Gedicht: Die Entwicklung der Menschheit (1932)
Autor/in: Erich KästnerEpoche: Neue Sachlichkeit
Strophen: 6, Verse: 30
Verse pro Strophe: 1-5, 2-5, 3-5, 4-5, 5-5, 6-5
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
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Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das 1932, von Erich Kästner in seinem Gedichtband „Gesang zwischen Stühlen“, veröffentlichte Werk „Die Entwicklung der Menschheit“, thematisiert den Fortschritt der Menschheit und dessen Weiterentwicklung vom primitiven Menschenaffen zum modernen Büromenschen.
In Strophe 1, am Anfang der Entwicklung, saß der Mensch noch auf Bäumen im Urwald, doch schnell wurde er aus dem wohlbekannten Terrain gelockt und in die moderne Welt etabliert. In Büros und Hochhäusern spielt sich nun das Leben ab. Die Menschheit hat Fortschritte in Wissenschaft und Technik gemacht und zudem passieren Dinge, die man sich früher nie hätte vorstellen können. Doch am Ende steht die Frage, was sich in uns Menschen geändert hat?
Das Gedicht hat 6 Strophen, zu je 5 Versen und folgt einem a-b-a-a-b Reimschema. Es liegt kein eindeutiges Metrum1 vor, genauso wie keine gleiche Verslänge existiert, was jedoch nicht ungewöhnlich ist, wenn man betrachtet, dass es sich bei dem Gedicht „Die Entwicklung der Menschheit“ um ein modernes Gedicht handelt. Auffällig jedoch ist bei dem Gedicht die Rolle, welche der lyrische Sprecher einnimmt. In der Annahme, dass er ein Mensch ist, wird durch seine neutrale Haltung als auktorialer Erzähler eine gewisse Distanz seinerseits zur Menschheit deutlich.
In der ersten Strophe des Gedichtes geht es um die rasante Entwicklung von den „behaart[en]“ (V. 2) Kerlen, die „auf den Bäumen [hocken]“ (V. 1), zu den Arbeitstieren, welche sie heute sind. Auffällig ist die Beschreibung der Menschen in der ersten Strophe, welche mehr auf eine Horde von Affen hindeutet, als auf eine zivilisierte Gesellschaft. Als sie aus dem Urwald gelockt werden, ist auch keine Änderung der „Kerls“ (V. 1), sondern nur ihrer Umwelt zu sehen, indem „die Welt asphaltiert und aufgestockt“ (V. 4) wird.
Die nächsten vier Strophen ähneln sich stark und zeigen wiederholt stilistische Mittel, mit welchen die Schritte in der menschlichen Entwicklung, bis hin zu unmöglichem, aufgezählt werden. Die sich ständig wiederholenden Anaphern2, verdeutlichen die Monotonie des Alltags unserer heutigen Gesellschaft. Strophe Zwei thematisiert den Fortschritt vom Wilden zum gepflegten Büromenschen in „zentralgeheizten Räumen“ (V. 7). Trotz der technischen Entwicklungen sind die Menschen in ihrem Verhalten primitiv geblieben und unterscheiden sich nicht von ihren Vorfahren, „es herrscht noch genau derselbe Ton“ (V. 9). Auch bemerkenswert ist der Parallelismus, „Da saßen sie nun“ und „Da sitzen sie nun“, welcher zeigt, dass sich ihre Tätigkeit des Sitzens nicht geändert hat. Demnach sind sie immer noch dieselben.
Strophe drei, vier und fünf zählen sämtliche Errungenschaften der Menschheit auf. Die Frage ist nur, ob diese wirklich nützlich sind oder nicht. Besonders sticht die als „gebildeter Stern“ (V. 14) personifizierte Erde heraus. Wobei anzumerken ist, dass die Erde weder ein Stern ist noch gebildet sein kann, sondern nur seine Bewohner. So wird ein satirischer Unterton suggeriert, welcher sich auch in scheinbar unpassenden Wortkombinationen, wie „sie atmen modern“ (V. 13) und „sie heilen Inzest“ (V. 23) zeigt. Diese (bis jetzt) unmögliche Tat, Inzest zu heilen oder die unnötige Forschung nach Cäsars „Plattfüßen“, verdeutlichen aber auch die Gier der Menschen und eine nichtzufriedenzustellende Gesellschaft. Sie überwinden die Grenzen der Vorstellung, fliegen ins All und jagen mikroskopisch kleine Wesen, all das zeigt einen enormen Fortschritt. Doch wozu ist das alles gut?
Die sechste Strophe schließt das Gedicht und es werden die Fortschritte, welche die Menschen „geschaffen“ (V. 27) haben im Gesamten betrachtet. Statt mit dem Herzen, wurde der Fortschritt mit „dem Kopf und dem Mund“ (V. 26) bewerkstelligt. Denn „bei Lichte betrachtet“ (V. 29) haben sich die Menschen selbst, kaum weiterentwickelt und sind immer noch dieselben „alten Affen“ (V. 30).
Das Gedicht beleuchtet die Entwicklung der Menschheit auf eine kritische und satirische Weise. Die Menschen haben es zwar von den Bäumen ins Büro geschafft, dennoch verhalten sie sich wie die Affen im Urwald. Sie haben zwar nach außen hin gewaltigen Fortschritten gemacht, doch hat sich in ihrem Inneren nichts geändert. Um wirklich einen Fortschritt zu machen müssen sich die Menschen auch mit ihrem Herzen weiterentwickeln. Meiner Meinung nach ist das Gedicht nichtzutreffend, denn auch menschlich haben wir uns weiterentwickelt und sind um einiges sozialer und kommunikativer geworden. Unsere individuellen Vorstellungen von Toleranz und Recht sind von unseren Sichtweisen abhängig und haben kaum etwas mit Evolution zu tun. Kästners damaliges Bild der Menschen als affenähnliches Tier, empfinde ich aus heutiger Sicht als überholt. Zwar werden wir manchmal noch laut und Situationen eskalieren, dennoch ist das Ganze weit von dem flohverseuchten Urwaldtier entfernt.