Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Kriegsgedicht „Kriegslied.“ von Erich Mühsam, im März 1917 verfasst, umschreibt die Situation der deutschen Soldaten im ersten Weltkrieg. Durch die Art seiner Beschreibungen übt er heftige Kritik an der Glorifizierung des Soldatentodes und an der Kriegsführung selbst.
Deutschland ist im März 1917 bereits am Verlieren des Ersten Weltkriegs, viele Soldaten sind auf den Feldzügen gestorben und es kommt mehr und mehr Kritik auf, vor allem im Bereich der Literatur.
„Kriegslied.“ hat insgesamt fünf Strophen á zehn Verse, die Strophen wiederum sind in zwei Teile gegliedert. Die ersten fünf Verse jeder Strophe thematisieren die Kriegsrealität, in der sich Soldaten befinden. In diesem ersten Teil ist jeder Vers ein vierhebiger Trochäus, bis auf zwei Ausnahmen in Strophe vier und fünf, mit weiblichen Kadenzen1, das Reimschema besteht aus einem Paarreim und einem dreifachen Reim (a-a-b-b-b). Der zweite Teil jeder Strophe ist wie ein wiederkehrender Refrain, der das Thema der Strophe aufgreift und stets die Form „So lebt der edle Kriegerstand,/ […]/ mit Gott, mit Gott, mit Gott -/ mit Gott für König und für Vaterland!“ (V. 6ff., V. 16 ff., V. 26ff., V36ff.) beibehält, bis auf die letzte Strophe, bei der das „lebt“ (V. 6, 16, 26, 36) durch „stirbt“ (V. 46) ersetzt wird. Hier löst der Jambus den Trochäus ab, die letzten beiden Verse sind nicht mehr vierhebig, sondern dreihebig und es liegen männliche Kadenzen vor. Die Ausnahme bildet der letzte Vers jeder Strophe, der mit einer weiblichen Kadenz endet und aus Jambus, Daktylus und erneutem Daktylus besteht. Zudem findet man hier eine Art Haufenreim (c-c-c-d-c), mit Ausnahme der Waise „mit Gott, mit Gott, mit Gott -“ (V. 9, 19, 29, 39, 49), wobei im siebten und achten Vers jeder Strophe ein identischer Reim vorhanden ist.
Die erste Strophe beginnt mit einem Asyndeton2 aus vielen verschiedenen Verben im Infinitiv, die alle zum Alltag eines Soldaten im Krieges gehören (vgl. V. 1ff.) und brutale Tätigkeiten beschreiben. Es liegt kein Satz vor, sondern lediglich aneinandergereihte Worte, die durch Interpunktionszeichen getrennt sind, also ein elliptischer Aufbau. Diese Aufzählung und der regelmäßige Trochäus sorgen für einen dynamischen, rhythmischen Eindruck, einen geradezu marschierenden Charakter. So wird schon in der Sprachmelodie das Militärmotiv aufgegriffen. „Schädel spalten“ (V. 2) ist als gewalttätige Tat in dieser Strophe wegen der Alliteration3 besonders einprägsam, aber auch die Onomatopoesie des „Rippen[…]brechen[s]“ (V. 2) verstärkt die Härte, Gewalt und Angriffslust, die in diesem Vers dargestellt werden. Das folgende Homoioteleuton „spionieren, requirieren,/ patrouillieren, exerzieren,“ (V. 3f.) unterstreicht den zuvor angesprochenen marschierenden Charakter, der auf das Militär hindeutet. Die Länge der Worte (vier Silben) sorgt zudem für ein leichtes Abbremsen im Lesefluss. Der helle Laut „-ieren“ wird anschließend durch die dunkel klingende Assonanz4 der ersten Silbe im Trikolon „fluchen, bluten, hungern“ (V. 5) unterbrochen, was die Unannehmlichkeit und die Qual der angesprochenen Umstände durch den Kontrast im Laut nochmal hervorhebt. Das nachgeschobene „(F)rieren“ (V. 5) bricht die vorherige sowohl inhaltliche als auch klangliche Klimax5 ab, was das Ende des ersten Teils der ersten Strophe nun auch auf andere Weise als interpunktuell von dem zweiten Teil abtrennt. Dieser beschreibt nun die obig beschriebene Situation als Leben des „edle[n] Kriegerstand[s]“ (V. 6), was eindeutig ironisch gemeint ist. Das lässt sich zum einen an der Antithetik von „edel“ (V. 6) und den in Vers fünf aufgeführten Zumutungen für das Wohlbefinden erkennen, zum anderen dadurch, dass anstelle von der Berufsgruppe der Soldaten das Synonym „Kriegerstand“ (V. 6) verwendet wird, das auf eine heroisierte Sicht auf Soldaten anspielt, da der Begriff Krieger positive Assoziationen aufruft, was der Begriff Soldat nicht in diesem Maße tut. Das Heroisieren von Soldaten während der Zeit des Ersten Weltkriegs war durchaus üblich und in allen Gesellschaftsschichten vertreten. Durch das Wechseln des Versmaßes zum Jambus hin liegt außerdem eine Betonung auf der