Gedicht: Die Städte aber wollen nur das Ihre (1903)
Autor/in: Rainer Maria RilkeEpoche: Symbolismus
Strophen: 5, Verse: 28
Verse pro Strophe: 1-4, 2-6, 3-7, 4-9, 5-2
Die Städte aber wollen nur das Ihre | ||
und reißen alles mit in ihren Lauf. | ||
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere | ||
und brauchen viele Völker brennend auf. | ||
Und ihre Menschen dienen in Kulturen | ||
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß, | ||
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren | ||
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren, | ||
und fühlen sich und funkeln wie die Huren | ||
und lärmen lauter mit Metall und Glas. | ||
Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte, | ||
sie können gar nicht mehr sie selber sein; | ||
das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte | ||
und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein | ||
und ausgeholt und warten, daß der Wein | ||
und alles Gift der Tier- und Menschensäfte | ||
sie reize zu vergänglichem Geschäfte. | ||
Und deine Armen leiden unter diesen | ||
und sind von allem, was sie schauen, schwer | ||
und glühen frierend wie in Fieberkrisen | ||
und gehn, aus jeder Wohnung ausgewiesen, | ||
wie fremde Tote in der Nacht umher; | ||
und sind beladen mit dem ganzen Schmutze, | ||
und wie in Sonne Faulendes bespien, – | ||
von jedem Zufall, von der Dirnen Putze, | ||
von Wagen und Laternen angeschrien. | ||
Und giebt es einen Mund zu ihrem Schutze, | ||
so mach ihn mündig und bewege ihn. |