Inhaltsangabe/Zusammenfassung
„Der Vorleser“ ist ein dreiteiliger Roman, der 1995 veröffentlicht wurde. Die vordergründige Handlung beschreibt die Liebe zwischen dem 15-jährigen Schüler Michael Berg und der 21 Jahre älteren Hanna Schmitz. In Rückblenden erfährt der Leser aus der Ich-Perspektive des Schülers die Entstehung der Liebe und ihre Wandlung, als Hanna plötzlich verschwindet und Michael sie erst als Angeklagte im Gerichtsaal wiedersieht. Sie muss sich ihrer Vergangenheit als KZ-Aufseherin stellen - und ihr einstiger Liebhaber wird gezwungen, über sich selbst und den deutschen Umgang mit der Geschichte und der Schuld des Nationalsozialismus neu nachzudenken.
Der deutsche Jurist und Autor Bernhard Schlink, geboren 1944, lässt seinen Protagonisten die Zeit von 1959 bis 1984 erzählen - Schlink ist demnach epochal im ähnlichen Alter wie die Romanfigur des Erzählers. „Der Vorleser“ wurde in 44 Sprachen übersetzt, verfilmt und erlangte internationalen Bestsellerstatus. Als das Buch erschien, erlebte Deutschland eine Phase höchster Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig stärksten Zuwanderungsstrom in der Nachkriegszeit.
Übersicht
Erster Teil
Der erste Teil des Romans beschreibt die Liebesgeschichte zwischen Michael Berg und Hanna Schmitz. Ihre zufällige Entstehung, ihre Wandlung in eine Abhängigkeit Michaels von Hanna, der Entwicklung ihrer Liebesroutine und schließlich dem abrupten Ende. Der familiäre Hintergrund Michaels wird erzählt, um Hannas Vergangenheit wird ein Geheimnis gemacht, erst nach und nach wird zumindest ihr Alter und ihr Beruf deutlich. Die Liebenden lachen und streiten miteinander, Michael gerät immer mehr in eine demütige Hörigkeit hinein, Hanna lehrt ihn die Liebe und er beginnt, ihr Bücher und Gedichte vorzulesen. Im Laufe der Zeit verändert sich der Schuljunge Michael zum jungen Erwachsenen, seine Klassenkameraden und seine Familie nehmen seine Veränderung wohlwollend zur Kenntnis, und indem er ihnen nicht von Hanna erzählt, meint er, einen Verrat an ihr zu begehen. Diese gedankliche Schuld begleitet ihn lange, bis Hanna eines Tages plötzlich und scheinbar ohne Grund verschwindet.
Teil 1 Kapitel 1
Michael Berg beginnt seine Rückblende mit der Beschreibung seiner Erkrankung an Gelbsucht im Alter von 15 Jahren. Er erleidet den Ausbruch der Krankheit auf dem Weg von der Schule nach Hause, er erbricht sich gegen eine Hauswand. Er schildert seine Scham und seine Erschöpfung. Eine Frau nimmt sich seiner an, hilft ihm, sich zu waschen und leitet ihn an, mit ihr gemeinsam den Gehweg von Erbrochenem zu reinigen. Dem Jungen ist die Situation so peinlich, dass er weinen muss. Die Frau umarmt ihn tröstend und bringt ihn nach Hause. Der Arzt diagnostiziert Gelbsucht, der Junge erzählt seiner Mutter von der Frau, deren Namen er nicht kennt. Seine Mutter schickt ihn, sobald er Ende Februar genesen ist, zu der Frau, um sich mit Blumen bei ihr zu bedanken.
Teil 1 Kapitel 2
Der Erzähler beschreibt das Haus, in dem die Frau wohnt. Gleich zu Anfang erfährt der Leser, dass es das Haus in der Gegenwart des Protagonisten nicht mehr gibt. Das Haus mit seinen vier Stockwerken wird als düster, geheimnisvoll und herrschaftlich beschrieben, der Eingang wird von Löwenstatuen flankiert. Der Erzähler spricht darüber, dass er das Haus bereits in seiner Kindheit faszinierend fand, und es auch heute noch in seine Träume einbindet. Er sieht das Haus entweder in fremden Städten oder auf dem flachen Land, immer will er es betreten, kommt aber nie über das Drücken der Türklinke hinaus. Wenn er aufwacht, erinnert er sich stets daran, dass er den Traum bereits träumte.
Teil 1 Kapitel 3
Der Erzähler betritt das Haus und ist von der Innenansicht des Gebäudes enttäuscht. Er beschreibt den Geruch des Hauses, erfährt, dass seine Retterin Frau Schmitz heißt und im dritten Stock lebt. Die Wohnung von Frau Schmitz wird beschrieben, ihr Grundriss, die Einrichtung mit dem Badeofen und der Badewanne in der Küche und dem Ausblick auf die Bahnhofsstrasse. Frau Schmitz bittet den Erzähler hinein in die Küche, sie unterhalten sich, während sie Wäsche bügelt und zusammenlegt. Der Erzähler beschreibt ihre Erscheinung, ihre Kleidung, ihr Gesicht und ihre Konzentration und die Eindrücklichkeit, mit der er sich später an sie erinnert. Worüber sie gesprochen haben, weiß er nicht mehr.
