Inhaltsangabe/Zusammenfassung
Die Novelle „Der Schimmelreiter“ ist das bekannteste Werk des deutschen Schriftstellers Theodor Storm und wurde im April 1888 als dessen letztes Werk kurz vor seinem Tod veröffentlicht.
Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 18. September 1817 in Husum geboren und wuchs in gut situierten Verhältnissen auf. Wie auch sein Vater wurde Storm Jurist, schrieb allerdings bereits schon mit 15 Jahren erste Prosatexte. Während seines Jura-Studiums lernte er Theodor Mommsen kennen und machte durch diesen erste Bekanntschaft mit deutschen Werken wie Goethes „Faust I“.
Seine schriftstellerischen Werke erstellte Storm parallel zu seiner Arbeit als Anwalt und verarbeitete auf diese Weise unter anderem politische Unruhen, gleichzeitig verfasste er aber auch Liebes- und Naturlyrik.
„Der Schimmelreiter“ ist dem literarischen Realismus zuzuordnen und thematisiert das Leben im Bürgertum, welches durch die politischen Unruhen des späten 19. Jahrhunderts mit zahlreichen Unsicherheiten konfrontiert ist. Ein weiteres zentrales Thema ist der noch kursierende Aberglauben innerhalb dieser Gesellschaftsschicht.
Übersicht
Erzählebene 1: äußerer Rahmen
Die Novelle „Der Schimmelreiter“ ist in drei unterschiedliche Erzählebenen unterteilt, die mit einem Erzähler in der „Ich“-Perspektive beginnt. In diesem äußeren Rahmen beschreibt das Ich, wie es vor langer Zeit bei dessen Urgroßmutter in einer Zeitschrift eine Geschichte gelesen habe, die es bis heute nicht vergessen hat.
Im weiteren Verlauf der Novelle wird diese Erzählebene nicht wieder aufgegriffen. Sie mutet daher eher wie ein Vorwort des Autors Theodor Storm an, ist allerdings wie die restliche Geschichte fiktiv1 zu interpretieren.
Erzählebene 2: innerer Rahmen
Der innere Rahmen der Novelle setzt im nächsten Schritt beim Erzähler der Geschichte aus der Zeitung an und ist auf das Jahr 1820 zu datieren. Der Erzähler war selbst nach einem Besuch bei Verwandten mit seinem Pferd nachts auf dem Weg nach Hause und ritt am Deich entlang. Bei stürmischen Wetter hat er auf dem Deich den Eindruck, einen weiteren Reiter wahrzunehmen. Tatsächlich kommt ein Reiter mit einem abgemagerten Schimmel an ihm vorbei und blickt ihn mit roten Augen an. Zu seiner Verwunderung vernimmt er keinerlei Geräusche wie Hufklappern, die das Pferd eigentlich verursachen müsste.
Verstört durch dieses Erlebnis sucht der Erzähler in einer Gastwirtschaft Schutz und berichtet dort von seinem Erlebnis. In der Gastwirtschaft haben sich zahlreiche Menschen aus dem Dorf, unter anderem der Deichgraf, versammelt. Der Reisende berichtet von seiner unheimlichen Begegnung, die Anwesenden wissen sofort, dass der „Schimmelreiter“ gemeint sein muss. Der pensionierte Schulmeister wird schließlich von den Dorfbewohnern dazu gedrängt, dem Reisenden die Geschichte vom Schimmelreiter zu erzählen.
Im Gegensatz zum äußeren Rahmen wird der innere Rahmen durch die Abreise des Reisenden wieder geschlossen.
Erzählebene 3: Innenhandlung
In der Innenhandlung, häufig auch Binnenhandlung genannt, geht es schließlich um die eigentliche Geschichte und das Leben von Hauke Haien, der im 18. Jahrhundert an der Nordsee-Küste lebte.
Die Innenhandlung selbst kann noch einmal in drei Teile unterteilt werden, die die verschiedenen Episoden im Leben von Hauke Haien darstellen. Der erste Teil beschreibt den noch jungen Hauke und seine Fähigkeiten und Herkunft. Im zweiten Teil geht es um Haukes Aufstieg zum Deichgrafen. Im dritten und letzten Teil wird zum größten Teil das Privatleben von Hauke zur Sprache gebracht und beschrieben wird, wie er und seine Familie zu Tode kommen.
