Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Angstlied“ wurde von der deutschen Dichterin Ulla Hahn in dem Jahr 1981 verfasst und publiziert. Das lyrische Werk erzählt von dem hohen Maß an Selbstzweifeln, der Ängstlichkeit und der Unzufriedenheit, die das lyrische Ich hegt. Somit handelt es von dem Umschwung von Verzweiflung auf das Abfinden einer Situation, welches das lyrische Ich erlebt. Dadurch wird es von seinen Beschwerden erlöst.
Nun gilt es den Inhalt zu klären. In der ersten Strophe wird anschaulich dargestellt, wie das lyrische Ich sich darüber beklagt und echauffiert1, dass es heimatlos und von geringer Körpergröße ist. Des Weiteren wird ausdrucksvoll verdeutlicht, wie sich das lyrische Ich darüber beschwert, zu schüchtern für eine enge Liebesbeziehung und somit viel zu einsam und allein zu sein. Die folgende Strophe ist somit abermals eine Bemänglung, welche sich jedoch in diesem Falle dem partnerlosen Zustand des lyrischen Ichs annimmt, sowie ferner abstrakte Äußerungen bezüglich des selbstzerstörerischen Triebs des Ichs beinhaltet. Auch zu Ende des Gedichts wahrt das lyrische Ich seine diffamierenden Ausführungen gegen sich selbst, indem es sich eine gewisse Kaltherzigkeit zuweist und von sich behauptet es sei bereits tot. Schließlich wird in der dritten Strophe deutlich dargestellt, dass das lyrische Ich daran verzweifelt, nicht lebensfroh, heiter und aufgeweckt zu sein, sondern traurig, bekümmert und bedrückt. Der letzte Vers ist noch zu erwähnen, da in diesem die Sympathie, welche das Ich gegenüber der Not hegt, betont wird.
Das Gedicht gliedert sich in drei inhaltliche Abschnitte durch die vorliegenden drei Strophen mit je vier Versen. Hierbei lässt sich das Werk in Beklagen (vgl. St. 1) und Beschwerde (vgl. St. 2) sowie Verzweiflung (vgl. St. 3). Basierend auf dem vorhandenen zwei-hebigen Jambus, dem Reimschema abcb, einem Schweifreim bzw. einem unvollständigem umarmenden Reim sowie der Abwechslung der männlichen und weiblichen Kadenzen3 liegt ein bestimmter beweglicher Rhythmus vor. Dieser untermalt vor allem den Stimmungswechsel von negativ auf positiv, da auch das Metrum4 von unbetont auf betont umspringt. Reimschema und Metrum sind nicht unentwegt. So findet sich in der ersten, wie in der letzten Strophe ein Paarreim und in der zweiten Strophe ein umarmender Reim. Stellt man an eben jener zuletzt genannten Stelle eine inhaltliche Verbindung her, so erkennt man, dass sich hier eine deutliche Intention der Autorin verbirgt, da das lyrische Ich in jener Strophe nämlich über seine Partnerlosigkeit und der darin implizierten, passiv sich verbergenden Einsamkeit zu sprechen kommt. Der umarmende Reim repräsentiert demnach den Wunsch nach einer Person der Liebe, einem „Mann“ (V. 5), der es zu behüten weiß und ihm die ersehnte Zuneigung schenken kann.