Teil 1 Kapitel 4
Bevor der Erzähler Frau Schmitz verlässt, bittet sie ihn, zu warten, damit sie gemeinsam gehen können. Sie zieht sich um und rollt sich im Unterkleid Strümpfe über die Beine. Der Erzähler beschreibt den Anblick und die Erregung, die er beim Zuschauen spürt, sie erwischt ihn, als er sie beobachtet, und er verlässt fluchtartig die Wohnung. Auf dem Heimweg denkt er darüber nach, warum ihn das Bild so aufgewühlt hat. Er berichtet, wie er auch Jahre später immer wieder Frauen darum bittet, sich für ihn Strümpfe oder Strapse anzuziehen. Er erzählt von der Weltvergessenheit und Alltäglichkeit der Szene, die ihn jedes Mal aufs Neue erregt, wenn er daran denkt.
Teil 1 Kapitel 5
Eine Woche nach dem Strumpfereignis steht der Erzähler wieder vor der Tür von Frau Schmitz. Seine Krankheit und die daraus resultierende Langeweile der Genesungsphase benennt er als Grund dafür, wieder zu ihr zu gehen. Es werden Fieberphantasien beschrieben und der Leser erfährt von dem häuslichen Umfeld des Erzählers, seiner Mutter, seiner großen Schwester und seiner christlichen Prägung. Er gerät durch seine Selbstbefriedigung in einen moralischen Zwiespalt und versucht, seinen erneuten Besuch bei Frau Schmitz damit zu rechtfertigen, sich von seinen Fantasien befreien zu wollen. Er erkennt im Rückblick, dass das Handeln nicht immer unbedingt einer getroffenen Entscheidung folgen muss, sondern die Tat oft auch zu den vernünftigen Gedanken im Widerspruch steht.
Teil 1 Kapitel 6
Der Erzähler trifft Frau Schmitz nicht an und wartet auf den Stufen vor ihrer Tür. Als sie in der Uniform1 einer Straßenbahnschaffnerin kommt, schickt sie ihn in den Keller, um Kohlen zu holen, der Kohleberg kommt jedoch ins Rutschen und bedeckt ihn mit schwarzem Staub. Der Erzähler kommt wieder in die Küche von Frau Schmitz, sie nennt ihn „Jungchen“ und sie lachen gemeinsam über seinen schmutzigen Anblick. Sie lässt ihm ein Bad ein, er wäscht sich, während sie seine Kleidung säubert. Frau Schmitz trocknet ihn ab, sie ist selbst nackt, sie berührt seine Brust und seinen Penis, er ist überwältigt von ihrer Schönheit und fürchtet, ihr nicht zu gefallen. Sie schläft zum ersten Mal mit ihm.
Teil 1 Kapitel 7
In einer Szene beim Abendbrot zu Hause erklärt der Erzähler seinen Entschluss, wieder in die Schule zu gehen, obwohl der Arzt es noch nicht erlaubt. Doch durch seine neu entdeckte Liebe zu Frau Schmitz fühlt er sich überlegen und erwachsen, was er auch zeigen will. Er lügt, um nicht sagen zu müssen, dass er den Nachmittag bei der Straßenbahnschaffnerin verbracht hat. Die Familie besteht aus seinem Vater, einem nachdenklichen und oft von der Familie abgewandten Professor für Philosophie, einem älteren Bruder und einer älteren Schwester, einer jüngeren Schwester und einer sorgenden Mutter. Der Erzähler beschreibt, wie er sich plötzlich dem Familienkreis entwachsen fühlt und sie gleichzeitig alle lieb hat.
Teil 1 Kapitel 8
Die Frau, wie der Erzähler sie nennt, lehrt ihn die Berührungen ihres Körpers. Vor dem Sex duschen sie stets, was der Erzähler nicht mag, weil es ihn Zeit kostet und er ihren Geruch mag. Er fragt sie nach ihrem Namen, was sie zunächst misstrauisch macht. Dann sagt sie ihm, dass sie Hanna heißt und er stellt sich als Michael Berg vor. Sie hält ihn für 17, was er nicht dementiert. Er schwänzt die Schule, um bei ihr sein zu können, als sie davon erfährt, wirft sie ihn zornig aus dem Bett. Hanna spielt ihm vor, wie ihr Arbeitsalltag aussieht und nimmt ihm das Versprechen ab, wieder fleißig in der Schule zu sein und den durch die Krankheit verlorenen Stoff aufzuholen, andernfalls will sie ihn nicht wiedersehen.
Teil 1 Kapitel 9
Der Erzähler denkt über nach, wie er, angetrieben von dem Versprechen, die Versetzung schafft und fragt sich, warum die glückliche Zeit von damals nicht als grenzenlos glücklich in Erinnerung geblieben ist. Er beschreibt seine Schulzeit und seinen Stand in der Klasse und bemerkt die Veränderung, die seine Persönlichkeit durch sein Zusammensein mit Hanna erfährt. Hanna fragt er nach ihrer Vergangenheit, sie antwortet ausweichend und geht auf seine Nachfragen nicht ein. Michael schlägt vor, gemeinsam zu verreisen, zur Tarnung sollten sie sich als Mutter und Sohn ausgeben. Sie beginnen das Ritual des Vorlesens, erst liest er ihr aus Lektüren vor, dann duschen und dann lieben sie sich.
