Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das vorliegende Werk „Vorfrühling“ von August Stramm aus den Jahren 1914/15 ist der Epoche des Expressionismus zuzuordnen. Es handelt sich um eine Strophe mit 16 Versen und vier Sätzen.
Dabei bilden jeweils die Verse 1-3, 4-8, 9/10 sowie 11-16 einen durch Interpunktion gekennzeichneten Satz.
Der Titel „Vorfrühling“ deutet auf eine zu erwartende Besserung der aktuellen – nicht explizit genannten - Situation hin, denn Frühling steht generell für neues Leben und eine aufblühende Zeit nach dem kalten Winter.
Demnach ist der Vorfrühling eine Art Hoffnung auf Hoffnung, wenn der eigentliche Frühling bereits die Hoffnung auf Neues ist. In dieser doppelten Form, zeigt sich jedoch eher Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit auf Besserung.
Zunächst scheinen die Begriffe wahllos Tätigkeiten zugeordnet zu sein, die nicht zusammen passen. Bei genauerer Analyse erkennt man jedoch, dass es sich um eine verzerrte Wahrnehmung handelt, die zwar unrealistisch, aber dennoch auf eine gewisse Art und Weise nachvollziehbar ist. Auffällig ist ebenfalls die ständige Personifizierung der Natur.
Stramm verwendet Satzzeichen nur sehr unregelmäßig und unzureichend, sodass eine zusätzliche Verständniserschwernis vorliegt. Das Fehlen der Kommata wird durch die zahlreiche Verwendung des Wortes „und“ jedoch relativiert.
In Vers 1 spricht das lyrische Ich von sich in Pfützen jagenden Wolken. Hierbei handelt es sich um eine Spiegelung schnell vorbeiziehender (Regen-)Wolken im Wasser. Durch das Wort „jagen“ wird bereits deutlich, dass dieser Sachverhalt eher als negativ und bedrohlich wahrgenommen wird, obwohl es sich um ein harmloses Naturschauspiel handelt.
Der gleiche Satz wird im letzten Vers wiederholt, sodass eine Art Rahmen entsteht.
Der nächste Vers wirft die Frage beim Leser auf, woher die „frischen Leibesbrüche“ stammen. Handelt es sich hier – passend zum Entstehungszeitraum - um ein Kriegsgeschehen?
Auch die erschöpften Schatten (V. 3) deuten auf ein vorangegangenes, anstrengendes und als schrecklich empfundenes Geschehnis hin.
Bei der aufkreischenden Luft handelt es sich vermutlich um kreischende Vögel am Himmel oder aber um das Pfeifen des Windes (V. 4/5). Eindeutig ist jedoch, dass auch dieses Geräusch unheimlich zu sein scheint, was durch die Worte „heult“ und „weht“ verstärkt wird.
Im Folgenden wird vermutlich ein Verwunderter oder aber bereits gestorbener Mensch beschrieben (V. 6-8), was wiederum auf ein Kriegsgeschehnis hindeutet. Das Adjektiv „grau“ (V. 8) steht in Verbindung mit Leib für alt. Wer älter wird, bekommt graue Haare und wird sprichwörtlich „alt und grau“.
Die herrschende Stille wird hier nicht als beschaulich und angenehm dargestellt, sondern belastet den Sprecher, der sich vermutlich eine lebendigere Szenerie wünscht (V. 9/10).
Eine Veränderung tritt ein, wenn die Sonne aufgeht (V. 11). Jedoch wird auch an dieser Stelle nicht von Sonnenstrahlen oder positiven Wirkungen des Lichtes gesprochen, sondern von Flecken und Verbleichungen (V. 12/14). Dies zeigt erneut die Unkonventionalität der Metaphern1, denn die Sonne symbolisiert normalerweise – wie bereits der Frühling – Hoffnung.
Der letzte Vers greift – wie bereits erwähnt - den ersten noch mal auf, sodass eine Art Einrahmung des Geschehens bewirkt wird. Gleichzeitig wird deutlich, dass im Vergleich zum Beginn der Beschreibung all dieser Wahrnehmungen keine wirkliche Veränderung eingetreten ist und im Grunde genommen alles gleich geblieben ist.
Das Werk ist während des ersten Weltkrieges entstanden, also einer gesellschaftlich unruhigen Zeit. Zeitgleich fand eine deutliche und weitreichende Industrialisierung und Technisierung statt, die mit Urbanisierung und Anonymität der Individuen einherging, d. h. man kannte seine städtischen Nachbarn nicht mehr so, wie man es vom Landleben her gewohnt war.
So müsste man eigentlich Annehmen, dass die Natur als Zufluchtsort vor diesen negativen Folgen diente. Doch das Gedicht verdeutlicht eine gegenteilige Tendenz. Die Natur ist kein Refugium, sondern Ort des Schreckens. Dies geht mit der verzerrten Wahrnehmung des Sprechers einher.
Abschließend lässt sich also feststellen, dass das Gedicht von Widersprüchen und Unklarheiten geprägt ist, was vermutlich auf eine deutliche Verwirrung des Autors zurückzuführen ist, der zu dieser Zeit bereits am Kriegsgeschehen teilgenommen hatte und von dessen Folgen geprägt war.