Kurzgeschichte: Der Filialleiter (1992)
Autor/in: Thomas HürlimannEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
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Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Kurzgeschichte „Der Filialleiter“ wurde von Thomas Hürlimann verfasst und im Jahr 1994 publiziert. Das Werk handelt von einer öffentlichen Bloßstellung eines Mannes, welche von seiner Ehefrau in die Wege geleitet wurde. Hierbei werden Kommunikationsprobleme in einer Beziehung thematisiert.
Zunächst wird beschrieben, wie der Filialleiter seine Ehefrau auf dem Fernsehschirm in einer Show erblickt. Dort erklärt die Frau, dass sie nicht für ihn, den Filialleiter, empfinde. Der Mann ist weiterhin verwirrt, da er nicht nachvollziehen kann, aus welchem Grund sie dies tut. Des Weiteren wird beschrieben, dass der Mann seine Ehefrau nicht danach fragt, obgleich er die Möglichkeit dazu hat. Infolgedessen kommt es zu der Konsequenz, dass aufgrund dieser öffentlichen Bloßstellung der Supermarkt des Filialleiters zerstört wird. Trotz dieser katastrophalen Folge kommt es nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar. Beide nehmen wie gewohnt ihr alltägliches Kamillenbad und gucken Seite an Seite fern ohne ein Wort über das letzte Ereignis zu wechseln.
Darüber hinaus gilt es den Inhalt und inhaltliche Auffälligkeiten in der Kurzgeschichte zu analysieren, um ein tieferes Verständnis über die Figuren und dessen Beziehung zu erlangen. Die Ehepartner erleben ihren Alltag in Form von ihrem täglichen Kamillenbad (vgl. Z. 23) und dem Fernsehen. Dabei wird nur wenig kommuniziert. Vielmehr erlebt der Mann ein persönliches Gespräch zwischen ihm und seiner Frau durch eines seiner alltäglichen Unterhaltungsmittel. Dies betont den Kontrast, dass ein solch emotionales und persönliches Gespräch eher lapidar, unangekündigt und kühl abgetan wird, sodass er keine Möglichkeit hat, sich direkt und persönlich zu äußern. Da die Frau sich im Klaren darüber ist, dass der Man sein tagtägliches Ritual vollzieht, vermittelt sie ihm intendiert ihre Meinung zu ihrer problematischen Beziehung. Hierbei verwendet sie ein öffentliches Medium, den Fernseher, um nicht nur eine große Aufmerksamkeit zu erlangen, sondern sich auch indirekt an ihren Gatten zu richten, um einen möglichen Konflikt zu vermeiden. In diesem Kontext wurde der Fernseher als eine Art Mitteilungsmittel verwendet, etwas, was als Barriere und zugleich Vermittler zwischen dem Mann und der Frau fungiert. Von einer offenen Kommunikation kann somit ganz klar nicht die Rede sein. Zudem ist der Mann aufgrund seines Berufs als Supermarktleiter darauf angewiesen, sich ein Fußbad zu erlauben (vgl. Z. 23). Da er dies tagtäglich vor dem Fernseher erledigt, kann man davon ausgehen, dass er nicht die Absicht hat, dieses Ritual aufzugeben. Das bedeutet, dass er sich die Show anschauen muss, da er sonst seine Gewohnheit aufgeben müsste. Man kann davon sprechen, dass er in leeren Ritualen erstarrt. Zusätzlich sind nicht nur die Beziehung zwischen dem Ehepaar emotionslos, sondern auch die einzelnen Persönlichkeiten der Figuren. Somit scheinen sie leere Hüllen zu sein, welche kaum Gefühle zulassen und in ihrer Alltäglichkeit versinken, ohne jegliche Änderungen zuzulassen, weder in ihren Ritualen noch in ihrer Beziehung. Jene unpersönliche Charakteristik äußert sich zudem darin, dass in der Kurzgeschichte dem Mann und der Frau keine Namen gegeben werden. Davon abgesehen, scheint die öffentliche Blamage und Beleidigung der Frau ihren Mann zu eschauffieren. Seiner Meinung nach ist die Aussicht auf ein erfolgreiches Supermarktunternehmen aufgrund dessen nicht mehr gegeben. Dies bezeugt, dass der Filialleiter sich alleinig um sein Business schert, nicht aber um die scheinbar zerstörte und gestörte Beziehung der beiden. Denn die Aussage der Frau, dass sie ihn nicht wirklich liebe, würde zunächst zum Erstaunen und Hinterfragen der Beziehung des Mannes kommen dann zu einer Auseinandersetzung der Problematik führen. Beides kommt aber so nicht zustande. Die Bloßstellung wird folglich nicht ausdiskutiert, was darauf hindeutet, dass eine Kommunikationsstörung vorliegt. Der Ehemann durchlebt seinen Alltag, wie in einer Blase, und hat auch nicht vor, dies zu ändern. Außerdem erlebt er einen Augenblick der Ahnungslosigkeit (vgl. Z. 32). Darüber hinaus ist er sich zuerst nicht im Klaren, dass das Dilemma wirklich passiert ist (vgl. Z. 22). Es scheint im surreal, weil er vermutlich ein solches – ehrliches und gleichzeitig angreifendes, negatives – Verhalten von seiner Frau noch nie erlebt hat und nie glaubte, dies sei wirklich ihre Meinung. Da die Frau ihre Kritik nicht persönlich übermittelt und die beiden den Vorfall auch nicht thematisieren, ist dies ein weiteres Indiz für eine Kommunikationsstörung. Somit sind das allgemein Anzeichen für eine zwiespältige zwischenmenschliche Beziehung, die vermeintlich durch offene Kommunikation gelöst werden könnte. Dies scheint nicht abwegig, denn beide Eheleute arbeiten im Supermarkt, sodass die Filiale ihre Familie ersetzt. In diesem Kontext ist dies insofern problematisch, weil ihre ganze Beziehung darauf aufzubauen scheint und jeglichen persönlichen Kontakt abspricht. Die Ehe wirkt somit sehr oberflächlich und nicht aufrichtig.
