Thema: Der Blick auf die Lehrerin
Aufgabe: Analysieren und interpretieren eines Auszugs aus der Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ (1944) von Anna Seghers
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die vorliegende Textstelle ist aus Anna Seghers Werk „Der Ausflug der toten Mädchen“ entnommen. Ihr Werk verfasste sie im Jahre 1944 und veröffentlichte es 1946 erstmals in New York. Das Werk „Der Ausflug der toten Mädchen“ weist somit auf ein Exilwerk hin.
Die Epoche des Exils umfasst den Zeitraum von 1933 bis 1945. Nach der politischen Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wurden alle literarischen Werke, die nicht dem nationalsozialistischen Denken entsprachen, zensiert oder verbrannt. Sinnbildlich dafür stehen die Bücherverbrennungen in deutschen Universitätsstädten. Sie waren die Auslöser für große Auswanderungswellen ins Exil. Eine dieser Exilierten war die Autorin Anna Seghers. Sie flüchtete im Jahre 1933 nach einer Verhaftung durch der geheimen Staatspolizei nach Paris. Von dort aus wandert die Autorin dann nach Mexiko aus. In Mexiko verfasst Anna Seghers viele Exilwerke. Diese sollten Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft leisten und aufklären. Zu diesen Werken gehört auch ihre autobiografische Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“.
Mit ihrer Prosaerzählung leistet die Autoren Verarbeitung von Trauer, Tod und Schicksalsschläge, die sie in ihrer Vergangenheit erfahren musste.
In der Rahmenhandlung der Erzählung befindet sich die durch lange Krankheit geschwächte Ich-Erzählerin in einem abgelegenen mexikanischen Dorf. Beim Spazierengehen erlebt die Erzählerin aufgrund ihrer Müdigkeit einen Tagtraum, der sie ins Jahr 1913 zurückversetzt. In der Binnenhandlung erlebt die Erzählerin einen Schulausflug auf dem Rhein, der sich in Mainz vor dem ersten Weltkrieg abspielt, wieder. Sie erzählt dabei die Lebens- und Leidensgeschichten ihrer Mitschüler und Lehrer, die dann später im zweiten Weltkrieg auf tragische Art und Weise ums Leben kommen. Durch das Revuepassieren der Schulausflug es wird der Erzählerin bewusst, dass sie die einzige ist, die den Krieg überlebt hat. Nach einer Weile erwacht die Erzählerin aus ihrem Tagtraum und befindet sich wieder in der Rahmenhandlung.
Die Erzählung hilft der Autorin die Vergangenheit aufzuarbeiten und somit zu bewältigen, um nun ruhig in ihrer Gegenwart leben zu können.
In dem vorliegenden Auszug aus Anna Seghers Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ geht es einerseits um die Freundschaft der drei Freundinnen Marianne, Leni und der Erzählerin, wobei die Freundschaft zwischen Leni und Marianne im Fokus steht. Andererseits geht es um die Klassenlehrerin der Mädchenklasse, Fräulein Mees. Diese zwei Gedankengänge hat die allwissende Ich-Erzählerin in zwei verschiedene Textabschnitte verfasst. In beiden Textabschnitten erzählt die Autorin von der Sorglosigkeit und der schönen und lustigen Zeit, die sie mit ihren Freundinnen und der Klassenlehrerin zusammen verbracht hat. Die Autorin macht immer wieder Zeitsprünge und berichtet vom tragischen harten Schicksal dieser Person.
Im ersten Textabschnitt erzählt die Autorin Anna Seghers aus ihrer Kindheitssicht „Netty“ von ihren Freundinnen Marianne und Leni. Dabei macht die Autorin gleich im ersten Satz einen Zeitsprung und berichtet schon am Anfang des Textabschnittes in welchem Desaster diese Freundschaft im zweiten Weltkrieg enden wird. Die Autorin berichtet, nun als Anna Seghers, dass Marianne Schuld am Verlust von Lenis Kind hat (Zeile 1/ Zeile 2). Marianne weigerte sich, ihrer ehemaligen besten Freundin Leni bei der Ausreise nach Berlin, um Ihr Kind von dem nationalsozialistischen Erziehungsheim zu schützen, zu helfen. Marianne selbst wurde im zweiten Weltkrieg zu einer Befürworterin der Nationalsozialisten und ihr Mann war ein hoher Nazibeamter. Doch von diesen Tatsachen ahnte vor dem Krieg niemand, insbesondere Anna Seghers nicht. Sie erwähnt dieses Schicksal der beiden Freundinnen nur kurz und knapp ohne Emotionen als Relativsatz. Danach kehrt sie wieder in ihre Kindheitssicht der „Netty“ zurück. Dies weist auf einen Verdrängungsprozess von Anna Seghers hin. Sie möchte nicht von den Gedanken der schönen Freundschaft der beiden Freundinnen abkommen und erwähnt ihr tragisches Schicksal aus diesem Grund sehr sachlich und gleich am Anfang nebenbei, um dann weiter als Netty von der glücklichen Freundschaft zu erzählen. Sie berichtet von der starken Freundschaft der beiden Freundinnen. Beide konnte man nur schwer auseinander bringen, wie die Erzählerin in Zeile 2 und 3 betont. Die Autorin verwendet in der dritten Zeile das Wort „Schaukelgärtchen“ als Verkleinerungsform von Schaukelgarten. Diese weisen auf ihre kindlichen und naiven Charakterzüge, die sie als Netty besaß, hin. Dadurch wird noch mal die Sorglosigkeit und Schönheit der damaligen Situationen betont.
