Drama: Die Physiker (1961)
Autor/in: Friedrich DürrenmattEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Textauszug (S.68-74) des Dramas „Die Physiker“ (1961, überarbeitete Fassung von 1980) von Friedrich Dürrenmatt thematisiert die verschiedenen Positionen der Physiker zur Verantwortung der Wissenschaftler.
Zuvor haben die Physiker Einstein und Newton sich als Geheimagenten offenbart, da das Sanatorium kurz zuvor von Pflegern übernommen wurde. Beide Geheimagenten wollen die Weltformel von Möbius stehlen und haben sich in die Irrenanstalt eingewiesen. Die Physiker Newton und Einstein sind anschließend davon überzeugt, dass sie alle im Sanatorium bleiben, um die gefährlichen Erkenntnisse nicht an deren Geheimdienste weiterzuleiten. Da das Gespräch von Zahnd abgehört wird, weiß sie nun, dass Newton und Einstein Geheimagenten sind, sodass sie alle Physiker eingesperrt lässt und selbst die Weltformel nutzt.
Die Passage beginnt, indem Newton Möbius mit Ruhm und Aufmerksamkeit aus der Irrenanstalt locken möchte. Möbius ist nicht begeistert und weigert sich, da seine Erkenntnisse viele ungeklärte Theorien der Physik offenbart. Er fürchtet nämlich den Missbrauch seiner Ergebnisse. Während Newton und Einstein versuchen, ihn zu überzeugen, thematisiert Möbius die Folgen seiner Erkenntnisse. Anschließend sprechen Einstein und Newton darüber, dass die Wissenschaftler nicht die Verantwortung übernehmen müssten und der Meinung sind, sie müssten um Möbius kämpfen. Sie wollen sich einen fairen Kamp bieten, doch Möbius´ Offenbarung, er habe die Manuskripte verbrannt, schockiert die beiden. Sie stecken die Revolver weg. Anschließend wird die Frage, wer die Verantwortung übernehmen müsse, gestellt. Beide geben ihre Positionen wieder, doch Möbius ist nicht überzeugt. Er erklärt seinen Plan, der in seinen Augen die beste Lösung ist und weist erneut auf die Gefahren der Wissenschaft zu.
Newton ist der Auffassung, dass die Wissenschaftler keine Verantwortung übernehmen müssen. (vgl. S.72). Einstein ist der Meinung, dass die Verantwortung bei der Politik zu sehen ist (vgl. S.72). Möbius hingegen will, dass die Wissenschaftler die Verantwortung übernehmen (vgl. S.72f.).
Die Gemeinsamkeit zwischen Newton und Einstein ist, dass der Wissenschaftler keine Verantwortung übernehmen muss (vgl. S.72). Doch Einstein gibt dem Staat die Schuld für Missbräuche der Wissenschaft, Newton der Allgemeinheit. Möbius gibt den Wissenschaftlern die Verantwortung, da es deren Erkenntnisse sind (vgl. S.73).
Möbius erwartet von der Wissenschaft, dass jeder Wissenschaftler Freiheiten besitzt, doch Newton und Einstein können ihn diese nicht bieten. Bei Einstein ist der Physiker an den Staat gebunden, er ist nicht frei (vgl. S.73). Er kann somit keine Garantie für die Verwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse geben, da durch die Parteien diese Kenntnisse genutzt werden können, so wie der Physiker es nicht gewollt hat (vgl. S.73).
Newton hingegen kann auf keine Freiheit setzen, da die Wissenschaftler zum Lösen der wissenschaftlichen Probleme dienen (vgl. S.72).
In Möbius´ Augen sind diese Theorien merkwürdig, denn keiner kann Freiheiten des Wissenschaftlers bieten (vgl. S.73). Seiner Meinung nach muss die Wissenschaft unabhängig von den Staat und der Politik sein (vgl. S.73).
