Novelle: Der goldne Topf (1814)
Autor/in: E. T. A. HoffmannEpoche: Romantik
Zitat zur Erörterung: „Und so erleben wir es, dass das böse Prinzip im „goldnen Topf“ nichts will, als den Helden für das Alltagsdasein und seine Behaglichkeit zurückerobern.“ -Richard Benz
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Erzählung „Der goldne Topf - Ein Märchen aus der neuen Zeit“ von E.T.A. Hoffmann, veröffentlicht im Jahre 1814, handelt von dem Studenten Anselmus, der nicht nur zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist, sondern auch zwischen der bürgerlichen Welt Dresdens und der fantastischen Welt Atlantis‘. Neben Anselmus wird auch der Erzähler Gegenstand der Handlung, als er in denselben Zwiespalt gerät. Zentrale Themen sind das Verhältnis zwischen Fantasie und Realität und das serapiontische Prinzip, des Gleichgewichts von Innen- und Außenwelt.
Dem Studenten Anselmus erscheint eines Abends unter einem Holunderbaum eine goldgrüne Schlange, namens Serpentina, die ihn sofort in ihren Bann schlägt und sein Verlangen weckt (vgl. S.11 Z.3ff). Serpentina und die spätere Anstellung als Kopist bei dem Archivarius Lindhorst stehen für die fantastische Welt Atlantis. Sollte Anselmus sich zum Schluss für die Liebe zu Serpentina entscheiden, so entscheidet er sich zugleich für eben diese Welt und gegen die bürgerliche Welt Dresdens, in die er schon zu Beginn der Erzählung nicht so recht zu passen scheint. Jedoch hat er auch in Dresden einen Anker. Und zwar seine Freundschaft mit dem Registrator Heerbrand, dem Konrektor Paulmann und dessen Tochter Veronika. Veronika, als Sinnbild der realen Welt, erfährt, dass Anselmus in Zukunft Chancen auf die gehobene Stellung als Hofrat hat und erhofft sich sofort eine Heirat, die sie zur Frau Hofrätin machen würde. Jedoch bemerkt sie Anselmus schwärmen für Serpentina und fürchtet um ihren Traum. Deshalb sucht sie das Äpfelweib auf, eine Hexe, die Anselmus Gefühle für Veronika stärken soll. Trotz anfänglichen Vorbehalten hilft das Äpfelweib ihr und gießt Veronika einen Spiegel, mit dessen Hilfe diese Anselmus sehen kann und der Anselmus zugleich an Veronika bindet. Zur selben Zeit erscheint Serpentina Anselmus immer häufiger, was Anselmus Liebe für sie noch vertieft.
In der vorgelegten Textstelle wird beschrieben wie Anselmus sich immer mehr und mehr von der realen Welt und seinen Freunden entfernt. Seine Sehnsucht, mit der er die fantastische Weise herbeisehnt und dabei alles andere vergisst, ist von hoher Intensität. Dieses Entfernen stellt ein Ungleichgewicht dar, das das serapiontische Prinzip ablehnt. Während Anselmus immer mehr in seine Innenwelt, in die fantastische Welt abgleitet, vernachlässigt er immer mehr die Außenwelt, die ihn in der realen Welt „erden“ würde.
Mit den Worten „Und doch,“ (Z.5) kündigt sich allerdings eine Wendung in Anselmus‘ Verhalten an. Seine Gedanken gleiten häufig zu Veronika ab und es scheint ihm, „als träte sie zu ihm hin“ (Z.8). Diese Beschreibung ihres Erscheinens wirkt surreal durch die Benutzung des Konjunktivs, der in der Handlung zuvor gebraucht wurde, um die fantastische Welt und Serpentina zu beschreiben. Jetzt tritt auch Veronika im Traum auf, da sie mithilfe des Spiegels und des Zaubers auch ein kleiner Teil der fantastischen Welt geworden ist.
