Informatik-Studium, Uni, FH, Mathematik und anderes
Ich bin seit dem 17.10 „ordentlicher“ Student an der Westfälischen-Wilhelmsuniversität in Münster – Diplom-Informatik, 1.Semester. Ich hatte mir seit Ende des Zivildienstes Anfang Mai und auch schon vorher einige Gedanken um meine berufliche Zukunft gemacht, habe allerdings sehr lange gewartet, Nägel mit Köpfen zu machen. Also drängte die Zeit und da ich eh immer was in Richtung Informatik studieren wollte, habe ich mich kurzfristig an der WWU immatrikuliert. Jetzt, nach bald gerade mal 1,5 Monaten, ist es Zeit für mich ein Resüme zu ziehen.
Die Informatik und der Matheanteil
Im Zusammenhang mit Informatik wird gerne das Gerücht kolportiert, dass es einen sehr hohen Matheanteil gäbe. Dieses Gerücht ist definitiv wahr. Ich habe eine Vorlesung Informatik und zwei Vorlesungen Mathe (Analysis und Lineare Algebra). Der Zeitaufwand beträgt dementsprechend auch 2/3 nur für die Mathematik-Vorlesungen und das ist noch nicht alles, denn selbst in der Informatik wird man mit Mathematik so sehr getriezt, dass die Hälfte der Informatik-Übungen wiederum selbst aus Mathe besteht.
Informatik = Großer Lernaufwand?
Das zweite Gerücht ist, dass man 10 Stunden am Tag lernen muss. Tja, wenn andere das sagen, dann hält man das im vorhinein für eine maßlose Übertreibung und plumpe Abschreckung. Leider ist jedoch auch dieses Gerücht wahr und man fragt sich schnell, woher man vor dem Studium die Zeit hatte, sich mal ohne schlechtes Gewissen in Ruhe vor dem Fernseher zu hängen und Studium Studium sein zu lassen. Wer Mathe oder Informatik studiert, der hat – in so fern er nicht von vornherein in Betracht zieht, die Regelstudienzeit zu überschreiten – kaum noch ein Privatleben. Ein Beispiel sind die Übungszettel. Es gibt jede Woche einen Übungszettel, also von jeder Vorlesung. Diese Übungszettel müssen innerhalb einer Woche bearbeitet und abgegeben werden. Am Ende muss man 40% richtig haben, um für die Klausur zugelassen zu werden (für die Informatik-Übungen gilt diese Beschränkung an der WWU jedoch nicht). Jeder Übungszettel hat zirka 4 Aufgaben mit jeweils 4 Punkten, die zu vergeben sind. Wer so mutig ist, diese Zettel alleine zu bearbeiten, der kann ohne Untertreibung mindestens 10 Stunden dafür veranschlagen. Deshalb macht es auch immer Sinn, den Zettel in seiner Gruppe (2 oder 3 Leuten) zu bearbeiten. Einzelkämpfer werden auf Dauer Probleme kommen, davor warnt auch die WWU in ihrer Erstsemester-Vorbereitung. Aber selbst wenn man den Zettel in Gruppen bearbeitet, kommt man sehr schnell in Zeitnöte und sobald ein Zettel durchgeackert und abgegeben wurde, kommt auch schon der nächste (selbst während der Weihnachtszeit!). Ingesamt bekommt man im ganzen Semester zirka 12 Zettel in jeder Vorlesung, also 50 Aufgaben.
Unterschied zwischen Schul- und Hochschul-Mathematik
Das dritte Gerücht ist, dass die Mathematik an der Uni kaum noch was mit der Mathematik an der Schule zu tun hat. Auch das ist Tatsache, weil die Mathematik wesentlich abstrakter ist. Es geht nicht mehr nur darum, mathematische Formel anzuwenden, sondern über ihnen zu stehen, sie zu erschließen, zu beweisen und allgemeine Theorien herauszufinden. Das stellt viele Erstsemester vor unheimliche Schwierigkeiten und schnell merkt man, wie wenig vorbereitet man selbst bei einem Mathe-LK ist. Anders gesagt: der Kuchen wird ganz neu verteilt, denn plötzlich macht es kaum noch einen Unterschied, ob man früher einmal gut im Mathe-LK
war oder nur mittelmäßig in einem Mathe-GK. Wer die Problemstellungen der Mathe-Vorlesungen abstrahieren kann, hat sehr viel gewonnen und das hat mit GK und LK nur bedingt etwas zu tun.