Des Weiteren lassen sich einige Besonderheiten in der Sprache erkennen. Das Gedicht enthält hierbei viele rhetorische Sprachmittel, die es im Folgenden zu analysieren gilt. Zunächst ist auffällig, dass alle drei Strophen den gleichen Aufbau aufweisen. Zunächst wird die Beschwerde benannt und danach der Grund für die Misslage erläutert. Somit beginnen die Strophen mit Anaphern5, die in einem Parallelismus auftreten, um das repetitive, wiederholende und von neuem beginnende Beklagen des lyrischen Ich zu unterstreichen. Mit den Anaphern „Ich hab kein“ und „bin viel zu“ (s. V. 1f, 5f, 9f.) wird mit dem Wort „kein“ ein Verlust verdeutlicht und durch die negativen Adjektive „klein“, „bang“ und „tot“ (s. V. 2, 6, 1) ein Art dramatisierender Klimax6 hervorgerufen. der ebenfalls die negative Gefühlswelt des lyrischen Ichs durch seine Steigerung unterstreicht. Da jeweils der zweite Vers jeder Strophe eine Ellipse (s. V. 5) ist, wird Sprachlosigkeit suggeriert und somit die verzweifelte Gefühlslage des lyrischen Ichs hervorgebracht. Dies unterstreicht die allgemein hoffnungslose und deprimierende Situation. Ferner erkennt man anhand der Symbole „[kein] Haus“, „[kein] Mann“ und „[kein] Herz“ (s. V. 1, 5, 9), was dem lyrischen Ich fehlt, wobei die Symbole jeweils die Wohn-, die Beziehungs- sowie Lebenslage und Lebensfreude darstellen. Somit wird betont, dass das lyrische Ich sich, sowohl räumlich als auch mental, verloren vorkommt und nirgends zugehörig, da es „zu klein“ (s. V. 2) ist und kein Habitat ergo „kein Haus“ (s. V. 1) hat. In diesem Zusammenhang tritt eine emphasenartige Hyperbel7 "viel zu klein" (V. 2) auf, welche, mit ihrem verzweifelten Unterton, die Bedeutung der winzigen Gestalt des lyrischen Ichs, der damit eng verbundene Mangel an Selbstbewusstsein und den klagenden Aspekt des Gedichts verstärkt. Auffallend ist zudem das Vielfache Auftreten von Apokopen (vgl. V. 1, V. 5, V. 6, V. 7 usw.), der stets parallele Satzbau und die formale Anordnung der Verse. Diese gleicht bei genauerer Betrachtung ein Wenig einer Art Treppe, welche, wenn man die Vers Reihenfolge berücksichtigt, bergab führt. Sinnig ist dies, da tendenziell eher eine frustrierte, negative Atmosphäre vorherrschend ist, sprich ein Stimmungsgefälle. Des Weiteren ist das lyrische Ich einsam, da es keinen Lebenspartner also „kein[en] Mann“ (s. V. 5) hat und auf mentaler Ebene „tot“ (s. V. 10) ist also nicht lebensfroh, denn es hat keine Freude und Liebe im Leben und somit „kein Herz“ (s. V. 9). Aus dieser Beschreibung heraus erkennt man, dass das lyrische Ich sich minderwertig fühlt (vgl. V. 2, 6, 10), in Einsamkeit verfällt (vgl. V. 5) und letztendlich an seiner Lage dermaßen verzweifelt, dass es sich als „tot“ (s. V. 10) bezeichnet. Repräsentiert wird hier durch den Begriff "Herz" selbstredend nicht das tatsächliche Fehlen eines Organs, sondern ferner eine prinzipielle Gefühlstaubheit und der daraus resultierenden Kaltherzigkeit des lyrischen Ichs, welche auch in den folgenden Versen von essenzieller Bedeutsamkeit sein wird. Entgegen der allgemein offensichtlichen Wortwahl, welche bei flüchtiger Betrachtung vorerst den Tod des lyrischen Ichs zu beschreiben scheint "bin viel zu tot" (V. 10), ist das hier viel eher auf metaphorischer Ebene zu deuten. Das lyrische Ich ist nicht wahrhaftig aus dem Leben geschieden. Es hat lediglich einen bedenklichen Zustand von innerer Leere und mentaler Verwesung erlangt, welcher ihn zuweilen in seiner Verzweiflung gar glauben lässt, es schwände endgültig. Nachdem in der ersten Hälfte der Strophen durch die negativen Adjektive (vgl. V. 2, 6, 10) eine verzweifelte Gefühlswelt suggeriert wurde, gibt es in der anderen Hälfte der Strophen eine Art Stimmungswechsel von negativ auf positiv. Unter anderem erkennt man, dass die zweite hälft der Strophen Inversionen8 sind und somit