Werk: Faust – der Tragödie Erster Teil (Hexenküchenszene)
Vergleichswerk: Der goldne Topf – E.T.A Hoffmann
Zitat zur Erörterung: „Da lebt jemand in einer beengenden, ängstigenden Wirklichkeit. Ihre Zumutungen sind übermächtig. […] Wenn [dann] ein Begehren erwacht – und es erwacht vor allem in der großen Leidenschaft der Liebe – […] dann kann das Drama beginnen: Das in die Körperwelt eingezwängte Begehren drängt in die Imagination. Der Held „schaut“ das Bild einer Frau und verliebt sich.“ – Safranski
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
Das 1808 erschienene Drama „Faust- der Tragödie Erster Teil“ handelt von dem Gelehrten Faust, der die Grenzen des verfügbaren, akademischen Wissens erreicht hat und, enttäuscht von seinen begrenzten Möglichkeiten, Erkenntnis zu erlangen, selbstmordgefährdet ist. Er wettet mit Mephisto um seine eigene Seele aus der Überzeugung heraus, dass dieser es nicht schaffen wird, ihn durch Genuss und Zufriedenheit mit dem Leben zu versöhnen. Das im 15. Jahrhundert spielende Werk handelt von der Zerrissenheit zwischen dem Streben nach dem Göttlichen und dem Verhaftetsein im Irdisch-Sinnlichen. Dabei macht der Protagonist die Erfahrung von Liebe und Begierde, was die Handlung im zweiten Teil der Tragödie prägt.
Ursprung für Mephistos Interesse an Faust ist ein Hinweis des Herrn selbst. Mephisto ist davon überzeugt, dass er Faust verführen und seine Seele entführen kann. Faust ist ein Gelehrter, der bereits alle akademischen Fakultäten studiert hat und dennoch nicht zufrieden ist, da er noch immer nicht weiß „was die Welt / Im Innersten zusammenhält“ (V. 382f.). Daraufhin wendet er sich der Magie zu und versucht schließlich aus bitterer Enttäuschung einen Selbstmord, von dem er jedoch von den Osterglocken und Chorgesang abgehalten wird. Die anschließende Wette um seine Seele mit Mephisto schließt er ab, weil er zuversichtlich ist, dass dieser es niemals schaffen wird, Faust soweit zu befriedigen, dass er „zum Augenblicke“ sagen wird: „Verweile doch! Du bist so schön!“ (V. 1699f.). Er hat daher keine Angst um sein Seelenheil.
Die zwei verlassen Fausts Schreibzimmer und Mephisto führt ihn zu Orten des Vergnügens. Sie kommen in eine Hexenküche, wo Faust verjüngt werden soll. Hier ist die Textstelle zu verorten.
Anschließend stellt sich heraus, dass der Verjüngungstrank die Begierde Fausts verstärkt und dessen Wahrnehmung verzerrt. Die Hexenküche ist das Ende der Gelehrtenhandlung, worauf die Gretchenhandlung folgt.
Die Textstelle stellt eine Szene in der Hexenküche dar. Akteure sind Faust, Mephisto und die Katzen der Hexe. Einleitend nähert sich Mephisto dem Feuer und erkundigt sich nach dem Kessel, woraufhin die Katzen sich einstimmig über ihn lustig machen. Die Sprechweise der Katzen ist dabei geprägt von Einfachheit, zu sehen an dem Parallelismus „Er kennt nicht“ (V. 2424f), dem Schweifreim und den Kurzversen in der Rhythmik von Jambus und Anapäst.
Der Kater bringt Mephisto dazu sich mit einem Wedel in den Sessel zu setzen, dieser präsentiert ein spöttisches Abbild eines Königs.
Faust bewundert in dieser Zeit den Spiegel, welchem er sich immer wieder nähert, um sich anschließend wieder von ihm zu entfernen. Derweil führt er scheinbar ein Selbstgespräch. Dieses ist geprägt von rhetorischen Fragen, die sich um das, was er im Spiegel sieht, drehen. „Was seh ich?“ (V.2429) beantwortet er dabei selbst. Er meint, er sehe eine wunderschöne Frau, zu der er unbedingt will, da er meint, sich in sie verliebt zu haben. Jedoch wird im Folgenden klar, warum er immer wieder sich dem Spiegel nähert, um anschließend wieder auf Abstand zu gehen. Scheinbar verschwindet die Frau „wie im Nebel“ (V.2435), sobald er sich dem Spiegel nähert.
