Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Es gilt als das Auftaktgedicht des Expressionismus: „Weltende“ von Jakob van Hoddis. Kein zweites Gedicht prägte den Expressionismus, der in Früh- (1910-1914), Kriegs- (1914-1918) und Spätexpressionismus (1918-1925) unterteilt werden kann, so nachhaltig. Trotz seiner Kürze, 2 Strophen à 4 Verse, artikulierte es die Verachtung gegenüber der stumpfen Bürgerlichkeit und beschreibt die ersehnte Apokalypse. Vor allem Jugendliche sehnten sich nach Veränderung, dem Einreißen des Alten und Morschen und einem Neubeginn. So wurde „Der Sturm ist da“ aus Weltende gleichsam eine Losung und eine Verheißung für eine bessere Welt. Im Vordergrund stand für die Expressionisten der Ausdruck ihrer innerlich gesehenen Wahrheiten und Erlebnisse. Sie alle spürten die Umbruchs-, ja Endzeit anbrechen und thematisierten die vom Verfall gekennzeichnete Welt.
Das Gedicht ist traditionell und einheitlich gegliedert. Es besteht aus 12 Strophen à 4 Verse. Bereits hier ist eine Besonderheit zu erkennen: Inhalt und Form gehen diametral1 auseinander. Das Gedicht beschreibt eine von Dämonen beherrschte Stadt, die dem Untergang geweiht ist und trotzdem wird dies geordnet, sachlich in eine Form gezwängt, die nicht recht passen mag. Verständlich wären ungleich lange Verse, die das Chaos und die Angst der Menschen widerspiegeln. Häufig benutzten die Expressionisten sogar die Form des Sonetts, eine der strengsten Formen!
Heym schwört einen leicht schleppenden Rhythmus herauf, der die Größe und Schwerfälligkeit der Dämonen nachempfunden ist. Bis auf zwei Ausnahmen in Strophe 9 und 11 ist der Versschluss männlich und impliziert dadurch eine gewisse Aggressivität. Der Einsatz vieler Enjambements3 (Bsp. V13, 15, 22, 25…) lässt das Gedicht unberechenbar erscheinen und beugt einer gewissen Monotonie vor. Strophe 5 ist sogar ein einziges Enjambement und wird dadurch besonders betont.
Auch mit der Wahl des Blankverses bleibt Heym der Tradition treu und wählt ein klassisches Metrum5. Verglichen mit dem Inhalt von Goethes Werken scheint dies eine Farce zu sein, beschreibt Heym doch den Untergang seiner Welt durch einen nicht humanen Menschen. Eine Ausnahme findet sich jedoch in Vers 25, der mit einer betonten Silbe beginnt und damit den unbestimmten Artikel „Einer“ betont. Zu dem ist ein einfacher Kreuzreim gewählt, der bis auf ein paar Ausnahmen (Strophe 4, 7, 10) reine Reime beinhaltet.
Aber nun soll der Inhalt näher betrachtet werden. Wie bereits erwähnt wurde, stehen sich Form und Inhalt diametral entgegen.
Das Gedicht „Die Dämonen der Stadt“ beschreibt, wie auch schon aus dem Titel ersichtlich wird, übermächtige, riesengroße Dämonen, die die Stadt im Griff haben. Diese schrecken auch nicht vor physischer Vernichtung der Menschen und der Zerstörung der Stadt zurück.
Zu Beginn des Gedichts wird dem Leser beschrieben, wie die Dämonen durch die Stadt ziehen und sich die Städte, allen voran aber die Menschen, vor ihnen fürchten, denn sie sind so groß, dass Wolken ihren Bart bilden. Die Verse 5-8 lassen erkennen, dass bereits die Schatten der Dämonen, die die Stadt in völlige Dunkelheit tauchen, Furcht und Angst verbreiten und das obwohl sie selbst noch nicht zu sehen sind. Doch ihre Schatten verkünden Unheilvolles und lassen keinen Einwohner unberührt. Anschließend werden die Dämonen als riesengroße Wesen dargestellt, die, groteskerweise, auf den Bauten der Menschen sitzen. Die Menschen unter ihnen stimmen traurige Musik an von Angst, Trauer und Verzweiflung gepackt (Vers 13-16). In folgender Strophe ist nicht eindeutig zu sagen wer gemeint ist, entweder die Menschen, um die es gerade eben noch ging, oder die Dämonen. Sie wandern an einem Fluss entlang. Jetzt (Strophe 6) greifen sich die Dämonen sogar Menschen aus der Masse. Die allmächtigen, fast gottgleichen Dämonen sind in der Lage den Mond zu verdunkeln, so dass die Schwärze der Nacht noch mehr auf den Häusern der Stadt lastet. Die Häuser drohen unter dem Gewicht der Dämonen kaputtzugehen, ein Dach zerbirst bereits (Strophe 8). Die Dämonen währenddessen heulen den Mond wie Katzen an. Nun wechselt der Blickwinkel. In Strophe 9 wechseln wir von der Stadt im Ganzen in eine Stube einer schwangeren Frau. Sie hat bereits Wehen und die Geburt steht kurz bevor, um sie herum stehen „die großen Teufel“ (V. 36), wie anzunehmen ist, die Dämonen. In der folgenden Strophe bringt die Frau ein Kind zur Welt. Doch es hat keinen Kopf (Strophe 11)! Die Frau droht besinnungslos zu werden. Die letzte Strophe gibt keinen Anlass zur Hoffnung auf eine Besserung der Lage der Großstadtmenschen, denn die Dämonen werden noch größer, sie verursachen sogar ein Erdbeben. Es scheint fast, als stehe die Apokalypse, die vollständige Zerstörung der bisherigen Welt in ihrer Gänze kurz bevor!