Silbe „lebt“ (V. 6), was zum einen im Gegensatz zu den unangenehmen Umständen steht, aber zusätzlich auch der letzten Strophe antithetisch gegenübersteht, in der der Tod der Soldaten thematisiert wird (vgl. V. 41ff.). Anschließend wird die Angriffslust der Soldaten im bildlichen und zugleich unbeeindruckenden Ausdruck von der „Flinte in der linken Hand“ (V. 7) und dem „Messer in der rechten Hand“ (V. 8) nun noch einmal aufgegriffen, die fließend „mit Gott, mit Gott, mit Gott -“ (V. 9) begleitet wird. Dieses Trikolon steigert die Dynamik und das Tempo, sodass die Verse fast übermütig wirken, sodass wiederum der plötzliche Abbruch deutlicher hervortritt. Der marschierende Charakter wird durch den Wechsel vom Jambus zum Daktylus im nächsten Vers unterbrochen und schließt so die Strophe ab. Das Aufgreifen der veralteten Losung „mit Gott für König und Vaterland!“ (V. 10) sorgt für einen ähnlichen Eindruck wie der „edle Kriegerstand“ (V. 6), es spiegelt die nationalistische Einstellung der monarchischen Regierung und des Volkes wieder und kann im Kontext ironisch gedeutet werden, denn es lassen sich in den nächsten Strophen weitere Widersprüche und teilweise Spott finden.
Das „Bett aus Lehm und Jauche“ (V. 11), mit dem die nächste Strophe eingeleitet wird, ist beispielsweise eine Metapher6, die dem Bild des „edle[n] Kriegerstand[s]“ (V. 16) ebenfalls entgegensteht. Sie bezeichnet den Schützengraben, der alles andere als bequem wie ein Bett ist, und auch nicht erholsam, weshalb sie ironisch zu verstehen ist. Im Schützengraben wird nun zum Angriff aufgefordert (vgl. V. 11f.), erneut mit elliptischem Satzbau, der durch die Verknappung das Tempo der Strophe zusammen mit dem Trochäus wieder aufnimmt. Wie auch in der ersten Strophe wird das Tempo durch ein Asyndeton „Trommelfeuer, Handgranaten,/ Wunden, Leichen, Heldentaten“ (V. 13f.) mit anfänglich viersilbigen Worte nun zu einem Apostroph hin wieder abgebremst. In diesem werden die „brave[n], tapfere[n] Soldaten!“ durch eine Exclamation angesprochen. Diese Ansprache und die zuvor erwähnten „Heldentaten“ (V. 14) wirken aber im Zusammenhang mit „Leichen“ (V. 14) und der vorherig erwähnten „Jauche“ (V. 11) respektlos und machtmissbrauchend den Soldaten gegenüber. Mühsam kritisiert hier also die monarchische Regierung, die die Soldaten rücksichtslos in Massen opfert und den Krieg nicht beendet und gleichzeitig die grundlegende Volksmeinung, dass das rechtmäßig sei. Das anschließende ausführliche Hervorheben der „Tapferkeit“ (V. 18) der Soldaten, die durch etliche Kriegsauszeichnungen anerkannt wird, übt also auch indirekt Kritik an der Grausamkeit des Krieges, in der die Regierung Deutschland hält. Die zweite Strophe endet ebenfalls mit dem gleichen Refrain wie die erste und verlangsamt so den Lesefluss wieder.
Von der positiven Darstellung der Tapferkeit wird nun in die Strophe, die von Gehorsamkeit handelt, übergeleitet. Mit Imperativen und Exklamationen wie „Still gestanden! Hoch die Beine!“ (V. 21) werden Befehle erteilt, die sogar in eine beleidigende Form übergehen. Die Soldaten werden als „Schweine“ (V. 22) bezeichnet, welche im Volksmund als dreckig, dumm und minderwertig angesehen werden, vollkommen im Gegensatz zum Bild vom Soldaten als Kriegsheld. Im Folgenden wird einer der Soldaten, dem die Befehle gelten, als „schlecht befunden“ (V. 23), weshalb dieser Strafdienst machen muss und keinen Urlaub bekommt (vgl. V. 24f.). Der elliptische Aufbau dieser Sätze sorgt für eine Verknappung und so auch für eine Verstärkung der Aussage, was wieder den militärischen Charakter zum Vorschein bringt, da es recht abgehakt und unmelodisch klingt. Im Refrain dieser Strophe wird nun die Antwort des Soldaten dargestellt, der ohne jeglichen Widerspruch absoluten Gehorsam mit den Worten „(j)awohl“ (V. 27) und „zu Befehl“ (V. 28) den Anweisungen Folge leistet. Dieser absolute Gehorsam behält mit den verwendeten Exklamationen einen militärischen Charakter. Insgesamt spiegelt auch diese Strophe wieder die schlechte Behandlung der Fußsoldaten wieder, wie auch den Machtmissbrauch von Vorgesetzten. Die Strophe schließt wieder mit „(m)it Gott, mit Gott, mit Gott -/ mit Gott für König und Vaterland!“ (V. 29f.).
