Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Bei „Patrouille“ von August Stramm handelt es sich um ein expressionistisches Kriegsgedicht, welches 1919 - vier Jahre nach dem Kriegstod des Autors - erschienen ist.
Das Gedicht besteht auch einer Strophe mit sechs Versen ohne Reime sowie der Überschrift, die für das werkimmanente Verstehen von hoher Bedeutung ist, denn allein das Wort „Patrouille“ ist ein eindeutiger Hinweis auf Krieg. Ein regelmäßiges Metrum wurde nicht gebraucht, so handelt es sich in Vers 1 um einen Jambus, in den Versen 2-5 um einen Trochäus und Vers 6 besteht nur aus einer einzigen betonten Silbe, der man folglich kein Metrum zuordnen kann. Vers 1 kann allerdings ebenfalls als Trochäus gelten, wenn man den Artikel am Versanfang als Auftakt deutet.
Der Interpunktion zufolge besteht das Werk aus lediglich einem Satz, da Vers 6 mit dem einzigen Satzzeichen - einem Punkt - endet und andere notwendige Interpunktionszeichen, wie Kommata, nicht vorhanden sind. Somit ist die Satzstruktur teilweise nicht ganz eindeutig, da das Vorhandensein von Subjekt und Prädikat dem Fehlen der Satzzeichen widerspricht.
Wenn man gedanklich Kommata setzte, würde aus dem Gedicht eine Aufzählung von Wahrnehmungen. Dabei bildeten Vers 1 und 2 jeweils ein Enumerationselement. Bei den übrigen Versen ist die Struktur nicht mehr ganz eindeutig; so könnte man den nächsten Nebensatz sowohl mit „Berge“ (V. 4) einleiten als auch beenden, je nachdem, ob die Äste die Berge würgen (V. 3/4) oder ob Berge und Sträucher rascheln (V. 4). Ich komme zu dem Schluss, dass es logischer ist, das Komma nach „Berge“ zu setzen, da Berge keine Blätter haben, mit denen sie rascheln könnten (V. 4), aber von Ästen der auf ihnen wachsenden Bäumen scheinbar gewürgt werden können (V. 3).
Die andere syntaktische Unklarheit ist der Zusammenhang zwischen den Versen 4 und 5: Vor „Gellen Tod“ fehlt scheinbar das Subjekt, sodass ich davon ausgehe, dass sie Sträucher gemeint sind, die „raschlig blättern“ und gleichzeitig gellen, und diese schließlich doch das Subjekt darstellen, welches einfach nur nicht im gleichen Vers wie Prädikat und Objekt steht.
Die einzelnen Nebensätze haben alle die gleiche bzw. eine stark ähnelnde Struktur: Sie beginnen mit einem Subjekt, es folgt das Prädikat und gegebenenfalls noch ein Objekt. Das verstärkt erneut den Eindruck einer Auflistung von Beobachtungen.
Auffällig ist auch die unterschiedliche Verslänge. So sind die ersten beiden Verse mit je fünf Silbenrelativ unauffällig, der dritte mit vier Silben fällt auf Grund der kurzen Wörter optisch etwas auf. Wirklich herausstechend ist allerdings Vers 4 mit acht Silben, auf den dann wiederum die Verse 5 und 6 mit je zwei bzw. einer Silbe folgen. Die unregelmäßige äußere Form des Gedichts, die auch schon bei der Metrik1 deutlich geworden ist, relativiert also den bereits erwähnten Eindruck einer Enumeration.
Das Gedicht spiegelt vermutlich die Wahrnehmungen eines Soldaten bei seiner Patrouille wider. Es handelt sich um eine gefährliche Situation, da der Betreffende nicht weiß, ob er gleich den Feind treffen wird oder womöglich aus dem Hinterhalt erschossen wird. Diese bedrohliche, furchtvolle Stimmung voller Misstrauen bringt Stramm zum Ausdruck. Die auffälligsten rhetorischen Figuren, die er dazu verwendet, sind Neologismus, Personifikation2 und Lautmalerei.
Seine Neologismen3 sind nie völlige Wortneuschöpfungen, sondern lediglich Umwandlungen von Wortarten: Aus dem Nomen „Feind“ wird das Verb „feinden“ (V. 1), aus „Blatt“ (Nomen) wird „blättern“ (Verb) (V. 4) und aus dem Verb„rascheln“ wird das Adjektiv „raschlig" (V. 4).
Der Autor deformiert die vorhandenen Wörter also nur, anstatt sie ganz zu eliminieren, sodass der Leser zwar zunächst irritiert ist, aber immer noch den Sinn der Aussage versteht. Diese Vorgehensweise ist typisch für Stramm, der somit Bezug auf den erlebten Krieg nimmt, in dem Soldaten, Landschaften, Städte, Zivilisten etc. ebenfalls noch erkennbar, aber verstümmelt sind.
