2. Übungsaufsatz – Gedichtsanalyse zu v.Eichendorff: „Die zwei Gesellen“
Erschließen sie das Gedicht…
Gehen Sie insbesondere darauf ein, welche Haltung das lyrische Ich zu den beiden unterschiedlichen Lebensentwürfen einnimmt. Nutzen Sie dabei auch das Material im Deutsch-Buch S.214. Beziehen Sie literaturgeschichtliche Hintergrundkenntnisse ein.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
„Recht lustig sei vor allem, wer‘s Reisen wählen will.“ - mit diesem Zitat drückt Joseph von Eichendorff (1788 - 1857) einer der Wichtigsten Themen in der Romantik an, nämlich Reisen, Sehnsucht und das Strebens nach dem Unendlichen sowie der Synergie, d. h. des Verschmelzens der Sinneswahrnehmungen und Erkenntnisebenen. Während des Übergangs von der Aufklärung zur Romantik erfährt das Menschenbild einen Wandel. In der Zeit der Aufklärung galt der Mensch als vernunftbegabtes, freies, denkendes Wesen, welches fähig war zum selbstbestimmten sittlichen Handeln und den Glaube an das Beweisbare. Im Gegensatz dazu ist der Mensch in der Romantik eher skeptisch gegenüber der Ratio und dem sogenanntem Philistertum. Zudem wurde die Fantasie und das Unbewusstsein ein Teil der menschlichen Identität, weshalb er Zuflucht in der Gesellschaft, Traumwelt und in der Natur sucht.
In dem Gedicht „Die zwei Gesellen“ (1818) von Joseph von Eichendorff werden menschlichen Sehnsüchte anhand von zwei Gesellen, die eine Reise in die weite Welt beginnen und ihre damit eingehende Schicksale thematisiert.
Das Gedicht besteht aus sechs Strophen mit je 5 Versen und mit einem durchgehenden Reimmuster „abaab“. Dabei kommt es in jeder Strophe zur einem Wechsel vom Jambus zum Daktylus, welche mit einer regelmäßigen Kadenzenabfolge begleitet wird: Der zweite und fünfte Vers in jeder Strophe endet auf einer männlichen Kadenz während die restlichen dreihebigen Versen auf eine weibliche Kadenz enden.
Das Werk lässt sich wie folgt in bis zu vier Sinnabschnitten untergliedern. In der ersten Strophe (V. 1-10) berichtet das lyrische Ich von zwei Gesellen, die sich vom Haus aus jubelnd aufmachen, um etwas zu erleben. In der zweiten Strophe erfährt der Leser hier noch nicht ihre Lebensgestaltungen, aber dafür ihre Erwartungshaltung: Beide haben große Visionen und wollen Beachtenswertes vollbringen. Dennoch geraten beide auf entgegengesetzte Wege. Die zweite Strophe (V. 11-15) verweist auf das Lebensschicksal des ersten Gesellen, während sich zwei Strophen (V. 16-25) auf die Lebensumstände des zweiten Gesellen beziehen. In der letzten Strophe (V. 26-30) gibt sich das lyrische Ich erstmals zu erkennen. Zudem wird durch das Aufgreifen des Wellen- und Frühlingsmotivs (vgl. V. 4, 5 und V. 26, 27) einen Rahmen um das Gedicht gezogen und gleichzeitig auch die gesamt Handlung abgerundet.
Durch das altertümliche Adjektiv „rüstigen Gesellen“ (V. 1) wird die Ausgangssituation der beiden Gesellen beschrieben. Im Prinzip bedeutet dies, dass sie gut gerüstet und für jede erdenkliche Situation vorbereitet sind. Zudem ist ihre Stimmung sehr positiv und lebhaft, da sie zum ersten Mal ihres Lebens mit eigenen Fuß das Heim verlassen (vgl. v.2). Durch viele Enjambements2 (vgl. V. 2-4), den positiven Adjektiven wie „hellen, [k]lingenden, singenden“ (V. 3f) wird die Lebensfreude der Gesellen unterstützt. Desweiteren wird das Motiv des Frühlings verwendet (vgl. V. 5), welches man mit einem Neubeginn, nach einem langen Phase der Ruhe, also dem Winter, assoziiert. Außerdem wird geschildert, dass beide Burschen konstruktiv was Leisten wollen. Unterstützt wird dies unter der Verwendung einer Anapher3 „Die strebten... Die wollten“ (V. 6f.). Auffällig ist, dass die Begriffe „Lust“ und „Schmerz“ (V. 7) parallelisiert werden, obwohl diese komplette Gegensätze sind. Damit wird die Schwäche der Natur des Menschen, also seiner Immanenz4 ausgedrückt d. h. dass ihre Visionen lediglich durch die innerhalb liegenden Grenzen des Menschen beschränkt sind. Da beide Burschen was „[r]echt[e]s“ (V. 8) vollbringen wollen, wird gezeigt, dass sie immer noch was Ordentliches und besonders Realisierbares erreichen wollen.
