Aufgabenstellung
Analysieren Sie, wie der Autor Jan Wiele seine Position zu Chancen und Risiken des Videoportals Youtube argumentativ entwickelt. Berücksichtigen Sie dabei auch ausgewählte sprachliche Mittel.
Erörtern Sie die Position des Autors Jan Wiele zum Videoportal Youtube. Beziehen Sie
dabei eigene Medienerfahrungen ein.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
Youtube hat, wie das Video „Die Zerstörung der CDU“ von Rezo zeigt, das Potenzial, die politische Debatte im Land zu beeinflussen. Man kann also von einer bereichernden Wirkung der Plattform sprechen. Gleichzeitig sind aber viele Kommentarspalten der Plattform, aber auch viele Videos berüchtigt für den dortigen mit Beleidigungen angereicherten Umgangston. Dies sind nur zwei Facetten der Ambivalenz von Youtube, die auch Jan Wiele in seinem Artikel „Die Dialektik der Bauchnabelfluse“, der am 25.02.2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, thematisiert.
Bereits der Titel „Die Dialektik der Bauchnabelfluse“, der in sich selbst die Dialektik zwischen eben jenem Fachbegriff und des banal, bzw. absurd und seltsam erscheinenden Neologismus „Bauchnabelfluse“ enthält. Dieser Kontrast innerhalb des Titels passt bereits zur Dialektik von Youtube, die der Autor im Textverlauf erörtern wird.
Sein Einstieg in das Thema (Z. 1 – 59 ist eine Erwähnung und Zusammenfassung des allerersten YouTube Videos, dessen Mangel an Inhalt er mit einer Ellipse1 „knapp eine Minute Nullinformation“ (Z. 4) hervorhebt. Diese Betonung inhaltlicher Defizite leitet bereits eines der späteren Argumente des Autors ein. Jan Wiele charakterisiert das Videoportal anhand dieses Beispiels bereits zu Beginn als im besten Fall schwankend in Sachen inhaltlicher Qualität, was seine kritische Argumentation, die folgen wird, bereits andeutet. Als nächstes beleuchtet Wiele die Entwicklung von Youtube hin zum Massenmedium (Z. 6 – 16), was die Relevanz seines Themas belegt. Dann knüpft er an seinen Einstieg an und schildert YouTubes inhaltliche Vielfalt, die der Autor hyperbolisch als „maximal ausdifferenziert“ (Z. 7) bezeichnet und mit Antithesen2 wie der von „historischen Momenten“ und dem bildhaften „weißen Rauschen des Nonsens“ (Z. 9) umschreibt. Dementsprechend sind auch seine Beispiele antithetisch: harmlose Dinge, wie z. B. Klavierspielen und eine Steinigung im Iran (vgl. Z. 12). Hier wird Youtube von Wiele als Archiv bezeichnet. Insgesamt charakterisiert der Autor hier aber das Objekt seiner Argumentation als inhaltlich vielseitiges Archiv. Diese noch relativ neutrale Betrachtung wird im nächsten Abschnitt (Z. 17 – 20) kritischer. Denn hier wird die Aufmerksamkeit nur auf die Programmlosigkeit von Youtube gelenkt. Dieser Abschnitt fungiert als Überleitung zur eigentlichen Argumentation. Die Programmlosigkeit von Youtube erläutert Wiele in den folgenden Absätzen und auch den später folgenden Begriff der Zensur gebraucht er hier zum ersten Mal. Die Argumentation, die wie im Titel bereits angedeutet, dialektischer Natur ist, beginnt mit der Betonung der Zweischneidigkeit von Youtubes Programmlosigkeit und der Einräumung von deren guten Seiten, insbesondere der grenzenlosen Möglichkeiten und die Unterstützung der Eigeninitiative. Hierfür wird als Beispiel die durch Youtube vielfach erhöhte Reichweite eines Mathematikprofessors bei der Verbreitung seines Stoffes angebracht. Des Weiteren wird wieder die große inhaltliche Vielseitigkeit des Portals betont, auch durch den sprachlichen Kontrast zwischen „Selbsthilfegruppe“ und „professioneller Ausbildung“. Bei einer Aufzählung zahlreicher Beispiele ist wie bereits zuvor wieder vom „rauschenden Nonsens“ (Z. 9 und 33) die Rede. Mit dem Beginn seiner Argumentation versucht Wiele in diesem Abschnitt, indem er ein Gegenargument zu seiner eigenen kritischen Position bringt, diese abzuschwächen und gleichzeitig die Zustimmung des Lesers zu gewinnen. Zur Abschwächung seines Arguments formuliert er die Zusammenfassung die letzten beiden Sätze im Konjunktiv („könnte“, Z. 39) und an anderer Stelle mit dem Zusatz „sogar“ (Z. 34). Dies trennt die Unterstützer dieser These von allen anderen und lässt die Schlussfolgerung überspitzt und damit unglaubwürdig wirken. Der folgende Abschnitt zeigt nun die Schattenseite dieser Programmlosigkeit und leitet somit Wieles Gegenargumentation ein. