bzw. wenn dann verschwiegen.
Das Gedicht soll mahnen, aufrütteln und kritisieren. Das ausschweifende menschliche Leben dieser Zeit wird in den Blickpunkt des Gedichts gerückt.
Das vorherrschende Menschenbild ist eher subjektiv. Benn stellt den Menschen rein als Objekt da und berührt bei seiner Darstellung des Menschen nur seine Hülle, als den Körper. Wie wir schon in den vorherigen Lesungen zweier seiner Gedichte feststellen durften, zeigt er den Menschen gerne nur anhand seines Seins ohne mehr von ihm zu beschreiben.
In „Nachtcafé“ bekommen die Protagonisten ihren Namen über ihr Aussehen oder ihre Tätigkeiten. Es gibt zwar anschließend noch eine kurze Tätigkeitsbeschreibung, aber das Innere oder Gefühle werden nicht benannt. Man lässt die Personen anonym und ihre Seelenwelt unangetastet.
In den Werken „Kleine Aster“ und „Schöne Jugend“ rückt das Thema Tod in den Mittelpunkt Benns Gedichts. So wird wieder nur der Körper gesehen, im Fall der beiden Gedichte der tote, jedoch finden sich auch dort keine näheren Beschreibungen zu den Menschen und ihrem vorherigen Leben. Es ist zwar bekannt, dass die Tote aus „Schöne Jugend“ wahrscheinlich jung gestorben ist und ihr Körper als Behausung von Ratten genutzt wurde, aber es finden sich keine detaillierten Persönlichkeitsmerkmale. Auch in „Kleine Aster“ findet man zwar die Beschreibung, dass es sich bei dem Toten um einen Bierfahrer handelt und das er wohl kräftiger gebaut war, aber auch hier nichts weitergehend Persönliches über ihn.
Es stellt sich damit für uns ersichtlich dar, dass die Personen bei Benn immer eine große Anonymität haben. Er arbeitet weder mit Namen noch mit näheren Beschreibungen zur Person. Die Menschen sind damit in seinen Gedichten eher als Dinger zu bezeichnen und spielen wahrscheinlich eine symbolische Rolle für eine ganze Generation oder Gesellschaft.
Benn formuliert Gesellschaftskritik auf eine zum Teil morbid und pervers wirkende Art und Weise. Man könnte es Schock-Literatur bezeichnen, die bei richtig verstandenem Hintergrund als eine Kritik an Gottfried Benns Umwelt verstanden werden kann.
Zwischenmenschliche Beziehungen spielen in dem von uns bisher erschlossen Werk Benns eine eher untergeordnete Rolle. Er stellt in „Nachtcafé“ die Beziehungen zwischen den Menschen als eher gesellig und zum Teil käuflich dar. Ansonsten findet man im Werk Benns keine wahre Liebe oder Zuneigung, die auch positiv beschrieben wird. So lieblos und nüchtern wie seine Gedichte geschrieben sind, so wenig herzlich ist auch die Verfahrensweise mit bzw. zwischen den Figuren seiner Gedichte. Es wird sich wenig um gefühlsmäßige Regungen gekümmert, diese finden wir erst bei den Lesern der Texte.
Abschließend kann man sagen, es ist gut möglich einiges in das Handeln der Personen aus „Nachtcafé“ hinein zu interpretieren, aber wenn man bei der Oberfläche bleibt, so kann man sagen, es wird ein buntes Treiben in einem Lokal beschrieben. Nüchtern und ruhig wie in den früher von uns gelesenen Gedichten findet man auch hier wenig Neues. Benn ist seinem Muster treu geblieben und hat sachlich Handlungen formuliert. Sein Menschenbild ist nüchtern und oberflächlich und auch für große zwischenmenschliche Beziehungen bleibt da wenig Platz.