Novelle: Der Runenberg (1804)
Autor/in: Ludwig TieckEpoche: Romantik
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Ludwig Tiecks „Der Runenberg“ wurde 1802 veröffentlicht und beschäftigt sich mit einem jungen Mann, welcher auf eine Reise geht, getrieben von einer Sehnsucht.
Zu Beginn lässt sich der Text in drei primäre Sinnabschnitte gliedern. Der erste Abschnitt spielt in der Realität (vgl. Z. 1-19). Hier werden der Protagonist namens Christian und seine derzeitige Situation dem Leser vorgestellt und der Leser kann sich einen ersten Eindruck verschaffen. Als Nächstes folgt der größte Abschnitt, nämlich der Traum (vgl. Z.20 -94). Hier wird der Leser mit in Christians Kopf genommen. Allerdings wird der Leser in diesem Abschnitt durch die wörtliche Rede auch in die Irre geführt und muss abwägen was Traum und was Realität ist. Im letzten Abschnitt befindet man sich erneut in der Realität (vgl. Z. 95-100). Dieser Abschnitt stellt das Erwachen aus dem Traum dar.
Nachdem Christian, in seine Gedanken vertieft, eine Alrunenwurzel aus der Erde zieht, begegnet er wenig später einem fremden Mann. Zuerst erschreckt er sich vor diesem freundlichen Mann (vgl. Z. 22), anschließend erzählt er dem Fremden allerdings von all seinen Empfindungen, als würde er diesen Mann schon ewig kennen. Dies wird vor allem durch den paartaktischen Satzbau deutlich (vgl. Z. 25-27), da man den Eindruck eines Gedankenstroms erhält. Man befindet sich zu diesem Zeitpunkt außerdem in Christians Kopf, da dieser Textabschnitt im Konjunktiv steht. Christian vertraut dem Mann und folgt ihm. Der Fremde symbolisiert das Ungewisse, das einen stets begleitet. Christian findet Geborgenheit in diesem Ungewissen und verliert zum ersten Mal seine trüben und düsteren Gedanken, da er nun das Gefühl hat, nicht mehr alleine zu sein. Zu Beginn des Erzähltextes wundert sich der Protagonist darüber, dass seine Eltern das Wohlbekannte zurück ließen und der Fremde folgten. Nun folgt auch er der Fremde und vertraut ihr. In diesem Abschnitt tauchen zum ersten Mal die Motive der Nacht und des Lichtes auf (vgl. Z. 30-31). Das Licht der Nacht erhellt Christians Gemüt und vertreibt seine dunklen Gedanken. Als ihn der Fremde allerdings verlässt, macht sich Christian alleine auf den Weg zum Runenberg. Dieser scheint eine ganz besondere Bedeutung für Christian zu haben, da ihm die Natur den Weg dorthin weist und ihn während seiner Wanderung ermutigt (vgl. Z. 48-51). Der Runenberg soll der Ort seiner Erleuchtung sein. Hier soll seine Sehnsucht endlich erfüllt werden. Da Runen Zeichen mit magischer Wirkung sind, soll der Runenberg auch magisch beeinflussen. Auf dem Weg dorthin ist Christian voller Freude, Neugierde und Hoffnung (vgl. Z. 51-52). Zwar verspürt er auch eine gewisse Angst, lässt sich von dieser jedoch nicht von seinem Ziel abbringen. Er ist verloren in seinen Gedanken und bemerkt all die Schrecken des Runenbergs nicht (vgl. Z. 56). Als er dann aber angekommen ist, weiß er nicht, ob er bleiben oder gehen soll. In diesem Augenblick taucht erneut die Lichtmotivik auf und Christian wird wieder in ihren Bann gezogen (vgl. Z. 63-66). Er erblickt eine „weibliche Gestalt“ (Z. 67), welche in das Licht gehüllt ist. Sie verzaubert ihn und er ist der Meinung, dass „er noch niemals solche Schönheit gesehen oder geahnet“ hat (Z. 70). Die Frau wird als „überirdisch“ (Z.88) und nicht sterblich (vgl. Z. 68) beschrieben. Sie scheint beinahe göttlich zu sein. Zudem ist ihre Beschreibung von Hypotaxen