Drama: Der zerbrochne Krug (1811)
Autor/in: Heinrich von KleistEpochen: Weimarer Klassik, Romantik
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die zu analysierende elfte Szene stammt aus dem 1811 erschienen Drama/Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist und handelt von einer Gerichtsverhandlung, in welcher der Täter ebenso den Richter darstellt.
Der korrupte Dorfrichter Adam erschien in der vorherigen Nacht bei Eve, der Tochter von Frau Marthe Rull, um sie durch Erpressung zu sexuellen Handlungen zu drängen. Eves Verlobter Ruprecht erschien jedoch plötzlich und stürmte in das Zimmer seiner künftigen Frau. Der Richter Adam ergriff die Flucht, zerstörte dabei einen Krug und verlor seine Perücke. Am nächsten Tag erscheint der Gerichtsrat Walter für einen Routinebesuch und nimmt zusammen mit dem Schreiber Licht an der bevorstehenden Gerichtsverhandlung teil, in welcher die Frau Marthe Rull den Ruprecht anklagt, den Krug vergangene Nacht zerbrochen zu haben.
Dorfrichter Adam versucht durch Lügen, Beschuldigungen und Drohungen den Verdacht von sich abzulenken. Letztlich werden seine Lügen jedoch durch eine Zeugenaussage von Frau Brigitte, Lichts geschickter Gesprächsführung und Eves Geständnis entlarvt, woraufhin Adam die Flucht ergreift.
Die vorliegende Szene richtet den Appell an die Leser, dass lügen einen Menschen niemals weiter bringen können. Man kann sich nicht dagegen wehren, denn gemäß dem bekannten Sprichwort, kommt jede Wahrheit eines Tages ans Licht. Ebenso ist die elfte Szene eine Schlüsselszene des Dramas, denn sie offenbart den wahren Täter des zerbrochenen Krugs und beinhaltet demnach den Wendepunkt des Dramas.
In der elften Szene tritt Frau Brigitte auf und bringt die Perücke als Beweisstück mit. Gemeinsam mit dem Schreiber Licht gibt sie den Tathergang bzw. ihre Sichtung wieder und bringt weitere Beweise, wie zum Beispiel die Fußspuren die zum Gerichtshaus führten, zur Sprache.
Licht, der den Schuldigen bereits erahnt, macht immer wieder Anspielungen auf den Dorfrichter Adam, dessen Schuld schließlich vor allem durch die verlorene Perücke bewiesen wird. Jedoch verurteilt Richter Adam den Ruprecht als Täter, woraufhin Eve ihr Geständnis abgibt, um alle Anwesenden aufzuklären.Daraufhin ergreift Adam die Flucht.
Der Dialog lässt eine Entwicklung erkennen, die sich zunächst in drei Abschnitte gliedern lässt.
Im ersten Abschnitt (V. 1607-1664) geht es um den Streit zwischen Adam und Ruprecht aufgrund der Perücke.
Daraufhin macht Frau Brigitte im zweiten Abschnitt (V. 1665-1789) eine ausführliche Zeugenaussage vor Gericht. Diese steht ebenso im Mittelpunkt der Szene und es zeigt sich, dass Frau Brigittes Redeanteile dominieren. Auch Dorfrichter Adam ist für den Dialog im zweiten Abschnitt von großer Bedeutung. So versucht Adam zum Beispiel durch Zwischenfragen wie: „(…) -Hat sich der Schelm vielleicht erlaubt, verkappt des Teufels Art -?“ (V. 1727) vom Thema abzulenken.
Der dritte Abschnitt (V. 1790-1890) könnte auch als Wendepunkt des Dramas bezeichnet werden, denn dort verweisen nun endgültig alle Beweise auf Adam, welcher schlussendlich flieht.
Ebenfalls sind Adam, sowie Schreiber Licht und Eve im dritten Abschnitt von großer Bedeutung. Adam versucht weiterhin durch ausweichende Einwände (vgl. v 1833 ff. ) den Gesprächsverlauf zu unterbrechen. Durch diese Gesprächsstörungen, versucht er die Aufdeckung der Wahrheit so lange wie möglich hinauszuzögern. Ebenso versucht Adam die Schuld immer wieder auf andere zu schieben und gerät dadurch jedoch selbst in Verdacht. So verdächtigt er zunächst den Teufel, als tätsächlichen Täter (vgl. V 1820 ff. ) und abschließend Ruprecht: „(…) und Ruprecht dort, der Racker, ist der Täter.“ (V. 1875). Schreiber Licht jedoch übernimmt eine leitende Position in der Gerichtsverhandlung und führt das Gespräch immer wieder zurück zum Thema (vgl. V. 1813; V. 1705).