die Verwirrtheit und den Umschwung des Stimmungswechsels betont. Somit wird durch die Inversion „bläst mich ein Wind / hinaus hinein“ (s. V. 3f) und die Metapher „Wind“ (s. V. 3) erklärt, dass das lyrische Ich schwach sei und es nirgends zugehörig sei, sodass man es mit Leichtigkeit rumwerfen könne, dass dies sogar ein schwacher Wind schaffe. Zugleich wird durch die Alliteration9 „hinaus hinein“ (s. V. 4) diese Leichtigkeit verschärft betont. Hervorstechend in dieser Strophe ist hierbei auch der Oxymoron10 "hinaus hinein" (V. 4), der die Unsicherheit und die Unscheinbarkeit des lyrischen Ichs zu untermauern gedenkt. Außerdem erkennt man an „zünd meinen Himmel selber an“ (s. V. 7f), dass das lyrische Ich suggeriert, trotz den Umständen in keiner Beziehung zu sein, sich zu amüsieren, denn mit der Metapher „[den] Himmel selber [an]zünden“ verbindet man freudebereitende Feuerwerke, was heißt dass das lyrische Ich einen positiven Umschwung in seiner Gefühlslage verspürt. Hierbei ist signifikant auffällig, dass trotz des Stimmungswechsels von negativ auf positiv innerhalb einer Strophe das lyrische Ich in der nächsten Strophe von neuem beginnt, sich wegen den negativen Aspekten in seinem Leben zu beklagen (vgl. V. 5f, 9f). Dies verdeutlicht nicht nur Verzweiflung an der eigenen Person sondern auch Minderwertigkeitskomplexe und Angst, was den Titel „Angstlied“ erklärt, da das lyrische Ich wie in einem Lied den gleichen sich wiederholenden Refrain einsetzt, von negativer auf positiver Stimmung. Des Weiteren verdeutlicht die Inversion „weich warm verschneit / in liebe Not“ (s. V. 11f) durch ihre fremde Umstellung ein nicht zu erklärendes, fremdvorkommendes Eintreffen einer Verborgenheit, die das lyrische Ich verspürt. Die euphemistische Metapher „verschneit / in liebe Not“ (s. V. 11f) suggeriert einen beschönigenden Ausdruck dafür, dass das lyrische Ich trotz all seiner Komplikationen und Beschwerden im Leben verborgen bleibt, schon fast „verschneit“ und undurchdringlich (s. V. 11) für jene, die ihm in seiner Notlage behilflich sein könnten. Andererseits betont "Ich liebe Not" nochmals die Liebe des lyrischen Ichs zur Dramatik und Destruktivität. Es widerspricht in dem Sinne den Klagen, die es zuvor äußert, o verträgt sich aber zugleich gut mit der Theorie des Hangs zur Selbstzerstörung, welche in dieser Interpretation Hauptelement ist. Doch durch die Alliteration „weich warm“ (s. V. 11) wird die positive Seite in dieser Misslage betont, was letzten Endes ein großer Umschwung ist, da das lyrische Ich nicht nur aufhört sich zu beschweren, sondern sich sogar mit seiner Situation abfindet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Angstlied“ von Ulla Hahn aus dem Jahr 1981 eine Reihe von rhetorischen Sprachmitteln aufweist. Somit gelingt es der Autorin den Sprachgestus und das Klangbild vom sprunghaften Umschwung von Verzweiflung und Einsamkeit auf das Abfinden der persönlichen Situation zu verdeutlichen. Dies ist unter anderem dank der inversionsähnlicher Struktur, den Anaphern, den Metaphern11 und den Ellipsen12 möglich. Das vorliegende Gedicht umschreibt hierbei ein apokopenlastiges Ungleichgewicht zwischen der Liebe zur Dramatik, dem Hang gegen das eigenen Wohl zu agieren und der verhängnisvollen Unglückseligkeit und Einsamkeit, welche diese Liebe mit sich bringt. Ein Zusammenspiel aus Inhalt und formaler Aufmachung erzeugen den individuellen Charakter dieses Werks. Zudem wird aufgrund der verzweifelten Situation versucht, den Minderwertigkeitsgefühlen zu entfliehen. Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass in diesem Kontext suggeriert wird, dass erst, wenn man sich letztendlich mit der eigenen Situation abfindet, kann man eine Erlösung von den omnipräsenten Komplikationen und Beschwerden erwarten. Dies stellt ebenfalls die Hauptaussage des Gedichts dar.