Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Herta Müllers Kurzgeschichte „Das schwäbische Bad“ handelt von dem Badvorgang einer Familie Banater Schwaben. Mit ihrer Kurzgeschichte thematisiert Müller die verrohte, stagnierte und gefühlskalte Lebensweise der Banater Schwaben. Diese Lebensweise bringt Müller vor allem durch die Hitzemetaphorik bei der Darstellung des Badevorgangs und durch die die sprachlich-syntaktische Gestaltung zum Ausdruck. Einen möglichen Ausweg aus der verrohten, stagnierten und gefühlskalten Lebensweise der Banater Schwaben deutet Müller durch die jüngere Generation an. Diese Generation wird durch den Jungen Arni repräsentiert. Im Folgenden wird diese Interpretationshypothese im Sinne einer Aspekt bezogenen Vorgehensweise nachgegangen.
Zunächst führt Müller den Leser anhand der sprachlich-syntaktischen Gestaltung der Kurzgeschichte und speziell des Badevorgangs in die Monotonie, Routine und Stagnation der Banater Schwaben ein. Der von Müller beschriebene Badevorgang enthält sämtliche Repetitios1 : sowohl „Die Seife schäumt“ (S.13 Z.10,16,22, S.14 Z.3) als auch „[Das Familienmitglied] steigt in die Badewanne“ (S.13 Z.9-10,15,21, S.14 Z.2). Die Repetitios heben die Routine und die Monotonie des Badevorgangs hervor. Dieser Badevorgang stellt metaphorisch das Leben der Banater Schwaben dar. Folglich betont Müller die monotone Lebensweise der Banatschwaben. Zudem benutzt Müller Parataxen um den Badevorgang zu beschreiben (siehe S.13 Z.9-11). Dies schafft einen kalten, emotionslosen Ton, der die Lebensweise der Banater Schwaben wiederspiegelt. Deshalb beschreibt Müller nicht nur die monotone Lebensweise der Banater Schwaben, sie kritisiert sie auch. Darüber hinaus untermalen die häufigen Anaphern2 („Die Mutter […]“ (S.13 Z.9,10,11,13), beziehungsweise die anderen Familienmitglieder) und der Parallelismus (Abwesenheit von Pronomen während der ganzen Kurzgeschichte) die Monotonie und Stagnation der Banater Schwaben. Außerdem gibt Müller der Mutter, dem Vater, der Großmutter und dem Großvater keine Namen. Die fehlende Identität macht die genannten Figuren auswechselbar: Müller benutzt die Figuren als Sinnbild für alle Banater Schwaben. Daher kritisiert Müller die monotone und kalte Lebensweise aller Banater Schwaben.
Weiterhin baut Müller anhand der Lügen der Familienmitglieder über die Temperatur des Badewassers sowohl die Routine und als auch die fehlende Entwicklung und Reflexion der Banater Schwaben weiter aus. Im Verlauf des Badevorgangs lügt das Familienmitglied, das gerade gebadet hat, das Familienmitglied, das am nächsten baden wird, bezüglich der Temperatur des Badewassers an. Die Mutter, der Vater und die Großmutter geben alle vor, dass das Badewasser noch „heiß“ (S.13 Z.14,20, S.14 Z.1) sei. In Wirklichkeit ist das Badewasser jedoch kälter. Der Kontrast zwischen vorgegebener Temperatur und eigentlicher Temperatur wird im Laufe des Badevorgangs immer stärker: der Großvater badet letztendlich in „[eiskaltem]“ (S.14 Z.3) Wasser. Die Lüge an sich symbolisiert die Verlogenheit der Banater Schwaben. Das ständige Wiederholen der Lüge untermalt zudem die monotone Routine, die durch die sprachlich-syntaktische Gestaltung herbei geführt wurde. Zudem betont die klimaktische Entwicklung der Lügen die Verlogenheit der Banater Schwaben. Außerdem zeugt die Tatsache, dass die Lüge von allen akzeptiert wird, davon, dass die Banater Schwaben unreflektiert sind und sich nicht entwickeln. Die Akzeptanz der Lüge hebt zudem Müllers Kritik an der Akzeptanz der Nationalsozialistischen Vergangenheit des Banats und der Banater Schwaben hervor. Diese haben im zweiten Weltkrieg den Nationalsozialismus und die Nationalsozialisten unterstützt. Folglich kritisiert Müller anhand der Lüge der Familienmitglieder sowohl die monotone und verlogene Lebensweise der Banater Schwaben als auch die fehlende Reflexion und Entwicklung, insbesondere in Hinsicht auf die Nationalsozialistische Vergangenheit der Banater Schwaben.