Die Position von Newton bezüglich der Verantwortung ist gravierend. Wenn die Wissenschaftler keine Verantwortung übernehmen würden, könnte jeder Mensch die Atomphysik zu seinen Vorteil nutzen und somit alle Menschen auslöschen. Seine Ansicht zur Freiheit ist beschränkt, da die Erkenntnisse optimale Bedingungen voraussetzen und das ohne Übernahme der Verantwortung
Einstein ist der Meinung, der Staat müsse die Verantwortung übernehmen, doch Einstein kann nicht garantieren, dass die Parteien die Kenntnisse nach den Vorstellungen des Wissenschaftlers nutzen. Ein Leben nach dieser Ansicht setzt ein politisches Machtspiel voraus, da nationale Probleme mit zerstörenden Mittel „gelöst“ werden. Bezüglich der Freiheit kann Einstein nur ein Leben präsentieren, welches durch absolut Abhängigkeit der Politik gesteuert ist. Er fordert Freiheiten, um keinen Druck auf die eigenen Kenntnisse aufzubauen, zudem Unabhängigkeit, wo keine Gesetze der Politik oder anderen Wissenschaftlern stehen, die die Mittel zum Zerstören der Menschheit nutzen.
Im Folgenden lässt sich die kritische Betrachtung von Dürrenmatt mittels Möbius´ Einstellung erläutern, da die Figur Möbius die persönliche Meinung des Autors widerspiegelt.
Dürrenmatt fordert Übernahme der Verantwortung von der Wissenschaft, da sonst jede Erfindung gegen andere Nationen oder Menschengruppen benutzt werden kann. Sein Werk kritisiert den leichtsinnigen Umgang mit der Macht der Wissenschaft, die durch machtgierige und zynische Politiker gefährdend ist. Zudem soll seine Intention auf die Gegenwart und die Zukunft wirken. Doch auch seine 21 Punkten zu „den Physikern“ deutet auf eine interne Lösung bei Wissenschaftlern hin, wobei die Auswirkungen alle Menschen betreffen und es somit auch eine Lösung in der Menschheit selbst geben muss (Punkt 15-17). Er fordert Zusammenhalt, um Probleme zu lösen, da die Menschen ihre Einstellung ändern müssen, und sich die Gefahr ernsthaft vor Augen führen müssen (Punkt 18). Somit thematisiert er eine kritische Betrachtung der Wissenschaft als Kritik an einer Gesellschaft, die sich vor Verantwortung drückt, um die Leser/das Publikum auf die falschen Vorgehensweisen zu machen.
Die Verantwortung der Wissenschaft liegt meiner Meinung nach im ersten Sinn bei den Wissenschaftlern, da die Auswirkungen der Erkenntnisse nur von denen studiert werden können. Deren Beurteilung darüber, ob es auch dem negativen Nutzen dient, ist ihre Einschätzung. Bei Veröffentlichung solcher physikalischer Kenntnisse müssen die Risiken angesprochen werden. Was die Menschheit – und besonders die Politik – aus solchen Ergebnisse schließt, ist anschließend die Einschätzung der Politiker. Menschen, die nicht politische Macht besitzen und nicht in direkte Verhandlungen eingeschlossen sind, können mit Demonstrationen Widerstand leisten. Somit bin ich der Meinung, dass alle Menschen verantwortlich sind, doch es sich etappenweise aufbaut. Je näher die Bindung zwischen Mensch und Wissenschaft ist, desto höher die Verantwortung, das bedeutet, dass in meiner Auffassung zuerst der Wissenschaftler, dann die Politiker und anschließend erst die Bürger die Verantwortung übernehmen müssen.
Wenn Wissenschaft und Politik sich jedoch einig sind und dennoch die Unzufriedenheit steigt, so liegt die Verantwortung bei den Bürgern, um weiterhin auf einer gesunden und bewohnbaren Welt zu leben und glücklich zu sein.