Freie "Übersetzung"
Aus allen Winkeln tönt die Furcht.
Die Soldaten wollen;
kreischend peitschen sie das Leben vor sich hin,
bis zum keuchen Tod.
Der Himmel ist zerfetzt.
Das Entsetzen schlächtert blind um sich.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Bei „Sturmangriff“ von August Stramm handelt es sich um ein expressionistisches Gedicht, in dem die Gefühle du Eindrücke des lyrischen Ichs zum Ausdruck gebracht werden.
Es handelt sich um eine Strophe mit zehn Versen ohne Reimschema oder Metrum1.
Auf Grund der fehlenden Interpunktion treten syntaktische Unklarheiten auf. Man kann davon ausgehen, dass Vers 1, die Verse 2-8, Vers 9 und Vers 10 jeweils einen Satz – also insgesamt vier – bilden.
Beim ersten und letzten Vers handelt es sich um Langverse, die mittleren hingegen bilden Kurzverse, die aus 1-3 Wörtern bestehen und werden optisch von den Langversen eingerahmt
Auf Grund der fehlenden Interpunktion muss man davon ausgehen, dass es sich bei „Fürchte Wollen“ um eine Aufzählung handelt, da beide Wörter als Substantive gebraucht werden.
Diese fehlende Interpunktion deutet daraufhin, dass für die beschriebene Situation des Sturmangriffs keine Pause (Komma) oder Ende (Punkt) in Aussicht ist.
Vers 2 besteht lediglich aus dem Begriff „kreisch“, welches lautmalerische Qualitäten beinhaltet. Das Geschehen wird für den Leser somit lebendiger. Dadurch, dass das Wort allein einen Vers bildet, bekommt es eine höhere Bedeutung und fällt besonders auf, wie es bei einem Schrei üblich ist, welcher aus der normalen Lautstärke hervorsticht.
Gleichzeitig handelt es sich bei diesem Wort um einen Neologismus2, da dieses ursprüngliche Verb als Adjektiv gebraucht wird. Somit handelt es sich – typisch für Stramm – um keine komplette Wortneuschöpfung, sondern lediglich um eine Veränderung der Wortartzugehörigkeit.
Im folgenden Vers lassen sich die gleichen stilistischen Mittel - Lautmalerei und Neologismus - finden, wodurch der in Vers 2 bewirkte Effekt durch Wiederholung verstärkt wird. Bei „peitscht“ wird jedoch nicht nur der auditive, sondern auch der haptische Sinn angesprochen, da man das Peitschen förmlich zu hören und sogar zu fühlen glaubt. Die darauffolgenden Verse sind alle sehr kurz, bestehend aus nur ein oder zwei Worten, gehalten. Aufgrund dieser Enjambements3 erfolgt das Lesen sehr abgehackt, wodurch der Effekt des Peitschens bzw. einzelner Schläge verstärkt wird.
„Das Leben“ (V.4) befindet sich in passiver Haltung; es wird vor sich hergepeitscht, während das Kreischen (V.2) den aktiven Part übernimmt. Auch das lässt sich auf die Situation des Sturmangriffs transferieren, denn dort wird ebenfalls über Leben und Tod fremdbestimmt.
Bei „den keuchen Tod“ handelt es sich um das Objekt dieses invertierten Satzes. Der Tod wird personifiziert, wodurch die Angst vor ihm zum Ausdruck kommt, da er wie eine selbst agierender Mensch wirkt, vor dessen Handeln man nicht sicher ist.
Die letzen beiden Verse bilden einen Paarreim (fetzen-Entsetzen). Bei Vers 9 handelt es sich um einen eigenständigen Satz aus Subjekt und Prädikat. Der Himmel wird personifiziert und gegensätzlich zu meinen natürlichen Assoziationen eher grausam dargestellt. Das Wort „Fetzen“ ist negativ besetzt und spricht auf Grund seiner lautmalerischen Qualitäten den auditiven Sinn des Lesers an. Wie bereits bei den übrigen Onomatopoesien handelt es sich auch hier zugleich um eine Wortneuschöpfung bzw. Wortumschöpfung: Aus dem pluralisierten Nomen „Fetzen“ wird ein Verb. Wenn man sich die Situation bildlich vorzustellen versucht, liegt die Deutung nahe, dass der Erzähler von einer Bombenexplosion oder ähnlichem spricht, deren Aufleuchten wie Fetzen am Himmel erscheint.
Beim letzten Vers handelt es sich um einen invertierten Satz. Das Entsetzen schlächtert blind wildum (Vers 10). „Schlächtert“ kommt von „Schlacht“, um die es hier eindeutig geht. Doch Stramm spricht nicht von Soldaten, sondern personifiziert das Entsetzen, sodass die wirklichen Personen anonymisiert werden. Der Erzähler nimmt sie somit gar nicht mehr als Menschen wahr, sondern sieht nur noch das Entsetzen und die Wahllosigkeit des Tötens, verdeutlicht durch „blinde“. Auch hier kommt die Kriegserfahrung besonders zum Ausdruck, da Menschen nicht benannt werden, sondern nur von Eindrücken berichtet wird.
Die genannten Wortumwandlungen sind typisch für August Stramm, der mit ihnen die von Krieg verursachte Verstümmelung ausdrücken will. Er eliminiert die Wörter somit nicht komplett, sondern deformiert sie lediglich. Der Leser weiß auf Grund der expressiven Sprache also noch, was Stramm meint, muss jedoch erst nachdenken. Man merkt, dass es dem Dichter schwerfällt, für diese schrecklichen Kriegserlebnisse Worte zu finden, um die intensiven Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, sodass er letztlich auf eine Veränderung der Sprachen zurückgreift.