Ein Beispiel: Wer sich die Vektoren in der Schule nur vorstellen konnte, wenn der Lehrer mit Stift und Papier zur Veranschaulichung griff, der sollte sich unbedingt Gedanken um eine Alternative zum Mathe- oder Informatik-Studium machen.
Informatik an der Universität
Viele stellen sich unter Informatik Programmierung vor. Manche denken auch, sie seien zum Informatikstudium qualifiziert, weil sie besonders gut Counterstrike und andere seltsame Computerspiele beherrschen würden. Zweiteres trifft am allerwenigstens zu und auch die Programmierung ist eher Nebensache. Das Studium an der Uni ist kein Programmierkurs und es sollen auch keine ausgebildeten Programmierer am Ende rauskommen.
Manchmal wird sogar gesagt, es sei hinderlich, wenn man vor dem Beginn des Studiums bereits programmieren könne. Ich halte das für Unsinn, aber es sei nur mal erwähnt.
Die Vorlesungen in der Informatik sind sehr anstrengend und ermüdend. Anstrengend deshalb, weil man dem recht drögen Erklärungen des Dozenten folgen muss. Dabei gibt es stets eine Projektion einer Powerpoint-Präsentation, die man sich auch im Internet herunterladen kann. Zettel und Stift sind also eigentlich überflüssig.
Mir kommt es so vor, als wenn sehr einfache Sachen in den Informatik-Vorlesungen besonders kompliziert erklärt werden. Zum Beispiel uferte die Erklärung zu Operatoren (+, -, etc.) in Baumtraversierungen, Umgebungsanalysen etc. pp. aus und kein Mensch am Ende versteht mehr, was das eigentlich sollte.
Viele Studienabbrecher
Viertes Gerücht ist, dass sehr viele Studenten das Mathe-Studium wieder schmeißen. Ja, das ist so. Bis Weihnachten (also innerhalb der ersten 2 Monate) exmatrikulieren sich zirka 30% der Leute. Man beginnt mit zirka 300 bis 400 Leuten und kann dann regelrecht zusehen, wie die Hörsäle nach und nach „ausdünnen“. Selbst von den Leuten, die es bis zu den Prüfungen schaffen und ihre Klausurzulassung bekommen, fallen 50% durch. Es ist absolut keine Seltenheit, dass den Leute nach dem ersten Semester ein oder zwei Scheine fehlen. Selbiges gilt natürlich wieder für die Informatiker, weil die Informatiker mit den Mathematikern in einem Boot sitzen. Das ist nicht nur eine Phrase, denn die Informatiker müssen am Anfang die selben Vorlesungen wie die Diplom-Mathematiker belegen und auch die selben Übungszettel bearbeiten und die selbe Klausur bestehen. Viel mehr ist es so, dass am Anfang gar kein Unterschied zwischen Mathematikern und Informatikern besteht, weil sie darüber hinaus auch noch in den selben Übungen sitzen und in gemischten Gruppen die Übungszettel bearbeiten.
Ein Sprichwort besagt, dass diejenigen, die es bis Nikolaus durchhalten, auch bis zum Ende des Studiums weitermachen.
Wer übrigens denkt, es ginge im langsamen Tempo los und der Schritt von Schul- auf Uni-Mathematik würde sukzessive vollzogen, der hat sich geschnitten. Bereits ab der ersten Vorlesung steckt man in der grauen Theorie.
Gezielte Abschreckung von Erstis?
Es gibt eine Theorie, nach denen die Professoren die Erststudenten „rausekeln“, um die Kursgröße auf eine für sie moderate Anzahl von Teilnehmern zu reduzieren. Ich persönlich bin mittlerweile Anhänger der Theorie, denn am Anfang findet ganz klar ein Aussiebungsprozess statt, bei dem die schwachen Studenten schnell das Handtuch schmeißen. Teil dieses Zermürbungsprozesses ist z.B. dass affenschnelle Tempo, in denen die Vorlesungen gehalten werden und die Abstände, in denen man die Übungszettel bearbeiten soll. Während einer Vorlesung habe ich selbst schon Mühe mit dem Abschreiben, gleichzeitig auch noch zuzuhören und nachzudenken ist fast undenkbar. Weiterhin stößt mir etwas auf, dass es den Professoren häufig gar nicht darauf anzukommen scheint, dass jemand die Sätze, Lemmas und Beweise z.B. durch Veranschaulichungen besser versteht.