Dieser Vergleich kann als Vorausdeutung verstanden werden, dass Faust Gretchen später verlieren wird. Das Abbild im Spiegel stellt dabei das Ideal von Schönheit dar. Faust wird in Gretchen ein Abbild dieses Ideals finden.
Das Ende seines Monologs ist erneut geprägt von rhetorischen Fragen, die seine Ungläubigkeit ausdrücken, dass so ein vollkommenes Wesen in der realen Welt existiert.
Mephisto antwortet darauf, dass schließlich selbst Gott am Ende der Schöpfung zufrieden damit war und das bedeuten muss, dass es perfekt ist. Er verspricht Faust ihm „so ein Schätzchen“ (V. 2445) später zu besorgen, was Gretchens Austauschbarkeit als Objekt der Begierde und nicht der Liebe zeigt. Fausts Ergriffenheit wird von Mephisto in einem spöttischen Tonfall aufgegriffen, wodurch er diesen „erdet“ und ihn wieder in die Richtung der Sinnlichkeit führt.
Dabei thront Mephisto in seinem Sessel, spielt mit dem Wedel und kommt sich dabei „wie [ein] König“ (V.2448) vor. Dieser Vergleich zeigt sein Selbstbild, als Herrscher.
Die Katzen wollen ihm eine Krone bringen, zerbrechen sie jedoch und bitten Mephisto sie zu reparieren. Mephisto ignoriert ihre Bitten jedoch. Faust, der von dem Ganzen nichts mitbekommt, wird von seiner Liebe überwältigt und bittet darum zu gehen, weil er unter Liebeskummer zu leiden scheint (vgl. 2461).
Mephisto ignoriert auch Faust und räumt gönnerhaft ein, dass die Katzen „aufrichtige Poeten sind“ (V. 2464)
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Faust dem Ideal von Schönheit begegnet und die Welt um sich herum ausblendet. Es wird die erste Ablenkung von Fausts negativen Bildnis der Welt dargestellt, also ist dies ein erster Fortschritt für Mephisto. In der Textstelle wird erstmals die Begegnung mit Gretchen angedeutet, die eine Schlüsselrolle in Fausts Entwicklung darstellt. Faust verlässt die Enge seines Gelehrtenlebens und entdeckt Schönheit und Liebe. Diese Entwicklung Fausts ist vergleichbar mit der Entwicklung des Protagonisten Anselmus aus „Der goldne Topf“. Beide Werke sollen nach dem folgenden Zitat miteinander verglichen werden:
„Da lebt jemand in einer beengenden, ängstigenden Wirklichkeit. Ihre Zumutungen sind übermächtig. […] Wenn [dann] ein Begehren erwacht – und es erwacht vor allem in der großen
Leidenschaft der Liebe – […] dann kann das Drama beginnen: Das in die Körperwelt eingezwängte Begehren drängt in die Imagination. Der Held „schaut“ das Bild einer Frau und verliebt sich.“
Dieses Zitat von Safranski ist Gegenstand der nun folgenden vergleichenden Betrachtung. Doch was sagt es aus?
Umrissen wird die Entwicklung eines Menschen, der ursprünglich gefangen ist in der Wirklichkeit und der sich durch die Begegnung mit einer Frau aus dieser Wirklichkeit löst und sich für die „Imagination“ öffnet. Die Wirklichkeit wird als „beengende[n]“ und „ängstigende[n]“ Körperwelt beschrieben, die dem Menschen zu viel zumutet. Für das Begehren ist hierin zu wenig Platz, daher die Bedeutung der „Imagination“.
Faust lebt in seinem Studierzimmer, umgeben von Büchern und Wissen. Er ist gefangen von seinem
Drang nach Erkenntnis, der sich vornehmlich in dem Wunsch äußert, zu erfahren, „was die Welt / Im Innersten zusammenhält“. Er schottet sich von der Außenwelt ab, was ihn schließlich zu einem missglückten Selbstmordversuch bringt. Die Enttäuschung über die Grenzen des Wissens führen ihn erstmals zur Magie und er beschwört den Erdgeist. Wird die Imagination als die Welt des Fantastischen begriffen, so wird Faust tatsächlich durch Begehren in ihre Richtung getrieben, aber nicht durch das Begehren der Liebe, sondern durch die Sehnsucht nach Erkenntnis. Doch auch wenn Mephisto eindeutig Teil der fantastischen Welt ist, so ist das, wozu er Faust verführt, das körperliche Vergnügen. Er drängt ihn von einem Gelehrten, der in einer geistigen Welt lebt, zu einem Verführer zu werden. Diese Entwicklung, die in „Faust I“ geschildert wird, ist somit gegensätzlich zu der Entwicklung, die das Zitat aufzeigt.