Sie Substantive „Steine“, „Fenster“, „Äste“, „Berge“ und „Sträucher“ werden personifiziert, indem ihnen menschliche Tätigkeiten zugeordnet werden.
„Steine feinden“ (V. 1), eine Formulierung, die eine Assonanz4 beinhaltet, die die beiden Wörter enger miteinander verbindet, bedeutet, dass der Sprecher die Steine als bedrohlich ansieht und Feinde in oder hinter ihnen vermutet.
Auch Fenster, die verräterisch grinsen (V. 2), gibt es so nicht. Vermutlich hat der Patrouillierende die ständige Angst, dass in den Häusern Feinde oder Verräter sein könnten, denn es war durchaus üblich, dass Scharfschützen, sich beispielsweise in leerstehenden Häusern auf Dächern oder hinter Fenstern aufhielten und auf ihr Opfer warteten. In seiner Furcht werden selbst leblose Gegenstände wie Steine und Fenster für den Soldaten zu ernsthaften Bedrohungen. Hier zeigt sich die übersteigerte Wahrnehmung und in gewisser Wiese auch Halluzination.
Äste, die Berge würgen, sind vermutlich sich im Wind biegende Bäume. Das negativ besetzte Verb „würgen“ unterstreicht die schon panische Züge annehmende Angst des Sprechers, der diesen harmlosen Naturvorgang schon als bedrohlich interpretiert und ein Wort benutzt, das mit Gewalt und Tod assoziiert wird (V. 4-5).
Auch hier zeigt sich die Kriegserfahrung, denn theoretisch könnte man auch von Ästen sprechen, die die Berge umarmen.
Vers 5 beinhaltet lautmalerische Qualitäten („raschlig“), die das Geschehen für den Leser lebendiger wirken lassen, sodass man sich in die Szene hineinversetzt fühlt. Man hört innerlich die im Wind raschelnden Sträucher, hinter denen der Sprecher den Feind vermutet und die für ihn „Tod“ schreien (V. 6). Hier lässt sich eine gewisse Synästhesie5 feststellen, denn „Tod“ ist weder in Anführungszeichen gesetzt, noch ein Adjektiv. D.h. der Sprecher fühlt die lebensbedrohliche Situation, meint aber, sie auch in den gellenden Schreien der Sträucher zu hören.
Überhaupt scheint der Tod ein Schlüsselbegriff zu sein, denn die im gesamten Gedicht zum Ausdruck kommende Bedrohlichkeit läuft auf die panische Todesangst hinaus. Das erklärt auch die bereits erwähnte Kürze des letzten Verses, die die Prägnanz des Wortes betont. Eine weitere Auffälligkeit ist der Punkt am Versende. Er ist nicht nur das einzige Satzzeichen, sondern auch noch das, das ein Ende bezeichnet. Ebenso ist der Tod ein Ende, nämlich das des Lebens. Durch den Punkt wird also die Endgültigkeit des Todes hervorgehoben.
Stramms Gedicht ist sehr ausdrucksstark, d. h. Emotionen und Eindrücke werden in besonderer Deutlichkeit dargestellt. Man spürt sofort die von der beschriebenen Umgebung ausgehende Bedrohung, das ständige Misstrauen und die Angst.
Die Umgebung scheint zwar generell ruhig zu sein, jedoch mit unheimlichen Geräuschen - meist durch Wind verursacht - versetzt (z. B. V. 4).
Der Sprecher hat eine übersteigerte Sinneswahrnehmung (V. 4-6: Sträucher können nicht gellen), die Züge von Verfolgungswahn annimmt, der durch die im Krieg ständig herrschende Angst verursacht wird.
Auf Grund dieser unheimlichen und gruseligen Beschreibung hat man das Gefühl, es sei Nacht, obwohl es hierfür keinen eindeutigen Hinweis gibt.
Bei „Patrouille“ handelt es sich um ein expressionistisches Gedicht, welches während des 1. Weltkrieges verfasst wurde.
Expressionismus ((to) express = ausdrücken) bedeutet, die Künstler und Autoren bringen ihre Gefühle, Erfahrungen und Wahrnehmungen zum Ausdruck, wobei sie vielfach in abstrahierter Form arbeiten, wie beispielsweise mit Neologismen und Lautmalereien in Stramms Werk.
Es werden die Eindrücke eines Soldaten thematisiert, was in Bezug auf die expressionistische Darstellungsweise bedeutet, dass die Emotionen und Impressionen eines Menschen, der den Krieg selbst miterlebt hat, - vermutlich August Stramm selbst - so dargestellt werden, wie er sie persönlich wahrgenommen hat. Das Gedicht ist somit sehr individuell, da nicht sachlich erzählt wird, sondern nur die Sichtweise eines Individuums präsentiert wird.