Erzählung: Die Verwandlung (1912)
Autor/in: Franz KafkaEpochen: Expressionismus, Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
Die nachfolgende Analyse bezieht sich lediglich auf einen Auszug von Kafkas „Die Verwandlung“.
Die nachfolgende Analyse bezieht sich lediglich auf einen Auszug von Kafkas „Die Verwandlung“.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Erzählung „Die Verwandlung“, von Franz Kafka verfasst im Jahr 1912 und erstmals veröffentlicht im Jahr 1915, thematisiert die Entfremdung des Einzelnen von sich selbst und von der Gesellschaft anhand eines immer weiter eskalierenden Familienkonfliktes, welcher mit der Verwandlung des Sohnes in ein Untier begann. Im Folgendem wird ein Auszug aus Kafkas Erzählung unter besonderer Berücksichtigung der Darstellung der Figuren analysiert.
Zu Beginn der Erzählung verwandelt sich Gregor Samsa, ein bei seinen Eltern lebender Junggeselle, in ein „Untier“, einen sehr großen Käfer. Dieses Ereignis bringt das Leben der Familie Samsa komplett durcheinander, da Gregor der Alleinverdiener der Familie war und sein Einkommen einhergehend mit seiner Verwandlung nun wegfällt.
Es beschließen also alle Familienmitglieder, eine Arbeitsstelle anzunehmen; der Vater in einer Bank, die Mutter erledigt Näharbeiten und die 17-jährige Schwester Grete, welche bisher nur ein wenig im Haushalt geholfen und Violine gespielt hatte, beginnt in einem Geschäft zu arbeiten.
Bis zu diesem Punkt hin hat sich Grete immer um Gregor gekümmert, ihm Essen gebracht, das Zimmer aufgeräumt und gelüftet. Durch die verschiedenen beruflichen Betätigungen der Familienmitglieder bleibt deswegen immer weniger Zeit für Gregor.
Dieser beginnt aus Langeweile an den Wänden in seinem Zimmer, in welchem er sich immer aufhält, entlang zu kriechen. Die Schwester bemerkt dies und möchte nun gemeinsam mit der Mutter, welche sehr kränklich und passiv handelt, die Möbel aus Gregors Zimmer räumen, um ihm mehr Platz zum Kriechen zu verschaffen.
An dieser Stelle beginnt der zu analysierende Textauszug. Der Vater ist ausgegangen, deswegen möchten die Schwester und die Mutter die Möglichkeit nutzen, Gregors Zimmer auszuräumen, da der Vater Gregor gegenüber kein Verständnis zeigt, sondern mit Aggression und Gewalt reagiert. Zunächst ist Gregor von Gretes Absicht, das Zimmer zu räumen begeistert, doch dann überkommt ihn Unwohlsein bei der Vorstellung, dass die beiden Frauen Erinnerungen an seine Menschlichkeit heraustragen.
Von seinem wenigen Habgut ist ihm das Bild einer Dame im Pelzmantel besonders wichtig. Er setzt sich also auf dieses Bild, um es zu bewahren und in dem Moment kommen Grete und die Mutter aus dem Nebenzimmer zurück in Gregors Zimmer. Bisher hatte Gregor sich immer unter dem Kanapee versteckt, wenn jemand hereinkam, damit niemand seinen Anblick ertragen muss. Grete möchte die Mutter vor dem Anblick Gregors an der Wand bewahren, doch die Mutter schaut trotzdem hin und fällt in Ohnmacht.
Im weiteren Verlauf eskaliert die Situation innerhalb der Familie immer weiter, bis Gregor schließlich stirbt, weil er vom Vater verletzt wurde und zudem nichts mehr isst.
Auf seinen Tod reagiert die Familie sehr glücklich, wie befreit schmiedet sie Pläne für die Zukunft.
In dem Auszug werden verschiedene Darstellungsformen verwendet. Einerseits nutzt Kafka die direkte Rede: „Also was nehmen wir jetzt?“, sagte Grete“ (Z. 24). Die direkte Rede wird bei Gesprächen der Familie miteinander verwendet, an welchen Gregor jedoch aufgrund seiner Gestalt nicht teilnehmen kann. Die direkte Rede verstärkt also, dass Gregor nicht sprechen kann und somit völlig kommunikationslos mit der Familie zusammenlebt.
Des Weiteren werden die Darstellungsformen Erzählerkommentar, wie zum Beispiel: „Es waren seit der Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtete hatte“ (Z. 38f) und erlebte Rede, wie zum Beispiel: „und er wusste sich […] unweigerlich zu sagen, dass er das Ganze nicht mehr lange aushalten werde“ (Z. 5 f) genutzt.
Jedoch sind diese beiden Darstellungsformen nur sehr schwer voneinander zu unterscheiden und die erlebte Rede wirkt oft wie ein innerer Monolog, da der Leser einen Einblick in Gregors Gefühle und Gedanken erhält, was zu einer Identifikation des Lesers mit Gregor führt. Allerdings bleiben dem Leser so auch viele Eindrücke vorenthalten, da nur Gregors eingeschränkte Sicht geschildert wird, sodass man beim Lesen nie ganz genau weiß, ob etwas gerade wirklich passiert oder nur in Gregors Wahrnehmung.
