
Roman: Der Sandmann (1816)
Autor/in: E. T. A. HoffmannEpoche: Romantik
Charles Hayes: Das typische Bürgermädchen
Aufgabenstellung:
Aufgabe 1: Analysieren Sie den Textauszug von Charles Hayes „Das typische Bürgermädchen“ hinsichtlich des dort entwickelten Figurenbildes von Clara.
Aufgabe 2: Vergleichen Sie das von Charles Hayes entworfene Figurenbild von Clara mit dem von Jochen Schmidt.
Aufgabe 3: Legen Sie Ihr eigenes Figurenbild von Clara unter Berücksichtigung der Positionen beider Autoren differenziert und argumentativ dar.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Im Folgenden gilt es, den Textauszug von Charles Hayes „Das typische Bürgermädchen“ hinsichtlich des dort entwickelten Figurenbildes von Clara zu analysieren.
Der vorliegende Textauszug von Charles Hayes „Das typische Bürgermädchen“, welcher im Jahre 1972 im Werke E.T.A Hoffmanns veröffentlicht wurde, handelt von der Verlobten des Protagonisten Nathanael aus dem Werk „Der Sandmann“.
„Der Sandmann“ von E.T.A, aus dem Jahre 1816, schildert die traumatischen Geschehnisse Nathanaels aus seiner Kindheit, welche ihn bis zum Ende seines Lebens verfolgen und letztendlich zum Selbstmord führen.
Zurückführend zur Analyse des Textauszugs wird deutlich, dass sich der Text in 5 Sinnabschnitte unterteilen lässt.
In dem ersten Sinnabschnitt (Z. 1-5) spricht Hayes ein Lob an Clara und ihren Verstand aus, zudem basiert die Interpretation auf der These, dass Clara das „typische Bürgermädchen“ sei und dass sie sich den bürgerlichen Verhältnissen völlig angepasst habe.
Laut dem Autor wünscht sie sich eine voraussehbare Welt bzw. Zukunft „ohne Überraschungen“ (Z. 1-2)
Außerdem wird in diesem Sinnabschnitt beschrieben, dass die Macht ihrer Denkweise ihr dabei helfe ein „gesittetes Leben“ zu führen.
Hayes Lob an Claras Verstand wird in diesem Abschnitt besonders untermauert und das mit Hilfe von positiven Konnotationen1.
Zum Schluss dieses Abschnitts behauptet er, dass Nathanael Opfer seiner Halluzinationen zu sein scheine und seinen emotionalen Tiefpunkt erreiche, als Clara ihm den Rat erteile heiter zu sein.
Der zweite Sinnabschnitt (Z. 6-10) befasst sich mit dem Vergleich Claras mit einem „Schutzgeist“, denn der Autor vertritt die Meinung, dass Clara die Rolle des „Schutzgeistes“ übernehme, dazu führt er drei Textstellen aus der Erzählung an, als Nathanael von dem Sandmann berichtet und sie ihm verspricht, diesen mit ihrem Lachen zu verscheuchen.
In dem Abschnitt wird also die Beziehung Nathanaels und Claras aufgegriffen, welche in die Brüche zu gehen drohe, denn die zuvor erwähnten negativen Gedanken entstehen, laut Autor, aufgrund seiner Dichtungen und seinen Erzählungen über den Sandmann, welcher die Unordnung verkörpere und ein friedliches Leben unmöglich mache.
Der nächste Abschnitt (Z. 15-37), somit der dritte Abschnitt handelt von dem Scheitern der Beziehung und dem Grund für die Entfremdung.
Schuld an dem Scheitern der Beziehung habe Nathanael, der sich weigere, glücklich zu werden.
Der Grund für die Entfremdung sei ihre Kälte und seine Mystik.
Der vorletzte Sinnabschnitt (Z. 17-30) thematisiert die Ähnlichkeiten von Clara und Olimpia.
Hayes behauptet, dass Claras Eigenschaften in der von ihm als „hölzerne Marionette“ beschriebenen Olimpia, eine konkrete Entsprechung fänden.
Ähnlichkeiten findet der Autor im Sprechanteil der beiden: Olimpia verfüge über ein Vokabular von nur einem Wort und der Erzählerbeschreibung, dass Clara „eine schweigsame Natur“ sei, stimmt er zu, indem er dieses Zitat als Beispiel aufführt.
Bei beiden werden die Augen als Ausdrucksmedium verwendet, so stellt der Autor fest.
