Novelle: Der goldne Topf (1814)
Autor/in: E. T. A. HoffmannEpoche: Romantik
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Erzählung „Der goldne Topf – Ein Märchen aus der neuen Zeit“ von E.T.A Hoffmann, veröffentlicht im Jahre 1814, handelt von dem Studenten Anselmus, der sich durch ein kindlich poetisches Gemüt auszeichnet und nicht nur zwischen zwei Frauenfiguren hin- und hergerissen ist, sondern auch zwischen der bürgerlichen Welt Dresdens und der fantastischen Welt Atlantis. Neben Anselmus wird auch der Erzähler Gegenstand der Handlung, als er in denselben Zwiespalt gerät. Zentrale Themen sind das Verhältnis zwischen Realität und Fantasie und das sogenannte „serapiontische Prinzip“, das Gleichgewicht von Innen- und Außenwelt.
Der tollpatschige Student Anselmus begegnet nach einem Zusammenstoß mit einem „Äpfelweib“ der goldgrünen Schlange Serpentina. Diese Begegnung unter einem Holunderbaum ist für ihn der Beginn von Erlebnissen in der fantastischen Welt. Serpentina, für die er seitdem eine tiefe Sehnsucht verspürt, ist das Symbol eben jener fantastischen Welt. Jedoch wird ihre erste Begegnung von einer „raue[n], tiefe[n] Stimme“ (S.11 Z. 13) unterbrochen. Diese Stimme gehört, wie Anselmus später bewusst wird, dem Archivarius Lindhorst. Dieser tritt in der Erzählung als Doppelpersönlichkeit auf. Einmal als hochangesehener, aber merkwürdiger Geheimer Archivarius in der bürgerlichen Welt, andererseits als Prinz und Salamander in der fantastischen Welt. Lindhorst bietet Anselmus eine Stelle als Kopist an, nachdem Anselmus‘ Freunde, der Konrektor Paulmann und der Registrator Heerbrand, ihn vorgeschlagen haben. In dieser Zeit gleitet Anselmus immer häufiger, auch mithilfe von Alkohol und Pfeifentabak, in die fantastische Welt ab. Als er sich schließlich bei dem Archivarius Lindhorst vorstellen will, wird Anselmus von dem bronzierten Äpfelweib als Türklopfer davon abgehalten. Diese tritt nämlich als Gegenspielerin des Archivarius auf und will Anselmus von diesem fernhalten. Als Anselmus dann regelmäßig abends am Holunderbaum vorbeigeht, wird er von „Trauer und Schmerz“ (S.30 Z. 22f) übermannt, da er eine tiefe Sehnsucht nach Serpentina verspürt. Jedoch wird er wieder von der Stimme Lindhorsts aus seinen Gedanken gerissen. Anselmus vertraut Lindhorst seine fantastischen Erlebnisse an, wobei dieser Anselmus entgegen allen Erwartungen ernst nimmt. Nachdem Lindhorst Anselmus in einem goldenen Spiegel Serpentina gezeigt hat, bietet er ihm die Stelle als Kopist an.