Der Erzählerbericht fährt fort mit der Beschreibung von einer „fremde[n], plötzlich über [Anselmus] einbrechende[n] Macht“. Diese Macht ist der Zauber des Äpfelweibs, der Anselmus an Veronika bindet und ihm jede Möglichkeit des Widerstands nimmt (vgl. Z.13f).
Und selbst nachdem er in das Geheimnis von dem Archivarius Lindhorst eingeweiht worden ist und Serpentina ihm als Mensch erschienen ist, „trat ihm Veronika lebhafter vor Augen als jemals zuvor“ (Z.18). Einem intimen Moment zwischen Anselmus und Serpentina folgt ein scheinbarer Verrat von Anselmus, als er an eine andere Frau denkt. Was hier ins Auge fällt, ist der Wegfall des Konjunktivs und der Übergang in den Indikativ. Die Liebe zu Veronika wird real, ebenso wie seine Liebe zu Serpentina. Anselmus „schaut“ beide Frauenfiguren.
Alles in allem ist die Handlung ein Wendepunkt der Erzählung. Zuvor ging es um Anselmus Entwicklung hin zur fantastischen Welt und zu Serpentina, er hat sich immer stärker darin verstrickt. Die zu behandelnde Textstelle stellt insofern einen Wendepunkt dar als Anselmus jetzt einen Schritt zurück zu r bürgerlichen Welt macht. Obwohl er selbst sich nach „den Wundern des Feenreichs“ (Z.6) sehnt, zieht Veronikas Zauber ihn zurück. Es findet eine Verschiebung der Gefühle statt, weg von Serpentina und hin zu Veronika. Der Konflikt von Innen- und Außenwelt beziehungsweise von fantastischer Welt und bürgerlichen Welt wird dabei ausführlich thematisiert.
Eine Frage stellt sich jedoch dem Leser während der Erzählung, und zwar, was das Ziel des Äpfelweibs, als „böses Prinzip“ ist.
Anselmus‘ Liebe zu Serpentina stellt sich ein „böses Prinzip“ entgegen, dabei stimme ich Richard Benz zu, jedoch sehe ich hierfür andere Gründe. Diese „feindlichen Prinzipien“ wie sie in der Erzählung genannt werden, werden von dem Äpfelweib verkörpert. Diese ist aber keineswegs Anselmus‘ direkter Feind, sondern die Feindin des Archivarius Lindhorst (vgl. S.45 Z.11). Deshalb sehe ich ihr primäres Ziel nicht darin Anselmus zu schaden, vielmehr will sie dem Archivarius indirekt schaden indem sie ihm den Jüngling ausspannt, der ihn „teilerlösen“ könnte.
Dazu kommt, dass sie sich zuerst weigert Veronika auf diese Weise zu helfen. Sie versucht sogar Veronika davon zu überzeugen von Anselmus abzulassen (vgl. S.43 Z.36f).
Ein anderer Punkt, in dem ich nicht mit dem Zitat übereinstimme, ist, dass Anselmus sich, meiner Meinung nach, in seinem Alltagsdasein nie ganz „behaglich“ gefühlt hat. Diese Behaglichkeit spürt er zum ersten Mal in Gegenwart Serpentinas (vgl. S.63 Z.3f). Anselmus war nie wirklich zufrieden mit seinem bürgerlichen Leben. Als Student passt er nicht in die Vorstellung eines Philisters. Durch sein tollpatschiges Auftreten und seine unpassende Kleidung fällt er auf (vgl. S.6). Anselmus selbst sieht sich als ein „zum Elend geborenen Tollpatsch“ (nach S.7 Z.16).
In meinen Augen trifft die These nicht vollkommen auf die Erzählung zu. Die „bösen Prinzipien“ wollen weder gegen Anselmus selbst vorgehen, sondern gegen den Archivarius, noch wird Anselmus Alltagsleben in der Erzählung als behaglich dargestellt, sondern vielmehr als sehr beschwerlich und unpassend für ihn.