Neben den zuvor genannten Eigenschaften, sei die physische Erscheinung der beiden ebenfalls ähnlich. Um seine Aussagen zu bekräftigen, verwendet der Autor die Fremdwahrnehmungen, die im „anonymen Erzählerteil“ auftauchen.
Hayes behauptet, dass beide so scheinen, „als wären sie in einem Laboratorium zusammengeleimt worden.“ Die darauf folgende Aussage, dass die beiden (Olimpia und Clara) als „Blutsverwandte“ oder, genauer, als „Doppelgängerinnen“ fungieren, widerspricht der Aussage zuvor, dass Clara einen „gesunden Menschenverstand“ hab, denn, ein im Laboratorium entstandenes Wesen könnte diesen „gesunden Menschenverstand nicht aufweisen.“
Charles Hayes ist davon überzeugt, dass Olimpia und Clara sich so sehr ähneln, dass „wenn Nathanael Olimpia den Hof macht“ es als eine Wiederholung seiner Beziehung zu Clara gelte. Auch die Behauptung, dass Olimpia einmal als wirkliche Marionette erscheine und einmal als „wiedererstandene Clara“ zeigt, dass er (Hayes) beide Figuren als identisch anerkennt und keinen Unterschied sieht.
Die These darauf (Z. 30), dass Nathanael sich mit zwei Frauen engagiere, die dieselbe Person seien, stützt die Behauptung, dass der Autor beide Figuren als eine Person konzipiert.
In dem letzten Abschnitt (Z. 30-37), kritisiert der Autor die bürgerliche Denkweise zu der Zeit, also um 1800.
Hayes ist der Meinung, dass Clara obwohl Sie als „das typische Bürgermädchen, als lächerliche Puppe, als völlig geistlosen, leblosen Gegenstand“ dargestellt werde, E.T.A Hoffmann nicht selbst verspottet wird.
Er (Hayes) geht davon aus, dass Hoffmann, das in ihr verkörperte bürgerliche Prinzip zu verspotten beabsichtige, denn dieses Prinzip führe Clara zu solche einer Verhaltensweise bzw. zur Unterdrückung des Spontanen.
Als Fazit dieser Analyse kann man behaupten, dass der Autor Charles Hayes Kritik an der Denkweise in der Vergangenheit ausübt, insbesondere kritisiert er die Verstümmelung der Charaktere, die Unterdrückung des Spontanen, den Zwang zur Ordnungsliebe. Hayes bezieht sich in seiner Interpretation auf eine Problematik, die zur Entstehungszeit des Werkes vortrat und „alle Bürger“ betraf.
Außerdem belehrt der Autor über die Folgen, die durch solch eine Triebverdrängung und „positives Denken“ entstehen.
Im zweiten Aufgabenteil gilt es, das von Charles Hayes entworfene Figurenbild von Clara mit dem von Jochen Schmidt zu vergleichen.
Der Textauszug „Zum Verhältnis von Leben und Poesie“ von Jochen Schmidt aus dem Jahre 1988, befasst sich mit dem Verhältnis von Leben und Poesie, im Bezug auf die Figur Clara aus der Novelle „Der Sandmann“ von E.T.A Hoffmann.
Auf die These von Charles Hayers, dass Clara „das typische Bürgermädchen“ sei, antwortet sein Einleitungssatz „Hoffmann hat das…ausgeschlossen werden musste“, in dem Hoffmanns Versuch, dass es ein Missverständnis sei, Clara als Vertreterin eines einseitigen Rationalismus, Realismus oder gar einer trivalen Bürgerlichkeit, erläutert wird. Dieser Versuch sei jedoch gescheitert, aufgrund der Leser, die auf dieses „romantische Klischee“ fixiert seien.
Im Gegensatz zu Hayes, welcher der Meinung ist, dass Clara „das typische Bürgermädchen verkörpert, spricht Schmidt von einem integralen Menschentum, zu dem auch poetische Qualitäten gehören.
Schmidt stimmt Hayes teilweise zu, indem er ausführt, dass sie das Verstandesmäßige und Realitätfixierte verkörpert, jedoch nicht „einseitig“, während Hayes behauptet, dass Clara einen völlig geistlosen und leblosen Gegenstand darstelle.
Der Behauptung, dass sie geistlos und leblos sei, widerspricht Schmidt indem er den Erzähler zitiert: „Clara hatte … scharf sichtenden Verstand“, hierbei steht „die lebenskräftige Fantasie“ im Widerspruch zu dem „leblosen Gegenstand“.
