Drama: Frühlings Erwachen / Frühlingserwachen (1891)
Autor/in: Frank WedekindEpoche: Naturalismus
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die fünfte Szene des dritten Aktes aus dem Drama „Frühlings Erwachen“ (1891) von Frank Wedekind handelt von Wendlas Diagnose und darauffolgenden Verlust ihres eigenen Kindes.
Die Szene beginnt mit der Befragung von Dr. v. Brausepulver. Wendla liegt währenddessen im Bett und beantwortet seine Frage, wie alt sie denn sei. Dr. v. Brausepulver verschreibt ihr Pillen gegen die Bleichsucht. Danach verlässt er das Haus, obwohl er von Frau Bergmann Wein angeboten bekommen hat. Ina steht am Fenster und erzählt, sie habe noch viel vor, sowie dass ihre Kinder neue Anziehsachen benötigen. Wendla sehnt sich nach dem Tod, sie sieht sich selbst schon sterben, doch die Mutter streitet jegliche Theorie ab. Doch Wendlas Gefühl lässt sie nicht los, dass sie die Wassersucht hätte, woraufhin ihre Mutter sie versucht zu beruhigen. Wendlas Sterbeaussagen lassen Frau Bergmann die Wahrheit erzählen; sie sagt zu Wendla, sie ist schwanger und frage, wie Wendla ihr das nur antun hätte können. Am Ende tritt Frau Schmidtin in das Zimmer von Wendla und führt die Abtreibung durch.
Vor dieser Szene hatte Wendla Sex mit Melchior, woraufhin er sie schwängerte. Beide wissen es nicht. Nach der Abtreibung stirbt Wendla, aufgrund der Abtreibungsmittel und der unhygienischen Prozedur.
Wedekind beendet hiermit das kindliche und aufgeklärte Leben von Wendla. Auch die vorherige Gesprächssituation ist für keinen der Beteiligten ein einfacher Moment. Die Atmosphäre einer unwohlen Stimmung zieht sich durch die ganze Szene. Zu Beginn lügt der Doktor mit der Diagnose, denn er spricht von Bleichsucht (vgl. S. 62,Z.11ff.).
Frau Bergmann bietet dem Doktor für die Hilfe ein Glas Wein an, denn er gab die Diagnose mit der Bleichsucht durch, obwohl sie nur schwanger war (vgl. S. 63, Z.1f.). Dr. v. Brausepulver lehnt ab, denn er fühlt sich unwohl, Wendla angelogen zu haben, da er schnell das Haus verlassen will (vgl. S. 63, Z.3ff.). Ebenfalls besteht der Gefallen, ein besseres Verhältnis zu Frau Bergmann zu pflegen, nicht, da er einsieht, dass Frau Bergmanns Erziehungsmethoden an einem unschuldigen Kind versagte. Denn sonst ist er ein seriöser Arzt, hat viele Erfolge bei seinen Patienten, doch hier kommt es zum Rückschlag, er kann ihr nicht helfen (vgl. S. 63, Z.3ff.) Seine ausgeprägte Wortwiederholung von „Guten Tag“ (S. 63, Z.7f.) lässt seine Enttäuschung und Verzweiflung im ganzen Raum hinaus, denn er weiß, dass der Tag nie gut enden wird.
Ina redet kaum über die Diagnose oder allgemein über Wendla. Stattdessen erzählt sie von ihren Kindern, weil sie keine Worte zu Wendla oder ihrer Mutter findet (vgl. S. 63, Z.10ff.). Das Verhältnis zwischen Ina und ihrer Schwester ist sonst gut, sie verstehen sich, doch zwischen ihrer Mutter und Ina ist es lange zerbrochen. Es geht auf die Fortpflanzung von Ina zurück, dass Frau Bergmann schlechte Erfahrung mit Enkelkindern hat, denn Ina hat 3 Kinder, obwohl sie nur zweieinhalb Jahre verheiratet ist (vgl. S. 31, Z.38f.).
Wendla denkt nun, sie müsse sterben. Es dramatisiert die komplette Szene und lässt eine düstere Stimmung über Wendla herrschen. Aus dem Mund ihrer Mutter kommt nichts anderes als das symbolische Wort für Tod (vgl. S. 64, Z.14). Doch Wendla verspürt Angst, die sie beim Thema Tod oder Suizid bisher nicht empfand (vgl. S. 7). Sie bestückt ihre Aussagen poetisch und sehr bildlich; die Verbindung mit der Natur streitet die Ruhe zum Tod ab (vgl. S. 63, Z. 18f.). „Ich möchte hinaus, im Abendschein über die Wiesen gehen, Himmelsschlüssel suchen den Fluss entlang“ (S. 63, Z.20f.), ruft sie in dem Raum. Der Himmelsschlüssel dient hier als Metapher1; er symbolisiert den Tod und den Eingang in den Himmel, den Wendla sich sehnlich vorstellt, doch ihre Angst bleibt.
