Essay: Das digitale Evangelium (2000)
Autor/in: Hans Magnus EnzensbergerEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
Der Text das Das digitale Evangelium (Druckversion des Essays) wurde 2000 im Spiegel veröffentlicht.
Der Text das Das digitale Evangelium (Druckversion des Essays) wurde 2000 im Spiegel veröffentlicht.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der zu analysierende Text ist ein Auszug aus dem Essay „Das digitale Evangelium“ von Hans Magnus Enzensberger, dem Schriftsteller und Redakteur. Es stammt aus dem Jahre 2000, 30 Jahre nach seiner ersten Kritik „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ und dient zur Relativierung des Textes von 1970.
In seinem 1970 veröffentlichten Text „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ greift Enzensberger Brechts Radiotheorie auf und überträgt diese auf neue elektronische Medien wie das Fernsehen. Er stellt dieselben Forderungen wie Brecht es an das Radio tat an audiovisuelle Medien wie das Fernsehen, und zwar, dass beide Medien eine interaktive Kommunikation ermöglichen sollten und nicht nur als Distributionsapparat gelten sollten. Diese beiden Medien sollten laut Brecht und Enzensberger in erster Linie zur Aufklärung dienen.
In dem im Jahre 2000 veröffentlichten Text „Das digitale Evangelium“, aus welchem der zu analysierende Textauszug stammt, relativiert Enzensberger seine damalige Sicht, fasst seinen heutigen Erkenntnisstand hinsichtlich der Entwicklung der elektronischen Medien zusammen und das in Form einer längeren Reflexion.
Im Folgenden gilt es den Textauszug, die der erste Teil aus der längeren Reflexion ist, zu analysieren.
Dieser Textauszug trägt den Titel „Die Bocksprünge der Theorie“ und ist in mehrere Sinnabschnitte einzuteilen, um genauer zu sein in 4.
Der erste Sinnabschnitt (Z. 1-10) handelt von der Theorie der Gegenstände, in dem Fall von Medien. Laut Enzensberger hinke die Theorie den Gegenständen hinter her, das heißt, dass erst die Praxis kam und daraufhin die Überlegung, ob der jeweilige Gegenstand Sinn mache oder nicht.
Diese These ist nicht nur auf die älteren Medien oder Gegenstände zurück zu führen, sondern auch auf die neueren Medien, denn auch da wurde seiner Meinung nach mit Verspätung nachgedacht.
In dem zweiten Sinnabschnitt (Z. 11-19) geht es um die „Warner und Mahner“, die immer da gewesen seien und Kritik ausgeübt haben. Enzensberger behauptet, dass bei jedem Medium die Gefahr auf einen „Sinnverlust und der Uneigentlichkeit“ bestehe, jedoch habe es an keiner logischen Richtigkeit gewonnen. Der Vergleich der Gefahr mit einem Schatten, verdeutlicht, dass es davon kein Entkommen gibt, denn man kann einem Schatten nicht entkommen, es verfolgt einen ständig.
Außerdem führt Enzensberger die These, dass es Theoretikern nicht genüge die Praxis „einzuholen; sie möchten ihr am liebsten zuvorkommen“ (Z. 16-17) an und kritisiert es in dem er sich auf die Futurologen bezieht. Er postuliert, dass es keine gute Strategie sei, manchen Sachen voraus Zusein, denn es führe zu Blamagen, die es nötig haben geschwiegen zu werden.
In dem dritten Abschnitt (Z. 20-38) tauchen die „Medienpropheten“ auf, welche versuchen, die bestehende Lücke zur technischen Entwicklung zu schließen, durch diesen Umstand wandle sich „die Reflexion zur Prognose“ (Z. 17-18).
Die „Medienpropheten“ sind in vornehmlich zwei Gruppen zu unterteilen; Die eine Gruppe ist die Evangelisten Gruppe, welche Verkünder von „Segen“ und „Heil“ (Z. 23) seien und einen enthusiastischen Blick auf die Entwicklung in dem Medienbereich haben. Die andere Gruppe ist die Apokalyptiker Gruppe, welche im Gegensatz zu den Evangelisten Verkünder von „Fluch“ und „Unheil“ seien (Z. 23) und Kritik in Bezug auf die Auswirkungen der Medien in der Gesellschaft ausüben.