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf all die Dinge, die man auf Youtube finden kann und die weniger wünschenswert sind. Um dies zu verdeutlichen, verweist er auf die Perspektive von Eltern. Im nächsten Abschnitt bezieht sich der Autor auf seine Überleitung von vorher zurück (vgl. Z. 20) und spricht wieder von Programmlosigkeit und Zensur (vgl. Z. 47). Zunächst schildert Jan Wiele hier Youtubes geltende Richtlinien bezüglich seiner Inhalte. Die Existenz dieser Regeln verdeutlicht er mit der Wortwiederholung des Begriffs „Richtlinien“ (Z. Z. 47 – 51), da ihre mangelhafte Durchsetzung Kern seiner Argumentation hier ist. Das Scheitern der Umsetzung dieser Richtlinien belegt der Autor mit Beispielen für gewalttätige Videos. Er deutet die Tragweite dieser Problematik mit einem Verweis auf potenzielle Folgen für Kinder an. In seinem Resümee entkräftet er sein zuvor erläutertes Pro-Argument, in dem er die aufklärerische Funktion, die der Seite scheinbar zugesprochen wird (vgl. Z. 40) direkt wieder abspricht (Z. 62). Dies stellt er nicht als seine Position, sondern deutet, um überzeugender zu wirken, an, dass seine Schlussfolgerung offensichtlich sei. Dies geschieht mithilfe der Formulierung „Nur Zyniker3 würden …“ (Z. 60). Danach bringt Wiele nun einen eigenen Vorschlag einer Redaktion für Youtube, deren Notwendigkeit er an der möglichen Sprengkraft eines Youtube-Videos beispielhaft erläutert. Sein Vorschlag ist als Konjunktiv formuliert, um die Zustimmung der Leser zu gewinnen (Z. 67). Die Wichtigkeit von Qualitätskontrolle auf der Plattform unterstreicht er mit einer Betonung von deren einzigartiger wichtiger Position. Im vorletzten Abschnitt fordert Wiele einen öffentlichen Diskurs über die vielen verschiedenen Inhalte der Plattform. Dessen Tragweite veranschaulicht er beispielhaft an Jugendlichen, die auf Youtube viele ihrer privatesten Gedanken teilen. Hierbei verweist er auf die Endgültigkeit einer Veröffentlichung auf Youtube und die Tatsache, dass man möglicherweise sehr negativem Feedback ausgeliefert ist. An dieser Stelle erwähnt der Autor hier erneut den beschriebenen Mangel an Zensur auf dem Videoportal.
In seinem Fazit (Z. 92 – 96) bezieht sich der Autor wieder auf ein Beispiel eines Videos, dessen Inhalt eine Dialektik an Schönheit und zu viel Intimität besitzt, was durch den Neologismus „Intimissimum“ unterstrichen wird. Der letzte Satz des Artikels ist eine rhetorische Frage, die auf die Hauptproblematik der möglichen späteren Konsequenzen von Youtube verweist.
Im Allgemeinen ist Wieles Text in einem gehobenen Stil geschrieben, der sich in der großen Anzahl von Fachbegriffen, wie beispielsweise „Dialektik“ (Titel) und Anglizismen, bzw. anglizistische Neologismen4 wie „Do-it-yourself-Geist“ (Z. 23). Mit diesen Anglizismen will der Autor den Text sprachlich dem Thema anpassen und parallel dazu die eigene Sach- und Sprachkompetenz unter Beweis stellen. Der Artikel enthält eine Anspielung auf den Satz „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder.“ (vgl. Z. 77f.), womit Wiele auf seine gebildete Leserschaft – erschienen ist sein Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - abzielt. Der Satzbau des Artikels ist, entsprechend seinem argumentativen Charakter, von Hypotaxen, aber auch passagenweise von Parataxen geprägt. Jan Wiele fordert eine Redaktion für Youtube, da sich die Programmlosigkeit dieser Plattform auf vielerlei Weise negativ auswirkt. Im Kern dieser Problematik steht die Position von Youtube als Massenmedium, das damit in einer gewissen Verantwortung steht. Eine Plattform, die Hunderte Millionen Nutzer erreicht, kann sich nicht aus der Verantwortung für den Inhalt herausreden. Es käme auch niemand auf die Idee, eine Zeitung ohne Editor zu betreiben, wieso also Youtube? Auf der anderen Seite muss man allerdings bedenken, dass Youtube eine Internetplattform ist und dementsprechend nach den Grundsätzen von freier Ausdrucksmöglichkeit und Anonymität funktioniert. Man kann Youtube nicht in die gleiche Schublade wie klassische Medien stecken, da es eben kein klassisches Medium ist. Youtube hat mehr mit einem sozialen Netzwerk als mit einem klassischen Medium gemeinsam, denn hier kann jeder freie Inhalte teilen. Dieser Grundsatz der Freiheit spricht gegen eine Notwendigkeit einer Redaktion für Youtube.
Für mich überwiegen bei der Frage, ob Youtube einer Redaktion bedarf, eher die Gegenargumente der positiven Programmlosigkeit und der Einzigartigkeit des Mediums Youtube als die Schattenseiten der Plattform, die Wiele überzeugten. Allerdings müsste die Zensur auf Youtube wirklich besser funktionieren