Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Georg Heyms Gedicht entstand 1911, blieb titellos und wurde nach seinem Tod 1912 in der Gedichtsammlung Umbra Vitae veröffentlicht. Heym war im Januar 1912 beim Eislaufen auf der Havel1 ertrunken, nachdem er vergeblich versucht hatte, einem Freund zu helfen, der im Eis eingebrochen war. Teils erscheint der Text unter dem Titel des Gedichtbandes, teils unter dem Titel Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen.
Das Gedicht gehört in die Epoche des Expressionismus (1910-1920). Der Begriff ‚Expressionismus‘ stammt vom lateinischen Wort expressio (Ausdruck) und bedeutet ‚Ausdruckskunst‘. Die Dichter lehnten sich gegen die Tradition des 19. Jahrhunderts auf, das schon lange kritisiert wurde, aber bisher nicht in einer solchen Schärfe. Sie kritisierten aktuelle Entwicklungen wie die Industrialisierung, die Urbanisierung, die Zivilisation und das wilhelminische Bürgertum.
Expressionistische Themen waren die Großstadt, der Weltuntergang, der Krieg und der Ich-Zerfall. Viele Dichter wendeten sich in ihren Texten provozierend gegen bürgerliche Geschmacksnormen und einen künstlerischen Schönheitsbegriff, der bestimmte Themen ausschloss. Dementsprechend griffen sie hässliche Motive auf, wie Verfall, Tod, Wahnsinn, Krankheit und Verwesung, weshalb man auch von der Ästhetik des Hässlichen spricht. Dabei wurden hässliche mit schönen Elementen verschränkt oder traditionelle lyrische Bereiche ironisiert. Die Dichtersprache wurde auch zerschlagen, weil sie nicht mehr als Ausdrucksmittel der neuen Wirklichkeit taugte. Es handelt sich um Provokation, Spielerei und um ein Aufbegehren gegen die ästhetischen Werte der Bürger.
Das Gedicht gehört zum Motiv Weltende. Die rasch verlaufende Industrialisierung und Technologisierung am Anfang des Jahrhunderts beunruhigte viele Menschen, weil sie den Veränderungen mental nicht gewachsen waren. Ein weiterer Grund für die Untergangsstimmung war die Wiederentdeckung des Halleyschen Kometen, der sich 1910 näherte und viele einen Zusammenstoß mit der Erde befürchteten. Die junge Generation betrachtete ihre Zeit als erstarrt. Sie fanden die Welt monoton und sahen im Fortschritt nur noch mehr Entfremdung. Unfreiheit, Verunsicherung und Angst führten teilweise zu dem Verlangen, den Untergang dieser inhumanen Welt heraufzubeschwören. In der Lyrik wurde visionär eine Apokalypse dargestellt, die über ihre Welt hereinbrechen sollte, um sie zu verändern. Georg Heym vollzog dies in Der Gott der Stadt, Der Krieg und in diesem Gedicht. Der Begriff Weltende bezog sich auf die bürgerliche Welt oder allgemein auf die moderne Wirklichkeit. Viele Expressionisten verdammten, was sie umgab und beschworen pathetisch nach dem Untergang eine neue Welt und/oder einen neuen Menschen.
Man kann das Gedicht auch zum Verfallsmotiv rechnen. Da mehrere Dichter ihre Zeit verurteilten, setzten sie sich mit dem Verfall und der Vergänglichkeit auseinander, wobei der Verfallsvorgang unterschiedlich dargestellt wurde. Gottfried Benn schildert beispielsweise den Verfallsprozess in Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke an Krebspatienten. Heym stellt den Verfall eindringlich in mehreren Bildern dar.
Die Expressionisten kritisierten auch das deutsche Bürgertum, das während des 19. Jahrhunderts zu einer staatkonformen Klasse geworden war, deren wirtschaftliche Expansionskräfte in Kontrast standen zur Unterwürfigkeit, mit der sie sich am Kaiser und der Aristokratie orientierte. Seit Nietzsche und dem Naturalismus finden sich in der Literatur und anderen zeitgeschichtlichen Strömungen viele kritisch-parodistische Darstellungen des Bürgertums. Das erste expressionistische Gedicht, das das Bürgertum kritisierte, war Weltende (1911) von Jakob van Hoddis. Das Bürgertum wird auch im vorliegenden Text kritisch dargestellt.