geprägt. Die Frau und die Tafel, welche sie hält, verstärken die Sehnsucht des Protagonisten. Dies erkennt man daran, dass die Tafel blau schimmert (vgl. Z. 86). Das Motiv der Sehnsucht erreicht hier seinen Höhepunkt. Als die Frau ihm die Tafel reicht, scheint seine Sehnsucht beinahe erfüllt, doch sobald er die Tafel berührt erwacht er aus seinem Traum und seine dunklen Gedanken holen ihn wieder ein (vgl. Z. 95-100). Sein Wahnsinn beginnt, als er die Alrunenwurzel aus dem Boden zieht und diese somit ihre berauschenden Stoffe freisetzt. Die Alrunenwurzel ist auch im Runenberg wiederzufinden, da ein Teil ihres Namen im Namen des Berges steckt. Auch ind er Frau ist die Wurzel zu erkennen. Der Gesang der Frau durchdringt den Protagonisten ähnlich wie die Töne, welche die Alrunenwurzel von sich gibt. Des Weiteren ist die Wurzel mit der Naturmotivik verbunden, welche den Protagonisten auf seinem gesamten Weg begleitet. Im Laufe des Erzähltextes wandelt sich nicht nur Christians Gemütszustand, sondern auch die Beschreibung der Umgebung. Sobald der Protagonist alleine ist, sind sowohl sein Gemüt als auch die Umgebung dunkel. Ist er in Gesellschaft hellen sich beide auf. Die hellen Phasen werden vor allem vom der Licht- und Traummotivik begleitet. Die dunklen Phasen sind meistens in der Realität zu finden. Jedoch ist eine dunkle Phase auch mitten in seiner Wahnvorstellung anzutreffen, nämlich die Wanderung zum Runenberg. Das besonderer an dieser Phase ist, dass sich Christian noch immer in seinem Wahn befindet. Aus diesem Grund bemerkt er all die Schrecken um ihn herum nicht. Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet durch Parataxen. Der einfache Satzbau ermöglicht es, diesen Teil wie einen Gedankenstrom wirken zu lassen. Allerdings widerspricht hier die Erzähltechnik. Der auktoriale Erzähler lässt einen nicht vollständig in Christians Kopf eindringen, sonder fokussiert neben Christians Gedanken auch die Umgebung. Durch diesen Widerspruch wird der Leser verwirrt. Des Weiteren spielt die Natur hier eine große und auch entscheidende Rolle. Zuerst wird die Natur personifiziert (vgl. Z. 50-51), wodurch der Protagonist stärker mit ihr verbunden wird. Er schöpft sogar Kraft aus ihr. Zudem wird die Natur mit einem Überfluss aus Adjektiven beschrieben, welche alle eine dunkle und düstere Stimmung hervorrufen. Dadurch wird das Motiv noch weiter in den Vordergrund gerückt. Steigerungen wie „steiler“ (Z. 53) verstärken dies erneut. Durch den Vergleich (vgl. Z. 51, 54) werden Christians Emotionen und Empfindungen auch nochmal verdeutlicht. Das Adjektiv „einsam“ (Z. 54), welches verwendet wird, um den Wind zu beschreiben erinnert auch an Christians Situation in der Realität. Alles in einem wird die Sprache in diesem Abschnitt dazu verwendet, den Leser weiter zu verwirren. Dies geschieht nicht nut durch die Erzählperspektive, sondern auch durch den Überfluss and Adjektiven.
Zusammenfassend erinnert Ludwig Tiecks „Der Runenberg“ an einen klassischen Text, welcher der Epoche der Romantik entstammt. Er verwendet typische Motive wie die Natur, den Traum und noch einige mehr. Entscheidend ist allerdings auch, dass das Hauptmotiv die Sehnsucht ist, ähnlich wie bei „Der Taugenichts“ von Novalis. Allgemein sind einige Parallelen zwischen den beiden Erzähltexten zu erkennen. Beispielsweisen der Wechsel zwischen Realität und Traum und die Multiperspektivität. All diese Punkte führen dazu, dass „Der Runenberg“ ein typisches Werk der Romantik ist.