Teil 1 Kapitel 10
Es sind Osterferien, und Michael Berg versucht, Hanna in der Straßenbahn zu treffen. Er sieht sie mit Kollegen, will sie nicht brüskieren und steigt ohne ein Wort in einen Wagen hinter ihr ein. Sie ignoriert ihn ebenfalls, was ihn verletzt. Später in ihrer Wohnung kommt es zum Streit, dem ersten richtigen, weil der eine dem anderen vorwirft, er habe ihn nicht kennen wollen. Diesen Streit beschreibt der Erzähler als maßgeblich für ihre weitere Beziehung: obwohl er sich ungerecht behandelt fühlt, bittet er sie um Verzeihung, erniedrigt sich und bettelt darum, dass sie ihn nicht verlässt.
Teil 1 Kapitel 11
Das Liebespaar unternimmt eine Reise mit Fahrrad, der Erzähler versetzt zur Finanzierung seine Briefmarkensammlung. Bei einer Übernachtung wacht Michael früh auf, schreibt der schlafenden Hanna einen Zettel, dass er Frühstück holen geht. Bei seiner Rückkehr ist Hanna halb angezogen, außer sich vor Wut und schlägt ihn mit ihrem Gürtel, da sie dachte, er habe sie plötzlich allein gelassen. Nach seiner Erklärung und Entschuldigung weint sie in seinen Armen, zeigt sich ihm gegenüber erstmals schwach. Der Zettel mit seiner Botschaft ist nicht zu finden. Der Erzähler schließt das Kapitel mit einem Gedicht, welches er auf der Reise für sie geschrieben hat.
Teil 1 Kapitel 12
Die Eltern unternehmen mit den größeren Kindern eine Reise, Michael und seine Schwester sollen jeweils bei Freunden unterkommen. Die jüngere Schwester will sich quer stellen, als der Erzähler die Eltern bittet, allein zuhause bleiben zu dürfen. Sie willigt ein, bei der Freundin zu bleiben, wenn Michael ihr eine Jeans und einen Nickipullover besorgt. Sie überredet ihn dazu, die Dinge zu stehlen, er tut es und stiehlt auch ein Nachthemd für Hanna. Sieben Tage und Nächte lang hat er das Haus für sich allein, er lädt Hanna ein und kocht für sie. Sie betrachtet achtsam sein Zuhause, die Bücher seines Vaters, will aber nicht in seinem Bett mit ihm schlafen. Sie gehen für die Nacht in ihre Wohnung.
Teil 1 Kapitel 13
Das neue Schuljahr beginnt für den Erzähler mit einer neuen Klasse, erstmals sind auch Mädchen mit im Unterricht. Die Schule und das Miteinander mit den Kameraden sind für Michael jetzt viel leichter geworden, er verfügt über einen sicheren und gelassenen Charakter, der bei den Mädchen gut ankommt, außerdem sind seine schulischen Leistungen besser geworden. Der Erzähler sinniert über den stetigen Wechsel von Sicherheit und Unsicherheit nach und meint, immer entweder das eine oder das andere Extrem zu empfinden. Er findet Gefallen an Sophie, seiner Banknachbarin, und stellt einen Vergleich mit Hanna an.
Teil 1 Kapitel 14
Der Erzähler vergleicht seine Liebe zu Hanna mit dem Gleitflug eines Flugzeuges, sie bleiben ihrem Ritual des Vorlesens, Duschens, Liebens und Beieinanderliegens treu. Er liest ihr „Krieg und Frieden“ vor, erstmalig ein Buch, welches er selbst noch nicht kennt, und sie entdecken die russische Welt gemeinsam. Sie erfinden neue Kosenamen für einander, als er sie „Pferd“ nennt, ist sie entsetzt. Er beschreibt, wie liebevoll er es meint, und ist verwundert über ihre heftige Reaktion, doch er kann sie damit versöhnen. Michael geht mit ihr ins Theater, sie sehen „Kabale und Liebe“. Neben seinen Besuchen bei ihr vergnügt er sich auch mit Klassenkameraden im Schwimmbad. An seinem Geburtstag, von dem Hanna nichts weiß, kommt es erneut zu einem Streit, der wie üblich mit seiner bettelnden Erniedrigung endet.
Teil 1 Kapitel 15
In den Augen des Erzählers beginnt er jetzt, Hanna zu verraten. Die Nachmittage im Schwimmbad mit den Kameraden bricht er oft ab, weil er zu Hanna geht, erzählt aber niemandem, was er tut. Für die Freunde wirkt das geheimnisvoll. Sophie, mit der er mittlerweile eng befreundet ist, fragt ihn vorsichtig, ob sein Weggehen mit seiner Gelbsucht zu tun habe. Er schämt sich und verneint, sagt aber auch nicht, wohin er geht. Dass er Hanna weder aktiv verleugnet noch bloßstellt, ändert nichts daran, dass er sich als Verräter fühlt. Gerade Sophie, so denkt er, müsse von Hanna erfahren - aber es kommt nie dazu, dass er sich ihr anvertraut.
Teil 1 Kapitel 16
Es fällt dem Erzähler auf, dass Hanna auf viele seiner Fragen im Alltag nicht antwortet, sie teilt ihr Leben nicht mit ihm, sondern weist ihm seinen Platz in ihrem Leben zu. Er erinnert sich daran, sie ein einziges Mal zufällig getroffen zu haben, im Schwimmbad, als er bei den anderen saß. Zuvor hat sie ihn mit viel mehr Intensität gebadet und geliebt, ihm war ihre veränderte Stimmung aufgefallen, als stünde sie unter Druck. Sie erzählt nicht, warum sie in dieser Laune ist, nach dem Sex schickt sie ihn ins Schwimmbad zu seinen Freunden. Plötzlich erblickt er sie dort, sie schaut zu ihm hin. Er weiß nicht, was er tun soll, und als er aufsteht und zu ihr gehen will, ist sie verschwunden.