In der vorletzten Strophe liegt nun zum ersten Mal ein Vers des ersten Teils der Strophe vor, der das vorherige Schema durchbricht. Der Vers hat nur noch drei Hebungen, da drei Trochäen der durch zwei Daktylen am Ende ersetzt werden. Dieses erste Stolpern der Regelmäßigkeit, die zuvor vorherrschte, ist eine erste Andeutung auf das Ende des Soldaten. Der Soldat fasst sich allerdings wieder und stürzt sich in das „Schlachtgetümmel“ (V. 32). Die Häufung von Exklamationen in den nächsten beiden Versen zeigen den dogmatischen Kampfgeist, der auch auf inhaltlicher Ebene thematisiert wird. Für den Soldaten gibt es nur zwei Möglichkeiten, „(s)terben oder siegen“ (V. 33), wobei das Siegen antithetisch zum „Unterliegen“ (V. 34) steht. Auch in diesem Abschnitt ist der Satzbau elliptisch, die Stimmung wirkt aber an dieser Stelle dadurch eher, als ob der Soldat am Ende seiner Kräfte. In der Schlacht selbst kommt es dazu, dass „Knochen splittern“ (V. 35) und „Fetzen fliegen“ (V. 35), die durch die Onomatopoesie und die Alliteration ein besonders lebhaftes Bild im Kopf des Lesers überzeugen. Sie stellen die Brutalität im Kampf dar und heben dadurch wieder die Inhumanität besonders hervor. Die Erschöpfung des Soldaten findet sich auch im Refrain wieder, in der „Schweiß“ (V. 37) und „Blut tropf[en]“ (V. 38), und dennoch gibt der Soldat nicht auf. Auch in diesem Refrain steht wieder der „edle Kriegerstand“ (V. 36) der schmutzigen Realität gegenüber und wirkt dadurch ironisch-sarkastisch, Kritik an Regime und Volksmeinung verübend, welche an dieser grausamen Realität des Soldaten Schuld tragen.
Die letzte Strophe stellt nun den blutigen, obszönen Tod mit „aufgerissen[en]“ (V. 42) „Bauch und Därme[n]“ (V. 42) dar, der Leser sieht noch bruchstückhaft durch die Augen des Soldaten die Farbkontraste des blauen Himmels und der Häuser um sich, die rot gefärbt sind, vermutlich vom Blut (vgl. V. 43). Vollständige Sätze sind auch hier nicht zu finden, der Aufbau ist erneut elliptisch und illustriert nun, wie der Soldat langsam stirbt. In Vers 44 kommt man beim Lesen durch eine Silbe mehr wieder ins Stolpern, was das Ende des Soldaten endgültig besiegelt. Er flucht (vgl. V. 44), und ruft noch vergeblich nach „Mutter!“ (V. 45) und einem Sanitäter, was durch den Stilbruch des doppelten Ausrufezeichens den Ernst der Lage deutlich darstellt (vgl. V. 45). „So stirbt der edle Kriegerstand“ (V. 46), alles andere als edel mit einer beschmutzten Leiche (vgl. V. 47) und einem einfachen, improvisierten Grab (vgl. V. 48). Wie wenig Ehre dem Verstorbenen zuteil wird, lässt sich unteranderem am Dysphemismus „Maul“ (V. 47) erkennen, der den Soldaten als Tier beleidigt, wie in Strophe drei bereits. Er wird nicht respektiert, er ist kein Held, im Krieg ist er nichts weiter als entbehrliche Ware. Deswegen reichen auch „drei Schippen Sand“ (V. 48), um ihn eilig zu begraben. Die letzten beiden Verse „mit Gott, mit Gott, mit Gott -/ mit Gott für König und Vaterland!“ wirken in diesem Kontext nichtig, der Soldat wurde als einer von vielen geopfert. Die Kriegsauszeichnungen und die hohe Meinung des Volkes im Heimatland haben nicht verhindert, dass sein Tod und seine Beerdigung würdelos und inhuman waren.
Zusammenfassend kritisiert Erich Mühsam in diesem Gedicht also die Kriegsführung der Regierung dadurch, dass er die Sinnlosigkeit des Todes vom Soldaten zeigt und darstellt, wie respektlos er behandelt wird. Er entlarvt auch das Bild des Kriegshelden und die Kriegseuphorie, die zu dieser Zeit in sämtlichen Gesellschaftsschichten vorhanden ist. Im Gedicht ist nicht von irgendwelchen Erfolgen die Rede, nur die Kampfsituation und somit Kriegsrealität des einzelnen, der im großen Bild des Krieges seine Identität verliert und sich völlig für den Krieg aufgibt. Genau das bewertet Mühsam allerdings negativ und möchte durch sein Werk auf diese Umstände aufmerksam machen.