Über die Professoren gilt auch folgendes zu sagen: Es handelt sich Menschen, die als Forscher tätig sind und neben ihren Vorlesungen eben wissenschaftlich arbeiten. Die Lehre, also die Vorlesungen, sind für viele eher lästig und es fehlt ihnen an einer besonderen Ausbildung als Lehrkraft. Es kann also vorkommen, dass man einen brillianten Forscher als Dozenten hat, der sein Wissen aber nicht vermitteln kann und nicht vermitteln will, weil der eine didaktische Niete ist. Manch ein Dozent begründet die Unverständlichkeit seiner Vorlesung auch damit, dass diejenigen, die intelligent genug sind, sich den Mathematik-Stoff schon von selbst aneignen würden.
Mathe ist übrigens zulassungsfrei, jeder bekommt einen Studiumsplatz. Merkt jetzt jemand, wo der Haken ist?
Unbequeme Hörsäle?
Das sind sie definitiv, denn man hat eine Platte, auf der nicht mal ein DIN-A4-Zettel komplett draufpasst, bei der man unten mit den Knien gegen eine Metallstange stößt und wo man links wie rechts keine Armfreiheit hat. Kurz gesagt: Man fühlt sich wie eine Legehenne. Dazu sind die Gänge extrem schmal. Wenn also jemand aus der Mitte einer Reihe raus will, dann muss er entweder über die Tische laufen oder 15 andere Leute müssen aufstehen und die Person muss sich an ihnen vorbeiquetschen. Am Anfang hat man zusätzlich damit zu kämpfen, dass man mit 300 bis 400 Leuten in einem Saal ist. In Informatik waren es gar über 400. So bekamen einige nicht mal einen Sitzplatz, mussten stehen oder auf den Stufen sitzen. Sobald die Temperaturen steigen, wird die Luft auch unangenehm stickig (trotz Belüftung). Einem anderen Fachbereich der WWU müssen die „überflüssigen“ Studenten sogar in zweiten zusätzlichen Hörsaal und können die Vorlesung nur über eine Kamera im ersten Hörsaal verfolgen.
Literatur-Empfehlungen
Wer dennoch nicht davor zurückschreckt, ein Mathe- oder Informatikstudium aufzunehmen, der sollte sich schon im vorher mit Literatur vorbereiten.
Ich habe mir kurz nach Anfang des Studiums das Buch „Mathematik für Einsteiger“ von Klaus Fritzsche geholt. Dieses Buch hat die Intention, eine Art Brücken- und Vorkurs zu sein und dem Neuling die Axiomatik und die Herangehensweise der Uni-Mathematik nahe zu bringen. Obwohl es ein Einsteigerbuch ist, ist es nicht immer ganz einfach zu verstehen (was wohl einfach an der Thematik liegt), aber ich habe kein verständlicheres Buch zu diesem Thema gefunden. Es kann einem auch über die ersten 2 oder 3 Wochen des Studiums helfen, aber man sollte nicht denken, dass es auch darüber hinaus studiumsbegleitend eingesetzt werden kann.
In dem Buch von Klaus Fritzsche gibt es übrigens auch Übungsaufgaben mit Lösungen. Es empfiehlt sich, den Versuch zu unternehmen, die Übungen einmal selbst zu lösen.
Während des Studiums empfehle ich „Lehrbuch der Analysis, Teil 1“ von Harro Heuser. Es ist sehr umfassend und hat viel Fließtext. Dementsprechend ist es mit fast 650 Seiten auch schon fast ein echter Wälzer. Der Heuser ist deshalb ganz nett, weil er Dinge erklärt und weil man ihn wegen des Fließtextes fast wie ein „echtes“ Buch lesen kann.
An der WWU gibt es also Pflichtlektüre noch „Analysis I“ von Otto Forster. Der Forster ist für mich allerdings ein rotes Tuch. Dort stehen zwar viele Sätze und Beweise recht prägnant drin, zeichnet sich für eher mathematisch Minderbemittelte wie mich aber auch durch seine mangelnde Didaktik aus. Damit meine ich, dass viele Erläuterungen fehlen oder sehr kurz geraten sind. Der Forster eignet sich also nicht als Nachschlagewerk, wenn man einen bestimmten mathematischen Begriff erklärt haben möchte. (Das dazugehörige Übungsbuch kann man sich übrigens sparen.)