Im nächsten Satz erzählt Netty, dass sie sich durch die starke Verbundenheit von Leni und Marianne und auch durch die anderen engen Freundschaften der Mädchen in ihrer Klasse oft ausgeschlossen gefühlt hat (Zeile 4 und Zeile 5). Hier zeigt sich schon die Einzigartigkeit der Autorin. Sie war oft allein und hat viel über die Welt nachgedacht. Schon damals hat sie ihre Gedanken gerne auf Papier verfasst und war ein sehr kreativer und fantasievoller Mensch. Dies zeigt sich auch in diesem Text.
Im letzten Satz verschwindet jedoch das Alleinsein der Erzählerin (Zeile 5 und Zeile 6). Ihre beiden Freundinnen bemerken ihre Traurigkeit und kümmern sich um sie. Dieser Satz schließt den Kreis der Sorglosigkeit und Freude, die Netty und ihre Freundinnen damals empfunden haben. Hier wird noch mal die enge Bindung der Mädchen betont, welche sich jedoch im zweiten Weltkrieg auflöst und ein Ende findet.
Der zweite Textabschnitt ist ebenfalls von einem kindlichen Sprachstil geprägt. Jedoch findet sich auch hier ein Zeitsprung und ein sofortiger Wechsel des Sprachstils und der Stimmung.
In diesem Abschnitt geht die Erzählerin auf die Klassenlehrerin der Mädchenklasse ein. Der Abschnitt ist zum größten Teil mit langen Sätzen durchzogen, die viele Aufzählung enthalten.
Gleich im ersten Satz wird die kindlich assoziative Erzählsprache deutlich. Die Erzählerin Netty benutzt Euphemismen1 wie „Küken“ (Zeile 7) und „Ente“ (Zeile 7), um die Mitschüler und die Lehrerin zu beschreiben. Dabei macht sie die Autorität der Lehrerin deutlich. Die Mitschüler sind die „Küken“, die der „Ente“ Fräulein Mees hinterherlaufen und ihr zu folgen haben. Im nächsten Satz wird das kindliche Verhalten von Netty und der Mitschüler nun sehr deutlich. Netty beschreibt das Aussehen der Klassenlehrerin sehr bildhaft. Sie verwendet Wörter wie „hinken“ (Zeile 7), „großer Hintern“ (Zeile 8) und wieder das Wort „Ente“ (Zeile 8). Im darauffolgenden Satz fixiert sich Netty nun auf das schwarze Kreuz von Fräulein Mees (Zeile 9). Dies weist auf den starken religiösen Glauben der Lehrerin hin. Die Mitschüler und auch Netty selbst empfanden das Aussehen ihrer Lehrerin als seltsam und belustigend (Zeile 11). In diesem Satz wird nochmal die naive Art der Erzählerin Netty und auch ihrer Mitschüler Leni und Marianne deutlich gemacht. Die Mädchen Leni und Marianne „verbissen sich ein Lächeln“ (Zeile 10) beim Anblick der Lehrerin. Doch in diesem Satz macht Anna Seghers schon wieder einen Zeitsprung. In dem darauf folgenden Satz ist ein sofortiger Wechsel der Stimmung zu bemerken. Die Autorin berichtet nun vom Schicksal der Fräulein Mees im zweiten Weltkrieg. Sie berichtet, dass sie ihr großes schwarzes Kreuz auch im Nationalsozialismus nicht abgelegt hat und sich ohne Furcht damit gezeigt hat (Zeile 13). Hier wird das große Selbstbewusstsein der Lehrerin deutlich, welches sie schon vor dem zweiten Weltkrieg besaß. Sie hat sich nicht um die Belustigung und Verachtung anderer Leute geschert. Diese Einstellung hat sie bis zu ihrem Tod nicht abgelegt.
Beide Textabschnitte weisen, wie in der Arbeitshypothese schon genannt, viele Zeitsprünge auf. Diese machen den Kontrast der Lebenssituationen der Personen deutlich. Dadurch kann man die am Anfang genannte Arbeitshypothese bestätigen.