Heym bedient sich einer strengen, traditionellen Gedichtform. Das Gedicht besteht aus zehn Strophen, die vier Verse im Kreuzreim enthalten und alle in weiblichen Kadenzen2 enden. Teils wird eine elfte Strophe mit abgedruckt, die aber bei Heym in Klammern stand und demnach auch hier vernachlässigt wird. Das Versmaß ist fast durchgängig ein fünfhebiger Jambus. Es tritt kein lyrisches Ich hervor, sondern ein Sprecher, der das Geschehen beschreibt. Heym distanziert das lyrische Ich in seinen Texten häufiger.
Zu Beginn des Gedichts stehen die Menschen untätig in den Straßen und betrachten die „großen Himmelszeichen“ (V. 2), wo sie Kometen sehen. Heym spielt auf die Angst vor dem Halleyschen Kometen an und verdeutlicht, dass sich manche Zeitgenossen bedroht fühlen, indem sie stocken und handlungsunfähig erscheinen. In diesem Bild drückt er auch ausdrucksstark die Erstarrung des Bürgertums aus. Im Gegensatz dazu werden die Kometen personifiziert: Sie schleichen und haben „Feuernasen“ (V. 3), womit Heym ihren Feuerschweif meint. Normalerweise sausen Kometen schnell über den Himmel, was Heym verfremdet und verdeutlicht, dass die Himmelskörper für die Bürger in ihrer Angst bedrohlich zu schleichen scheinen. Der Begriff ‚Feuernasen‘ wirkt allerdings verharmlosend und schafft eine Distanz des Sprechers zur Panik der Menschen, in der leichte Ironie mitschwingt.
Die zweite Strophe richtet den Blick auf Sternedeuter, die durch die Angst der Bürger zu Rat gezogen wurden und auf den Dächern ihre Röhren in den Himmel halten. Mit den Sternedeutern können Astronomen oder Laien gemeint sein, die versuchen zu erkennen, ob der Halleysche Komet auf der Erde einschlagen wird. Sie können aber auch nicht mehr ausrichten als die Zauberer, die sich dazu gesellen und das Unheil durch Beschwörungen von Sternen aufhalten wollen. Sie wachsen wie Tiere aus den Bodenlöchern, mit denen die Dachfenster gemeint sind. Der Sprecher distanziert sich noch deutlicher von der Angst mancher Zeitgenossen, indem er in ironischem Ton darstellt, dass die Welt von Aberglauben geprägt ist. Damit rückt er die Gesellschaft in ein kritisches und lächerliches Licht.
In der dritten Strophe kriechen „Krankheit und Misswachs“ (V. 9) durch die Tore. Die Krankheit wird personifiziert wie die Betten, die die Kranken tragen. Viele sterben und die Särge werden rasch fortgeschafft. Heym erzielt eine unheimliche Atmosphäre und weckt Assoziationen an frühere Seuchen und Plagen wie die Pest. Damit knüpft er an mittelalterlichen Vorstellungen des Weltuntergangs an, nach denen die Pest als eine der zehn Plagen auch ein Zeichen war, das die Endzeit ankündigte. Diese Strophe verdeutlicht, dass es durchaus eine Bedrohung gibt, dass diese aber nicht vom Halleyschen Kometen ausgehen muss. Es ist unklar, woher die Gefahr kommt, was die unheimliche Wirkung steigert.
In den Strophen 4 bis 6 werden Selbstmörder beschrieben, die „in Horden“ (V. 13) auftreten und ihr „verlornes Wesen“ (V. 14) suchen. Hier klingt das Motiv des Ichzerfalls an, weil viele Menschen in der gegenwärtigen Welt nicht in Einklang mit sich leben. Auf ihrer Suche zerfegen sie den Staub mit ihren „Armen-Besen“ (V. 16). Heym verbindet die Selbstmörder mit dem damals alltäglichen Beruf des Straßenkehrers, womit er verdeutlicht, dass sie in der beschriebenen Welt zum Alltag gehören. Hier könnten auch die harten Arbeitsdingungen in der Zeit der Industrialisierung kritisiert werden. Demnach arbeiten viele so hart und viel, dass sie schon gebückt gehen und mit dem Arbeitsgerät verwachsen zu sein scheinen, wodurch der Sprecher die Menschen verdinglicht und wohl kritisiert, dass sie als Arbeitswerkzeug behandelt werden. Die Opfer, die Selbstmörder, werden aber auch in ein kritisches Licht gerückt, indem sie maschinenartig umherwandeln anstatt etwas zu unternehmen.
