Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die zu analysierende Szene „Wald und Höhle“ stammt aus dem Drama „Faust I“, welches 1808 von Johann Wolfgang von Goethe veröffentlicht wurde. Die Tragödie behandelt das Leben von Faust, der eine Wette mit dem Teufel abschließt, um endlich überirdische Erfüllung erlangen zu können.
Der zu analysierende Textauszug findet sich in der Gretchentragödie wieder. Dieser Monologs Fausts steht direkt nach der ersten privaten Begegnung zwischen Faust und Gretchen im Gartenhäuschen von Marthe Schwerdtlein. Auf diese Szene folgt ein Monolog Gretchens, in der sie ihre Gefühle zu Faust und ihre Sehnsucht nach ihm beschreibt. Danach folgt die zweite intime Begegnung, nach welcher Gretchen sich Faust voll und ganz hingibt und bereit ist, ihre Mutter zu narkotisieren, um mit Faust schlafen zu können.
Der Monolog lässt sich ein zwei Abschnitte gliedern. Im ersten Abschnitt erfährt Faust Erfüllung durch die Natur, wofür er dem Erdgeist dankt, zudem berichtet er von Bewahrung, die er durch den Erdgeist erfahren hat.
Im zweiten Abschnitt philosophiert Faust über „den Gefährten, den [er] schon nicht mehr / Entbehren kann“ (Z.3242f.), womit Mephisto gemeint ist. Dieser sorge dafür, dass er weiter nach Gretchen strebt.
Bei Betrachtung der Szene fällt schnell die Bühnenbeschreibung auf. Die Beschreibung „Wald und Höhle“ steht im Kontrast zu Fausts vorherigem Studierzimmer, welches als „hochgewölbt […]“, eng[…] [und] gotisch[…]“ beschrieben wird.
Die Szene wirkt wie ein Gebet, jedoch nicht zu Gott, sondern zu einem „[e]rhabene[n] Geist“ (V. 3217). Mit dieser Beschreibung ist der Erdgeist gemeint, welchen Faust um Studierzimmer beschworen hat.
Die Phrase „Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich“ (V. 3220) zeigt, dass Faust sich in der Natur heimisch, wie in seinem Königreich fühlt. Dadurch, dass der Erdgeist ihm erlaubt, „[i]n [die] tiefe Brust / Wie in den Busen eines Freunds, zu schauen“ (V. 3223f.), ist es ihm möglich, diese zu verstehen und mit diesem Verständnis zumindest einen Teil seiner Erfüllung zu erlangen. Der Erdgeist ermöglicht es ihm, „geheime Wunder“ (V. 3234) zu verstehen. Des Weiteren schafft der Erdgeist ein Gefühl von Geborgenheit und hilft ihm, sich selbst zu finden (vgl. V. 3228-3234). Durch den Mond ist es Faust zudem möglich, Menschen der Vergangenheit sehen zu können.
Im zweiten Abschnitt widmet sich Faust Mephisto. Faust beschreibt, dass Mephisto vom Erdgeist gegeben worden sei, um ihn näher an vollkommene Erfüllung führen zu können. Dieser Gefährte sei schon lange ein Teil von Faust geworden. Der sein Verlangen nach Gretchen immer wieder von neuem entfacht.
Fausts letzter Satz, bevor Mephisto auftritt und den Moment der Erfüllung durch die Erinnerung an Gretchen in andere Bahnen lenkt, lautet: „So Taumel ich von Begierde zu Genuss, / Und im Genuss verschmachte ich nach Begierde“ (V. 3249f.). Hier wird deutlich, dass Faust sich in seinen klaren, nicht liebestrunkenen Momenten durchaus bewusst ist, dass er niemals übermenschliche Erfüllung erlangen wird. Sobald ein Verlangen von Faust gestillt ist, trachtet Faust nach der anderen Erfüllung. Dies wird auch durch die Beschreibung „und zu Nichts, Mit einem Worthauch deine Gaben wandelst“ (V. 3245f.), deutlich. Nach diesem Dialog passiert genau das, was Faust vorhergesagt hat. In einem Moment intellektueller Erfüllung taucht Mephisto auf und weckt durch gezielte Provokation Fausts triebhafte Seite.
Betrachten wir nun die sprachliche Gestaltung des Monologs. Auffällig ist zunächst, dass kein Reimschema zu erkennen ist. Der Satzbau Fausts ist extrem hypotaktisch, durch diese Beiden Faktoren in Kombination wirkt es so, als würden die Worte aus Faust nur so heraussprudeln. Es wird deutlich, dass Faust sich in Abwesenheit von Mephistos freier und wohler fühlt, da dieser Faust „vor [sich] selbst erniedrigt“ (V. 2345).