Hinzu kommt, dass die Innenhandlung selbst immer wieder unterbrochen wird. In den fünf Unterbrechungen, wenn der innere Rahmen der Novelle wieder in den Vordergrund tritt, diskutieren die Anwesenden die erzählte Geschichte oder es findet ein Ortswechsel statt. In den Unterbrechungen selbst wird im Rahmen der inneren Handlung vom Schulmeister, der Reisende und den Dorfbewohnern immer wieder diskutiert, inwiefern die Geschichte als glaubwürdig einzustufen ist und welche Rolle der Aberglauben spielt.
1. Unterbrechung
Im ersten Abschnitt der Innenhandlung berichtet der Erzähler über die Kindheit und Jugend von Hauke Haien, dem Sohn vom Tede Haien.
Tede Haien, ein einfacher Bauer, lebt mit seinem Sohn Hauke in einem Dorf an der Nordsee-Küste. Tede Haien genießt im Dorf ein hohes Ansehen und gilt als sehr intelligent. Neben den Tätigkeiten auf seinem Hof ist er gleichzeitig in der Landvermessung aktiv. Hauke interessiert sich aus diesem Grund schon früh für den Deich, Geometrie und Berechnungen rund um den Deich. Er gilt ebenfalls als überaus intelligent und wissbegierig, so lernt er beispielsweise um ein Buch über Geometrie zu verstehen, extra Holländisch.
Für die Arbeiten auf dem Hof ist Hauke hingegen nur wenig zu gebrauchen und wird daher von seinem Vater zu Arbeiten am Deich geschickt. Dieser erhofft sich davon, dass Hauke durch die körperliche Arbeit von den Gedanken rund um einen Deichbau abgelenkt wird. Der junge Hauke ist allerdings stark fasziniert von dem Deich und den Sturmfluten. Angeregt durch seine Beobachtungen erstellt er neue Modelle für den Deich mit einem flacheren Profil, da er der Überzeugung ist, dass die Deiche in ihrer bisherigen Konstruktion zu steil sind und optimiert werden können.
Hauke scheint fast schon besessen von der Vorstellung einen besseren Deich als seine Vorgänger zu bauen und beschließt, Deichgraf zu werden. Tede Haien belächelt diesen Wunsch zunächst, erkennt aber schon bald die Ernsthaftigkeit hinter diesem Wunsch. Zu Gleichaltrigen hat er keinen Kontakt, was ihm trotz seines Status als Außenstehender wenig auszumachen scheint.
Dass Hauke allerdings neben seinem Wissensdurst und seiner Leidenschaft für den Deich und die Nordsee noch eine andere Seite hat, zeigt der Mord an der Katze einer Dorfbewohnerin. Nachdem Hauke den Angorakater der alleinstehenden Trien' Jans grausam zu Tode gequetscht hat, weil der Kater Hauke einen Vogel geklaut habe, beschwert diese sich bei dessen Vater. Haukes Vater gibt der Frau eine Silbermünze als Ausgleich und Hauke soll sich eine andere Arbeit suchen.
2. Unterbrechung
Tede Volkerts, der Deichgraf, ist gewillt, Hauke als Kleinknecht einzustellen. Er ist im Laufe der Zeit für immer mehr Rechen- und Schreibtätigkeiten zuständig. Dies missfällt dem Großknecht Ole Peters vor allem deshalb, weil Hauke einige Fehler in der Verwaltung ausmerzt und er selbst nur noch niedere Aufgaben verrichten darf. Hauke macht den Deichgrafen immer wieder auf Fehler der anderen Angestellten aufmerksam und zieht damit deren Unmut auf sich. Dem Oberdeichgraf hingegen fällt die Entwicklung von Hauke und insbesondere dessen Arbeitsleistung positiv auf.
Im Zuge dieser Anstellung lernt Hauke Elke, die Tochter des Deichgrafen, kennen und fühlt sich zu ihr hingezogen. Diese Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit.