Teil 1 Kapitel 17
Am Tag nach der Begegnung im Schwimmbad geht Michael wie üblich zu Hanna, doch sie ist nicht da und kommt auch nicht nach Hause. Er geht zu ihrer Vermieterin, die ihm erklärt, Frau Schmitz sein ausgezogen. Bei ihrer Arbeit sagt man ihm, man habe sie fördern und zur Fahrerin ausbilden wollen, und nun habe sie den Dienst quittiert. Hanna ist fortgezogen, nach Hamburg, ohne eine Anschrift zu hinterlassen. Der Erzähler vermisst sie körperlich und seelisch, er fühlt sich schuldig, weil er im Schwimmbad nicht sofort zu ihr gelaufen ist. Ihr Verschwinden hält er für die Strafe seines Verrats.
Zweiter Teil
Der zweite Teil des Romans beginnt sieben Jahre, nachdem Hanna verschwunden ist. Der Erzähler studiert mittlerweile Jura, und er besucht im Rahmen seines Studiums einen Prozess gegen Kriegsverbrecherinnen vom Konzentrationslager Ausschwitz. Eine der Angeklagten ist Hanna. Die Mittäterinnen schieben ihr die Hauptschuld zu, im Prozessverlauf erkennt Michael, dass seine ehemalige Geliebte Analphabetin ist und sich daher nicht richtig verteidigen kann. Er gerät in einen Gewissenskonflikt, ob er sich mit diesem Wissen in den Prozess einmischen soll. Sogar seinen Vater fragt er um Rat, traut sich letztendlich jedoch nicht. Hanna Schmitz wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Erzähler ist innerlich zerrissen, weil er seine erotischen Erinnerungen an Hanna mit ihrer Vergangenheit nicht in Einklang bringen kann.
Teil 2 Kapitel 1
Michael beschreibt, wie er den Verlust von Hanna erlebt, wie er sie erst überall zu sehen glaubt, wie er Bücher danach auswählt, ob sie zum Vorlesen geeignet sind, und im Traum nach ihr ruft. Die Familie zieht um, langsam verliert sich auch das ständige Schuldgefühl und weicht einem Ausdruck der Großspurigkeit und Überlegenheit, den er jedoch nur nach außen hin zur Schau stellt. Er will, obwohl er das nicht deutlich denkt, nie wieder gedemütigt werden und lässt nichts an sich heran. Als Student sieht er Sophie wieder, er schläft mit ihr, ohne ihr Gefühle entgegen zu bringen. Sie weint, und sein inneres Nebeneinander von arroganter Abwehr und Verletzlichkeit verwundern ihn selbst.
Teil 2 Kapitel 2
Das Jura-Studium führt den Erzähler zu einem Seminar über die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit. Der aus der Emigration zurückgekehrte Professor will mit seinen Studenten einen NS-Kriegsverbrecherprozess begleiten. Voller Eifer stürzt sich der Erzähler in die Arbeit, die Gruppendynamik reißt ihn mit, es stellt sich ein Überlegenheitsgefühl allen anderen Studenten gegenüber ein. Die Aufarbeitung ist laut dem Erzähler das beherrschende Thema der Generation, alle verurteilen die eigenen Eltern zur Scham über die Vergangenheit, und sei es nur, weil sie, wie im Falle von Michael Berg, den Nationalsozialismus geduldet haben.
Teil 2 Kapitel 3
Der Erzähler sitzt mit den anderen Studenten erstmalig im Gerichtssaal, der in einer anderen Stadt, eine Autostunde entfernt liegt. Als die Angeklagten aufgerufen wurden, erkennt er Hanna sofort, obwohl sie mit dem Rücken zu ihm steht. Sie ist nun 43 Jahre alt und bestätigt, 1943 ihre Arbeit bei Siemens aufgegeben zu haben, um zur SS zu gehen. Michael erfährt, dass sie 1944/1945 als KZ-Aufseherin zunächst in Ausschwitz, dann in Krakau eingesetzt war. Ihr Anwalt, den der Erzähler als unfähig beschreibt, versucht, sie während des Prozesses von der Haft zu befreien, doch der Haftbefehl bleibt bestehen. Hanna wird es als Fluchtgefahr zur Last gelegt, dass sie nicht auf die Schreiben und Vorladungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei reagiert hat.
Teil 2 Kapitel 4
Michael besucht jeden einzelnen Verhandlungstag, weit mehr, als sein Seminar es fordert. Hanna sieht nur ein einziges Mal zu ihm hin, sonst zeigt sie keine Regung außer permanenter Anspannung, redet nicht mit den anderen Angeklagten und verlässt nie ihren Platz. Der Erzähler bemerkt bei sich selbst und bei allen anderen Prozessbeteiligten ein Abstumpfen gegenüber den Furchtbarkeiten menschlichen Handelns, die im Gerichtssaal zur Sprache kommen. Hannas und seine liebevolle Vergangenheit sind immer wieder gegenwärtig, doch Michael erlebt die Erinnerungen mit Distanz. Er beschreibt sich als aller Empfindungen betäubt und wirft die Frage auf, wie und mit welchen Gefühlen seine Generation auf die Furchtbarkeiten der Vernichtung der Juden reagieren sollte, die von den Tätern mit einem Anflug der Alltäglichkeit betrachtet wurden.
