Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um ein Gedicht, welches 1662 von Catharina Regina von Geiffenberg verfasst und 1968 im Werk „Die Deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Band III, Barock“ in München veröffentlicht wurde und dem Barock zuzuordnen ist. Das Thema des Gedichts ist das mühevolle, schwer zu tragende Leben und dessen erstrebtes Ende im Jenseits bei Gott.
Wie im Barock (etwa 1600 - 1750) üblich, ist das zu analysierende Gedicht ein Sonett mit Alexandrinern und dem Reimschema abba abba cdc cdc, wobei auch innerhalb der Verse Reime zu finden sind.
Im ersten Quartett beschreibt das lyrische Ich sein negativ empfundenes Leben mit der Metapher1 eines Schiffes, das durch raue See fährt. „Angst und plagen“ (V. 1) kennzeichnen das Leben, deren Zahllosigkeit wie ein „Wirbelstrom“ (V. 1) erfahren wird. Im Kontrast dazu steht ein sicheres Ziel, das in diesem Quartett noch nicht näher benannt wird. Kennzeichnend für dieses Ziel ist die Orientierung, die es dem lyrischen Ich bietet, es ist „Hort“ (V. 2) und „mittel punct“ (V. 3) für das lyrische Ich, das durch die Nöte des Lebens verwirrt und planlos wird (V. 2: „mich drähet um und um“). Durch die Ausrichtung auf dieses Ziel kann auch das mühevolle Leben nicht mehr seine zerstörerische Wirkung voll ausbreiten, die Gesinnung bleibt „vom sturm unausgeschlagen“ (V. 4).
In diesem Quartett lässt sich bereits die für Barocklyrik typische insistierende Nennung beobachten, also die mehrmalige Umschreibung desselben Objekts durch verschiedene Ausdrücke, in diesem Falle „mein Hort / meni mittel punct“ (V. 2, 3).
Während im ersten Quartett zuerst die negativen Seiten des Lebens beschrieben wurden und dann ihre Lösung, der noch nicht näher genannte „Hort“ aufgezeigt wurde, thematisiert das zweite Quartett die kompromisslose Ausrichtung des lyrischen Ichs auf dieses Ziel. Wieder wird dies metaphorisch dargestellt: Wie eine Kompassnadel trotz schweren Wellengangs doch immer dieselbe Richtung angibt, so ist auch das lyrische Ich ganz und gar darauf bedacht, sein Ziel zu erreichen und lässt sich nicht von den Schwierigkeiten seines leidvollen Lebens davon abbringen, die hier erneut als „Wellen“ (V. 5) dargestellt sind. (Der Ausdruck „Zünglein“ in V. 5 meint den Zeiger eines Kompasses.) Nachdem das erstrebte Ziel im ersten Quartett als „Hort“ und „mittel punct“ beschrieben wurde, was zum einen seine Sicherheit, zum andern die zentrale Rolle im Leben des lyrischen Ichs betont, wird es nur als „Stern“ (V. 6) und „Ruhe=volle/r Port“ (V. 7) charakterisiert. Der Nordstern half Seeleuten früher bei der Navigation, also wird durch diese Metapher klar, dass es sich bei dem letzten und höchsten Ziel des lyrischen Ichs auch um eine orientierungsbietende Kraft handelt, die ihm hilft, die Leiden zu überstehen. Die Tatsache, dass es auch Ruhe bietet, steht antithetisch im Kontrast zum Leben, das einem „Wirbelstrom“ (V. 1) und „Wellen“ (V. 5) gleicht.
Die starke innere Ausrichtung auf diesen „Hafen“ wird noch einmal dadurch betont, dass „Herz und Aug‘“ (V. 6) des lyrischen Ichs bereits dort sind, wobei es sich hierbei um eine Metapher und ein Hendiadyoin handelt, da sowohl „Herz“ als auch „Aug‘“ das Innere beschreiben.
Im letzten Vers des zweiten Quartetts wird nun wieder das leidvolle Leben durch den Reim „in weh und see“ ausgedrückt. Denn bevor das lyrische Ich in den Genuss des höchsten Gutes kommen kann, muss es das Leben ertragen.