In der Linearen Algebra braucht man an der WWU gar kein Buch. Wer dennoch eins sucht, den verweise ich mal auf „Lineare Algebra“ von Albrecht Beutelspacher, „Lineare Algebra“ von Howard Anton oder „Lineare Algebra“ von Seymour Lipschutz (wird aber leider nicht mehr gedruckt und ist daher nur noch schwer erhältlich).
Literaturempfehlungen zur LA am Fachbereich 10 der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster sind „Lineare Algebra I“ von Falko Lorenz, „Lineare Algebra“ von Bosch und „Lineare Algebra“ von Gerd Fischer.
Das Buch von Falko Lorenz ist ein älteres Buch, was es so im Handel nicht mehr geben dürfte. Es ist recht handlich, aber bislang habe ich von diesem Buch eher Abstand genommen, weil ich es unverständlich fand. Das Buch von Gerd Fischer ist vom selben Verlag wie „Analysis I“ von Otto Forster, nämlich vieweg. Vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Buch für den Anfänger genauso fragwürdig empfehlenswert halte, wie das Analysis-Buch von Otto Forster. Auch hier bedient man sich eher eines „Stakkatostils“. Die Erklärungen sind kurz und spärlich, stattdessen wird sehr viel mit Formeln gearbeitet, was für einen Anfänger nicht immer leicht verdaulich ist. Der einzigen Empfehlung, der ich halbwegs beipflichten kann, ist „Lineare Algebra“ von Bosch. Bosch ist nicht so mundfaul, wie seine Kollegen und es gibt hier und da eine grafische Veranschaulichung.
Für Menschen, die eine Mathe-Enzyklopädie oder Lexikon suchen, soll „Teubner-Taschenbuch der Mathematik“ ganz empfehlenswert sein.
Meine Kritik und Gedanken dazu
Mittlerweile bin ich zu der Kenntnis gelangt, dass die FH für mich wahrscheinlich die bessere Alternative gewesen wäre. An der Universität baut man besonders auf die Theorie auf, die Praxis ist eher zweitrangig. Deshalb hat man auch viele Leute um sich, die in Elfenbeintürmen
leben, also realitätsferne Theoretiker sind. Die Uni erhebt den Anspruch, sehr umfassend zu sein und den Studenten mehr als nur das notwendigste Rüstzeug mit den auf den Weg zu geben. Das hat natürlich den Nachteil, dass man als Student auch viele Dinge lernt, die man in
der Praxis niemals braucht. Auf der FH hingegen gibt es eine (sinnvolle) Beschränkung des Lehrstoffes. Mathematik wird weniger mit der Frage nach dem „Woher und warum?“ praktiziert, sondern eher nach dem „Wie benutzt man das und das?“. Die FH-Mathematik ist also weniger
abstrakt.
Weitere Vorteile der FHs sind, dass die Studienzeit kürzer ist, dass man einen schnelleren Berufseinstieg hat und dass der Unterricht schulischer ist. Man sitzt also nicht mit 400 Leuten in einem Saal, sondern vielleicht mit 30 bis 60 und es findet im Unterricht ein stärkerer Dialog zwischen Studenten und Dozenten statt. Die Studenten kennen sich schneller untereinander und der Kontakt zum Professor ist besser.
Nachteilig an der FH ist jedoch, dass die Abschlüsse etwas weniger wert sind, als jene an der Uni. Vor allen Dingen im öffentlichen Dienst bleibt den Leuten von der FH der Aufstieg ab dem gehobenen Dienst meist verwehrt.
So weit sind meine Kenntnisse über die Unterschiede zwischen FH und Uni. Da ich starke Probleme mit den Methoden und der Herangehensweise an den Lehrstoff der Universität habe, werde ich mich wohl an einer Fachhochschule bewerben. Leider ist der Wechsel im Sommersemester problematisch.
13. März 2019 um 12:53
Guten Tag 😀
Dein Bericht ist äußerst interessant und ermöglicht mir einen kleinen Einblick in diesen Bereich – Danke dafür!
Nun wollte ich fragen, wie es sich für dich weiterentwickelt hat.
Danke für deine Zeit und einen schönen Tag!