Teil 2 Kapitel 5
Die Anklage wird verlesen. Fünf Frauen, eine davon ist Hanna, werden angeklagt, als KZ-Aufseherinnen in einem Außenlager von Ausschwitz bei Krakau tätig gewesen zu sein. Einer der Hauptanklagepunkte waren die Selektionen von monatlich sechzig Frauen, die vom Arbeitslager Krakau nach Ausschwitz zum Sterben geschickt wurden, weil sie für die Arbeit nicht mehr gut genug waren. Im Austausch kamen sechzig neue Gefangene. Der zweite Anklagepunkt betraf die Bombennacht, als die Gefangenen in eine Kirche gesperrt wurden und die Aufseherinnen, obwohl sie sie hätten hinauslassen können, nichts taten, als die Kirche getroffen wurde brannte. Nur zwei der 600 Frauen, Mutter und Tochter, überlebten diese Nacht. Die Tochter war Nebenklägerin und hatte ein Buch über die Ereignisse geschrieben.
Teil 2 Kapitel 6
Hanna erregt negatives Aufsehen im Prozess, weil sie bei der Verlesung der Anklageschrift der Darstellung widerspricht. Sie ist in allen Vernehmungen klar und deutlich, widerspricht, wenn sie etwas unrichtig findet, und gibt unumwunden zu, was ihrer Meinung nach ein berechtigter Vorwurf ist. Die Vehemenz, mit der sie ihren eigenen schriftlich zu Protokoll genommenen Aussagen widerspricht, verwundert und befremdet den Richter. Der Erzähler erkennt schnell, dass sie anwaltlich schlecht beraten wird und mit den Gepflogenheiten einer Gerichtsverhandlung nicht vertraut gemacht wurde. Sie beschreibt die Selektionen und gibt als einzige der Angeklagten zu, sie gemeinsam mit den anderen durchgeführt zu haben. Dem Richter stellt Hanna Rückfragen, die für Verwirrung im Gerichtssaal sorgen.
Teil 2 Kapitel 7
Die anderen Angeklagten versuchen, Hanna als Hauptverantwortliche zu belasten, auch die Verteidiger nehmen diese Strategie auf. Sie beschuldigen sie, Lieblinge unter den Häftlingen gehabt zu haben, die sie von der Arbeit befreit hatte, bis sie sie mit der nächsten Selektion wieder nach Ausschwitz und damit in den Tod schickte. Die überlebende Tochter sagt, die Lieblinge Hannas seien immer die schwächsten und kränksten Mädchen gewesen, sie hätten ihr abends immer vorlesen müssen. Als dies zur Sprache kommt, dreht Hanna sich zu Michael um. Hanna könnte sich entlasten und sagen, dass sie die Schwachen damit beschützen wollte, doch sie bleibt still.
Teil 2 Kapitel 8
Der Erzähler liest parallel zum Prozess die englische Fassung des Buches, welches die überlebende Tochter geschrieben hat. Sie erzählt von einer Aufseherin, die „Stute“ genannt wurde, und Michael fragt sich, ob Hanna damit gemeint ist und erinnert sich an ihre heftige Reaktion auf seinen Kosenamen „Pferd“ für sie. In dem Buch wird die Auflösung des Lagers gegen Kriegsende, der Gewaltmarsch und die Bombennacht, in der die Gefangenen in der Kirche schlafen sollten, als diese getroffen wurde, beschrieben. Die Aufseherinnen hatten in den Wohngebäuden der Gemeinde ein Nachtlager gesucht, als die Bomben die Kirche in Brand setzten, wurde auch ihr Obdach getroffen, die wenigen, die überlebten, saßen nun auf der Anklagebank. Mutter und Tochter überlebten den Brand und konnten fliehen.
Teil 2 Kapitel 9
Der Richter fragt alle Angeklagten nacheinander, warum sie die Kirche nicht aufgeschlossen und die Frauen befreit hätten, als das Gotteshaus in Brand geriet. Jede erklärt, sie habe nicht aufschließen können. Der Bericht von damals über den Vorfall, der ihnen die Verantwortung zuschob, sei falsch, erklären sie. Eine Angeklagte beschuldigt Hanna, den Bericht geschrieben zu haben. Hanna versucht, ihre Sicht der Geschehnisse zu erklären und bestreitet, den Bericht verfasst zu haben. Der Richter erwägt ein graphologisches Gutachten mit einer Schriftprobe Hannas, um festzustellen, ob sie den Bericht wirklich geschrieben hat. Als Hanna das hört, gibt sie zu, den Bericht geschrieben zu haben.
Teil 2 Kapitel 10
Der Erzähler berichtet von seinen sonntäglichen Spaziergängen während der Zeit des Prozesses, bei denen er über Hannas Verhalten nachdachte. Er erkennt ihr Geheimnis: sie ist Analphabetin. Sie kann nicht lesen und schreiben - und genau das versucht sie immer zu verbergen. Deshalb hatte man ihr vorlesen müssen, deshalb hatte sie die Anklageschrift nicht gekannt, und deshalb hatte sie sich stets einer Beförderung entzogen, weil sonst ihre Schwäche entdeckt worden wäre. Im Gericht stellte sie sich ihren Taten, aber die Bloßstellung wollte sie nicht zusätzlich erleben. Michael erkennt, wie viel Kraft sie dieser Kampf täglich kosten muss, und er versteht, dass er nicht die Schuld an ihrem Fortgang trug. Doch nun hat er eine neue Schuld: er liebte eine Verbrecherin.