Im Winter findet das „Winterboseln“ statt, bei dem Ole Peters Hauke ausschließen möchte. Das gelingt ihm allerdings nicht, da Hauke im Dienste des Oberdeichgrafen steht und daher berechtigt ist, teilzunehmen. Tatsächlich gelingt Hauke sogar der entscheidende Wurf für sein Team. Beim Fest später am Abend möchte Ole Peters mit Elke tanzen, diese verneint aber und tanzt stattdessen mit Hauke. Beide verlassen später zusammen das Fest.
Ole Peters quittiert nun seinen Dienst als Oberknecht, Hauke übernimmt daraufhin seinen Posten. Da sein Vater schwer erkrankt, gibt Hauke diese Position allerdings bald wieder auf und kümmert sich um ihn. Nach einigen Monaten verstirbt sein Vater und Hauke erbt dessen gesamten Besitz, den sein Vater durch eine sparsame Lebensweise in den letzten Jahren erheblich vergrößern konnte. Kurz vor seinem Tod sagt sein Vater ihm noch, dass er ihm wünsche, dass er eines Tages der Deichgraf werde.
3. Unterbrechung
Hauke übernimmt den Hof seines Vaters und hält weiterhin an seinem Vorhaben fest, Deichgraf zu werden. Allerdings hat er aufgrund seiner überheblichen und arroganten Art einige Gegner im Dorf und nicht genügend Besitz, um Deichgraf zu werden.
Er übergibt Elke auf einer Hochzeitsfeier einen Ring und bringt damit zum Ausdruck, dass er sie gerne heiraten möchte. Als der Deichgraf stirbt, überträgt Elke ihr gesamtes Erbe auf Hauke und heiratet diesen, der nun über ein beachtliches Vermögen verfügt.
Tatsächlich wird er bald vom Oberdeichgraf zum neuen Deichgraf ernannt. Er plant den Bau eines neuen Deichs, zeitgleich fällt er bei den Dorfbewohnern in Ungnade, der von ihnen viel Einsatz und Arbeit für die Erhaltung des Deichs verlangt.
4. Unterbrechung
Der Bau des neuen Deichs ist nach wie vor nicht genehmigt worden und die Spannungen mit den Dorfbewohnern werden immer größer. Es werden Vorwürfe laut, Hauke habe überhaupt nur durch die Heirat mit Elke diese Position erlangen können. Hauke versteift sich immer weiter auf den Bau des neuen Deichs und arbeitet oft bis tief in die Nacht hinein. Elke meldet Zweifel an, ob es richtig ist, den Deichbau mit Gewalt durchsetzen zu wollen.
Eines nachts beobachten zwei Arbeiter von Hauke ein grasenden Schimmel auf einer Hallig. Als einer der beiden zu der Hallig geht, um nachzusehen, was es mit dem Schimmel auf sich hat, findet er lediglich das Gerippe vor. Sein Kollege sieht allerdings nach wie vor den grasenden Schimmel. Hauke kauft wenig später von einem Pferdehändler einen abgemagerten Schimmel, zeitgleich verschwindet das Gerippe von der Hallig. Mit der Zeit entwickelt der Schimmel sich zu einem stattlichen Reitpferd.
Einer der beiden Arbeiter, die nachts den Schimmel gesehen haben wollen, arbeitet nun für Ole Peters. Er berichtet diesem, dass es sich bei dem Schimmel von Hauke um das Gerippe von der Hallig handelt.
Schließlich wird der neue Deich genehmigt, allerdings wird diese Meldung negativ von den Dorfbewohnern aufgenommen. Insbesondere Ole Peters wirft Hauke vor, sich durch die Pläne einen finanziellen Vorteil verschaffen zu wollen.
Elke bringt eine Tochter, Wienke, auf die Welt, stirbt allerdings fast an den Folgen der Geburt. Nach einiger Zeit erholt sie sich allerdings wieder vollständig. Da Hauke in einem Gebet Gott unterstellt, gar nicht allmächtig zu sein und dies sich unter den Dorfbewohnern schnell herumspricht, wächst das ohnehin bestehende Misstrauen im Dorf gegen Hauke.