Ina verlässt kurze Zeit später das Haus, woraufhin Wendla sie bittet, Himmelsschlüssel zu schenken, sobald sie wiederkommt (vgl. S. 63, Z.37f.).
Anschließend möchte Wendla wissen, was der Doktor außerdem sagt. Doch ihre Mutter erzählt nicht die Wahrheit (vgl. S. 64, Z.2ff.). Wendla will ihre Mutter beruhigen, indem sie behauptet, sie hätte die Wassersucht. Dazu erwähnt sie sogar zwei Mal „Mutter“ (S. 64, Z.8). Wieder kommt die Angst in Wendla hervor; ihre gleichgültige Meinung ist Vergangenheit. Sie möchte nicht sterben (vgl. S. 64, Z. 12ff.). Frau Bergmann wird schwächer; sie weint mehr und mehr, kann sich kaum zurückhalten und erzählt ihr unter starken Tränen, dass sie ein Kind im Bauch besäße (vgl. S. 64, Z.25). Hiermit wendet sich die Szene: der Verlauf wirkt nun verbittert und außer Kontrolle, denn Frau Bergmann wird zerstreuter im Kopf (vgl. S. 64, Z.24ff.). Sie dominiert gegen Wendla, drückt ihre Sätze wütend aus:„O leugne nicht noch, Wendla!“ (S. 64, Z.28). Doch auch dem Leser werden duch die Pausen klar, dass Frau Bergmann zu ihrem Vorteilt lügt (vgl. S. 64, Z.28ff.).
Sie betet zu Gott für Erbarmen und Gnade; die Schande in der Gesellschaft würde sie nicht aushalten (vgl. S. 64, Z.34f.). Aus diesem Grund will sie veröffentlichen, Wendla sei an Bleichsucht gestorben und nicht an der Abtreibung eines Kindes. Die Bloßstellung der Familie durch den Abtreibungsprozess fände sie fatal wirkend und zerstöre das Ansehen der kompletten Familie (vgl. S. 65, Z.6ff.).
Nach Frau Bergmanns Predigt und Suche nach Gott lenkt Wendla vom Thema ab, bezieht sich nicht auf die Aussagen ihrer Mutter, sondern entwickelt starkes Interesse, wer an der Tür geklopft hat (vgl. S:65, Z.20). Ihre Mutter vertuscht auch dieses Detail, ihre Akzeptanz zu Wendla fehlt seit ihrer Geburt (vgl. S. 65, Z.24). Wendlas Gleichgültigkeit setzt zurück, die Stimmung in ihr wechselt zum Desinteresse und lässt sie anmerken, dass sie mehr als nur von ihrer lügenden Mutter schockiert sein kann (vgl. S. 65, Z.23).
Frau Schmidtin führt die Abtreibung durch, jegliches fachmedizinische Wissen fehlt ihr, doch Frau Bergmann ist es nur wichtig, dass es durch einem Arzt nicht an die Öffentlichkeit geschieht (vgl. S. 65, Z.25f.).
Frau Bergmanns überflüssiges Erbarmen an Gott aus der Sicht von Wendla lässt keinesfalls ihre Mutter in diesem Gespräch dominieren. Die Gleichgültigkeit von Wendla schreckt die Meinung ihrer Mutter zur Abtreibung nicht ab, denn es ist bedeutungslos, wie der Stand Wendlas Gesundheit oder das Wohl des Kindes auszusehen hat, solange es abgetrieben wird. Die Priorität von ihrer Mutter lag immer im Ansehen, des Images oder die Beliebtheit der Familie.
Der Autor möchte mit dieser Szene zum Ausdruck bringen, dass die Aufklärung wichtig für Jugendliche ist, da sie in diesem Alter ihren eigenen Körper entdecken.
Der Titel „Frühlings Erwachen“ lässt nun darauf deuten, dass Wendla diesen sogenannten „Frühling“ nie erleben wird. Weder Sex noch der Höhepunkt in der Liebe wird ihr nicht mit in die Wiege gelegt.
Die Erziehung von Frau Bergmann war inkorrekt. Auch wenn die Aufklärung und der Sex in diesem Jahrzehnt ein absolutes Tabu-Thema war, fehlte ihr das Wissen zum Überleben.