Teil 2 Kapitel 11
Da Hanna zugegeben hat, den Bericht geschrieben zu haben, wird sie zur Hauptschuldigen gemacht. Sie erkennt diese Rolle und hört auf, um Gerechtigkeit zu kämpfen. Für den Erzähler ist ihre Selbstaufgabe Anlass, über seine eigene neue Rolle im Prozess nachzudenken. Jetzt, wo er weiß, dass sie Analphabetin ist, könnte er dem Gericht dies mitteilen, das würde Hanna zwar nicht unschuldig machen, aber sicherlich ihr Strafmaß mildern und auf ihr Verhalten im Gerichtssaal ein anderes Licht werfen. Michael ist sich unsicher, ob er sich über Hannas selbstgewählte Lebenslüge und ihre Scham hinwegsetzen darf, er skizziert das Problem mit anderen Beispielen Freunden gegenüber.
Teil 2 Kapitel 12
Michael wendet sich an seinen Vater, um seinen Gewissenskonflikt philosophisch und ohne Nennung seiner Beziehung zu Hanna zu erörtern. Das Gespräch weitet sich zu einer Anschauung über die Würde und Freiheit des Menschen aus und nimmt eine Anekdote aus der Kindheit des Erzählers als Beispiel. Zuerst scheint es, als könne der Erzähler sich rechtfertigen, er würde in Hannas persönliche Freiheit eingreifen, wenn er ihren Analphabetismus dem Gericht offenbarte, doch sein Vater erklärt ihm, dass es in seiner Macht und Pflicht liege, der Angeklagten die Augen für ihre Fehlentscheidung zu öffnen. Der Vater erkennt, dass seine Antwort seinem Sohn nicht hilft und ist darüber tief betroffen.
Teil 2 Kapitel 13
Es ist Juni, und die Verhandlung wird zwei Wochen lang für die Vernehmung der überlebenden Mutter in Israel fortgesetzt. Während dieser Zeit verliert sich der Erzähler in Erinnerungen an Hanna, die sich mit dem vermischen, was er während des Prozesses über sie erfahren hat. Seine Phantasien quälen ihn und halten ihn von der Arbeit für sein Studium ab. Aus Träumen wacht er erregt auf und schämt sich umgehend dafür. Er stellt Vergleiche an, die die unterschiedliche Anschauung auf die Lebensbedingungen in den Konzentrationslagern zur Zeit des Gerichtsprozesses, und zur Zeit des Erzählens verdeutlichen sollen.
Teil 2 Kapitel 14
Der Erzähler trampt zum Struthof-Konzentrationslager im Elsass, um die überlieferten Klischees von einer wirklichen Wahrnehmung zu ersetzen. Der letzte Fahrer, der ihn mitnimmt, unterhält sich mit ihm über die Motive für Mord im Allgemeinen und das Morden im Holocaust im Speziellen. Der Fahrer meint, die Täter im zweiten Weltkrieg hätten einfach ihre Arbeit getan und seien dem Schicksal der Opfer gegenüber gleichgültig gewesen. Seine offensichtliche Verachtung nach Sinnfrage des Tötens lässt den Erzähler empört und hilflos schweigen, bis der Fahrer auf ein Beispiel eines Täters zu sprechen kommt. Als Michael ihn darauf anspricht, ob er selbst einer dieser Täter gewesen sei, wirft der Fahrer ihn aus dem Wagen.
Teil 2 Kapitel 15
Michael erzählt zunächst von einem kürzlichen erneuten Besuch des Konzentrationslagers und stellt Veränderungen zu seinem ersten Besuch fest. Was bleibt, ist ein Gefühl des Versagens und eine Unsicherheit, wie man sich nach dem Besuch eines Konzentrationslagers fühlen sollte. Bei seinem ersten Besuch übernachtet er in einem Dorfgasthof, es kommt zu einer beschämenden Szene in der Gaststube. In der Nacht spürt er die Angst als körperliche Wahrnehmung, er versucht Hannas Verhalten zu verstehen und gleichzeitig zu verurteilen. Es gelingt ihm nicht, weder das eine noch das andere.
Teil 2 Kapitel 16
Ein Besuch beim Vorsitzenden Richter steht an, denn mit Hanna zu reden, kommt für den Erzähler nicht infrage. Nichts tun kann er jedoch auch nicht, er hinterfragt seine Rolle in Hannas Leben und erkennt, dass er nicht um der Gerechtigkeit willen zum Richter geht, sondern um irgendeinen Einfluss auf Hanna zu erhalten. Der Richter empfängt Michael wohlwollend, fragt ihn nach seinem Studienverlauf und erzählt von seinem Leben als Jurist. Die Unterhaltung berührt Hannas Schicksal nicht. Als der Erzähler den Richter verlässt, stellt sich die Betäubung seiner Gefühlswelt wieder ein, die er braucht, um sich zu distanzieren.