Die Selbstmörder werden in der fünften Strophe mit Staub verglichen. Staub ist das Element, das am Ende des Verwesungsprozess steht, dem sie bereits zu ähneln scheinen. Sie befinden sich also schon vor ihrem Tod in einem Verfallsprozess, der schnell voranschreitet. Plötzlich fallen ihnen die Haare aus und sie springen „in Eile“ (V. 19) in den Tod, bevor sie gänzlich zerfallen. Heym verdeutlicht in diesem abstrakten Bild expressiv die beschädigte Psyche der Selbstmörder. Sie wollen scheinbar nach ihrem harten Leben wenigstens über den Zeitpunkt ihres Todes selbst entscheiden und in Würde sterben. Ihr Selbstmord stellt eine Flucht aus der negativ dargestellten Welt und / oder vor dem Halleyschen Kometen dar und enthält für sie einen Funken Hoffnung auf etwas Besseres. Sie landen auf einem Feld, wo sie mit „totem Haupt“ (V. 20) liegen. Heym verdeutlicht ihren endgültigen Verfall, indem er sie in Form einer Metonymie3 auf ihren Kopf reduziert.
Die Hoffnung der Selbstmörder, der Welt durch ihren Tod in Würde zu entgehen wird in der sechsten Strophe zerschlagen, denn sie sterben ebenso unwürdig wie sie leben mussten. Heym verdeutlicht ihre Todesqualen in dem elliptischen Satz „[n]och manchmal zappelnd“ 6, 1), wodurch er ein Ekel erregendes Bild entwirft, weil der Begriff ‚zappeln‘ den Leser eher an verendende Käfer denken lässt. Auch der Satz „Sie strecken alle viere“ (V. 23) erinnert an tote Tiere, wodurch die Menschen den Tieren gleichstellt und ihre Bedeutungslosigkeit unterstrichen wird. Die Tiere auf den Feldern stoßen ihnen blind die Hörner in den Bauch und sie werden nicht bestattet, sondern bleiben unwürdig unter dem Gestrüpp liegen. Mit diesem grotesken Bild des Todes könnte Heym kritisieren, dass viele massenweise den Freitod wählen, um vor der kritisierten Welt oder vor dem Halleschen Kometen zu flüchten. Diese Strophe drückt deutlich Hoffnungslosigkeit aus, weil selbst der verzweifelte Akt eines Freitods nichts ändern kann. Der Suizid ist in der Bibel eine Sünde und unabhängig davon, ob Heym ihn in religiöser Hinsicht verurteilt, so stellt er die Selbstmörder kritisch dar. Sie wirken wie Automaten, die scheinbar blind umherwandeln und keine andere Lösung sehen, anstatt etwas zu unternehmen oder das wahre Problem zu erkennen. In den ersten sechs Strophen stellt Heym also die verfallene Gesellschaft dar.
(Hinweis an dieser Stelle: Die 7. Strophe wird in dieser Interpretation nicht berücksichtigt. Diese Strophe wird häufig nicht mit abgedruckt.)
In den folgenden Strophen richtet sich der Blick auf die Natur, die wie die Menschheit durch Stillstand und Tod geprägt ist. Heym stellt nicht die reale Natur dar. Die Natur wird im Expressionismus der Sicht des Sprechers angepasst und steht für bestimmte Stimmungen. Sie verdeutlicht in diesem Gedicht in weiteren Bildern den Verfall und die Erstarrung der beschriebenen Welt. Die Meere stocken und personifizierte Schiffe bleiben „modernd und verdrossen“ (V. 30) in den Wogen hängen. Auch die Schiffe befinden sich im Verfall. In dem dritten Vers heißt es „keine Strömung wird gezogen“ (V. 31), was in einem weiteren Bild den Stillstand der Meere beschreibt. Man fragt sich, vom wem die Strömung gezogen werden soll, worauf der vierte Vers Auskunft gibt: „Und aller Himmel Höfe sind verschlossen“ (V. 32). Diese Metapher5 verdeutlicht, dass die Religion keine Hilfe bietet, sondern die Kommunikation zu Gott gestört zu sein scheint. Der Mensch und die Natur sind in ihrer Not sich selbst überlassen, wodurch erneut Hoffnungslosigkeit ausgedrückt wird.