Schmidt behauptet, dass Clara nur die einseitig „romantischen Gesellen“ ablehne und nicht alle.
Im Vergleich zu Hayes bezieht sich Schmidt auf die Wahrnehmungen der „Nebler und Schwebler“, also der Fantasten und Angeber (so in der Lektüre definiert), welche Clara als „kalt, gefühllos, prosaisch“ wahrnehmen. Diese Feststellungen begründet der Autor (Schmidt) mit möglichen Missverständnissen, denn im Gegensatz zu den Neblern und Schweblern beschreiben andere sie als das „gemütvolle, verständige und kindliche Mädchen.“ Was manchem Leser als Geschichte einer Entfremdung erscheine, sei ein „misslingender Ausgleichsversuch zwischen „Verstand“ und „Fantasie“, zwischen Leben und Poesie.“ (Z. 20-21)
Clara könne diesen Ausgleich stabilisieren und das, obwohl sie eine sensible Art habe, Nathanael jedoch nicht (zumindest nicht langanhaltend) und „gleite in den Wahnsinn des Subjektivismus“ (Z. 24-26). Also liege der Grund für das Scheitern der Beziehung nicht an Claras Kälte und nicht an seiner Mystik, wie Hayes es für wahr erklärt, sondern am „misslingenden Ausgleichsversuch zwischen „Verstand“ und „Fantasie“. Anhand der Vergleichsergebnisse kann man als Fazit auffassen, dass Schmidt und Hayes sich widersprechen.
In der dritten Aufgabe wird verlangt, unter Berücksichtigung der Positionen beider Autoren ein eigenes Figurenbild von Clara darzulegen.
Der Meinung, dass Clara sich den bürgerlichen Verhältnissen völlig angepasst habe, stimme ich nicht zu, denn sie passt sich nur teilweise an und würde sogar behaupten, dass Nathanael diesen Verhältnissen eher unterworfen ist und aufgrund der Triebverdrängung zur Fantasie verleitet wird, woran er letztendlich scheitert.
Der Aussage Hayes, dass Clara die Rolle des „Schutzgeistes“ übernehme, stimme ich zu und würde dazu nochmal ergänzen, dass sie auch fast so etwas wie eine Mutter-Rolle übernimmt, denn sie versucht Lösungen für das Loswerden der Fantasien zu finden, „drückt ihn sanft an ihren Busen, sagt leise, aber sehr langsam und ernst“ , dass er die Märchen ins Feuer werfen solle.
Die als „schweigsame Natur“ beschriebene Clara, kann man auch anders empfinden, denn, wenn es darum geht, ihre Beziehung zu schützen, scheut sie sich nicht, Nathanael ihre Meinung zu sagen.
Clara erscheint in Hayes Interpretation als gefühlskalte Person, die nur aufgrund ihres Verstandes hervorhebt, jedoch steckt in Clara eine einfühlsame, nahezu mütterliche Person, die bei der Bemerkung ihres Verlobten, dass sie „ein lebloser, verdammter Automat“ sei, anfängt zu werden.
Hayes Auffassung, dass Claras „einziger negativer Gedanke das negative Prinzip sei“, ist nicht zuzustimmen, denn Clara erlebt des Öfteren Momente, in denen sie in negative Gedanken fällt, z. B. als Nathanael sie mit einem leblosen Automaten vergleicht, behauptet diese, dass er sie nicht verstehe ; auch als ihr Bruder Lothar und ihr Verlobter sich streiten, rief sie „Ihr wilden… ermordet hat!“, da hat sie also den Gedanken, dass einer von ihnen sterben wird und die Folge ist dann ihr eigener Tod.
Meines Erachtens scheitert die Beziehung nicht an ihrer Kälte, denn sie ist Nathanael gegenüber sehr sanft, fürsorglich und emotional. Der Einstellung Hayes‘, dass sie von seiner Mystik abgestoßen wird, kann man jedoch teilweise zu stimmen, denn seine Mystik und sein misslungener Ausgleichsversuch, wie Schmidt es nennt, treiben ihn in den Wahnsinn und stürzen ihn ins Verderben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ich hauptsächlich der Auffassung Schmidts zustimme, weil er es in Form einer Erörterung verfasst hat und nicht so einseitig wie Hayes. Außerdem führt Schmidt Beispiele an, die die Aussagen Hayes‘ entkräften und meiner Auffassung naheliegen.