Gregor wird zu Beginn der Verwandlung vor allem als unterwürfig und pflichtbewusst beschreiben. Bei all seinem Handeln denkt er zunächst an „die gute Familie“, deren Schulden er abarbeitet. Unabhängig davon, was irgendjemand aus der Familie tut, Gregor versucht immer, Entschuldigungen dafür zu finden, so gemein es auch gewesen sein mag. Zu seiner Schwester Grete hat er aus der gesamten Familie das beste Verhältnis, doch in dieser Szene wäre er das erste Mal bereit, Grete gegenüber gewalttätig zu werden: „Er saß auf seinem Bild und gab es nicht her. Lieber würde er Grete ins Gesicht springen.“ (Z. 31 f). Gregor möchte an dieser Stelle das Bild einer Dame im Pelzmantel, welches er vor seiner Verwandlung aus einer Illustrierten ausgeschnitten hatte, davor bewahren, aus dem Zimmer geräumt zu werden. Dieses Bild steht symbolisch für Gregors nicht vorhandenes Liebesleben, weshalb es für ihn so wichtig ist. Gregors Liebesleben basiert auf Vorstellungen, wie zum Beispiel in dieser Szene mit dem Bild. So kann auch folgendes Zitat: „presste sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem heißen Bauch wohltat“ (Z. 19 f) doppeldeutig interpretiert und als eine Art Sexszene gesehen werden.
Dass Grete dieses Bild nun plant auszuräumen sieht Max als Versuch, ihm der Vorstellungen seines Liebeslebens zu berauben. Ebenso wird ihm unwohl dabei, dass Grete und die Mutter den Schreibtisch aus seinem Zimmer entfernen wollen, „an dem er als Handelsakademiker, als Bürgerschüler, ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben geschrieben hatte (Z. 9 ff). Gregor steht hier in einem Konflikt mit sich selbst: auf der einen Seite verkörpern diese Möbel und Erinnerungen seine Menschlichkeit, die er durch die Verwandlung verloren hat. Würden jetzt auch noch seine letzten menschlichen Besitztümer fehlen, so hätte er gar nichts menschliches mehr, nichts mehr, was ihn mit der Familie und der Gesellschaft verbünde.
Auf der anderen Seite hat er nun die Bedürfnisse eines Käfers, welcher herumkriechen möchte. In diesem Konflikt steht Gregor nun mit sich selbst und das erklärt seinen Stimmungswandel von Euphorie darüber, dass die Möbel weggeräumt werden zu Melancholie darüber, dass damit seine Menschlichkeit verloren ginge, zu Aggressionen, als Grete in sein „Liebesleben eingreift“.
Grete hingegen nimmt in dieser Szene eine die Mutter beschützende Szene ein: „Grete hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast“ (Z. 23 f). Je mehr Stärke ihr Bruder verliert, desto mehr gewinnt sie an Stärke und Entschlossenheit dazu. So traut sie sich in dieser Szene sogar zum ersten Mal nach der Verwandlung, das Wort wieder direkt an Gregor zu richten (Vgl. Z. 38f). Zu Beginn der Erzählung noch ein „unnützes“ Mädchen, übernimmt Grete mehr und mehr die Führungsrolle und gewinnt an Selbstsicherheit. Im Gegensatz dazu bleibt die Mutter ihrer passiven, kränklichen Rolle treu. So muss sie beispielsweise von ihrer 17-jährigen Tochter vor Gregors Anblick geschützt werden und fällt in Ohnmacht, als sie Gregor tatsächlich sieht (Vgl. Z. 36f).
In dieser Szene kommt vor allem ein hypotaktischer Satzbau vor, ganz besonders in der erlebten Rede (Vgl. Z. 1.15). Diese schier endlosen Sätze, die zusammengesetzt sind aus vielen kurzen Sätzen, die ohne Konjunktionen einfach aneinandergehängt werden, verdeutlichen, dass es für Gregor alles viel zu schnell passiert, als dass er die Ereignisse richtig verarbeiten könne.
So setzt sich Gregor beispielsweise während der gesamten Erzählung überhaupt nicht mit seiner Verwandlung auseinander. Gregors recht kindlicher Versuch, alles zu verstehen, sich aber dennoch nicht mit den wirklichen Tatsachen konfrontieren zu wollen könnte daran liegen, dass nach Sigmund Freud Jungen am sogenannten Ödipus Komplex leiden, was heißt, dass sie mit dem Vater um die Liebe der Mutter konkurrieren. Normalerweise entwickelt der Junge irgendwann ein Über-Ich, dann werden seine sexuellen Wünsche von der Mutter auf eine gleichaltrige Partnerin projiziert. Doch dass Gregor sich nie mit dem Vater identifizieren konnte, verhinderte seine Ausbildung des Über-Ichs und erklärt seine kindliche Herangehensweise, sich mit der Situation (eben nicht) auseinanderzusetzen.
Die Raumgestaltung kommt zu Gregors Gefühlen, in seinem Leben eingesperrt zu sein und den Zwängen von Beruf und Familie nicht entfliehen zu können, noch erschwerend hinzu.
Die gesamte Erzählung spielt in der Wohnung der Samsas, wodurch schon einmal eine beklemmende Atmosphäre hervorgerufen wird. Gregors Zimmer, ein „etwas zu kleines Menschenzimmer“, liegt in der Mitte zwischen zwei Nebenzimmern und einem Vorzimmer, wodurch jede seiner Regungen auf jeden Fall wahrgenommen wird. Die Raumaufteilung in der Wohnung der Familie Samsa verstärkt den Druck, den die Familie auf Gregor ausübt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gregor in einem Konflikt dazwischen steht, seine Menschlichkeit zu erhalten und sich an sein neues Dasein als Käfer anzupassen.
Als Grete auf diesen Konflikt einwirkt, wird Gregor zum ersten Mal aggressiv, woraufhin die Mutter in Ohnmacht fällt. Während Gregors Position sich immer weiter verschlechtert und es ihm auch immer schlechter geht, gewinnt Grete im Kontrast dazu immer mehr an Stärke und Selbstsicherheit.