Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Morgensonett“, welches von dem Barockdichter Andreas Gryphius stammt und 1963 in der hier vorliegenden Version erneut veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit der für die Epoche typischen Thematik der Vergänglichkeit, aber auch mit positiven Lebensgefühlen und der Lust.
Die ersten beiden Quartette handeln von dem Wechsel von der Nacht zum Tag und davon, wie alles Leben wieder erwacht. Die darauffolgende Strophe thematisiert die Klagen des lyrischen Ichs über seine psychischen Leiden und die Probleme, die sein Leben quälen. In der letzten Strophe schließlich wendet sich das lyrische Ich an Gott und bittet nach einem erleuchteten Leben nach dem Tod.
Der Aussagegehalt des Sonetts erschließt sich dem Leser nicht auf den ersten Blick, da Sprache und Wortwahl sehr reich an Metaphern1 und vieldeutig erscheinen. Da sowohl in der Überschrift, als auch im Text helle, harmonische Klänge vorherrschen und die Stimmung prägen, legt dies die Vermutung nahe, dass es sich hier um religiöse oder Gedankenlyrik handelt.
Andreas Gryphius folgt der Vorschrift von Martin Opitz für deutsche Sonette2 sehr genau. In den beiden Quartetten ist ein umarmender Reim zu erkennen, in den Terzetten ein Schweifreim, wobei männliche und weibliche Kadenzen3 alternieren. Metrisch betrachtet liegt hier ein sechshebiger Jambus vor, der nach der dritten Hebung eine Mittelzäsur4 aufweist. Auch dieser Alexandriner entspricht dem Idealbild der barocken Lyrik.
Das Sonett beginnt mit der Schilderung eines Sonnenaufgangs: „Diane steht erblaßt; die Morgenröte lacht den grauen Himmel an“ (V. 2f). Dabei wird hier allegorisch die griechische Mythologie mit einbezogen, um einen religiösen, mysteriösen Eindruck zu erzeugen. Im dritten Vers wird der Wind personifiziert: „der sanfte Wind erwacht und reizt das Federvolk, den neuen Tag zu grüßen“ (V. 3f). Das harmonische Bild wird verstärkt, sodass deutlich wird, dass es nun Tag ist.
Im zweiten Quartett beschreibt das lyrische Ich den Tagesablauf konkreter. So bezieht das lyrische Ich nun das „Leben der Welt“ (V. 5) mit ein, welches „schon eilt, die Welt zu küssen“ (V. 5). Diese bildliche Darstellung soll verdeutlichen, dass alles Natürliche wieder zum Leben erwacht ist und harmonisch mit der Welt zusammenlebt, sodass der mysteriöse Eindruck verstärkt wird.
Im siebten Vers wendet sich das lyrische Ich jedoch an jemand anderen: „O dreimal höchste Macht!“ (V. 7). Diese Metapher steht für Gott und für das christliche Motiv der Dreifaltigkeit. Es ist der Appell, dass Gott nur den erleuchten solle, „der sich itzt beugt vor deinen Füßen!“ (V. 8). Das lyrische Ich ist also der Meinung, dass nur diejenigen die ihr Leben lang gläubig waren, erlöst werden sollten.
Mit dem Beginn des ersten Terzettes ist ein inhaltlicher Bruch zu erkennen. Während das lyrische Ich im ersten Teil des Gedichtes eher eine beobachtende Position einnimmt, wechselt es nun zu einem kritischen, bewertenden Standpunkt. Deutlich wird dies durch die Verwendung von Pronomen, wie „mein“ oder „ich“, aber auch durch die dunkle Wortwahl („Schmerzen Finsternis“ (V. 10)). Das erste Terzett setzt mit einer asyndetischen Auflistung aller inneren Probleme des lyrischen Ichs an, die sich an die zuvor genannte „höchste Macht“ (V. 7) richtet. Eingeleitet werden die jeweiligen Relativsätze anaphorisch durch das Relativpronomen „die“. So appelliert das lyrische Ich, dass die „dicke Nacht, die meine Seele umgibt“ und auch „die Schmerzensfinsternis, die Herz und Geist betrübt“ (V. 9f) vertrieben werden soll. Sowohl die Nacht, welche nun eingebrochen ist, als auch der Neologismus5 Schmerzensfinsternis, stehen in diesem Kontext für die depressiven Erfahrungen, die das lyrische Ich erlebt hat, sodass es nun Gott bittet: „Erquicke mein Gemüt und stärke mein Vertrauen!“ Es wird deutlich, dass das lyrische Ich sehr verzweifelt und nicht mit sich klar kommt, sodass es in der der zuletzt genannten Apostrophe6 Gott als höhere Instanz um Hilfe bittet.
Im letzten Terzett des Sonetts führt das lyrische Ich seine Bitten fort und kommt nun zur Motivik des Todes: „wenn mein End und jener Tag bricht ein, dass ich dich, meine Sonn, mein Licht, mög ewig schaun.“ (V. 13f) Dieser Vers bezieht sich auf das erste Quartett zurück, sodass das lyrische Ich appelliert, dass es nach seinem Tod das harmonische und erleuchtete Leben, welches es in den ersten Strophen beschrieben hat, führen kann.
So komme ich abschließend zu der Folgerung, dass dieses Gedicht hinsichtlich seiner Thematik, Motivik und formalen Gestaltung typisch für die Epoche des Barocks ist. Das lyrische Ich behandelt in den Quartetten den natürlichen Tagesablauf, welchen es im letzten Terzett mit dem wahren Leben gleichsetzt und damit auch auf die Vergänglichkeit und das typische Memento-mori-Motiv zurückgreift. Das lyrische Ich hat die Hoffnung, dass all sein Leiden und all seine Beschwerden nach dem Tod erlöst werden, was auch die christliche Motivik des Gedichtes zeigt, aber auch die Intention, mit der Gryphius dieses Sonett verfasste: Dieser schrieb den mir vorliegenden Text ein Jahr vor seinem Tode. Während seines Lebens war er vielen Problemen ausgesetzt. So verlor er bereits im Alter von fünf Jahren den Vater und mit elf Jahren seine Mutter. Außerdem war er während des Dreißigjährigen Krieges vielen Leiden ausgesetzt, welche er in dem ersten Terzett des Gedichtes erwähnt. Er erhofft sich nun, wenigstens nach seinem Tod das Leid überwunden zu haben und in Glückseligkeit zu leben.