Nun möchte ich den Blick auf die rhetorischen und sprachlichen Besonderheiten des Gedichts lenken. Gerade im Expressionismus blühte die Lyrik auf, denn sie war perfekt geeignet, um kurz und knapp ohne einen geschichtlichen Rahmen Gedanken und Gefühle zu gewissen Themen zum Ausdruck zu bringen. Um die Wirkung ihres Gedichts zu unterstreichen, nutzten die Autoren die Möglichkeiten der deutschen Sprache maximal aus. Besonders beliebt bei den sogenannten Seismographen wie Heym, Trakl oder van Hoddis war der Adjektiveinsatz. Auch hier ist eine Vielzahl an Adjektiven eingebaut. Heym nutzt sie um ein treffendes Bild der Dämonen zu zeichnen, beispielsweise „schwer, langsam, breitbeinig, riesengroß“ (V. 21, 8, 31, 45). Hier entsteht ein Bild riesengroßer, schwerfälliger und massiger Wesen, die sich sehr behäbig bewegen, aber trotzdem eine große Kraft in sich bündeln. Besonders hervorgehoben werden diese Adjektive durch Voran- oder Nachstellung: „Breitbeinig sitzen sie auf einem First (…)“ (V. 31). Die geschickt eingesetzte Inversion7 und die Betonung der ersten Silbe lenken auf dieses Eigenschaftswort besondere Aufmerksamkeit. Ebenso: „Doch die Dämonen wachsen riesengroß.“ (V. 45). Auch die trägen bis passiven Verben bestätigen den Eindruck der Dämonen (vgl. Strophe 3, 6). Im Kontrast zu den Dämonen stehen die Adjektive die für die Menschen bzw. die Städte eingesetzt werden („traurig, dumpf, grell, tief, zitternd, blutend“ V14, 15, 28, 37, 40), sie drücken die Unterlegenheit aus, in die sie sich bereits ergeben und mit der sie sich abgefunden haben. Sie scheinen sogar von ihrer Verzweiflung und Angst bereits abgestumpft zu sein („dumpf“). Verglichen mit den Städten und Menschen wirken die Dämonen überlegen, ja geradezu übermächtig, fast göttlich. Bestimmt wird dieser Eindruck der Hilflosigkeit und Unterlegenheit der Menschen auch durch den Farbeinsatz von schwarz und rot.
Des Weiteren bedient sich der Autor mehrerer Wortneuschöpfungen. Auffällig sind hier „Städtemeer“ (V. 14) bzw. „Häusermeer“ (V. 5) und „Schifferbärte“ (V. 3), die beide das zusammenpassende Paar Schiff und Meer beinhalten. Schiffe machen sich das Meer zunutze, um sich fortzubewegen, neue Länder zu erreichen, ja, sie machen es sich richtiggehend zu Untertan, das Meer, auf dessen Wellen sie thronen. Genauso ist es auch im Gedicht. Die Dämonen thronen auf den Häusern der Stadt und machen sich den Menschen zum Knecht.
Außerdem stechen die Neologismen8 „Froschfinger“ (V. 44) und „Schläfenhorn“ (V. 46) ins Auge. Beide Male verbindet der Autor ein menschliches mit einem tierischen Körperteil. Es entsteht also ein „Menschtier“, das gewissermaßen die Geburt einer neuen Spezies vielleicht sogar einer neuen Herrscherrasse impliziert. Die Froschfinger erwarten die Frau von hinten, wenn sie fällt und das Schläfenhorn zerreißt den Himmel. Eine hinterlistige und gefährliche neue Rasse also. Auch benutzt Heym den Reihungsstil9, um disparate10 Bilder hintereinander aufzuzeigen (vgl. Strophe 11): Die Teufel mit Giraffenhälsen (Vergleich) und das Kind ohne Kopf, sowie die Mutter, die es vor sich hin hält. Eine Reihung von geradezu grotesken, ja unvorstellbaren Bildern, die die Besonderheit der Situation aufzeigt. Denn wenn die Apokalypse anbricht, dann gerät die alte Welt, so wie wir sie kennen, aus den Fugen. Dann prasseln schreckliche Erlebnisse wie Hagelkörner auf uns ein.
