Inhaltsangabe/Zusammenfassung
Dürrenmatts Physiker - die dramatische Komödie eines Universalgenies
Friedrich Reinhold Dürrenmatt wurde am 05.01.1921 in Konolfingen im Kanton Bern geboren. Er starb mit nur 69 Jahren im Jahr 1990 in Neuenburg/Schweiz. Der Sohn eines Dorfpfarrers begann sich schon früh künstlerisch auszudrücken. So widmete er sich zunächst der Malerei. Diese wurde von ihm als sein eigentlicher künstlerischer Ausdruck bezeichnet. Allerdings hatte er, der in der Zeit des Impressionismus aufwuchs, keinen Erfolg damit und erwähnte selbst einmal, dass man ihn deswegen verspottet hatte. Diese Situation, der er nach dem Abitur ausgesetzt war, beschreibt er als seinen Zusammenbruch. Seine expressionistischen Gemälde wurden als zu phantastisch abgetan, da man in dieser Zeit eher gegenständlich malte.
Dürrenmatt studierte dann Philosophie, Germanistik und Naturwissenschaften. Auch diese Fächerkombination verrät seine Vielseitigkeit. Er schrieb etliche Texte, die in Zeitungen veröffentlicht wurden. Dürrenmatt haderte sein ganzes Leben lang mit dem Konflikt, ob er dem Malen oder dem Schreiben Vorrang geben sollte. Er entschied sich letztendlich für das Schreiben, weil er damit Geld verdienen konnte. Seine Gemälde wurden erst später ausgestellt. Er selbst hatte sie in der Signatur seiner Frau gewidmet, um ihnen Privatheit zu verleihen.
Die Uraufführungen Dürrenmatts erster Dramen („Es steht geschrieben“ und „Die Blinde“) waren Misserfolge. Wirklichen Erfolg hatte er aber erst mit seinem ersten Kriminalroman „Der Richter und sein Henker“ (1950) und der Komödie „Romulus der Große“ (uraufgeführt 1949). Auch sein 1951-1952 ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung erschienener Roman „Der Verdacht“ erlangte Berühmtheit.
Die Aufführung des Stücks „Der Besuch der alten Dame“ in Zürich verhalf Dürrenmatt zu internationalem Ansehen. Das war auch gut so, denn Dürrenmatt hatte sich in den Vierzigerjahren ein Haus quasi „auf Pump“ gekauft, das es noch abzuzahlen galt.
Dürrenmatt schrieb unermüdlich weiter, unternahm viele Reisen ins europäische Ausland und erhielt zahlreiche Literaturpreise.
Die Physiker
Das Schauspiel „Die Physiker“ wurde am 21. Februar 1962 am Schauspielhaus Zürich unter der Leitung von Kurt Horwitz uraufgeführt und war sofort ein großer Erfolg. 1980 überarbeitete der Autor das Stück in einer Werkausgabe.
Zum Inhalt
In dem privaten Sanatorium Les Cerisiers leben drei Männer, die im Zentrum des Dramas stehen: Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein; Herbert Georg Beutler, genannt Newton und Johann Wilhelm Möbius, genannt Möbius.
Nur diese drei Patienten werden dort behandelt. Sie geben vor „verrückt“ zu sein, was ihren Aufenthalt in der Psychiatrie, damals noch Irrenhaus genannt, rechtfertigt. Allein dieser Umstand könnte schon eine Erklärung dafür sein, dass Dürrenmatt „Die Physiker“ mit „Eine Komödie in 2 Akten“ untertitelt hat, die aber eigentlich ein Drama ist. Dürrenmatt selbst sagte dazu, dass der schlimmstmögliche Ausgang eines Dramas der ist, in eine Komödie verkehrt zu werden.
Zum Aufbau
In einer Einführung erfährt der Leser von dem absonderlichen Sanatorium Les Cerisiers, das inmitten einer beschaulichen Landschaft in einer Kleinstadt liegt. Außer dem Sanatorium gibt es noch ein heruntergekommenes Gefängnis und eine Universität. Doch die Idylle des Sanatoriums trügt, denn hinter dessen Mauern hat sich der Mord an der Krankenschwester Irene Straub ereignet, vermutlich ausgeführt von dem Patienten „Einstein“. Ein weiterer Mord an einer anderen Krankenschwester liegt drei Monate zurück. Der dafür verantwortliche Newton konnte jedoch nicht verhaftet werden, da er wegen seiner psychischen Erkrankung als unzurechnungsfähig gilt. Alle Szenen finden im Salon dieses Sanatoriums statt.