Teil 2 Kapitel 17
Das Urteil wird Ende Juni verkündet. Hanna wird zu lebenslänglicher Haft verurteilt, alle anderen bekommen zeitlich begrenzte Freiheitsstrafen. Die Anwesenden sind empört, als sie Hannas Auftritt bemerken, denn sie trägt ein schwarzes Kostüm mit weißer Bluse und Krawatte, was sofort die Assoziation mit der Uniform der SS weckt. Es kommt zu lauten Beschimpfungen der Angeklagten. Als Hanna stehend ihre Urteilsverkündung entgegennimmt und anschließend abgeführt wird, sucht Michael ihren Blick, findet ihn aber nicht, sie scheint, so berichtet er, nichts mehr sehen zu wollen.
Dritter Teil
Im letzten Teil des Romans heiratet der Erzähler, wird Vater, lässt sich scheiden. Sieben Jahre nach Hannas Haftantritt beginnt er, Kassetten mit Büchern zu besprechen und sie Hanna ins Gefängnis zu schicken. Nach wenigen Jahren schreibt sie ihm Briefe zurück, sie hat sich mit Hilfe seiner Kassetten das Lesen und Schreiben beigebracht. Ihre Briefe beantwortet er nie. Als sie nach 18 Jahren entlassen werden soll, übernimmt er mit Widerwillen, aber akribisch die Aufgabe, ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen. Doch bevor er sie abholen kann, nimmt sie sich das Leben. Ihren Nachlass bringt er auf Hannas Wunsch hin der überlebenden Tochter, die das Geld jedoch nicht annimmt.
Teil 3 Kapitel 1
Die Betäubung der Gefühle begleitet den Erzähler so stark, dass er auf einem Skiausflug jedes Gefühl für Kälte verliert und schließlich mit extremem Fieber im Krankenhaus landet. Nach seiner Entlassung ist auch die innerliche Taubheit vorbei und er spürt Ängste, Schuld und Scham wieder ungefiltert. Er geht der Frage nach, ob die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ein Ausdruck des Generationenkonfliktes war, der die Studentenbewegung antrieb. Die Bewegung selbst tangiert ihn nicht, seine eigenen Schuldgefühle durch die Beziehung zu Hanna separieren ihn von den Empfindungen, die seine Altersgenossen umtreiben.
Teil 3 Kapitel 2
Michael heiratet Gertrud, eine Kommilitonin, als sie schwanger und beide im Referendariat sind. Ihre Tochter Julia wünschte sich Geschwister. Von Hanna erzählt Michael Gertrud nichts, doch er vergleicht sie unaufhörlich mit ihr. Er beschreibt Gertrud als loyal und zupackend, und als sie sich nach fünf Jahren scheiden lassen, quälen sie sich nicht, nur die Trauer ihrer Tochter löst Schuldgefühle bei Michael aus. In weiteren Beziehungen versucht er, vernünftiger vorzugehen, erzählt von seiner Vergangenheit und wählt die Frauen danach aus, ob sie Hanna in irgendeiner Weise ähneln. Es hilft ihm nicht.
Teil 3 Kapitel 3
Während Michaels zweitem Examen stirbt der Professor seines KZ-Seminars. Zwischen zwei Klausuren fährt er mit der Straßenbahn zur Beerdigung, allein die Fahrt genügt, um wehmütige Erinnerungen an Hanna aufleben zu lassen. In der Trauergemeinde erkennt er einen weiteren Teilnehmer des Seminars, dieser spricht ihn an. Der Erzähler erfährt, dass bereits während des Prozesses den anderen Studenten seine besondere Aufmerksamkeit für Hanna aufgefallen war, aber niemand sich traute, ihn danach zu fragen. Nun möchte der Teilnehmer endlich wissen, was zwischen Michael und Hanna war, doch der Erzähler entzieht sich der Antwort.
Teil 3 Kapitel 4
Nach dem Referendariat wird Gertrud Richterin, Michael tut sich mit der Entscheidung für einen juristischen Beruf noch schwer. Seit dem Prozess scheint ihm keiner der Berufe bei Gericht erstrebenswert, und Verwaltungsbeamter will er nicht werden. Er bleibt an der Universität, wird Rechtshistoriker, was Gertrud als eine Vermeidung der Übernahme von Verantwortung betrachtet. In seiner Forschung begreift er den Prozess der Rechtsprechung und Rechtsfindung als unendlichen Kreislauf, diese Erkenntnis verschafft ihm, wie er sagt, Befriedigung. Er liest erneut die Odyssee, die ihn bereits als Schüler faszinierte.
Teil 3 Kapitel 5
Die Trennung von Gertrud und die quälenden Gedanken um seine Ehe und seine Tochter halten den Erzähler nächtelang wach, und so beginnt er, die Odyssee laut vorzulesen und auf Kassetten aufzunehmen. Er zögert es eine Weile hinaus, doch schließlich schickt er die Kassetten inklusive eines Rekorders und Aufnahmen weiterer Autoren ab. Die erste Sendung mit Aufnahmen erreicht Hanna im achten Jahr ihrer Haft, die letzte im achtzehnten Gefängnisjahr, bevor ihr Gnadengesuch Erfolg hat. Michael liest nur, er spricht keinerlei persönliche Bemerkungen auf Band. Auch seine eigenen Manuskripte liest er ihr vor, bevor er sich traut, sie an Verlage zu schicken.
