Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „der Gott der Stadt“ wurde 1910 von Georg Heym verfasst und ist dem Expressionismus zuzuordnen. Heym setzt sich in diesem Gedicht kritisch mit der negativen Auswirkung des Großstadtlebens auf die Menschen, welches sie zum Teil selbst zu verschulden haben, auseinander.
„Der Gott der Stadt“ ist der heidnische Götze Baal, der über die Stadt herrscht und seinen Jähzorn an ihr auslässt. Die Menschen befinden sich in einem Kreislauf, der am Abend beginnt und am Morgen endet. Baal wird zum Wettergott und lässt sich huldigen, als er aber die Geduld verliert, vernichtet er die gesamte Stadt durch einen Feuerstoß. Die Menschen, die an Baal glauben, beseitigen die Zerstörung über Tag wieder, sodass Baal jede Nacht aufs Neue wüten kann.
Formal ist dieses Gedicht in fünf Strophen mit jeweils vier Versen eingeteilt.
Da es sich um ein expressionistisches Gedicht handelt, hat Heym auch viele für den Expressionismus charakteristische Stilmittel verwendet. Auch die Intention dieses Gedichtes ist in vielen expressionistischen Gedichten wiederzufinden. Die Menschen, die den Großstadtkult unterstützen, sollen kritisiert werden, da sie dadurch selbst zum Opfer dieser werden, die in diesem Gedicht als unberechenbarer, wütender Gott Baal dargestellt wird.
Baal nutzt seine uneingeschränkte Macht in Heyms Gedicht skrupellos aus, um Angst und Zerstörung zu verbreiten. Die Menschen haben alle Hoffnung auf Besserung aufgegeben und glauben an diesen falschen Gott und huldigen diesem sogar. Dies wird schon in der ersten Strophe sichtbar, denn dort sitzt Baal in erhobener Position auf einem Häuserblock und blickt über seinen Machtbereich. Weil auf dem Land einige Häuser in der Idylle der unberührten Natur stehen, wird Baal zornig. Die in Vers zwei erwähnten schwarzen Winde um seine Stirn wirken wie ein Heiligenschein und stützen seine Gottesposition.
Im Gegensatz zur ersten Strophe wird Baal in der zweiten zum ersten Mal beim Namen genannt. Die Huldigungen, das Läuten der Kirchenglocken und das Knien der Städte, welche personifiziert wurden, (Vers 6 und 7) wirken ironisch, da Baal ein heidnischer Gott ist und diese Gesten ganz klar der christlichen Kirche zugeordnet werden können. In dieser Strophe taucht auch die für den Expressionismus typische Farbsymbolik der Farben rot und schwarz auf. Der Sonnenuntergang, Vers fünf „Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal“, könnte für den bevorstehenden Untergang der Großstadt stehen.
In Strophe drei wird der Lärm der Großstadt, welcher neben der Fläche und dem Tempo dieser auch im Machtbereich des Baals steht, mit einem Korybanten-Tanz assoziiert. Der nachfolgende Vergleich in Vers elf und zwölf, „Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut“, wirkt auch ironisch, da Weihrauch ebenfalls in der christlichen Religion eingesetzt wird. Der Weihrauch wird mit dem bläulichen Rauch der Schornsteine verglichen, welcher Baal und die Menschen wie echter Weihrauch benebelt und in eine Art Trance versetzt.
Die stetig ansteigende Wut des Baals kommt in den Strophen vier und fünf zu seinem Höhepunkt. Das zuvor starr wirkende Gedicht kommt nun in Bewegung und als jähzorniger Wettergott beginnt Baal zu wüten. Zunächst lässt es Baal stürmen und die Todessymbole, „Geier“ (V. 15) und „Fleischerfaust“ (V.17), zeigen, dass Baal nun Leichen zu seiner Huldigung fordert. Durch riesige Feuerbrunsten vernichtet Baal anschließend in Vers 19 und 20 die Stadt und ihre Bewohner bis zum nächsten Morgen. Wie in Strophe eins wird Baal auch hier nicht beim Namen genannt.
Dieses Gedicht soll die Selbstzerstörung der Menschen darlegen. Durch den Wunsch nach Fortschritt und dem Leben in einer großen Stadt wird die Natur zusehends verdrängt und auch die Menschen leiden unter ihrer Vereinsamung. Heym hat die zerstörerische Großstadt in seinem Gedicht zum Götzen Baal gemacht, welcher von den Menschen verehrt werden will, diese aber straft. Die ahnungslosen Menschen, die alle Hoffnung auf einer Besserung ihrer momentanen Lebenssituation aufgegeben haben, befinden sich in einer Art Trance. Ihr Tagesablauf ist immer der gleiche und sie bauen die Städte immer größer und größer, sodass die Natur keine Chance hat zu überleben. Weil die Menschen sich in diesem Trott befinden, bemerken sie nicht, dass sie für den falschen Gott Baal arbeiten bzw. an ihn glauben, der jede Nacht alles Neue zerstört und die Welt zum verfrühten Untergang treiben will. Heym hatte erkannt, dass das Handeln der Menschen unausweichlich zur Apokalypse führen würde und ließ deswegen Baal dazwischen treten, der den Untergang schon früher herbeiführte.
Abschließend kann man sagen, dass Heym durch das Einsetzen des Götzen Baals die Grausamkeit und Unberechenbarkeit der Großstädte sehr treffend dargestellt hat. Heym hat die Zerstörung der Natur, den Großstadtlärm, die Unruhe und den Verkehr in einer Großstadt durch sein Gedicht kritisieren wollen. Außerdem wollte er durch das „Monster“ Baal die Menschen aus ihrer Trance aufwecken, damit sie wieder neue Hoffnung finden und anstatt ihr Leben zur Apokalypse zu treiben einen Neuanfang wagen. Die expressionistische Einstellung kommt in diesem Gedicht sehr zum tragen, denn es soll die Verzweiflung der Menschen zum Ausdruck bringen.