Autor/in: Georg Heym Epoche: Expressionismus Strophen: 3, Verse: 12 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4
In Maiensaaten liegen eng die Leichen,
Im grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten.
Verlorne Waffen, Räder ohne Speichen,
Und umgestürzt die eisernen Lafetten.
Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
Die schwarz und rot den braunen Feldweg decken.
Und weißlich quillt der toten Pferde Bauch,
Die ihre Beine in die Frühe strecken.
Im kühlen Winde friert noch das Gewimmer
Von Sterbenden, da in des Osten Tore
Ein blasser Glanz erscheint, ein grüner Schimmer,
Das dünne Band der flüchtigen Aurore
Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Jahr: 08.09.1910 (Vorausdeutung auf den 1. Weltkrieg? -> Beginn des 1. Weltkriegs wird heute auf den 28.07.1914 datiert, zahlreiche Krisen vor 1914 wie z. B. die Annexion Bosniens und Herzegowina von Österreich-Ungarn im Jahr 1908)
Veröffentlichung posthum im Jahr 1912
Reimschema: Kreuzreim/Wechselreim (abab)
Titel gibt Thema und „Handlung“ bereits vor.
„Maiensaaten“ gibt Rückschluss auf Zeit und Ort: Acker, Mai/Frühling.
„In Maiensaaten liegen eng die Leichen“ (V. 1): Metapher1 und Depersonifizierung. Die Leichen liegen wie Saatgut eng aufgereiht. Gleichzeitigkeit von Leben und Tod (aus der Saat entsteht neues Leben).
„Rain“ (V. 2): Unbewirtschafteter Ackerstreifen zwischen zwei bewirtschafteten Äckern.
Ortsbeschreibung: Waffen und kaputte Räder von Geschützen liegen verstreut umher (V. 3). Umgestürzte Lafetten (fahrbarer Unterbau eines Geschützes) (V. 4). Leichen liegen (massenhaft) umher (V. 1), Blutlachen (V. 5), Ölpfützen (?) oder Blut liegt vermischt mit Dreck oder bereits geronnen auf dem Feldweg. Zerstörerische Energie des Krieges wird deutlich.
Die vielen Blutlachen sind noch warm (V. 5, „[es] dampft des Blutes Rauch“). Das Wort „Rauch“ wird hier doppeldeutig verwendet und wird sonst mit Feuer oder einer Verbrennung in Verbindung gebracht -> kriegerische Sprache.
Farben: grün (V. 2), schwarz, rot, braun (V. 6), weiß (V. 7), grün, blass (V. 11). Weitere Farben sind latent2 vorhanden (z. B. Blumen=bunt, Rauch=grau oder schwarz, Kühle/frieren=blau). Farbe im Gedicht wechselt: Anfangs steht Grün/Bunt den Leichen antithetisch gegenüber, dann steht Rot/Schwarz/Braun für den Tod, daraufhin betont Blau die distanzierte Kälte des lyrischen Ichs zum eigentlichen Kriegsgeschehen und zum Schluss erscheint ein (Hoffnungs-)Schimmer in blassen Grün.
Tote Pferde mit aufgequollenen Bäuchen (durch eine Mangelernährung bzw. durch falsche Fütterung in Folge einer problematischen Futterversorgung), ungeschönte Darstellung der Verletzungen (V. 7), Beine der Pferde sind nach oben bzw. zur Seite ausgestreckt (V. 8, „Beine in die Frühe strecken“ = Beine zeigen Richtung Osten wie ein Wegweiser, weil dort auch die Schlacht noch zu hören ist)
Kühle (V. 9, das Gewimmer friert -> Personifikation3). Wehklagen der gefallenen Soldaten ist noch unmittelbar wahrnehmbar, die Schlacht ist nahbar. (V. 9)
Sterbende treten über in das Reich der Toten. Werden von der Göttin Aurora (Göttin der Morgenröte) empfangen. Osten=Sonnenaufgang. Sie zeigt sich nur flüchtig und undeutlich (-> evtl. auch als Einbildung infolge der schlechten körperlichen und geistigen Gesundheit des lyrischen Ichs)
Das Ende nimmt wieder Bezug zum Beginn des Gedichts, nämlich zur Jahreszeit in V. 1 (Frühling -> Ostara). Anfang und Ende gehen ineinander über und führen zu einem Kreislauf (Vergleich mit den Jahreszeiten drängt sich auf, Winter=Krieg).
Hoffnung auf Neuanfang.
Die Opfer aus der Schlacht könnten symbolisch als (Blut-)Opfer die Göttin Aurora stehen -> Die Göttin nimmt das Opfer an
Starke Ähnlichkeit mit anderen expressionistischen Gedichten wie Grodek von Georg Trakl
Aurora
Römische Göttin. Gleichzusetzen mit der griechischen Göttin Eos.
Göttin der Morgenröte.
Die Frühlingsgöttin Ostara (germanisch) leitet sich von Aurora (römisch) ab.
Ostara stand ebenso für den Osten und für den Sonnenaufgang.
Ostern wird in Skandinavien auch „Siegopfer“ genannt. Siegopfer ist ein Fest Odin (germanischer Kriegsgott) zu ehren und deutet darauf hin, dass mit dem Frühling nun wieder die Zeit der Kämpfe stattfinden werden.