Die Versprechungen, beziehungsweise die Argumente, die von den Evangelisten angeführt werden, sind ; die weltweite Vernetzung, eine „direkte elektronische Demokratie“, Gleichberechtigung, was den Zugang angeht und Schutz der Umwelt.
Enzensberger bewertet die Vorstellungen der Evangelisten indirekt als unrealistisch, denn er behauptet, dass Evangelisten eine umfassende Weiterentwicklung der menschlichen Spezies erwarten „Ihr Weitblick reicht über den Horizont der Spezies hinaus“ (Z. 34-35), also erwarten Evangelisten mehr als es möglich sei, dadurch wirkt Enzensberger so, als würde er zu den Apokalyptikern tendieren.
Aus den Aussagen Enzensberger wie zum Beispiel, die realitätsfernen Erwartungen der Evangelisten, kann man daraus schließen, dass Apokalyptiker die Befürchtung haben, dass alles Reale aus dem menschlichen Dasein verschwinde und dass die Medien eine gewisse Kontrolle über die Wahrnehmung der Menschen habe.
Obwohl Enzensberger keine direkte Auskunft über seine Position gibt, ob er Apokalyptiker oder Evangelist ist, kann man aus seinen Thesen interpretieren, dass er eher zu den Apokalyptikern tendiert, wobei es auch Anzeichen einer evangelischen Tendenz vorhanden ist, denn er nennt positive Eigenschaften der Medien, wie die Speicherung von Daten, welche unvorstellbar rasch seien und zuverlässiger als unser „hinfälliges Gehirn“.
Unter dem Begriff „hinfällig“ versteht man etwas, was inzwischen nicht mehr notwendig, nicht mehr geltend ist. Die Tatsache, dass er unser Gehirn als „hinfällig“ beschreibt, zeigt in einer gewissen Art und Weise, dass wir einen Vorteil aus diesen positiven Funktionen der Medien ziehen sollten.
In seinem letzten Abschnitt (Z. 39-42) verfasst Enzensberger ein Fazit zu seiner ersten Reflexion aus seinem Essay. Er geht noch einmal auf die Evangelisten ein, insbesondere auf die „Freaks“, welche sehnsüchtig auf den nächsten Schritt der Evolution warten.
Unter Evolution versteht man im deutschen Sprachraum in erster Linie die biologische Evolution. Darunter wird die allmähliche Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation verstanden. Aus biologischer Sicht ist eine Evolution auszuschließen, denn Menschen können keine Medien vererben.
Nach Enzensberger ginge es den Evangelisten um „die Emanzipation des Menschen von seiner unmittelbaren, organischen Erfahrung.“ (Z. 39-40), an deren Stelle würde dann etwas Virtuelles oder Elektronisches kommen. Er erwähnt das entstehen ein Cyberspace, welches eine von Computern erzeugte virtuelle Scheinwelt, die eine fast perfekte Illusion räumlicher Tiefe und realitätsnaher Bewegungsabläufe vermittelt, ist.
Die Hoffnung der evangelischen „Freaks“, wie eine Evolution und eine Symbiose mit den Medien, wertet Enzensberger ab, dies ist an seiner Wortwahl bemerkbar, denn der Begriff „Freak“ wird meist in einem abwertenden Zusammenhang verwendet, man nennt eine Person, die sich für etwas in übertriebenen Maße interessiert einen Freak.
Zusammenfassend ist Enzensberger in der Mitte der beiden Position zu positionieren und das mit Tendenz zu der Apokalyptiker Gruppe, denn den Evangelisten widerspricht er nicht zu hundert Prozent. Gemeinsamkeiten findet man an der Forderung zu emanzipieren, jedoch erwartet Enzensberger eine Emanzipation des Menschen von Medien und nicht die Emanzipation des Menschen von sich selber.