Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das romantische Gedicht „Der Feuerreiter“ wurde 1832 von dem deutschen Erzähler und Lyriker Eduard Mörike (1804- 1875) im selben Jahr in seinem Roman „Maler Nolten“ veröffentlicht und befasst sich mit dem kläglichen Widerstand des Feuerreiters gegenüber einer Naturgewalt, welcher scheinbar nicht einmal sein Glaube gewachsen ist.
Äußerlich gliedert sich das Werk in fünf Strophen mit jeweils zehn Versen, welche durch das Reimschema ababcddeec verbunden sind. Die Strophen weisen acht trochäische Vierheber mit überwiegend reinen Reimen auf, wobei auch einige Enjambements1 zur schnellen und hektischen Lesart verwendet werden und die Leserinnen und Leser intensiver in das Geschehen mit einbezogen werden, welche durch die Werke der romantischen Epoche mit einer volksnahen Sprache zu einer Verhaltensänderung bezüglich bestehender Verhältnisse bewegt werden sollen. Als Reaktion auf die zunehmend aufstrebende Industrialisierung wendet sich nämlich die Romantik (Ende des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts) gegen die wissenschaftlich orientierte Gesellschaft mit ihrem technischen Fortschritt, wodurch sich als zentrale Motive die Liebe, Sehnsucht und Weltflucht herausstellen.
Diesbezüglich weist bereits die erste Strophe ein entscheidendes Kennzeichen dieser Epoche auf, denn oftmals werden als Schauplätze ruinenhafte Gebäude inkludiert, wie Mörike es in seinem Werk mit der brennenden Mühle (vgl. V. 10) vornimmt. Sie wird in die Handlung eingebunden, nachdem in den ersten vier Versen bei den Leserinnen und Lesern das Bild von lodernden Flammen entsteht, wenn das lyrische Ich von einer „rote(n) Mütze“ (V. 2) berichtet, welche am Fenster „auf und nieder“ (V. 4) geht. Innerhalb einer direkten rhetorischen Frage mittels eines Personalpronomens (vgl. V. 1) wird hier auf die im Mittelpunkt der Handlung stehende Gestalt des Feuerreiters hingewiesen, welcher durch den Brand in der Mühle „hinterm Berg“ (V. 8f.) hektisch wird, ehe er sich zum Ort des Geschehens hin begibt. Der Zusatz „Hinterm Berg“ kann dabei als Refrain der Ballade in der ersten bis zur vierten Strophe gesehen werden, welcher lediglich in der letzten Strophe inhaltlich abweicht.
Die aufgeregte Stimmung wird anschließend weitergeführt, indem die Leserschaft erneut durch die Verwendung des Imperativs „Schaut“ (V. 11) auf den Feuerreiter aufmerksam gemacht wird, welcher nun auch als solcher im zwölften Vers benannt wird. Auf seinem gebrechlichen Pferd (vgl. V. 13 „rippendürre(s) Tier“) nähert er sich rasend schnell „durch Qualm und Schwüle“(V. 15) den lodernden Flammen der Mühle, gleich einem Wagnis, das er scheinbar ohne größere Vorüberlegungen auf sich nimmt. Belesene Personen denken hier vermutlich direkt an die Figur des Don Quijote aus dem gleichnamigen Roman von Miguel de Cervantes, welcher mit einer klapprigen Rüstung gekleidet auf seinem Pferd Rosinante die Welt auf der Suche nach neuen Abenteuern bereist, um so das Unrecht zu bekämpfen. Im Fall des Feuerreiters steht dieses Unrecht für das Feuer, gegen welches es vorzugehen gilt.
Als ein kurzer Rückblick bezüglich des Feuerreiters kann die dritte Strophe gesehen werden, in welcher seine Fähigkeiten erneut herausgestellt werden, denn er hat anscheinend schon „(...) oft den roten Hahn, /Meilenweit von fern gerochen“ (V. 20f.). Der hier angesprochene „rote Hahn“ (V. 20) symbolisiert dabei das entfachte Feuer, welches durch die Formulierung „(...) grinst vom Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein“ (V. 25f.) personalisiert und im Weiteren durch das christliche Symbol des „Kreuzes“ (V. 23) bekämpft wird. Dadurch wird deutlich veranschaulicht, dass sich der Feuerreiter quasi über den allmächtigen Gott stellt, wenn er mit dem Element des Feuers umgehen und es beherrschen will. Ob sich hier jedoch seine übernatürliche Autorität oder doch eher seine Überheblichkeit und Selbstüberschätzung herausstellt, wird sich erst zum Ende der Handlung zeigen. Der „Feind im Höllenschein“ (V. 26) kann dabei zwischen den zahlreichen religiösen Andeutungen als Teufel identifiziert beziehungsweise symbolisiert werden, der ähnlich einer Teufelsaustreibung aus der Mühle verbannt werden soll.
Das Ausmaß des Brandes wird der Leserschaft in der vierten Strophe beschrieben, in der deutlich wird, dass der „kecke(...) Reitersmann“ (V. 33) sehr geringe Erfolgsaussichten hat, denn die „Mühle borst in Trümmer(n)“ (V. 32). Er kann auch von den dort anwesenden Personen nicht wiedergefunden werden, bis sich diese schließlich vom Ort des Geschehens entfernen (vgl. V. 35f. „Volk und Wagen im Gewühle/ Kehren heim von all dem Graus“). Kurz vor dem Refrain wechselt zudem passend die musikalische Beschreibung der Situation, denn „auch das Glöcklein klinget aus“ (V. 37), wodurch sich langsam aber sicher ein Ende der Handlung abzeichnet.
Die letzte Strophe stellt einen nachträglichen Anhang dar, welcher zeitlich versetzt (vgl. V. 41 „Nach der Zeit ein Müller fand“) über den endgültigen Tod des Feuerreiters aufklärt, auf den zum ersten Mal mit dem Personalpronomen2 „du“ (V. 46) direkt hingewiesen wird. Dabei wird er näher beschrieben als „Gerippe samt der Mütze(...)“ (V. 42), welches noch auf der „beinern Mähre“ (V. 44) sitzt, was ein veralteter Begriff für ein weibliches Pferd ist. Weiterhin ist der erstmalige Wechsel des Refrain auffällig, weg von der Formulierung „Hinterm Berg/ Hinterm Berg“ im achten und neunten Vers einer jeden Strophe, hin zum Ausdruck „Ruhe wohl/ Ruhe wohl“ (V. 48f.). Es entsteht somit insgesamt der Eindruck eines bedauernswerten Widerstandskämpfers, welcher sich mutig und zugleich wahnsinnig einer ihm nicht gewachsenen Barriere in den Weg stellt und sich letztlich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst werden muss, bis er schließlich in dem Feuer der Mühle seinen Tod findet (vgl. V. 47 „Husch! da fällt's in Asche ab“).
Der Autor Eduard Mörike, lange Zeit auch im Amt eines evangelischen Pfarrers tätig, erschuf hier eine romantische Ballade mit der im Mittelpunkt stehenden Gestalt des Feuerreiters, welcher die Macht der Naturgewalten impulsiv überschätzt und dabei feststellen muss, dass hier auch der Glaube an seine Grenzen stößt beziehungsweise keine derartigen Wunder bewirken kann.