Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Wer damals Tadel gegen die Adligen, dem obersten Stand, geäußert hat, der durfte einen hohen Preis dafür bezahlen. Nicht nur Friedrich Schiller, sondern auch die beiden Protagonisten, die bürgerliche Luise und der adelige Ferdinand, aus Schillers fünf Akt Drama „Kabale und Liebe“, uraufgeführt 1784 in Frankfurt am Main, dürfen die Konsequenzen für die Auflehnung gegen den Absolutismus tragen. Diesen kritisiert Schiller in seinem Werk, vor allem durch die ständeübergreifende Liebesbeziehung zwischen Luise und Ferdinand, wodurch es der Epoche des Sturm und Drang zuzuordnen ist. Während Friedrich Schiller seiner Bestrafung für ein unangemessenes Theaterstück entfliehen kann, müssen sich Luise und Ferdinand ihren Opponenten stellen und für ihre Beziehung viele Opfer bringen. Im Folgenden wird die vierte Szene des ersten Aktes sowohl inhaltlich, als auch formal und stilistisch analysiert, in welcher dargestellt wird, wie Ferdinand die zweifelnde Luise von ihrer aussichtslosen Beziehung überzeugt.
Es beginnt mit Ferdinand, er zu Luise ins Musikzimmer hinzu kommt, woraufhin diese schwach in einen Sessel sinkt. Besorgt fragt er sie über den Grund für ihren bedauerlichen Gemütszustand und nach einigem Nachfragen, erwähnt Luise ihr Unbehagen wegen ihrer zum Scheitern verurteilten Liebe. Ferdinand verkündigt ausschweifend, dass er sie liebt und sie nichts fürchten muss. Luise stürzt nun aus dem Zimmer heraus, da sie ihn zwar liebt, aber ihre Gefühle als hoffnungslos ansieht. Er folgt ihr sprachlos.
In der vorherigen Szene hat Luise ein Gespräch mit ihren Eltern geführt, wobei sich ihr Vater Miller gegen die Beziehung geäußert hat, was zu Luises Verunsicherung beiträgt, da sie viel von ihm hält. Weil sich die darauffolgende Szene noch in der Exposition befindet, wird der Konflikt ihrer Liebe aus Perspektive zwischen den beiden Liebhabern und den jeweiligen Meinungen vorgestellt. Ferdinand kommt anfangs zu Luise in das Musikzimmer des Millers, damit akzeptiert er ihre Herkunft, ihren bürgerlichen Stand, und stellt sie gleich. Diese These wird durch die symmetrische Kommunikation im Dialog unterstützt. Als sie daraufhin in den Sessel sinkt, die beiden sich lange stillschweigend anschauen und Ferdinand eine Frage stellt „Du bist blass, Luise?“ (S. 18 Z. 5), merkt man, dass er nicht erwartet hat sie so vorzufinden. Luises Antwort, mehrere knappe Sätze, zeigen ihre Müdigkeit, was Ferdinand Grund gibt sie zu trösten. Er betont wie sehr er sie liebt und will wissen, ob sie dasselbe tut, da er Luise braucht, um glücklich zu sein “will sehn, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein“ (S. 19 Z. 4). Sie versichert ihm schnell, es sei alles in Ordnung. Luise bedrückt ihre aussichtslose Liebe, aber möchte dem Thema mit einer kurzen Antwort ausweichen “Doch, doch mein Geliebter“ (S. 19 Z. 5). Der adelige Ferdinand reagiert daraufhin, mit einem Vergleich und mehreren Metaphern1 “Ich schaue durch deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Brillanten“ (S. 19 Z. 7) und “Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt“ S. 19 Z. 13),die ihr klarmachen, dass er sie durchschauen kann und sie soll sich zu ihrem Gemütszustand äußern. Durch geschickte Wortwahl, einem komplexen Satzbau mit mehreren Nebensätzen und vermehrter Verwendung verschiedener Stilmittel wird Ferdinands höherer Stand im Vergleich zu Luise verdeutlicht.
