Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Sowohl das Sonett1 „Entdeckung an einer jungen Frau“ von Bertolt Brecht als auch „Vergänglichkeit der Schönheit“ von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau beschreiben die körperliche Veränderung im Alter und setzen sich mit dem Vanitasmotiv auseinander.
Obwohl beide Gedichte jeweils ein Sonett sind und das gleiche Metrum2 benutzen (C.H.H. 6-hebiger Jambus, B.B. 5-hebiger Jambus), unterscheiden sich die Gedichte in ihrem Aufbau. Im Gegensatz zu Hoffmannswaldau hält sich Bertolt Brecht nicht an das strukturierte Reimschema aus umarmenden Reimen in den Quartetten und einem Schweifreim in den Terzetten. Stattdessen beginnt die erste Strophe bei ihm mit einem Kreuzreim, darauf folgt ein umarmender Reim, der in den Terzetten durch das Reimschema a-b-c, a-b-c abgelöst wird. Auch den typischen Manierismus des Barockgedichts ersetzt Brecht durch einfache Prosa. Sein Gedicht erinnert mehr an eine sachliche Beschreibung, was durch die dargestellte Alltagssituation unterstützt wird, als an ein mit rhetorischen Mitteln kunstvoll aufgebautes Sonett.
Anders als Hoffmannswaldau erzählt das lyrische Ich von einer konkreten Begegnung mit einer Frau, die vermutlich als Prostituierte arbeitet, da das lyrische Ich ein „Nachtgast“ ist, der für gewöhnlich nach „Verlauf der Nacht“ (V. 6) das Zimmer der Frau wieder verlässt. Das anfänglich distanzierte und „kühl(e)“ (V. 2) Verhältnis zwischen den beiden resultiert aus ihrer beruflichen Position und führt zu einem „nüchterne(n) Abschied“ (V. 1). Folglich bezieht sich Brechts Gedicht explizit auf eine bestimmte Frau, Hoffmannswaldau hingegen generalisiert das Bild der Frau zu einem Stereotyp3 und überträgt die subjektive Sicht des lyrischen Ichs auf alle Leser.
In beiden Gedichten befinden sich die Frauen in einem Altersstadium, in dem die Vergänglichkeit sichtbar wird. Äußere Merkmale wie die fehlenden „Kräfte deiner Hand“ (Vergänglichkeit der Schönheit V. 5) und „eine Strähn in ihrem Haar war grau“ (Entdeckung an einer jungen Frau V. 3) sind erste Anzeichen für den Prozess des Alterns. Der Tod rückt immer näher „es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen“ (Hoffmannswaldau V. 1-2) und es ist „nur noch eine Nacht“ (Brecht V. 9).
Doch im Gegensatz zu dem lyrischen Ich aus Hoffmannswaldaus Gedicht, welches auf die Erlösung durch den Tod hofft, appelliert das lyrische Ich in Brechts „Entdeckung an einer jungen Frau“ daran, die letzten Stunden zu nutzen - „doch nütze deine Zeit“ (V. 10) - und erinnert an das Carpe diem- Motiv des Barocks. Ebenso wird das Memento mori-Motiv als Mahnung aufgegriffen „denn wir vergaßen, dass du vergehst“ (V. 13). Statt Vergänglichkeit von Schönheit im Alter sieht das lyrische Ich in der grauen Haarsträhne ein Zeichen von Weisheit und Reife. Aufgrund dieser Beobachtung wird sein Verhältnis zu der Dame intimer und es „konnt (sich) nicht entschließen mehr zu gehen“ (V. 4). Gerade weil die Frau zwischen „Tür und Angel“ (V. 11), das heißt angesichts der unmittelbaren Nähe des Todes zwischen Diesseits und Jenseits schwebt, wird das Bedürfnis nach sozialer Interaktion immer dringlicher und die „Gespräche rascher“ (V. 12), da die Zeit drängt und vorher alles Wichtige gesagt werden muss.
Gemäß der Aussage des Gedichts „Vergänglichkeit der Schönheit“ verlieren Frauen mit dem Eintreten des Alterungsprozesses ihre Attraktivität, „denn keiner mehr opfert der Gottheit deiner Pracht“ (V. 11). In dem Sonett von Brecht ist jedoch gerade die Erkenntnis des fortgeschrittenen Alters Auslöser für die „Begierde“ (V. 14), welche die Frau auf das lyrische Ich ausübt. Ihre Anziehungskraft besteht in den äußerlichen Segnungen der Zeit, welche unumgängliche Spuren hinterlassen haben. Eben diese Merkmale vermitteln eine ganz neue Art von Schönheit, die der einer jungen Frau gleicht. Aus diesem Grund trägt das Gedicht den Titel „Entdeckung einer jungen Frau“. Somit gehen beide Gedichte letzlich auf die inneren Werte des Menschen ein. Bei Bertolt Brecht wird dies zwar nicht speziell genannt wie bei Hoffmannswaldau „dein Herz kann allein zu aller Zeit bestehen“ (V. 12), dennoch ist es die Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass das lyrische Ich die Frau aufgrund ihres Alters und der damit verbundenen Lebenserfahrung begehrt. Nach dieser Erkenntnis des lyrischen Ichs in dem ersten Quartett, weicht die einstige auf bloße Sexualität beruhende Bindung einem innigen Verhältnis. Das lyrische Ich blickt nun zu der beschriebenen Frau, trotz ihres niedrigen Standes in der gesellschaftlichen Hierarchie, auf und bittet darum, noch eine Nacht“ (V. 9) zu bleiben. Das Streichen ihrer „Brust“ (V. 5) zeigt anders als in Hoffmannwaldaus Gedicht den Wunsch nach körperlicher Nähe und menschlichem Bezug. Hier streicht lediglich der Tod „um deine Brüste“ (V. 2) und spiegelt das Warten und die Sehnsucht nach dessen Eintritt wider.
Der Aufbau des Sonetts „Vergänglichkeit der Schönheit“ ist thematisch geordnet. Die Quartette beschreiben die Nähe zum Tod und die Terzette die daraus folgenden Auswirkungen auf das äußere Wesen der Frau. An dieser Struktur orientiert sich auch das lyrische Ich in Brechts Gedicht, welches in den Quartetten die Beobachtung einer Frau und deren Körpermerkmale beschreibt und in den Terzetten die Konsequenz sowie die Folge der Erkenntnis von Vergänglichkeit schildert.
Zusammenfassend wird in beiden Gedichten das Vanitasmotiv deutlich sichtbar. Jedoch orientiert sich „Vergänglichkeit der Schönheit“ an der christlichen Vorstellung von einem besseren Leben im Jenseits, wo die Seele auf ewig weiter existiert. Denn der Körper ist wie alles Irdische vergänglich, sodass das Leben keinen rechten Sinn hat. Mit zunehmenden Alter geraten wir in Vergessenheit und niemand schenkt uns mehr Aufmerksamkeit, da wir unsere jugendliche Schönheit verlieren. Das lyrische Ich in der „Entdeckung einer jungen Frau“ empfindet das radikale Gegenteil. Es ruft dazu auf, das Leben in allen seinen Phasen auszukosten und das soziale Miteinander zu genießen. Das Alter hindere uns keineswegs daran, den Partner beziehungsweise das andere Geschlecht zu verführen, viel mehr gewinnen wir mit dem Alter an Attraktivität.