Heym stellt die Städte personifiziert dar und verleiht dem Menschen einen Objektcharakter. Dadurch erreicht er eine Abwertung des Menschen, der sich für die Krone der Schöpfung hält. Mit ihm verlieren auch seine Werke z. B. die Stadt an Bedeutung. Die Stadt wird als schwach und ängstlich dargestellt, die sich vor den Dämonen duckt (vgl. V. 1f), um sich vor dem Tod bringenden Tritt der Dämonen zu schützen. Doch es nutzt nichts, sie droht unter dem Gewicht der Dämonen vollends zerstört zu werden: „Der Städte Schulter knacken“ (V. 29), wie bei einem Menschen, der ein zu großes Gewicht tragen muss. Die Menschen stellt Heym als unpersönliche Objekte dar, eine graue Masse ohne Individuen („Schwarm der Menschen“ V22f). Durch den anschließenden Vergleich werden sie zusätzlich abgewertet, in dem er sie mit Schlamm gleichsetzt, in den die Dämonen greifen. Auch das Neugeborene benennt er als „Frucht“ (V. 39) und degradiert es. Ebenfalls wird der Schoss der Mutter mit unpassenden Adjektiven belegt („rot und lang“ V39/40). Außerdem reißt ihr Schoss von der Frucht entzwei, was nicht wirklich passt. Dieser Ausdruck lässt allerdings eine gewisse Nüchternheit, ja Kälte der Frau gegenüber erkennen, die der Depersonalisierung der Menschen zuträglich ist. Zudem nimmt Heym dem Kind den Kopf und damit die Möglichkeit zu leben.
Visuelle und akustische Bilder verstärken die Angst und den Schrecken des Lesers vor der Apokalypse. Beispielsweise das Dach, welches birst und aus dem rotes Feuer schwemmt (vgl. Strophe 8) oder die schreiende Schwangere mit ihrem riesigen Leib (vgl. Strophe 9). Das gewaltigste Bild aber zeigt Strophe 12 auf. Dämonen zerreißen den Himmel mit ihrem Horn, dieser blutet nun. Außerdem donnert ein Erdbeben durch die Stadt und Feuer umtanzt die Hufe der Dämonen. Wir hören also die Schmerzensschreie der Frau, das Bersten des Hauses, sehen das Feuer brennen und den riesigen Leib der Frau, hinzukommt, das Erdbeben, dessen Donner wir am eigenen Leib spüren. Richtiggehend also die Verknüpfung der Sinne. Hören, Sehen, Fühlen wird zur Synästhesie11 und verstärkt den Eindruck des Gedichts beim Leser. Da würde jedem angst und bange, zumal bereits der unerreichbare Himmel, die Wohnstätte Gottes verletzt ist!
Als letztes sollte man noch auf die Darstellung der Dämonen in grotesken Schreckensbildern zu sprechen kommen. Zunächst einmal werden sie personifiziert als übergroße Wesen, die durch die Städte wandern (vgl. V. 1). Sie sind so groß, dass schwarzer Rauch und Kohlenruß, um ihr Kinn stehen und wie „Schifferbärte“ (V. 3) wirken. Die Dämonen reichen also sogar über die Wolken hinaus und lassen die Menschen wie Ameisen wirken. Schon ihr Fuß vermag die Stadt zu zerstören! Lässig sitzen sie auf dem Turm, eine groteske6 Vorstellung, und überblicken die gesamte Stadt (vgl. Strophe 3). Die Dämonen sind Unwesen, die wie Tiere in die Menschenmenge wie in Schlamm hineinbohren (vgl. Strophe 6), gleichgültig was mit den Menschenmassen passiert. Sie können sogar den Mond, das Symbol des Romantischen, des friedlichen Lebens, mit einem Schlage verhüllen (vgl. Strophe 7). Selbst der Himmel und damit Gott ist nicht vor ihnen sicher (vgl. Strophe 12). Die Dämonen sind also als übernächtige, ja fast göttliche Monster dargestellt, die über Natur, Mensch und Gott erhaben sind.
Die expressionistische Literaturepoche ist vor allem von den Vorwehen und dem Ausbruch des 1. Weltkriegs geprägt worden. Kein Wunder also, dass Krieg, Tod und Wahnsinn einige der Motive darstellten. Georg Heym selbst hat den Krieg nie erlebt, denn er starb bereits 1912. Trotzdem kommt das Motiv des Kriegs in seinen Gedichten vor, wie z. B. in „Der Krieg“, in dem die anfängliche Kriegsbegeisterung, aber auch die Negativseiten des Mordens dargestellt werden. Vor allem in Bildern findet Heym seinen Ausdruck, indem er den Krieg beispielsweise als einen tanzenden mit einer Totenkopfkette behängten Häuptling darstellt. Den Ausbruch des Krieges erwarten die Expressionisten sehnsüchtig, da sie mit ihm den Untergang der alten Welt verbinden, nach der eine neue, freie Welt kommen soll, in der der Mensch sich frei entfalten kann und die Menschheit sich verbrüdert. Doch der 1. Weltkrieg wird anders als erwartet, nicht zum Bindeglied der Menschen, so dass die Expressionisten auch bald seine Grausamkeit und Sinnlosigkeit erkennen. So werden sie letztendlich zu Pazifisten und Antikriegsdichtern.