hSzene 2nübersicht
Akt 1
Akt 1 Szene 1 — Gespräch zwischen Inspektor Voß und Oberschwester
Inspektor Voß ist ins Sanatorium gekommen und befragt die Oberschwester Dr. h.c. Dr. med. Mathilde von Zahnd. Er muss schnell erkennen, dass diese sich schützend vor ihren Patienten Einstein stellt. Sie bezeichnet diesen als krank, weist die Bezeichnung Einsteins als Mörder zurück und verlangt vehement, dass er als Täter tituliert wird. Noch ist der Vertreter des Rechts nur leicht verunsichert. Auffallend ist auch, dass die Oberschwester eigentlich einen Arzttitel trägt, was ahnen lässt, dass auch sie etwas dubios ist. In dieser Szene zeigt sich schon, dass die Regeln im Sanatorium obskur und willkürlich sind: Die Patienten dürfen rauchen, die Besucher nicht. Wer hier was darf, scheint allein von Mathilde von Zahnd bestimmt zu werden.
Akt 1 Szene 2 — Gespräch zwischen Inspektor Voß und Newton
Inspektor Richard Voß möchte Newton in Anwesenheit der Oberschwester einem zweiten Verhör unterziehen. Newton scheint sich aber nicht allzu sehr für das Verhör zu interessieren und beginnt aufzuräumen. Als Newton seinem Bedauern über den Mord an Irene Straub Ausdruck verleiht, wird er von Frau von Zahnd daran erinnert, dass er ebenfalls einen Mord begangen hat. Daraufhin erklärt Newton, dass er in Wirklichkeit Einstein sei, was zur allgemeinen Verwirrung beiträgt. Der Inspektor ist völlig überfordert und verärgert und antwortet nur noch sehr einsilbig. Newton übernimmt die Gesprächsführung und versucht Voß von seiner Genialität zu überzeugen. Der Inspektor hingegen versucht zu beweisen, dass Newton nicht verrückt sei. Diese Szene kann als Schlüsselszene angesehen werden.
Akt 1 Szene 3 — Gespräch zwischen Inspektor Voß und Fräulein Mathilde von Zahnd
Voß versucht die Umstände der Morde zu klären und besteht darauf, dass die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden müssten. In ihren Antworten offenbart die Oberschwester nun, dass sie das Geschehen im Sanatorium zu kontrollieren weiß: Ihr berühmter Satz „Für wen sich meine Patienten halten, bestimme ich“, wurde vielfach zitiert und wird als Anspielung auf Joseph Görings „Wer Jude ist, bestimme ich“ interpretiert. Für die Morde der Insassen hat sie eine einfache Erklärung: Newtons und Einsteins Gehirne seien beschädigt, weil sie in Berührung mit radioaktiven Stoffen gekommen seien. Während des Gesprächs stürmt Einstein in den Salon, wird aber von der Oberschwester wieder ins Bett geschickt. Voß' Befürchtung, Möbius könnte der nächste Mörder werden, teilt sie nicht: Möbius habe sich bisher ruhig verhalten. In dem Wort „bisher“ schwingt jedoch eine Vorahnung mit, die den Leser zum Mitwisser werden lässt.
Akt 1 Szene 4 — Besuch von Frau Rose
Nun lernt der Leser auch Möbius kennen. Dieser erhält Besuch von seiner Frau, die er seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Sie hat sich mittlerweile von ihm scheiden lassen und bringt ihren neuen Mann, den Missionar Oskar Rose, und die aus der Ehe mit Möbius hervorgegangenen drei Söhne mit. Die Söhne spielen ein Blockflötenstück vor. Diese anheimelnde Inszenierung einer heilen Familienwelt überfordert Möbius verständlicherweise. Möbius inszeniert in dieser Szene seine angebliche Verücktheit und trägt singend auf einem umgedrehten Tisch einen Psalm des Königs Salomon vor. Er steigert sich in einen Tobsuchtsanfall hinein und treibt schließlich seine Familie in die Flucht. Diese Szene zeigt deutlich, dass Möbius sehr genau weiß, was er tut, und keinesfalls verwirrt ist. Er weist in dieser Szene auch dramatisch auf den Umstand hin, dass der Mensch sich selbst und die Erde vernichten könnte, was sich möglicherweise als traurige Realität erweisen könnte.