In der neunten Strophe erfährt der Leser, dass die Jahreszeiten ebenfalls ins Stocken geraten sind: „Die Bäume wechseln nicht die Zeiten und bleiben ewig tot“ (V. 33-34). Heym drückt in einem Neologismus6 aus, wie sie ihre Äste über die „verfallenen Wege spreiten“ (V. 35). In diesem Wort verbindet er die Wörter ‚spreizen‘ und ‚ausbreiten‘. Im Expressionismus wurde öfter die Sprache verfremdet, um die Aussage zu steigern. Die Äste werden zu „Finger-Hände[n]“ (V. 36), wodurch auch die Bäume personifiziert werden und Heym an den Armen-Besen der Menschen anknüpft. Die Menschen werden verdinglicht, während die Natur und vieles mehr vermenschlicht wird, was grotesk und bedrohlich wirkt. Die Natur, die Menschen und die Tiere werden auf eine Ebene gestellt, wodurch Heym wohl betonen will, dass alles gleichermaßen vom Verfall und Untergang betroffen ist.
Die Strophe 10 wendet sich wieder dem Thema Sterben zu. Der Satz „Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben“ (V. 37) erweckt erneut den Eindruck, dass mit dem Tod eine Erwartungshaltung und möglicherweise eine gewisse Hoffnung verbunden ist. Aus der achten Strophe ging aber hervor, dass damit nicht das Paradies gemeint sein kann, weil die Kommunikation zu Gott gestört ist. Der zweite und dritte Vers verdeutlichen, dass der Übergang vom Leben zum Tod sehr schnell geht: „Und eben hat er noch ein Wort gesprochen. Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?“ Man hat den Eindruck, dass Erwachen und Sterben ineinander übergehen und keinen Gegensatz mehr bilden. Es kommt ein gewisser Zweifel auf und es schwingt ein leises Entsetzen mit, das sich steigert, als Heym von Augen spricht, die „wie Glas zerbrochen“ (V. 40) sind und dadurch den Tod komplett negativ darstellt. Die Strophe betont die Bedeutungslosigkeit eines Menschenlebens, das zu schnell vergeht, um die drohende Katastrophe zu erkennen und abzuwehren. Demnach herrscht auch am Ende Hoffnungslosigkeit vor.
Die 11. Strophe hat eine besondere Funktion im Gedicht. In den ersten beiden Versen heißt es, dass es viele Schatten und Träume gibt, die „[t]rübe und verborgen“ (V. 41) sind. Damit wird ein Bezug zum Titel der Gedichtsammlung (Umbra Vitae = Schatten des Lebens) bzw. des Gedichts hergestellt. Daraus kann man schließen, dass Heym verdeutlichen will, dass das Leben so öde und wesenlos wie ein Schatten oder ein hoffnungsloser Traum ist. Das Gedicht hat die Schatten des Lebens vorgestellt: Stillstehende Menschen, vermeintliche Zauberer und Sternedeuter, Kranke, Sieche, Selbstmörder, blinde Tiere, stockende Meere und verdorrte Bäume. Mensch, Tier und Natur sind also nur noch Schatten ihrer selbst, sie vegetieren vor sich hin und enden in Erstarrung und Tod. Die letzten zwei Verse verdeutlichen, dass es sich beim Geschilderten (nur) um einen Traum handelt. Der Träumer erwacht „bedrückt von andern Morgen“ (V. 43) und muss sich den schweren Schlaf von „grauen Lidern“ (V. 44) streifen. Der Schlaf hat keine Erholung gebracht, sondern erschöpft. Am Ende gibt es keine Hoffnung, aus dem todesähnlichen Schlaf gerissen zu werden, sondern das Erwachen erweist sich nur als Störung aus dem als Todesschlaf empfundenen Leben. Heym verdeutlicht eine extrem negative melancholische Einstellung zur Welt, der man nicht durch einen Selbstmord oder im Schlaf entgehen kann.