Der erste Geselle geht zumal traditionelle Wege und ist Lebenstüchtig, die allerdings eher dem Philistertum entsprechen. Er entspricht einen typischen Spießbürger/Philister, da dieser durch seine Lebenstüchtigkeit Erfolg im bürgerlichen Leben, in Liebesangelegenheiten und beim Erwerb von Besitz hat. Allerdings muss man beachten, dass das Haus nicht von ihm selber kommt, sondern von seiner Schwiegermutter spendiert wurde. Dies wird unter der Verwendung von Bildern zu (Ehe-)Frau, Haus, Hof und Stube unterstützt (vgl. V. 11ff.). Trotz seinem erfolgreichen und traditionellen Lebensweg, schaut er behaglich in das Feld mit einem Kind auf dem Arm. Die Verwendung von Diminutiven („ Liebchen“ , „Bübchen“ , „Stübchen“) (vgl. V. 11ff.) als Schlagreim verstärkt die traute Atmosphäre, um ironisch den Stillstand in der abgeschlossenen bürgerlichen Behaglichkeit, den Kontrast zwischen Lebenserwartung und Lebenswirklichkeit zu verdeutlichen. Im Leben dieses Gesellen ist nichts mehr von der Weite, in die er aufbrach, zu erkennen. Ausgangspunkt war ein Haus (1. Strophe), ein solches ist nun in seinem Besitzt (3. Strophe). Das Wort „heimlich“ (V. 14) ist ein altes Wort für „heimelig“ , welches indiziert, dass der erste Geselle nichts mehr mit der weiten Welt zu tun hat. Er darf und kann nicht mehr in die Welt sondern nur noch auf das kahle Feld schauen. Das in Vers 13 und 15 ein unreiner Reim ist, ist besonders Auffällig: hiermit wird ausgedrückt, dass etwas in seinem Leben schief läuft. Da das lyrische Ich das Geschehen aus seiner Sicht erläutert, zeigt er damit das scheinbare Glück des ersten Gesellen auf, von dem er nicht begeistert ist.
Der zweite Geselle hingegen hat ein abenteuerliches Dasein, wagt in die Fremde zu gehen, bleibt sich selber treu und erliegt dennoch Verlockungen und scheitert letztendlich. Die Sirenen, die genannt werden, sind Mischwesen aus Frau und Vogel aus der griechischen Mythologie, denen man nachsagt, dass sie durch betörende Gesänge Fischer anlockt, um sie zu töten. Die „logen“ (V. 16) entsprechen den falschen Versprechen, wodurch er von den Sirenen verführt wurde. „Die tausend Stimmen“ (v. 17) verdeutlichen, dass es mehrere Sirenen sind, die ihn mit ihren Gesängen verlockt haben. Das akustische, bewegende Element lässt sich im Gegensatz zum ersten Gesellen beim Zweiten vorfinden und bildet mit der Synästhesie6 „Farbig klingende Schlund“ (V. 20) den Klimax7 seines Abenteuers. Im Vergleich zum dem Ersten, der scheinbar Erfolg in seinem Leben hat, hat der Zweite eine Opferhaltung. Dieser handelt nicht aktiv, lässt sich ausschließlich von seinen Trieben führen, unterstützt durch die negativen Adjektiven wie „müde, alt, kalt“ (vgl. V. 21ff.), und taucht als Gestrandeter „müde und alt“ (vgl. V. 22) wieder auf. Unter anderem spielen die Wellen eine wichtige Rolle als Handlungsträger: aus den erstmals „singenden Wellen“ (V. 4) werden unkontrollierbare „buhlende Wogen“ (V. 5). Damit wird ausgedrückt, dass die Triebe die Überhand in seinem Leben gewonnen haben.
Obwohl er sein Leben völlig ausgekostet hat, bewertet das lyrische Ich nichts Negatives über ihn und verwendet keine Diminutiven wie beim ersten Gesellen. Durch die komplizierte Satzstruktur in der 3.-4. Strophe sieht man, dass sein Leben viel bewegter ist. Die 2. Strophe zeigt hingegen eher einfache Hauptsätze auf, was darauf zurückzuführen ist, dass sein Leben gefestigt, traditional ist. Aus diesem Grund hat der Autor dem zweiten Gesellen eine Strophe mehr gewidmet.
Aus zuerst „rüstige“ werden „kecke“ Gesellen: Sie haben somit ihr Vision nicht vervollständigen bzw. gar nicht erreichen können und in beiden Fällen ist keine Weiterentwicklung erkennbar. Da beide Gesellen gescheitert sind, müssten ihre Daseinsmöglichkeiten ergänzt werden: Das lyrische Ich ruft gebetsartig Gott auf (vgl. V. 30). Dieser möge die Menschen zu sich führen und einen dritten Weg schaffen, damit er im Gegensatz zu den Wegen der Gesellen nicht immanent sondern transzendent8 d. h. jenseits der menschlichen Grenzen u. Erfahrungen liegt.
Die Sympathie des lyrischen Ichs zu den beiden Gesellen wird in den beiden Strophen der Gesellen erläutert. Der Erste wird spießbürgerlich beschreiben, der die Dinge der Poesie nicht erkennt. Der Zweite sieht die Poesie und probiert zwar alles aus, scheitert aber trotzdem und findet sich nicht mehr in der normalen bürgerlichen Welt zurecht. Das lyr. Ich erhofft sich in der letzen Strophe auf die Ersparnis, dass ihm sowas auch passiert und will von Gott geleitet werden. Die Tränen (vgl. 29) stehen dafür, dass das lyr. Ich den ersten Gesellen bedauernswert findet, weil dieser sich für glücklich hält. Außerdem erfährt er schon alleine durch das Denken an die Schicksäle Wehmut. Das lyr. Ich kann man als Personifikation9 für die gesamte Menschheit interpretieren.
Die typischen romantischen Motive des Aufbruchs, Sehnsucht und des Scheiterns werden in das Gedicht aufgegriffen. Des Weiteren werden charakterisierende Merkmale, wie die familiäre Bindung oder die Hingabe des zweiten Gesellen an die dämonisierte Natur und religiöse Bezüge genannt: Durch Gottvertrauen kann Hoffnung gewonnen werden. Zusammenfassend bildet die „Zwei Gesellen“ eine Volkspoesie aus der Epoche der Romantik, die durch ihre Einfachheit und Schönheit auch im einfachen Volk verständlich ist.