Akt 1 Szene 5 — Gespräch zwischen Möbius und Schwester Monika
In dieser Szene steuert das bisherige Geschehen auf einen Höhepunkt zu: Die Schwester Monika Stettler gesteht Möbius ihre Liebe. Schließlich drängt sie ihn zu einer Heirat, um mit ihm das Sanatorium zu verlassen. Ein fataler Fehler, denn Möbius erwidert diese Liebe zwar, will aber nicht außerhalb des Sanatoriums leben. Der Grund ist seine Entdeckung, die die Existenz der Menschheit bedrohen könnte. Das Fatale ist, dass Monika erkannt hat, dass er nicht verrückt ist und Möbius gerät in Panik. Hier wird auch klar, dass Möbius der einzig wirkliche Wissenschaftler der Dreierkonstellation ist. Nun geschieht das, was sich bereits in der Szene 4 ankündigte: Auch Möbius wird zum Mörder. Er erdrosselt die Schwester mit der Gardinenkordel. Er behauptet später, König Salomo hätte ihm dazu den Auftrag erteilt.
Akt 2
Akt 2 Szene 1 — Gespräch zwischen Inspektor Voß und Fräulein Mathilde von Zahnd
Erneut erscheint Inspektor Voß, um wegen des dritten Mordes Verhöre zu führen. Die Verhöre haben sich nun gewandelt. Die Oberschwester nimmt Möbius nicht in Schutz, wie man hätte erwarten können. Sie scheint überrascht von diesem Mord zu sein. Inspektor Voß verhält sich in dieser Szene auch völlig anders als im zweiten Akt. Er hat die verrückten Verhältnisse in der Klinik akzeptiert und gewinnt so Oberhand im Gespräch. Er erklärt hier seine Kapitulation gegenüber der Aufklärung der Morde - eine ungeahnte Wendung, denn nach logischen Dafürhalten hätte der dritte Mord auch zur endgültige Aufklärung der Mordserie führen können. Hier zeigt sich deutlich eine Umkehrung der Verhältnisse zum Akt 1. Diese Szene wird auch als Ausdruck von Dürrenmatts Meinung interpretiert, dass sich nur durch vordergründige Anpassung an „verrückte“ Verhältnisse Macht erlangen lässt und nicht durch das Ankämpfen gegen diese.
Akt 2 Szene 2 — Gespräch zwischen Möbius und Fräulein Mathilde von Zahnd
Möbius und die Oberschwester sprechen über den Mord an Monika Stettler. Möbius bringt seine These vor, dass König Salomon ihn dazu gebracht hat. Mathilde Zahnd glaubt ihm und offenbart damit endgültig ihre eigene Verrücktheit. Inspektor Voß nimmt das Geständnis auf und Möbius erhofft sich eine Inhaftierung. Er hat wohl die Geschehnisse im Sanatorium durchschaut und sieht im Gefängnis eine weitere Möglichkeit seine „Weltformel“ zu schützen. Der Inspektor lehnt dies jedoch kurioserweise ab.
Akt 2 Szene 3 — Gespräch zwischen den drei Physikern
In dieser letzten Szene geschieht die Auflösung des bisherigen Geschehens in Form eines Konflikts zwischen den drei Physikern. Einstein und Newton offenbaren sich als Agenten aus dem Ost- und den Westblock und wollen sich duellieren. Da sie aber schnell merken, dass sie einander ebenbürtig im Umgang mit den Pistolen sind, verzichten sie darauf. Zudem erklärt Möbius, dass er die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Entdeckung (die Entdeckung der „Weltformel“) verbrannt habe. Damit wird er für die beiden anderen, die sich zuvor als Agenten offenbart haben, uninteressant. Das Gespräch wird jedoch von der Oberschwester belauscht und aufgenommen. Sie sichert sich so die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Möbius'.
Akt 2 Szene 4 — Ende und Schlussmonologe
In einem Diskurs zwischen den Agenten und Möbius wird die Frage nach der Verwertbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Verantwortung von Wissenschaftlern für ihre Forschungsergebnisse aufgeworfen. Dabei nehmen die beiden Agenten unterschiedliche Standpunkte ein. Gemeinsam ist ihrer Argumentation jedoch, dass sie beide keine Verantwortung für die Verwertung von Wissenschaft übernehmen wollen, aber trotzdem der Meinung sind, dass Genies wie Möbius verpflichtet sind, ihre Erkenntnisse der Allgemeinheit zukommen zu lassen. Möbius widerspricht diesen Ansichten, und versucht, die beiden Agenten zum Bleiben im Sanatorium zu überreden, damit sie nicht als Mörder für ihre Taten sühnen müssen. Mathilde von Zahnd lädt die drei jedoch zum Gespräch vor und teilt mit, dass sie vor einiger Zeit Kopien von Möbius Entdeckung gemacht hat. So müssen die drei Physiker eingesperrt bleiben, während die Oberschwester die wissenschaftlichen Erkenntnisse als ihre ausgibt und daraus skrupellos Kapital schlägt.
In Schlussmonologen wenden sich die Physiker an das Publikum und informieren knapp über die von Ihnen dargestellten leibhaftigen Persönlichkeiten Newton, Einstein und Möbius.