Neben dem hauptsächlichen Wendepunkt des Dramas – Adam als den Täter zu entlarven - lässt sich ein weiterer Wendepunkt im dritten Abschnitt der elften Szene finden. Es zeigt sich ein Wandel der Machtposition, zwischen dem Schreiber Licht und dem Richter Adam. Diese Wendestelle wird vor allem durch den Gerichtsrat Walter verdeutlicht, indem er sich an Licht wendet, um ihn nach gerichtlichen Rat zu bitten: „Nun? Wen hier meint ihr?“ (V. 1816). Dieses verdeutlicht ebenfalls den stätigen Vertrauensverlust von Walter gegenüber dem Richter Adam.
Die Figuren Frau Marthe Rull, Veit Tümpel und Ruprecht sind ebenfalls in der elften Szene anwesend. Jedoch sind die Redeanteile ungleich verteilt und fallen vor allem zugunsten von Frau Brigitte und Adam aus. Wie bereits erläutert, dominieren die Redeanteile von Frau Brigitte, welches vor allem an der ausführlichen Zeugenaussage liegt. Allerdings ist Frau Brigitte sehr abergläubisch und daher in ihrer Deutung der Geschehnisse kaum ernst zu nehmen, so verdächtigt sie beispielsweise den Teufel als wahren Täter: „(…) lasst uns die Spur ein wenig doch verfolgen, sehn, wohin der Teufel wohl entwischt sein mag.“ (V. 1759-1763). Letztendlich trägt sie dennoch durch das Finden der Perücke und ihren Schilderungen, nachhaltig zur Aufklärung des Falles bei.
Veit Tümpel und Ruprecht halten sich in der Szene eher im Hintergrund, richten aber nach dem Geständnis von Eve ihre Wut gegen Adam (V. 1902 ff. ). Eve ergreift nur selten die Gesprächsinitiative. Sie traut sich erst, ihr Schweigen zu brechen, als die Beweislast für Adam zu schwer wird (V. 1895) und lässt anschließend ihrer Wut gegen Adam freien Lauf (V. 1902 ff. ).
Schreiber Licht verwendet verschiedene Tricks, um das Gesprächsziel zu erreichen: so überlässt er es beispielsweise den anderen, die Wahrheit die er längst ahnt auszusprechen. Dennoch trägt er mit seinen versteckte Anspielungen und hinweisen wie: „Hm! Allerdings ist jemand hier in Huisum “ (V. 1810) ; „wollen ew. Gnaden den Herrn Richter fragen „(V. 1812); „Hm! Die Perücke passt euch doch, mein Seel, als wär auf euren Scheitel sie gewachsen.“ (V. 1859 ff. ), indirekt zur Klärung des Falles bei, die ihm letztendlich die ersehnte Beförderung zum Dorfrichter verschafft.
Das Gespräch wird vom Schreiber Licht immer wieder zum eigentlichen Thema gesteuert. Auch Gerichtsrat Walter besitzt eine lenkende Funktion in dem Dialog. Er sorgt dafür, dass das Verhör ordnungsgemäß abläuft und beschließt letztendlich an Adams Stelle die Verhandlungen (V. 1884).
Die Szene beinhaltet ebenso einige dramaturgische Mittel wie zum Beispiel Regieanweisungen.
„Walter: (ungeduldig)“ (V. 1694), „Walter: (ärgerlich)“ (V. 1719). Regieanweisungen wie diese bringen vor allem die Empfindungen und Emotionen der Prozessteilnehmer zum Ausdruck. Außerdem können die Zuschauer/Leser dadurch einen Einblick in das Innenleben der Figuren erhalten, welches hilft die Gespräche besser verstehen zu können. Auch die Körpersprache der handelnden Personen ist für das Verständnis wichtig, denn diese zeigt unter anderem die (versteckten) Reaktionen der Figuren zum Beispiel: „Walter steht auf“ (V. 1897) ; „Ruprecht schlägt den Mantel und verdeutlicht somit seine aufkommende Wut gegen Adam“ (V. 1904). Allgemein lässt sich festhalten, dass die dramaturgischen Mittel vor allem der theatralischen Darstellung von Werken dienen. Zudem stützen sie die (persönliche) bildliche Darstellung der Geschehnisse des Lesers.
Die Analyse der Szene hat ergeben, dass die Lügen von Adam, ihm nicht weitergeholfen haben sondern im Gegenteil die Situation für ihn nur verschlechtert haben. Durch seine Lügen hat er seine Machtposition und sein Vertrauen der Leute im Dorf gegenüber verloren.
Dem Zuschauer wird der Eindruck vermittelt, dass jede Wahrheit mit der Zeit ans Licht kommt, in diesem Fall entweder durch Lichts Erkenntnisse, Frau Brigittes Aussage, Walters Entschlüsse und Eves Geständnis.
Abschließend lässt sich sagen, dass die elfte Szene eine wichtige Schlüsselszene des Dramas darstellt. Im Zusammenhang mit dem Gesamtdrama handelt es sich um einen entscheidenden Dialog, welcher den Wendepunkt einleitet und letztendlich die Ausgangsfrage nach dem wahren Täter des zerbrochenen Krugs lüftet.