Dies führt dazu, dass sie ihn lange stumm anschaut und daraufhin meint, er dürfe sie als bürgerliche mit so einer gehobenen Sprache nicht beschreiben. Luise wird nochmals, nun durch den unterschiedlichen Sprachgebrauch, ihre Herkunftsunterschiede und somit ihre Befürchtung, dass die beiden keine aussichtsreiche Zukunft haben, bewusst. Sie reagiert somit, wie an vielen weiteren Stellen im Dialog, sehr abstoßend zu Ferdinands emotionalen Reden, da ihr ihr Verstand davon abrät und sie sich nicht hinreißen lassen will. Es beginnt nun ein kleiner Kampf, Ferdinands optimistische und Luises pessimistische, noch unklare Einstellung gegenüber ihrer Beziehung, da sie immer noch hin und her zwischen ihren Gefühlen und dem rationalen Denken gerissen ist. Ferdinand ist zuerst irritiert „was ist das?“ (S. 19 Z. 17), antwortet aber dann prompt mit einer weiteren leidenschaftlichen Antwort, worauf die vielen Ausrufe und Fragezeichen hindeuten, dass er sie bedingungslos liebt. Diese Taktik verwendet er die ganze Szene durch. Immer wenn Luise Zweifel äußert, versucht er diese unter einem Schwall von Liebesbekundungen zu begraben. Ferdinand dominiert den Dialog und lässt Luise teils auch gar nicht richtig zu Wort kommen. Die Bürgerliche erkennt dies „Du willst mich einschläfern…“ (S. 19 Z. 29) und lässt sich nicht noch nicht mitreißen, da sie sich ihrer immensen Unterschiede bewusst ist, welche sie in einer Antithese2 „Ich seh die Zukunft- die Stimme des Ruhms - deine Entwürfe - dein Vater - mein Nichts“ (S. 19 Z. 30) mit einer Akkumulation zugunsten Ferdinands betont. Mit dieser und der folgenden Zukunftsaussage „ein Dolch über dir und mir“ (S. 20 Z. 2), erwähnt sie noch einmal die Zukunftslosigkeit ihrer Beziehung. Der Dolch lässt sich als Symbol für den Präsidenten, Ferdinands Vater, interpretieren, da dieser im Verlauf der Handlung gegen die unangebrachte Beziehung handelt. Ferdinand bedient sich nun seiner üblichen Taktik. Auffallend ist, dass Ferdinand als einziger immer wieder das Wort Liebe nennt. Er ist sich bezüglich seiner Gefühle zu Luise schon sicher. Auf die Aussage hin, dass Luise ihm die Flüche versüße, die sein Vater ihm vermachen wird, reagiert Luise verängstigt „O, wie sehr fürcht ich ihn - diesen Vater“ (S. 20 Z. 13). Auch diese Befürchtung entkräftet er „Ich fürchte nichts - nichts“, eine Repetitio3 zu Verdeutlichung, dass sie keine Angst haben muss. Dies wird auch gezeigt mit dem Antiklimax4 „Hindernisse wie Gebürge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen“, da er versucht die ganze Situation zu verharmlosen, oder auch, wenn er sich als ihr Beschützer, ihr Held darstellt „Ich will mich zwischen dir und das Schicksal werfen“ (S. 20 Z. 23). Er verspricht ihr ein schönes Leben zusammen „An diesem Arm soll meine Luise durchs Leben hüpfen, schöner, als er dich von sich ließ…“ (S. 20 Z. 29). Dies wiederum bewegt Luise, widerspricht sich aber mit ihrem Bild, von einer tragischen Zukunft, was sie verwirrt, und stößt ihn deshalb von sich. Sie ist in Abwehrhaltung, da sie sich fürchtet mitgerissen zu werden. Der Konflikt in ihr, ob sie nun ihrem Herz oder Verstand folgen soll, ist nur noch größer geworden. Man merkt ihre Aufgebrachtheit durch die vielen Ausrufezeichen „Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig!“ (S. 20 Z. 31) „Wüsstest du- lass mich- du weißt nicht…“, die Parenthesen weißen auf ihr fieberhaftes Denken hin. Luise ist mit der Situation überfordert und will fort. Ferdinand überrascht diese überstürzte Handlung „Wie! Was! Welche Anwandlung?“ (S. 20 Z. 34), da er damit gerechnet hat sie besänftigen zu können. Aber Ferdinands Taktik, seine Überzeugungsversuche und Liebesbekundungen, hat gewirkt, denn Luise ist nun sichtlich bewegt von seinen Worten“ wilde wünsche […] werden in meinem Busen rasen (S. 21 Z. 3) und hat sich nun für ihre Gefühle entschieden „der Friede meines Lebens ist aus“ (S. 21 Z. 2). Trotzdem ist sie immer noch aufgewühlt, dafür sprechen die vielen Parenthesen, welche die Unordnung in ihrem Kopf spiegeln, da sie sich vorstellen kann, was auf sie zukommen wird. Weil die ohnehin schon geschwächte und verwirrte Luise durch den Dialog mit dem aufdringlichen Ferdinand noch mehr angestrengt und dadurch auch überfordert worden ist, stürmt sie als Folgereaktion aus dem Musikzimmer raus. Ferdinand folgt ihr sprachlos.
Wie in der oben analysierten Szene feststellbar ist, spielt sie eine ausschlaggebende Rolle in der Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen Ferdinand und Luise. Sie hat nun ihren Gefühlen, anstelle ihres Verstandes, nachgegeben, ist bereit ihre Beziehung weiterzuführen und akzeptiert ihr Schicksal, sich den noch kommenden Konsequenzen zu stellen. Trotz alledem ist sie nicht wirklich zufrieden. Dafür aber haben sich auch Ferdinands Absichten erfüllt, da er durch gutes Zureden und Liebesbekundungen sehr viel zu Luises Entscheidung beigetragen hat. Nach dieser Szene wird der Präsident, der als trennender Dolch von Luise vorausgesagt worden ist, erstmals von der unangemessenen Beziehung durch seinen Sekretär Wurm erfahren und wird im Verlauf des Dramas zu einem unüberwindbaren Hindernis werden.