Die große Zuneigung Fausts zum Erdgeist wird durch die sprachliche Gestaltung besonders betont. Die Beschreibung der Natur als herrliches Königreich (vgl. V. 3320) macht deutlich, wie geehrt sich Faust fühlt und welche Wertschätzung er der Natur entgegenbringt. Der Vergleich von der Erkenntnis der Natur mit dem Blick in den Busen, in das Herz eines Freundes, deutet die Erfüllung an, die Faust durch die Natur erfahren kann, aber auch, wie ihn diese Erfahrung auf eine höhere Stufe, die Stufe über die normalen Menschen stellt. Dies wird durch die Beschreibung „Reihe der Lebendigen“ (V. 3225) deutlich. Ein weiteres Indiz für diese Überhöhung ist die Beschreibung der Natur als „[s]eine Brüder“ (V. 3226). Hier wird auch wieder die Erhöhung Fausts deutlich.
Diese Überhöhung hat zudem eine Art Gefühl der Unsterblichkeit inne, was durch die Beschreibung des Sturms, der „im Walde braust und knarrt“ (V. 3228), gezeigt wird. Dieser gefährliche Sturm, der „die Riesenfichte“ (V. 3229), also einen extrem standfesten, großen und alten Baum, zum Einstur bringt, kann Faust der vom Erdgeist beschützt wird, nichts anhaben.
Durch diese Geborgenheit und Überhöhung ist es Faust möglich, in der Höhle zu sich selbst zu finden. Die Höhle als Metapher1 steht in direktem Kontrast zu Fausts erstem Monolog. Der Wald und die Höhle engen Faust nicht, wie das enge gotische Zimmer, ein, sondern lassen ihm freien Raum zur persönlichen Entfaltung und Entwicklung. Dies führt dazu, dass sich „geheime tiefe Wunder öffnen“ (V. 3234), das heißt, dass Fausts Erkenntnis noch weiter gesteigert wird.
Im zweiten Abschnitt des Monologs, kurz vor dem Auftritt Mephistos, berichtet Faust über eben diesen. Mephisto wird, im Gegensatz zum erhabenen, warmen, erfüllenden Erdgeist, als „kalt und frech“ (V. 3244) beschrieben. Faust sieht diesen als Kontrastfigur zum Erdgeist. Die Klimax2 „kalt und frech, / Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts, / Mit einem Windhauch, deine Gaben wandelst“ (V. 2343-3246), verdeutlicht.
Bei dem Erdgeist findet Faust Wärme und Geborgenheit, was im Gegensatz zum ersten Teil der Klimax „kalt und frech“ (op. cit.) steht. Durch das erweiterte Weltverständnis, welches durch den Erdgeist ermöglicht wird, fühlt sich Faust überhöht, was Mephisto, wie im zweiten Teil der Klimax beschrieben, zunichte macht. Zudem zerstört Mephisto Fausts durch den Erdgeist gewonnene Erfüllung und bringt wiederum seine triebhafte, sich nach Gretchen sehnende Seite zum Vorschein.
Betrachten wir nun die Stellung der Szene im Drama. Die Szene ist direkt nach dem erstem richtigen Treffen von Faust und Gretchen positioniert. Auf die Szene folgt ein ähnlicher Monolog von Gretchen, worauf das zweite Treffen stattfindet.
Die Position der Szene verdeutlicht Fausts wechselhaftes Verlangen. Er sehnt sich nach überirdischem Weltverständnis, aber genauso sehen er sich nach der Erfüllung seiner menschlichen Triebe.
Wie am Ende des Monologs beschrieben, lassen sich düse beiden Verlangen nicht miteinander in Einklang bringen, was diese Szene verdeutlicht. Um dies nachzuvollziehen, ist es ratsam, Fausts verschiedene Verlangen im Verlauf der Szene genauer zu betrachten.
Fausts Verlangen nach Gretchen beginnt mit der Gretchentragödie, mit der ersten Begegnung der Beiden. Beim ersten Besuch bei Marthe ist dieses besonders stark ausgeprägt. In der Szene „Wald und Höhle“ ist das Verlangen nach Gretchen den Drang nach wissenschaftlicher Erfüllung, wie weggeblasen. Mephisto tritt in Aktion, um das Verlangen nach Gretchen nun endgültig in den Vordergrund zu rücken. Der Monolog kann als letztes Aufflammen der Gelehrtentragödie gesehen werden, welches Mephisto jedoch direkt und resolut erstickt.
Abschließend kann also gesagt werden, dass der vorliegende Textabschnitt in Kontrast zur Szene „Nacht“ ganz zu Anfang des Dramas steht. Faust erkennt selber, dass seine beiden Verlangen, seine Triebe und sein Wissensdurst, niemals in Einklang miteinander stehen können. Er fühlt sich durch seine Erfahrungen in der Natur überhöht und den Menschen übergeordnet.
Dieser Moment der Erfüllung wird jedoch von Mephisto wieder zerstört und die Verführung Gretchens sowie die Inkaufnahme möglicher Risiken wird von Faust mit den Worten „Was muss geschehen, mag’s geschehen“ (V. 3363), „und sie mit mir zugrunde gehn“ (V. 3365) besiegelt.
In dieser Szene wird also der Wissensdurst von Faust abgelehnt, er wendet sich seinem Verlangen nach Gretchen zu.