Die vorgelegte Textstelle beginnt mit der Verabschiedung des Archivarius von Anselmus. Er beendet seine Abschiedsworte mit seiner Erwartung, Anselmus am nächsten Tag um zwölf Uhr zu sehen (vgl. Z. 2). Die Zahl zwölf fällt hierbei als Vorausdeutung ins Auge, da zwölf eine häufig benutzte Zahl in Märchen ist, wo sie für Vervollkommnung steht. So symbolisieren Anselmus‘ Arbeiten, die fortan täglich stattfinden, ebenfalls eine Vervollkommnung seiner selbst, eine Reifung seiner Persönlichkeit. Das Fläschchen, das der Archivarius Anselmus gibt, soll diesem als Waffe gegen das Äpfelweib, falls diese erneut als Türklopfer erscheint, dienen. Als der Archivarius schließlich beginnt, sich schnell zu entfernen, kommt es Anselmus so vor, als würde er Flügel ausbreiten. Die „tiefe[n] Dämmerung“ (Z. 4), die bereits herrscht, begünstigt die Annahme einer optischen Täuschung. Die auftauchenden Vergleiche „wie ein Paar große Flügel“ (Z. 6f), die Benutzung des Konjunktivs und entsprechender Verben, wie „schien“ (Z. 5) und „vorkam“ (Z. 8), lassen die Szene surreal wirken. Anselmus rationalisiert zunächst die fantastische Welt, die sich ihm hier nur scheinbar auftut. Doch im folgenden Abschnitt ändert sich das. Die Vergleiche fallen weg, es gibt einen Übergang in den Indikativ. Anselmus sieht jetzt tatsächlich einen „weißgraue[n] Geier“ (Z. 9f). Anselmus geht von zwei unterschiedlichen Eindrücken aus. Einmal der Existenz des Archivarius die unabhängig von der eines Geiers ist. Gegenüber sich selbst jedoch gesteht Anselmus sich die Möglichkeit ein, dass es durchaus der Archivarius war, der als Geier davonflog (vgl. Z. 12) Dies bildet zum ersten Mal in der Erzählung eine vollkommene Akzeptanz der fantastischen Welt. Was er zuvor als „merkwürdige Träume“ (Z. 15) abgetan hat, wird für ihn real. Die fantastische Welt, zuvor weit entfernt (Z. 14), rückt jetzt näher. Doch er leugnet die „fremden Gestalten“ (Z. 14), die ein Spiel mit [ihm] treiben“ (Z. 17). Ihre Bedeutung wird klein im Vergleich zu seiner „unendlichen Sehnsucht“ (Z. 17). Diese Hyperbel1, die Personifikation2 der Sehnsucht (Z. 17), die „die [sein] Innerstes zerreißt“ (Z. 17) und die Synästhesie3, dass Serpentina in seiner Brust glüht (Z. 14), lassen Anselmus‘ Liebe zu Serpentina übertrieben wirken. Seine Sehnsucht wirkt fanatisch und somit unecht.
Anschließend wird Anselmus erneut von einer Stimme unterbrochen, die Serpentinas Namen als „unchristlich[er]“ (Z. 19) empfindet. Diese Unchristlichkeit lässt sich zurückführen auf den Garten Eden. Adam und Eva werden vom Teufel in Form einer Schlange verführt, wodurch der Sündenfall stattfindet und die zwei aus dem Paradies vertrieben werden. Ebenso wie der Teufel verführt auch Serpentina Anselmus. Durch sie tritt er immer weiter ein in die fantastische Welt. Auch ihn trifft die Erkenntnis, zwar nicht die Erkenntnis von Gut und Böse, aber die Erkenntnis, dass es zwei Welten gibt, es ist ein Erwachen aus seiner naiven bürgerlichen Welt. Die Stimme holt ihn, wie zuvor die Stimme des Archivarius (S.11 Z. 13), zurück in die reale Welt. Er besinnt sich auf den Ort und hofft nicht seinen zwei Freunden zu begegnen. Diese Hoffnung kann als Vorausdeutung gesehen werden. Denn schon hier zeigt sich eine leichte Entfernung aus der realen Welt und eine Hinwendung zur fantastischen. Doch er begegnet keinem von beiden. Keiner hält ihn auf als er langsam beginnt immer weiter abzudriften in die Fantasiewelt Atlantis.
Die Textstelle zeigt einen Wendepunkt der Erzählung. Mit der zuvor beschriebenen Akzeptanz der fantastischen Welt und der vergangenen Annahme der Kopistenstelle wendet sich Anselmus von der bürgerlichen Welt, in die er zuvor ganz verzweifelt hineinpassen wollte, ab und der fantastischen Welt zu. Hier beginnt die Veränderung, die sich durch die gesamte Erzählung zieht und schließlich im Verschwinden aus Dresden und dem Verhaftetsein in Atlantis seinen Schluss findet. Das zentrale Thema des Zwiespalts zwischen den zwei Welten spielt also eine wichtige Rolle, wobei auch das serapiontische Prinzip verletzt wird, da Anselmus durch sein Erlebnis in die innere Welt abtaucht und der äußeren Welt vollkommen entrückt ist.