Darüber hinaus gilt es die Sprache und die verwendeten rhetorischen Mittel in der Kurzgeschichte zu analysieren, um ein tieferes Verständnis über die Intention des Autors und Message des Werkes zu erlangen. Im Folgenden werden somit sprachliche Auffälligkeiten erläutert. Zunächst kann man konstatieren1, dass in der Geschichte vermehrt parataktische Sätze (vgl. Z. 23) auftreten, was einem einfachen Satzbau und schlichter Wortwahl entspricht. Dies deutet darauf hin, dass die Figuren sich nichts zu sagen haben und so auch kurz und knapp ihre Aussagen gestalten. Zudem findet man einige Ellipsen2 (vgl. Z. 25, 29), welche die Ausweglosigkeit des Mannes verdeutlichen. Er bringt kaum einen Satz zu Ende, sodass er seine Fassungslosigkeit kaum in Worte fassen kann. Darüber hinaus wird wörtliche Rede verwendet (vgl. Z. 7), um die Aussagen der Figuren besonders zu unterstreichen und ihnen eine gewisse Persönlichkeit zu geben, was im Kontrast zu der unpersönlichen Beziehung steht. Da die Beziehung somit verlogen scheint, bietet die wörtliche Rede die einzige Möglichkeit die ehrliche Meinung der Figuren zum Ausdruck zu bringen (vgl. Z. 7). Zudem hebt die Textpassage „Er erschrak zu Tode“ (s. Z. 2) die Gefühle besonders hervor. Darüber hinaus verwendet Hürlimann die Metaphern3 „Wie jeden Abend saßen sie nebeneinander vor dem Fernseher und beide hatten ihre Füße in roten Plastikeimerchen gestellt, in ein lauwarmes Kamillenbad – das stundenlange stehen im Supermarkt machte ihnen zu schaffen“ (s. Z. 9 ff.) und „Er heilt das Tuch in der Hand, und so stand er da nun, nur mit Unterhemd und Unterhose bekleidet, minutenlang im Kamillenbad – ein totes Paa Füße, im Supermarkt platt gelatscht“ (s. Z. 36 ff.). In diesem Zusammenhang illustrieren die Metaphern die Beziehung der Ehepartner und geben Spielraum zur Deutung. Somit ist ein „lauwarmes Kamillenbad“ (s. Z. 10) eine Metapher für die ungesunde Beziehung. Hierbei wird diese nicht als „heiß“ beschrieben, was viel emotionaler und aufgebrachter wäre, sondern als „lauwarm“ (s. Z. 10). Mit dieser eher milden und unpersönlichen Beschreibung wirkt ebenfalls die Zweisamkeit der beiden distanziert und lasch. Jene Metapher ist somit Beleg für die eher labile Ehe. Darüber hinaus ist die Metapher „ein totes Paar Füße – im Supermarkt platt gelatscht“ (s. Z. 38 f.) als eine „tote“ Ehe zu verstehen. Die Füße stellen hierbei eine Beziehung zum Beruf her und dieser wiederrum zu den Ehepartnern. Infolgedessen sind die „toten Paar Füße“ (s. Z. 38) als tote, gestörte Ehe definierbar bzw. können sie auch für die Gefühle der Eheleute stehen. Demnach sind diese aufgrund des Berufs der Ehepartner ebenfalls tot. Mit diesem Hintergrund kann man von einer entfremdeten, zerstörten, nicht mehr auf persönlichem Kontakt beruhenden Beziehung sprechen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Kurzgeschichte „Der Filialleiter“ von Thomas Hürlimann aus dem Jahr 1994 die Kommunikationsprobleme und -störung eines Ehepaares verdeutlicht, was sich daran äußert dass es nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau kommt, obwohl diese ihn öffentlich bloßgestellt hat. Hierbei verwendet der Autor Hürlimann Ellipsen und parataktische Sätze, um die Fassungslosigkeit des Mannes zu betonen und zwei Metaphern, um die tote Ehe akzentuiert zu illustrieren. Die Kurzgeschichte stellt somit eine gestörte zwischenmenschliche Beziehung nahestehender Menschen dar, wobei die vermeintlich problematische Lage durch bloßes offenes kommunizieren gelöst werden könnte. Dies entspricht ebenfalls der Kritik sowie Hauptaussage und Message der Kurzgeschichte „Der Filialleiter“.