Es folgen im ersten Terzett drei Beispiele für die stark negativ empfundenen Auswirkungen des Lebens. Das lyrische Ich macht die Erfahrung, dass sein Mut, der hier mit einem im Sturm splitternden Mast verglichen wird, oft versagt. Auch die als Ruderer dargestellten „sinnen“ (V. 10) versagen oft. Vielleicht sind mit diesem Ausdruck tatsächlich die menschlichen Sinne gemeint, die dem lyrischen Ich Freude spenden könnten, da diese gerade im Barock durch die große künstlerische Prachtentfaltung in allen Bereichen der Kunst besonders angesprochen wurden. Möglich ist jedoch auch, das hier von Gedanken die Rede ist (vergleiche das Wort „nachsinnen“), die sich als Ausdruck der Vernunft als unzureichend entpuppen.
Selbst der Glaube verlässt das lyrische Ich von Zeit zu Zeit, was ein recht ungewöhnlicher Gedanke in dieser Epoche war, die wie keine nach ihr durch die Autorität der Kirche und den Glauben an die ordnende Kraft Gottes geprägt war. Da dem lyrischen Ich all diese Dinge oft fehlen, hat es eigentlich keinen Antrieb mehr zu leben, was auch metaphorisch zum Ausdruck kommt, da ja sowohl Mast als auch Ruder und Segel der Fortbewegung dienen.
Auch das zweite Terzett beginnt noch mit einer Aufzählung der Missstände des Lebens. Das lyrische Ich hat kein Recht darauf, „(s)eine Uhr zu richten“ (V. 12). Damit ist wohl angedeutet, dass es auch den eigenen Todeszeitpunkt und damit seine Lebensspanne nicht beeinflussen kann.
Außerdem gibt es „Wind(e)“ (V. 13), die es von seinem Ziel abbringen wollen. Möglicherweise sind damit die irdischen Einflüsse gemeint, die den Menschen von der Erlangung des höchsten Gutes, des Jenseits, abbringen können.
Dass es das Jenseits und damit Gott ist, was vom lyrischen Ich so sehr erstrebt wird, wird erst am Ende des Sonetts eindeutig klar. Hier wendet es sich direkt an Gott und bittet ihn, es „an den Hafen“ (V. 14), also ins Jenseits zu lassen.
Das analysierte Gedicht bietet viele epochentypische Merkmale des Barock. Wie bereits erwähnt, war das Sonett (neben dem Epigramm) die dominierende Lyrikform der Zeit. Dies war eine Auswirkung der sogenannten Regelpoesie: Der barocke Dichter hatte sich an gewisse Vorgaben zu halten, die unter anderem von Opitz formuliert wurden. Durch den formal logischen und klaren Aufbau des Sonetts waren die Themen begrenzt. Es wurde vor allem über Liebe, das Schicksal, Gott und den Tod geschrieben, was auch im analysierten Gedicht der Fall ist, da hier das leidvolle Leben und seine Erfüllung bei Gott im Jenseits thematisiert werden. Das Leid wurde im Barock als Attribut allen Lebens angesehen und daher akzeptiert. Im Gegensatz dazu stand die Ewigkeit bei Gott, die sich aber durch rechten Lebenswandel verdient werden musste. Dieser Gedanke findet sich auch in diesem Gedicht (V. 13).
Die ablehnende Haltung zum Leben, die sich bis zur Weltflucht steigern kann, findet ihren Ausdruck in dem Stichwort „memento mori“, also „bedenke, dass du sterblich bist“ Neben dem Vanitasgedanken („alles ist vergänglich“) und „carpe diem“ („genieße und nutze den Tag“) war dies einer der Leitsätze des Barock und beschreibt die starke Ausrichtung auf das Jenseits.
Die Antithetik, die sich zwischen Diesseits und Jenseits findet, ist auch typisch für andere Bereiche des Barock, der auch als Epoche der Gegensätze beschrieben wird. So gab es z. B. die Gegensatzpaare Leib - Seele, Gott - Welt, Ordnung - Chaos. Auch im alltäglichen Leben war diese Antithetik zu spüren, wenn beispielsweise die verarmten Bauern auf den Prunk des Absolutismus und der Kirche trafen.