Zudem veranschaulicht Müller anhand der verwendeten Hitzemetaphorik bei der Darstellung des Badvorgangs die emotionale Kälte der Banater Schwaben. Das Wasser in dem die Familienmitglieder baden ist „heiß“ (S.13 Z.10) bei der Mutter. Der Vater badet in „[warmen]“ (S.13 Z.16) Wasser, wohingegen das Wasser bei der Großmutter nur noch „lauwarm“ (S.13 Z.22) und bei dem Großvater „eiskalt“ (S.14 Z.3) ist. Die Wassertemperatur wird von Mutter bis Großvater, mit steigendem Alter, kälter. Hitzemetaphorisch steht die Temperatur des Wassers, die Kälte des Wassers, für die Gefühlskälte und innere Verrohung der Banater Schwaben. Deshalb veranschaulicht Müller dass mit steigendem Alter der Banater Schwaben, dementsprechend auch mit steigender Lebenszeit im Banat, auch die innere Gefühlskälte und Verrohung der Banater Schwaben steigt: so wie die Temperatur des Wassers sink, so werden die Familienmitglieder verrohter und gefühlskälter. Zudem betont der Kontrast und der Sprung in Kälte des Badewassers zwischen der Großmutter („lauwarm“) und dem Großvater („eiskalt“) die Gefühlskälte und innere Verrohung des Großvaters. Müller verschärft damit ihre Kritik an der ältesten männlichen Generation der Banater Schwaben, die vom Großvater repräsentiert wird. Diese Generation hat im zweiten Weltkrieg für die SS gekämpft und wies zu Müllers Zeit immer noch Nationalsozialistisches Gedankengut auf. Folglich kritisiert Müller anhand der Hitzemetaphorik die Gefühlskälte und innere Verrohung der Banater Schwaben und insbesondere der ältesten, männlichen Banater Schwaben.
Darüber hinaus veranschaulicht Müller anhand der gewählten Farbmetaphorik zur Darstellung des Badevorgangs die Schuld und fehlende Verarbeitung der SS-Vergangenheit der Banater Schwaben. Nachdem die Mutter sich abgewaschen hat, hat die Badewanne einen „gelben Rand“ (S.13 Z.13). Dieser Rand färbt sich beim Vater „[braun]“ (S.13 Z.19), bei der Großmutter „[schwarz]“ (S.13 Z.36) und der Großvater verschwindet letztendlich in „[schwarzem] Badewasser“ (S.14 Z.9). Hiermit ist zu erkennen, dass das Wasser mit ansteigendem Alter des Familienmitglieds dunkler wird. Farbmetaphorisch stellt die dunkle Farbe des Randes, beziehungsweise des Badewassers, die unmoralische Lebensweise der Banater Schwaben dar und betont die Schuld der Figur. Deshalb vermittelt Müller, dass die Schuld und die unmoralische Lebensweise mit steigendem Alter, dementsprechend mit längerer Lebenszeit im Banat, steigt: so wie der Rand der Badewanne und das Badewasser dunkler wird, so werden die Familienmitglieder unmoralischer und schuldiger. Die Schuld bezieht sich in diesem Fall auf die SS-Vergangenheit der Banater Schwaben, die nicht Verarbeitet wurde. Folglich kritisiert Müller diese fehlende Verarbeitung und der damit verbundenen fehlenden Entwicklung der Banater Schwaben.