Teil 3 Kapitel 6
Vier Jahre nach der ersten Kassettensendung erhält Michael erstmals einen Brief von Hanna, die ihn wieder mit „Jungchen“ anredet. Ihrer Schrift kann er entnehmen, wie schwer sie sich noch mit dem Schreiben tut, inzwischen hat er vieles über den Lebenskampf von Analphabeten gelernt und empfindet Stolz auf ihre Leistung. Ihre Briefe kommen regelmäßig, sie geht auf das Gelesene ein oder schreibt Beobachtungen aus ihrem Alltag. Der Erzähler selbst schreibt ihr nie, er bleibt dabei, manchmal wöchentlich, manchmal auch erst nach drei Wochen, Kassetten zu senden.
Teil 3 Kapitel 7
Der Erzähler erhält einen Brief von der Leiterin der Haftanstalt. Sie kündigt Hannas bevorstehende Haftentlassung an und bittet Michael als einzigen Menschen, der mit Hanna in Kontakt steht, sie bei der Wiedereingliederung in den Alltag zu unterstützen. Der Brief schließt mit der Bitte, Hanna zu besuchen. Michael hat Furcht vor der Aufgabe, die auf ihn zukommt, sie ist ihm nicht recht, obwohl er sie erfüllt. Er kümmert sich um eine kleine Wohnung und eine Arbeitsstelle für Hanna, zögert aber den Besuch bei ihr immer wieder raus aus Angst, seine kleine heile Kassettenwelt könne Schaden nehmen. Ein Jahr nach dem Brief ruft die Leiterin ihn an und erklärt, dass Hanna in einer Woche entlassen werde.
Teil 3 Kapitel 8
Michael besucht Hanna im Gefängnis. Er erkennt sie kaum wieder, vermisst ihren früheren Geruch, den er gefühlvoll beschreibt. Er berichtet ihr von all dem, was er für sie organisiert hat und lobt ihren Mut, Lesen und Schreiben zu lernen. Im Nachhinein denkt der Erzähler, er habe sich nicht angemessen genug gefreut. Ihm wird klar, dass er ihr mit seiner Hilfe keinen Platz in seinem Leben einräumt, sondern sie mit seiner Fürsorge in eine Nische rückt, die bequem für ihn ist. Sie versucht, ihm ihren Umgang mit ihrer Vergangenheit zu erklären. Zum Abschied umarmt er sie, doch das Gefühl ist nicht mehr dasselbe wie früher.
Teil 3 Kapitel 9
In den letzten Tagen vor der Haftentlassung spürt der Erzähler eine geschäftige Anspannung und Unzufriedenheit. Er richtet die Wohnung für Hanna ein, trifft letzte Vorkehrungen für ihren Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. Michael spürt eine Abwechslung aus Schuld, sie verraten zu haben und Empörung, weil sie ihre Schuld an ihm nicht anerkennt. Am Tag vor ihrer Entlassung telefoniert er mit ihr und macht ihr Vorschläge für das erste Ziel, wenn er sie abholt. Sie scherzt mit ihm, ihre Stimme klingt jung in seinen Ohren.
Teil 3 Kapitel 10
Hanna hat sich am Morgen ihrer Haftentlassung in ihrer Zelle erhängt. Die Leiterin fragt Michael nach seiner Beziehung zu Hanna und zeigt ihm ihre Zelle. Dort findet er ein Zeitungsfoto, welches ihn als Abiturienten zeigt. Er erfährt, dass sie sich mit seinen Kassetten Lesen und Schreiben beigebracht hat, indem sie die Bücher las und seine Worte dazu hörte. In der Zelle sind Bücher und Gedichte verteilt, gelesen hat sie viel über KZs, wie er erfährt. Es verletzt ihn, dass sie ihm außer einem Gruß und der Bitte, ihr Vermögen der überlebenden Tochter des Brandes zu geben, nichts weiter hinterlassen hat. Er betrachtet ihren Leichnam und erfährt vom Wandel ihrer Persönlichkeit während der Haft.
Teil 3 Kapitel 11
Im Herbst besucht der Erzähler die überlebende Tochter in New York, die Begegnung weckt tiefe Sehnsucht zu Hanna in ihm. Die Tochter fragt ihn sachlich nach dem Grund seines Besuches und er übermittelt ihr den Nachlass Hannas. Sie will ihn nicht annehmen, da sie es als Erteilen einer Absolution verstehen würde, wie sie sagt. Michael erzählt ihr von seiner Beziehung zu Hanna, und sie macht Hanna für seine gescheiterte Ehe und sein unglückliches Leben verantwortlich. Beide einigen sich darauf, das Geld einer jüdischen Vereinigung zu spenden, die Analphabetismus bekämpft.
Teil 3 Kapitel 12
Das letzte Kapitel spielt in der Gegenwart des Erzählers. Er berichtet von seinem Zorn auf Hanna, und dann wieder seinem Gefühl der Schuld und der Frage ob er sich von ihr hätte Lösen müssen. Doch diese Fragen seien im Laufe der Zeit weniger wichtig geworden. Der Prozess, die Geschichte von ihm und Hanna aufzuschreiben, habe fast zehn Jahre gedauert, obwohl ihm die Idee rasch nach ihrem Tod gekommen sei. Erst jetzt sei könne er ohne Bewertung erzählen. Ein einziges Mal hat er ihr Grab besucht und ihr den Brief gebracht, indem sich die jüdische Gesellschaft für Spende bedankt.