Auch die Sonette2 hatten oft antithetischen Charakter, der durch die Aufteilung in Quartette und Terzette noch betont wurde. Bei dem analysierten Gedicht ist jedoch ein linearer Aufbau zu erkennen, da formal keine Trennlinie zwischen den Problemen (dem leidvollen Leben) und der Lösung (Gott und dem Jenseits) existiert, wenn beides auch antithetisch ist. Vielmehr ist hier ein linearer Aufbau zu erkennen.
Ein weiteres typisches Merkmal für barocke Sonette ist ihr dialogischer Charakter, der im Gegensatz zum hermeneutischen Gedichten der Neuzeit steht. Dieser wird im Gedicht „Auf meinem bestürmten Lebens-Lauff“ besonders in dem letzten Vers deutlich, da dort Gott direkt angesprochen wird.
Ein weiterer Adressatenkreis des Gedichtes ist sicherlich die Menschheit im Allgemeinen, was auch dem Anspruch nachkommt, lehrend zu sein. Der Leser sollte sich am Beispiel des lyrischen Ichs orientieren und denselben Lebensweg einschlagen.
Ebenfalls kennzeichnend für Barockgedichte ist die Tatsache, dass nie etwas Individuelles, Persönliches beschrieben wird. Dieser Ansatz lässt sich auch im analysierten Gedicht wiederfinden, da die Leiden nur sehr allgemein und unspezifisch dargestellt werden. Das Individuelle hatte im Barock nur dann Bedeutung, wenn es sich mit dem Typischen deckte. Letzteres wurde als Hinweis auf Gottes ordnende Kraft angesehen, die in Form der Ewigkeit und des Jenseits angestrebt wurde.
Vergleich zu „Für Einen“ von Mascha Kaléko
Beim zweiten zu analysierenden und vergleichenden Text handelt es sich um das Gedicht „Für Einen“ von Mascha Kaléko, das 1934 in dem Werk „Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft“ im Rowohlt Verlag erschienen ist. Es thematisiert die bedingungslose Zuwendung des lyrischen Ichs zu einem Menschen oder Gott.
Auffällig ist bereits zu Anfang die sonettähnliche Form des Gedichtes. Zwar fehlen im letzten „Terzett“ zwei Verse, doch sonst entspricht das Werk formal einem Sonett, da auch ein Jambus vorhanden ist (der allerdings kein Alexandriner ist). Dies entspricht insgesamt dem ersten Gedicht, zeigt aber auch deutlich den freieren Umgang der Künstler in der Moderne mit den traditionellen formalen Vorgaben, die in der Regelpoetik des Barock noch strikt eingehalten wurden.
Im ersten Quartett erklärt das lyrische Ich einem noch nicht benannten Adressaten, dass er sich massiv von den „Anderen“ (V. 1) unterscheide und nie von ihm verlassen werde. Eine Parallele zum ersten Gedicht findet sich in der Motivik, da auch hier der Adressat mit einem „Hafen“ (V. 2) verglichen wird. Allerdings steht diesmal nicht das leidvolle Leben, sondern alle anderen Menschen (bzw. Dinge) in Kontrast zu ihm. Sie sind „das weite Meer“ (V. 1).
Ein Unterschied ergibt sich bei der Betrachtung der Selbstwahrnehmung des lyrischen Ichs: Während es im ersten Gedicht ohnmächtig und hilfsbedürftig erschien („bring an den Hafen mich / mein Gott / es ist genug!“, V. 14), wirkt es hier souverän. Es beruhigt sein Gegenüber und „steuert“ selbst zu ihm hin (V. 4).
Im zweiten Quartett wiederholt sich die Aussageabsicht. Wie im barocken Gedicht tritt die Metapher der „Stürme“ (V. 5) auf, die hier ebenfalls für die Schwierigkeiten des Lebens stehen. Doch in ihrer Bewertung ergibt sich eine große Differenz: Während sie im ersten Gedicht Grund zur vollständigen Ablehnung des Lebens waren, können sie das lyrische Ich hier nicht so stark bedrücken. Es erfolgt nämlich keine Klage über das Leid, sondern lediglich eine Anmerkung, dass sie das lyrische Ich nicht von seinem Gegenüber abbringen können („Sie ließen meine Segel leer“, V. 6). Darin besteht jedoch auch wieder eine Verbindung zum ersten Gedicht, in dem ja auch betont wurde, dass sich das lyrische Ich nicht von seinem Ziel abbringen lässt.