Der Deichbau nähert sich dem Ende, lediglich die Lücke zwischen dem alten und dem neuen Deich muss noch geschlossen werden. Die Dorfbewohner möchten aus Aberglauben, um Böses abzuwenden, etwas Lebendiges mit eingraben.
Die Wahl fällt auf einen kleinen braunen Hund, den Hauke allerdings zu sich nimmt und somit verhindert, dass dieser mit in den Deich eingebaut wird. Die Dorfleute bekommen immer mehr Angst vor Hauke und seinem Schimmel, den sie für teuflisch halten.
Dennoch wird der Deichbau zum Abschluss gebracht und es findet eine Feier statt. Der neue Deich erhält den Namen „Hauke-Haien-Koog“ und bestätigt Hauke in seiner eigenen Einschätzung, den anderen Dorfbewohnern überlegen zu sein.
Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass Wienke geistig behindert ist. Haukes Frau Elke schlägt vor, die nun bereits 80jährige Trien Jans in die Familie aufzunehmen, die sich um Wienke kümmern soll.
Trien Jans kümmert sich fortan um Wienke und erzählt ihr eine Geschichte von einer Meerfrau. Die alte Frau blüht bei dieser Aufgabe selbst auf. Hauke missfällt dies und er erklärt Wienke, dass es solche Geschöpfe gar nicht geben würde.
Hauke und Elke sprechen gemeinsam über Wienke und Hauke versichert seiner Frau, dass er Wienke trotz ihrer Krankheit liebe.
Bald darauf erkrankt Hauke an einer lebensgefährlichen Krankheit. Allerdings entdeckt er am Deich eine geschädigte Stelle, die den alten Deich im Falle einer Sturmflut vermutlich brechen lassen würde. Da Hauke durch seine Krankheit nicht im Stande ist diesen Schaden zu reparieren, setzt er Ole Peters darüber in Kenntnis. Dieser verkennt allerdings die potentielle Gefahr und erachtet es nicht als notwendig, den Schaden zu beseitigen, er wird lediglich notdürftig repariert. Hauke, gezeichnet von seiner Krankheit, gibt nach, fühlt sich allerdings mit dieser Lösung sehr unwohl.
Kurz vor ihrem Tod hat Trien Jans eine schreckliche Vorahnung und sieht eine Sturmflut kommen.
5. Unterbrechung
Tatsächlich bewahrheitet sich die Vorahnung der alten Frau und es kommt am 1. November 1756 zu einer Sturmflut. An der schadhaften Stelle lässt Hauke Männer aufstellen, die mit Pfählen und Säcken Schlimmeres verhindern sollen. Das gesamte Dorf hat Angst und Panik.
Ole Peters ordnet an, den neuen Deich zu durchstechen, damit dieser überschwemmt werden und der alte Deich entlastet werden würde. Hauke ist auf seinem Schimmel hinaus zum Deich geritten und sieht, dass die Männer ihre Posten verlassen haben. Als er von dem Plan von Ole Peters erfährt, verbietet er diesen umgehend.
Bald bricht der alte Deich und der Deich und das Dorf verschwinden unter den einbrechenden Wassermengen. Hauke wird umgehend klar, dass er darauf hätte bestehen müssen, dass der Schaden an den Deichen sofort hätte vollständig repariert werden müssen.
Unterdessen sind Elke und Wienke mit einem Wagen auf dem Weg zu Hauke, fallen allerdings ebenfalls den Wassermassen zum Opfer. Hauke wird davon Zeuge und stürzt sich mit seinem Schimmel ins Wasser und begeht Selbstmord.
Die Novelle verlässt zum Abschluss die Innenhandlung und spielt wieder im inneren Rahmen. Der Schulmeister berichtet dem Erzähler, dass der von Hauke gebaute Deich noch heute stehe, er allerdings nie gebührend honoriert werden würde. Viel eher glauben die Menschen, Hauke und sein Schimmel gehen noch heute als Gespenster umher.
Der Reisende bricht wieder auf und die Novelle endet.