Die dramatische Aussage wird nicht dadurch gemildert, dass der Sprecher geträumt hat. Im Traum ist alles möglich und so wird dem Sprecher das Übel der Welt und der drohende Untergang im Traum nur noch deutlicher. Alle Menschen kennen das Gefühl, aus einem Alptraum hochzuschrecken und sich zu freuen, dass es nur ein Traum war. Aber eben diese Erleichterung fehlt im Text. Es wird klar, dass es Gefahren gibt: „Schatten sind viele“ (V. 41). Die Bedrohung bleibt jedoch für viele „[t]rübe und verborgen“ (V. 41). Dem Sprecher und manchem Leser ist die Gefahr bewusst, die nicht von einer Naturkatastrophe ausgeht, sondern aus der Gesellschaft selbst kommt, die durch blinden Aberglauben, harte Arbeit und Suizid geprägt ist. Die Gesellschaft scheint sich in ihrer Naivität und ihrem Gehorsam selbst zu zerstören und dadurch zu verfallen. Heym stellt also eine erstarrte Welt dar, in der die Menschen, Tiere und die Natur dem Untergang geweiht sind und alles auf Verfall und Tod hinausläuft. Das Weltende scheint unabwendbar, weshalb man von einer Untergangsvision sprechen kann. Zur Erstarrung des öden Lebens passen der monotone Rhythmus, die gleich bleibende Form und die einfachen Sätze.
Das Gedicht weist viele Ähnlichkeiten zum berühmten Weltende von van Hoddis auf. Van Hoddis verdeutlicht auch, dass die Gefahr nicht vom Halleyschen Kometen, sondern von den Bürgern ausgeht. Beide Autoren meinen mit dem Begriff ‚Weltende‘ besonders das Ende der bürgerlichen Welt, deren Beseitigung notwendig ist und in ihren Gedichten vorwegnehmend vollzogen wird. Das Gedicht Weltende beschreibt den Untergang des Bürgertums mit viel Ironie. Heyms Text enthält weniger Ironie und wirkt viel beklemmender, weil der Sprecher unter der gesellschaftlichen Situation leidet. Durch die Sternedeuter, die Zauberer und die Anspielungen auf die Pest bekommt sein Text einen kündenden, prophetischen und dadurch dramatischen Ton.
Die starre Form kontrastiert er mit neuen Themen, womit er die Lesererwartung desillusioniert. Dies gelingt ihm auch durch unkonventionelle, groteske4 Bilder, die typisch für ihn ist. Darin finden sich immer viele Personifikationen7, was man auch in Der Gott der Stadt oder in Die Tote im Wasser sehen kann. Hier personifiziert er Kometen, Krankheit, Misswachs, Betten, Bäume und Träume, während die Menschen handlungsunfähig sind. Die ungewöhnlichen Bilder ergeben sich auch durch die Verbindung von Wörtern, die nicht zusammen gehören. Menschen werden mit Gegenständen oder Tieren verbunden: Arme verschmelzen mit Besen, Zauberer wachsen aus ihren Löchern und Selbstmörder sterben zappelnd und strecken dann alle viere von sich wie ein totes Tier. Dadurch verfremdet Heym das Vertraute und steigert seine Aussage.
Heym kritisiert nicht konkrete gesellschaftliche Missstände der wilhelminischen Ära, sondern drückt ein verzweifeltes Lebensgefühl aus, das auf den Leser erschreckend wirkt. Der Text könnte eine Möglichkeit darstellen, diesem unter Expressionisten verbreiteten Gefühl zu entgehen, was jedoch unmöglich erscheint. Ein Gedicht darf nie zu biographisch gedeutet werden, aber man kann davon ausgehen, dass der Autor seine Gefühle in den Text einfließen ließ. Seine Tagebucheinträge verraten, dass er unter der starren Gesellschaftsordnung des wilhelminischen Kaiserreiches litt. Er fühlte sich unfrei, war verzweifelt, langweilte sich und sehnte sich nach Taten und Veränderungen. Er konnte sich der Gesellschaft nur durch Fluchtfantasien und theatralische Selbstmordvorstellungen und -androhungen entziehen. Heym wusste, dass er die Enge der einschnürenden bürgerlichen Existenz nicht wollte, er wusste aber nicht, wo dies hinführen sollte. Dies scheint sich im Gedicht widerzuspiegeln, weil keine Lösung angeboten wird. Andere Expressionisten beschworen den neuen Menschen, bei Heym bleibt die Hoffnungslosigkeit, die sich oft in expressionistischen Texten findet.