Es erfolgt insgesamt keine so strikte Ablehnung des Lebens wie im Barocksonett. Zwar sind „die Anderen“ (V. 7) nicht so bedeutend wie „der Hafen“ (V. 8), doch werden sie nicht so negativ bewertet, sie sind „das bunte Meer“ (V. 7). Das Adjektiv „bunt“ hat eine fröhliche, positive Konnotation3 und versinnbildlicht hier vielleicht den Facettenreichtum des Lebens oder die Unterschiedlichkeit der Menschen.
Der Satz „Du aber bist der Hafen“ wird im Vers 8 wiederholt, ebenso am Ende in Vers 12.
Das Terzett beginnt mit einer Schilderung des Angeredeten. Er ist „der Leuchtturm. Letztes Ziel“ (V. 9) und der „Liebste/r“ (V. 10). Letzteres wäre ein Hinweis darauf, dass das lyrische Ich tatsächlich seinen Geliebten meint. In diesem Fall wäre das Gedicht auch ein Zeichen dafür, dass sich der Fokus der Menschen von Gott (im Barock) auf die zwischenmenschlichen Beziehungen (in der Moderne) gewandelt hat.
Es ist jedoch auch möglich, Gott als Adressaten anzunehmen, wofür der Ausdruck „Letztes Ziel“ (V. 9) sprechen würde. Dann ist das Gedicht Ausdruck eines veränderten Gottesbildes: Während dieser im Barock noch als absolute Souveränität im Gegensatz zu dem sündhaften Irdischen verehrt wurde, kann er in der Moderne fast wie ein Mensch geliebt werden und erscheint eher passiv im Vergleich zum Menschen, dessen Selbstbild sich ebenfalls gewandelt hat.
Vers 11 ist ein erneuter Hinweis für den freieren Umgang der Moderne mit den formalen Aspekten der Lyrik: „Die Andern... das ist Wellen-Spiel“. Durch die Auslassungspunkte entsteht eine Gedankenpause, nach der der Satz nicht mehr grammatikalisch richtig fortgeführt wird. Das Wort „Wellen-Spiel“ ist zwar kein Neologismus4, der für die Moderne typisch ist, doch ist es relativ ungewöhnlich und verdeutlicht noch einmal, dass „Die Andern“ (V. 11) nicht wichtig und ohne Dauer sind. Ob damit nun alle andern Menschen im Kontrast zu dem Geliebten gemeint sind oder die ganze Welt im Gegensatz zu Gott, ist nicht eindeutig zu klären. Wenn es sich um letzteres handelt, ist nicht nur eine Ähnlichkeit in der Motivik, sondern auch in der Thematik zwischen beiden Gedichten festzustellen.
Das Thema eines ruhigen, sicheren „Hafens“ passt in so fern ebenfalls zur Moderne, da die Welt von vielen Menschen als beängstigend, bedrohlich und unverständlich erfahren wurde, so dass sie sich nach Ordnung und Sicherheit sehnten, auch wenn diese nicht immer erreicht wurden.
Zwei weitere Gemeinsamkeiten der Gedichte sind ihr linearer Aufbau und ihr dialogischer Charakter. Bei letzterem muss jedoch eine Einschränkung gemacht werden. Der dialogische Charakter ist bei „Für Einen“ insofern stärker ausgeprägt, als dass in jeder Strophe das Gegenüber angesprochen wird. Doch wendet sich dieses Gedicht nicht belehrend an den Leser, es ist eine reine Beschreibung des persönlichen Ergehens. Dies zeigt, dass in der Moderne wieder das Persönliche und Individuelle wichtig war, während es im Barock ganz hinter dem Allgemeingültigen zurück trat.
Als Fazit ist zu sagen, dass die beiden zu vergleichenden Gedichte durchaus Parallelen, vor allem in Thematik und Motivik, aufweisen, sich aber auch in zahlreichen epochenbedingten Merkmalen unterscheiden.