Das Begehren, vor allem das der Liebe, spielt für Safranski eine wichtige Rolle als „Auslöser“ für das
„Drama“. Faust wird durch den Wunsch nach der Erweiterung seines Selbst (vgl.1774) in Mephistos
Arme getrieben. An dieser Stelle kann man das Drama beginnen lassen oder es beginnt mit dem Erwachen seines Begehrens nach Gretchen. Schon durch das schöne Bildnis in der Hexenküche ist er verzaubert und diese Liebe richtet sich bei ihrer ersten Begegnung auf Gretchen. Durch dieses wird Gretchen und ihre ganze Familie in einen Abgrund gerissen und auch Faust geht Mephistos „Weg[e] mit herab“ (V.326), „das Drama beginn[t]“.
Im Vergleich dazu steht die Figur des Anselmus aus der Erzählung „Der goldne Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit“. Das 1814 erschienene „Wirklichkeitsmärchen“ von E.T.A Hoffmann erzählt die Geschichte des jungen, tollpatschigen Studenten Anselmus, der durch die Begegnung mit der Schlange Serpentina die Liebe kennenlernt und in die phantastische Welt Atlantis abzugleiten droht. Währenddessen kämpft auch die in der bürgerlichen Welt verhaftete Veronika um seine Gunst. Neben der Liebe zu den zwei Frauenfiguren ist auch das serapiontische Prinzip, das Verhältnis zwischen Innen- und Außenwelt, ein wichtiges Thema der Erzählung.
Anders als Faust ist Anselmus nicht gefangen in seiner Wirklichkeit. Als Student steht er am Anfang seiner Karriere, die durch die Aussicht Hofrat zu werden (vgl. S.36 Z.18), recht rosig aussieht. Zwar leidet er sehr an seiner chronischen Tollpatschigkeit, doch hat er Freunde und eine Verehrerin in der bürgerlichen, wirklichen Welt. Die Welt scheint ihm nur das zuzumuten, mit dem er auch zurechtkommt.
Doch wie bei Faust auch, erwacht in ihm ein Begehren. Sie beide begegnen einer Frau, in der sie die Erfüllung ihrer Wünsche sehen. Doch anders als bei Faust, der nur von Gretchen umworben wird und dessen innerer Konflikt sich auf die Verführung einer unverheirateten Frau bezieht, ist Anselmus hin- und hergerissen zwischen zwei Frauenfiguren und mit ihnen zwischen zwei Welten; wobei er sich schlussendlich für Serpentina und die fantastische Welt entscheidet. Es „drängt [ihn] in die Imagination“, wobei er die bürgerliche Wirklichkeit vollkommen zurücklässt (vgl. S.91 Z.34f).
Dabei lassen sich auch die Frauenfiguren der Werke vergleichen. So lässt sich Gretchen als eine austauschbare Figur sehen. In der Hinsicht ähnelt sie Veronika, während die Vision im Spiegel an Serpentina erinnert.
Beide Protagonisten scheinen in Safranskis Bild zu passen. Wobei in meinen Augen Anselmus voll und ganz die Kriterien erfüllt, während Faust nur in Teilen zu passen scheint. Anselmus‘ Entwicklung ist eindeutig, sie ist nicht so vielseitig und facettenreich wie Fausts, dessen Entwicklung am Ende von „Faust I“ noch lange nicht abgeschlossen ist und dessen Reise noch weiter geht. Das Drama der Protagonisten wird in beiden Fällen von Frauenfiguren ausgelöst, doch ist die Art des Dramas ein anderes. Sie beide verlieben sich in eine Frau.
Während Anselmus sich eindeutig für die fantastische Welt entscheidet, ist Fausts Entscheidung für die Imagination nicht so eindeutig.