Außerdem hebt Müller anhand der Metaphorik der Körperteile die Verrohung der Banater Schwaben hervor. Die Mutter wäscht sich am „Hals“ (S.13 Z.11), der Vater am an der „Brust“ (S.13 Z.17), die Großmutter an den „Schultern“ (S.13 Z.23) und der Großvater am „Ellbogen“ (S.14 Z.4). In diesem Fall wäscht sich jedes Familienmitglied an einer unverwundbareren Stelle. Zudem ist jedes weitere Körperteil besser zum Angriff geeignet. Folglich sind die gewaschenen Körperteile der Familienmitglieder in mehr als nur einer Hinsicht eine Metapher3 für die innere Verrohung, die mit längerer Lebenszeit im Banat ansteigt: so wie die gewaschenen Körperteile unverwundbarer und geeigneter zum Angriff werden, so werden die Familienmitglieder verrohter. Daher kritisiert Müller die Verrohung der Banater Schwaben.
Schließlich deutet Müller trotz der Verrohung, der emotionalen Kälte und Schuld der erwachsenen Familienmitglieder durch das Kind ‚Arni‘ einen möglichen Ausweg aus der bisherigen Lebensweise der Banater Schwaben an. Arni, gegensätzlich zu seinen Familienmitgliedern, hat, wie zuvor angesprochen, einen Namen: Müller gibt ihm eine Identität. Dieser Kontrast hebt sie ihn von dem Rest der Banater Schwaben ab. Arni wird dementsprechend nicht kritisiert, er verkörpert die Hoffnung Müllers auf eine Änderung im Banat. Müller verdeutlicht diese Hoffnung auf Besserung indem „der kleine Arni [um sich schlägt]“ (S.13 Z.6). Arnis Handeln spiegelt seine Ablehnung gegen die Lebensweise der Banater Schwaben. Die Tatsache, dass die Hoffnung allein auf der jüngeren Generation ruht wird zudem durch die Beschreibung des „[kleinen]“ Arnis pointiert veranschaulicht.
Jedoch hat Arni „wegen der kalten Luft den Schnupfen gehabt“ (S.13 Z.3-4). Ähnlich wie in dem Badevorgang wird durch die „[kalte] Luft“ wärmemetaphorisch die emotionale Kälte und Verrohung der Banater Schwaben aufgegriffen. Arnis Unwohlsein ist die metaphorische Konsequenz der emotionalen Kälte und Verrohung der Banater Schwaben. Arni scheint deshalb immer noch verwundbar zu sein. Müller untermalt dies, als „Die Mutter […] den kleinen Arni den Rücken mit einem verwaschenen Höschen“ (S.13 Z.4-6) wäscht. Hier versucht die Mutter Arni in den monotonen, stagnierten Badvorgang zu integrieren. Rein raummetaphorisch dreht Arni der Mutter jedoch den Rücken zu, was auf die zuvor angesprochene Ablehnung der Lebensweise der Banater Schwaben aufbaut. Dahingegen verdeutlicht der Diminutiv4 des „[Höschens]“ wieder Arnis Verwundbarkeit: Arni ist doch nur ein kleiner Junge, den man mit einem kleinen Kleidungsstück waschen kann. Folglich symbolisiert Arni nur den möglichen Ausweg aus der verrohten, stagnierten und gefühlskalten Lebensweise der Banater Schwaben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Müller mit ihrer Kurzgeschichte „Das schwäbische Bad“ Kritik an der verrohten, gefühlskalten und stagnierten Lebensweise der Banater Schwaben ausübt. Anhand der sprachlich-stilistischen Gestaltung, dem Verwenden der Hitzemetaphorik, der Farbmetaphorik und der Metaphorik der Körperteile übermittelt sie die Kritik an den Banater Schwaben. Darüber hinaus Bezieht sich Müller auf, und kritisiert die Nationalsozialistische Vergangenheit des Banats und der Banater Schwaben. Die mögliche Hoffnung auf einen Ausweg aus der Situation stellt die jüngere Generation dar.