Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Weimarer Klassik Strophen: 1, Verse: 8 Verse pro Strophe: 1-8
Der du von dem Himmel bist,
Alle Freud (Alles Leid) und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest;
Ach,ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual (der Schmerz) und Lust?
Süßer Friede,
Komm,ach komm in meine Brust!
Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
1844 veröffentlicht Annette von Droste-Hülshoff ihren Gedichtzyklus „Heidebilder“. Unscheinbar darin eingestellt, heute freilich Teil unzähliger Anthologien, ist ein lyrisches Kleinod, das Gedicht „Der Weiher“. Wir sollten uns ihm – so mein persönlicher Zugang - vor einem Kontrast nähern, nämlich im Vergleich mit Goethes „Wanderers Nachtlied“.
Hier wird in der Tat ein „Heidebild“ beschrieben, ein Gewässer bei Tagesanbruch. Dessen Betitelung als „Weiher“- in anderen Gedichten spricht die Dichterin nüchtern vom „See“- verleiht dem Bild allerdings sogleich etwas Feierliches, am Ende mag man auch sagen: Weihevolles. Und die drei unterschiedlichen Reimschemata (erst geschlossener Reim, dann Paarreim, schließlich Kreuzreim), die in zwölf Zeilen untergebracht sind, deuten an, dass uns bei näherem Hinsehen eine Vielschichtigkeit aufgehen soll. Worin liegt sie?
Natur
Vordergründig geht es um die Betrachtung der Natur. Mit Scharfblick wird sie beschrieben. Nicht allgemein von „Gipfeln, Wipfeln, Wald und Vögelein“ ist die Rede, sondern - auf das Besondere achtend – von Uferblumen, verschiedenfarbigen Libellen, Wasserspinne, Schilf und Schwertlilienkranz. In wenigen Zeilen entsteht ein plastisches, detailgetreues Naturbild. Die sprachliche Feinzeichnung des Vordergrunds könnte indes den Blick so auf sich ziehen, dass der Tiefengrund verschwimmt, um den es der Dichterin eigentlich geht. Schon in der zweiten Zeile setzt sie daher einen unüberhörbaren Akzent: Der Weiher liegt „so friedlich wie ein fromm Gewissen“. Das Naturbild ist Sinnbild. Aber wofür?
Paradies
Der unberührt daliegende Weiher versinnbildlicht zunächst die ursprüngliche Harmonie der Schöpfung. In der paradiesisch anmutenden Szene ist die Welt nicht nur augenfällig schön („blaugoldne Stäbchen und Karmin“, „des Sonnenbildes Glanz“), sondern mit sich im Einklang: Winde „küssen“ den Wasserspiegel. Die Uferblume ruht. Die Spinne tanzt. Das rauschende Schilf scheint zu singen. Eine Melodie klingt im Hintergrund (zum Tanz der Spinne, zum „Schlummerlied“ des Schilfs). Nichts droht. Wir sehen ein Bild vollkommenen Friedens der äußeren Welt („als flüstre’s: Friede! Friede! Friede!“), das innerem Einklang entspricht („so friedlich wie ein fromm Gewissen“). Der morgendliche Weiher zeigt die Welt exemplarisch, wie sie sein soll, wie sie eigentlich gedacht ist. Solche Stunden der Harmonie mögen flüchtig erscheinen. In ihrem späteren Gedicht „Im Grase“ wird die Dichterin sinnieren, sie seien flüchtiger „als der Kuss eines Strahls auf den trauernden See“, aber an der durch sie aufscheinenden Gewissheit festhalten („Dennoch Himmel, immer mir nur dieses Eine mir“): Die Welt ist als Paradies gedacht, sie ist im Ursprung schön, sie ist im Grunde gut.
Ende
Die paradiesisch anmutende, in sich ruhende Natur deutet zugleich – wie alle Paradiesbilder – auf das Ende, den Tod. Der Weiher liegt still, die Uferblume fühlt nichts, die Umgebung um das gleichsam ein Schlummerlied singende Schilf scheint zu schlafen. Der Kranz der Schwertlilien am Ufer ist ein Symbol des Todes. Nicht unähnlich erkennt Goethes Wanderer beim Anblick der in sich ruhenden Natur: „Warte nur, balde ruhest Du auch“.
Anfang
An dieser Stelle besteht freilich ein – für das Verständnis des Gedichts entscheidender - Unterschied: Anders als Goethes Wanderer blickt der Betrachter des „Weihers“ nicht auf das Ende, sondern auf den Anfang eines Tags. Die Natur um den Weiher schläft nicht ein, sie erwacht. Die Szene wird nicht von (fast!) lebloser Ruhe geprägt („kaum einen Hauch“), sondern von der Erwartung neu beginnenden Lebens. Leichter Wind kommt auf, Libellen „zittern“, die Spinne beginnt zu tanzen. Dieser Anbruch des Neuen hat eine Herkunft: das Morgenlicht, die Sonne, ein kommendes und gehendes „lindes Säuseln“. Letzteres steht für keinen anderen als Gott, den Schöpfer. Dem Propheten Elias erscheint Gott nicht in Sturm, Erdbeben oder Feuer, sondern in einem sanften, leisen Säuseln (1 Könige 19, 11 – 13; vgl. auch die Anspielung darauf in Annettes „Gruss an Wilhelm Junkmann“: Nein, als entschlief der Morgenwind, /Am Strauche summten fromme Bienen,/ Da ist der Herr im Säuseln lind, /Gleich dem Elias ihm erschienen.“). Gott ist da, in Anfang und Ende, und setzt den neuen Tag. Von daher erhellt auch, wofür „Morgenlicht“ und „Sonne“ stehen, nämlich für den Morgenglanz der Ewigkeit in der Leben spendenden Dimension Gottes.
Mithin ist die Botschaft des morgendlichen Weihers wohl diese: Die Schöpfung zeigt noch immer Spuren des Paradieses. Gott ist mit ihr verwoben. Er ist Alpha und Omega und setzt im Ende den neuen Anfang. Unaufdringlich, fast unscheinbar kommt diese Botschaft daher und ist für den Aufmerksamen und Nachdenklichen doch klar. Form und Inhalt gehen ineinander auf. Deshalb ist das Gedicht so meisterlich.
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